Linkshänder, Rechtshänder und das Gehirn: Eine faszinierende Reise in die Unterschiede

Etwa 10 % der Weltbevölkerung sind Linkshänder. Diese Tatsache wirft seit langem Fragen auf: Gibt es Vor- oder Nachteile, Linkshänder zu sein? Wie unterscheiden sich die Gehirne von Links- und Rechtshändern? Und wie beeinflusst die Händigkeit unser Denken und unsere Wahrnehmung? Überraschende Forschungsergebnisse erweitern kontinuierlich unser Verständnis dieser komplexen Thematik.

Die sprachliche Prägung der Händigkeit

Unsere Händigkeit beeinflusst unser Denken, was sich in unserem Sprachgebrauch widerspiegelt. In vielen Sprachen, darunter auch Deutsch, ist "rechts" mit Normalität, Gutem und Richtigkeit verbunden, während "links" oft mit Ungutem, Hinterlistigem und Verdächtigem assoziiert wird. Diese sprachliche Skepsis gegenüber Linkshändern führte in der Vergangenheit dazu, dass man versuchte, Linkshänder zu Rechtshändern zu "erziehen".

Evolutionäre Perspektive: Kooperation versus Wettbewerb

Die Evolutionstheorie besagt, dass sich Eigenschaften, die das Überleben erleichtern, durchsetzen, während hinderliche Eigenschaften aussterben. Das Paradoxe ist, dass der Anteil der Linkshänder an der Bevölkerung über Jahrtausende hinweg konstant bei etwa 10 % geblieben ist. Dies deutet darauf hin, dass Linkshändigkeit sowohl Vor- als auch Nachteile haben könnte.

Vorteile im Wettbewerb

Eine Theorie besagt, dass Linkshänder in Wettbewerbssituationen, in denen die Hände eine Rolle spielen, im Vorteil sind. Der Grund dafür ist, dass sich Linkshänder auf rechtshändige Gegner einstellen können, während Rechtshänder von Linkshändern überrascht werden. Sportarten wie Boxen oder Baseball sind Paradebeispiele. Daten belegen diese Theorie: Im Baseball sind etwa 50 % der besten Schlagmänner Linkshänder. Rechtshändige Werfer trainieren ihre Technik mit rechtshändigen Gegnern und werden von linkshändigen überrascht.

Nachteile in der Kooperation

In Situationen, in denen Kooperation erforderlich ist, können Linkshänder im Nachteil sein. Da Produkte meist für die Mehrheit hergestellt werden, sind Linkshänder benachteiligt, was sich in einer höheren Verletzungsrate widerspiegelt. In Gesellschaften, die auf die Jagd spezialisiert sind, ist der Anteil der Linkshänder höher als in kooperativen Gesellschaften, da Jäger oft alleine arbeiten.

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Unterschiede im Gehirn

Obwohl der Unterschied, ob eine Person eine Schere mit der linken oder rechten Hand bedient, gering erscheinen mag, sind diese Unterschiede im Gehirn erkennbar. Bei 95 % der Rechtshänder ist die linke Gehirnhälfte für die Sprachfähigkeiten verantwortlich, bei Linkshändern sinkt der Anteil auf 70 %. Die Unterschiede zwischen den Gehirnhälften sind bei Linkshändern weniger stark ausgeprägt. Die Annahme, Linkshänder seien kreativer, konnte bisher nicht bestätigt werden.

Umschulung von Linkshändern: Was passiert im Gehirn?

Linkshänder können lernen, mit ihrer rechten Hand genauso gut oder fast so gut zu schreiben wie Rechtshänder. Das Umlernen funktioniert im Kindesalter einfacher als im Erwachsenenalter. Nach einem Schlaganfall können Menschen auf die andere Hand umlernen. Funktionelle Bildgebung zeigt, dass das Gehirn von umgelernten Linkshändern "mehr arbeiten" muss.

Bei Rechtshändern dominiert die linke Hemisphäre die Bewegungen mit der Hand, bei Linkshändern die rechte. Umgeschulte Linkshänder aktivieren beim Schreiben mit rechts beide Hirnhälften. Durch das Umlernen wechselt die Hirnaktivität nicht einfach die Seite, sondern es werden die Motorcortex beider Hirnhälften gestärkt. Die Kontrolle der Bewegung geht bei den Umgeschulten immer noch von der dominanten rechten Hirnhälfte aus. Die Präferenz für die linke Hand bleibt auch beim Umschulen bestehen.

Die Anpassungsfähigkeit des Gehirns und die Problematik der Umschulung

Das Gehirn ist sehr anpassungsfähig, aber bestimmte Grundfunktionen sind fest verankert. Eine Umschulung ist daher nicht immer sinnvoll und kann traumatisch sein. Manche Menschen haben regelrechte Traumata erlebt, weil sie in der Schule zum Schreiben mit der rechten Hand gezwungen wurden.

Das Umlernen kann aber auch positive Effekte haben, z. B. beim Musizieren, da Linkshänder beide Hände trainieren. Ein Kollege von Prof. Dr. Hartwig Siebner, einem Experten für Präzisionsmedizin, war dankbar für seine Umschulung, da er dadurch ein besserer Cellist wurde.

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Weitere Aspekte der Händigkeit

Augen-, Fuß- und Ohrdominanz

Menschen bevorzugen nicht nur eine Hand, sondern auch ein Auge, einen Fuß und ein Ohr. Etwa 70 % bevorzugen das rechte Auge, 80 % den rechten Fuß und mehr als die Hälfte das rechte Ohr.

Vererbung der Händigkeit

Es gibt Familien, in denen Linkshändigkeit gehäuft vorkommt, was auf eine Vererbung hindeutet. Das Verhältnis von Rechts- und Linkshändern von 9 zu 1 ist jedoch nicht einfach durch ein Genmodell zu erklären. Sowohl linkshändige als auch rechtshändige Paare bekommen eher rechtshändige Kinder. Es gibt mehr linkshändige Männer als linkshändige Frauen. Eineiige Zwillinge können unterschiedliche Händigkeiten haben.

Das Genmodell von Chris McManus

Der Psychologe Chris McManus hat ein Modell entwickelt, das die meisten Besonderheiten der Händigkeit erklären kann. Er vermutet ein Gen mit zwei Allelen, D (dextral, rechtshändig) und C (Zufall). Menschen mit zwei Kopien des D-Allels werden rechtshändig. Menschen mit zwei Kopien des C-Allels haben keine Kontrolle über ihre Händigkeