Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die das Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben beeinträchtigt. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Sprachlosigkeit“. Es handelt sich jedoch nicht um eine Sprechstörung wie Stottern oder eine Lähmung der Gesichtsmuskulatur, sondern um eine Störung der Sprachverarbeitung im Gehirn. In Deutschland sind über 100.000 Menschen von Aphasie betroffen, wobei jährlich etwa 25.000 Neuerkrankungen hinzukommen. Die Prävalenz zerebrovaskulär bedingter Aphasien wird auf ca. 85.000 bis 100.000 geschätzt.
Was ist Aphasie?
Aphasie ist eine Sprachstörung, die durch eine Schädigung des Gehirns verursacht wird. Betroffene haben Schwierigkeiten, Wörter und Sätze zu bilden, Sprache zu verstehen, zu lesen und zu schreiben. Die Symptome können je nach Art und Schweregrad der Aphasie variieren. Die Intelligenz ist in der Regel nicht beeinträchtigt, jedoch können Gedächtnis-, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen hinzukommen.
Ursachen von Aphasie
Eine Aphasie tritt nach Schädigungen oder Erkrankungen des Gehirns auf. Die häufigsten Ursachen sind:
- Schlaganfall: Verursacht etwa 80 % der Aphasien. Ein Schlaganfall tritt auf, wenn die Blutversorgung des Gehirns unterbrochen wird, was zu einer Schädigung des Hirngewebes führt.
- Schädel-Hirn-Trauma: Verletzungen des Kopfes können zu Schäden in den sprachrelevanten Arealen des Gehirns führen. In Deutschland erleiden jährlich ca. 270.000 Menschen eine Schädel-Hirn-Verletzung.
- Hirntumoren: Tumoren im Gehirn können auf die Sprachzentren drücken und diese schädigen.
- Hirnblutungen: Blutungen im Gehirn können ebenfalls zu Schädigungen des Hirngewebes führen.
- Entzündungen: Entzündliche Erkrankungen des Gehirns, wie z. B. Enzephalitis, können eine Aphasie verursachen.
- Weitere Erkrankungen des zentralen Nervensystems: Seltenere Ursachen sind z.B. Multiple Sklerose, Morbus Parkinson oder Demenzerkrankungen wie Alzheimer oder Frontotemporale Demenz.
- Vergiftungen: Auch Vergiftungen können eine Aphasie auslösen.
Die Aphasie tritt meist plötzlich auf, wodurch die Betroffenen nicht mehr in der Lage sind, sich in gewohnter Weise mit ihrer Umgebung auszutauschen.
Formen der Aphasie
Je nach Art und Ort der Schädigung im Gehirn unterscheidet man verschiedene Formen der Aphasie:
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- Globale Aphasie: Die schwerste Form der Aphasie. Betroffene können kaum oder gar nicht sprechen, Sprache verstehen, lesen oder schreiben. Sie nutzen oft nur einzelne Worte, Stereotypien oder Sprachautomatismen.
- Broca-Aphasie (motorische Aphasie): Betroffene können nicht flüssig sprechen und bilden keine kompletten Sätze. Die Sprache ist oftTelegrammstil“ geprägt. Das Sprachverständnis ist in der Regel weitgehend ungestört. Typisch ist ein Agrammatismus und oft auch eine Sprechapraxie.
- Wernicke-Aphasie: Der Redefluss ist gut erhalten, manchmal sogar gesteigert, aber das Sprachverständnis ist stark beeinträchtigt. Betroffene verstehen oft auch einfache Wörter nicht und füllen das Gesprochene nicht mit Inhalt. Typisch sind Paragrammatismus und Paraphasien.
- Amnestische Aphasie: Hauptsymptom sind Wortfindungsstörungen. Betroffene zeigen ein gutes Störungsbewusstsein und versuchen, Fehler zu korrigieren. Häufig werden Statthalterwörter wie „Ding“ oder „das da“ verwendet.
- Weitere Aphasieformen: Es gibt noch weitere, weniger häufige Aphasieformen, die sich durch spezifische Symptome auszeichnen.
Jede Aphasie ist jedoch individuell ausgeprägt. Im klinischen Alltag ist daher nicht allein das Syndrom entscheidend, sondern vielmehr die Art und Weise, wie und inwieweit die Symptome der Sprachstörung die Betroffenen bzw. die Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigen.
Beurteilt wird dabei etwa:
- Handelt es sich um eine
flüssige(Sprache ist zwar korrekt, aber häufig inhaltsleer) oder einenichtflüssige(Sprache ist eher stockend) Aphasie? - Wie inhaltsreich oder -leer ist das Gesagte oder Geschriebene?
- Wie stark ist eine Störung des Sprachverständnisses ausgeprägt?
- Gibt es Wortfindungsstörungen?
- Sind Grammatik, Sprachlaute und der Satzbau beeinträchtigt?
- Wie stark ist die alltägliche Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt?
- Ist gegebenenfalls eine Kommunikation mit Hilfe von Gesten, Mimik oder Hilfsmitteln wie Büchern, Tablet und Smartphone möglich?
Diagnose von Aphasie
Die Diagnose einer Aphasie erfolgt durch Neurolinguisten/Logopäden und Neuropsychologen. Im Rahmen der Diagnostik werden die folgenden Bereiche der Sprachfunktion untersucht:
- Lautstruktur (Phonologie)
- Wortgestalt (Morphologie)
- Satzbau (Syntax)
- Wort- und Satzbedeutung (Semantik)
- Sprachverständnis
- Störungen des Lesens (Dyslexie)
- Störungen des Schreibens (Dysgraphie)
- Störungen von Sprechbewegungen (Sprechapraxien)
- Störungen der Artikulation, der Stimmgebung und der Sprechatmung (Dysarthrophonie)
Zudem werden mögliche zusätzliche Einschränkungen folgender Bereiche erfasst:
- Konzentration und Aufmerksamkeit
- Orientierung
- Gedächtnis
- Auditive und visuelle Wahrnehmung
- Räumlich-konstruktive Störungen
- Handlungsplanung
- Rechenfähigkeit
- Antrieb und psychomotorisches Tempo
- Stimmung und Affektivität
Zur Diagnose werden spezielle Tests eingesetzt, wie z. B. der Aachener Aphasie Test (AAT). Eine bildgebende Untersuchung des Gehirns (Computertomografie oder Magnetresonanztomografie) hilft, die Ursache der Sprachstörung zu finden und das Ausmaß der Schädigung zu bestimmen.
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Therapie von Aphasie
Ziel der Aphasietherapie ist es, die Kommunikationsfähigkeit so gut wie möglich zu verbessern und vorhandene Fähigkeiten zu fördern. Nach wissenschaftlichen Studien gilt: Je intensiver die Behandlung, desto effektiver ist das Ergebnis. Gerade in der akuten und subakuten Phase einer Aphasie hat sich eine intensive Sprachtherapie (IST) bewährt. Aber auch im späteren Krankheitsverlauf sind durch intensives Training Besserungen möglich.
Eine intensive Sprachtherapie (IST) erfolgt vorzugsweise im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme in einer neurologischen Fachklinik (stationär oder teilstationär). Vorteil dabei ist, dass neben der intensiven Sprachtherapie die häufig vorhandenen neurologischen Begleitsymptome mitbehandelt werden können.
Die Rehabilitationsbehandlung der Aphasien kann folgende Therapiemodule umfassen:
- Sprachtherapie (Logopädie und/oder Linguistik) inkl. computerunterstützte Sprachtherapie
- Neuropsychologische Therapie (zur Verbesserung u. a. von Aufmerksamkeit und Gedächtnis)
- Physiotherapie (bei Lähmungen und Bewegungseinschränkungen)
- Ergotherapie (Übungen zum Wiedererlernen von Alltagsfähigkeiten)
- Physikalische Therapien (Elektrotherapie, Massage, Bäder)
Die Aphasie-Therapien finden in der Regel in Einzel- und Gruppentherapien statt. Ein wesentliches Ziel ist dabei, Aphasiker wieder in die Lage zu versetzen, trotz eventueller Einschränkungen wieder möglichst selbstständig im Alltag zurechtzukommen. Im Real Life-Training können die Betroffenen lernen, während der Behandlung eingeübte Kommunikationsmuster in einer realen Alltagssituation anzuwenden (z.B. beim Einkaufen).
Wichtig ist immer, ein verständnisvolles Umfeld der Betroffenen zu fördern, um die ansonsten wirksamen natürlichen Sprach- und Sprechängste abbauen zu können. Dabei ist es hilfreich, wenn auch die Angehörigen frühzeitig in die Therapien eingebunden werden und durch Beratungen und Seminare das Verständnis für die Störung gefördert wird.
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Technische Entwicklungen erleichtern Therapeuten die Behandlung und Betroffenen ihren Alltag. Dazu gehören beispielsweise Sprachapps wie Neolexon, Constant Therapy, Tactus oder Lingraphica und spezielle Computerprogramme wie EvoCare, aphasiaware und Lingware.
Tipps zum Umgang mit Aphasikern
- Behandeln Sie den Aphasiker als Gesprächspartner auf Augenhöhe.
- Nehmen Sie der aphasischen Person „nicht das Wort aus dem Mund“.
- Sprechen Sie nicht über sie, sondern mit ihr.
- Sprechen Sie in normaler Sprache und in einfachen Sätzen.
- Sprechen Sie langsam, klar und deutlich.
- Formulieren Sie Fragen vorzugsweise so, dass sie mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können.
- Korrigieren Sie nicht.
- Halten Sie Blickkontakt.
- Setzen Sie alle Mittel der Kommunikation ein: Gesten und Mimik, zeichnen oder schreiben Sie, wenn nötig, zeigen auf Gegenstände oder Abbildungen und motivieren Sie gegebenenfalls auch den Betroffenen ebenfalls dazu.
- Warten Sie geduldig auf eine Antwort.
- Sorgen Sie im Gespräch für eine ruhige Umgebung und schalten Sie störende Geräuschquellen wie Radio oder TV möglichst aus.
- Wenn der Betroffene in einem Satz nicht weiterkommt, drängen Sie nicht. Gegebenenfalls ist es auch hilfreich, zunächst das Thema zu wechseln. Ein erneuter späterer Versuch ist oft erfolgreich.
- Seien Sie verständnisvoll und geduldig bei Gefühlsschwankungen.
Selbsthilfe
Viele Aphasiker und ihre Angehörigen profitieren vom Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen. Eine zentrale Interessenvertretung ist der Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e.V.
Verlauf und Prognose
Wie eine Aphasie verläuft, ist individuell unterschiedlich. Die Entwicklung der Aphasie hängt stark von der Ursache und dem Ausmaß der Hirnstörung ab. Schwere Aphasien durch einen großen Schlaganfall verbessern sich zum Beispiel nicht so sehr wie leichte Störungen nach einer stärkeren Gehirnerschütterung. Einige Menschen erholen sich nach einer Therapie innerhalb von Wochen oder Monaten vollständig, bei anderen bessert sich die Aphasie nur teilweise und sehr langsam oder gar nicht. Bei etwa einem Drittel der Patient*innen mit initialer Aphasie normalisieren sich die Sprachfunktionen in den ersten vier Wochen weitgehend, danach flacht die Kurve der Spontanrückbildung zunehmend ab. Wesentliche Ziele der Aphasie-Therapie sind die Reorganisation und Kompensation der Hirnareale. Bei der Reorganisation erlernen die früheren Nervenzellen ihre alten Aufgaben wieder. Bei der Kompensation lernen andere Nerven die Aufgaben zu übernehmen.
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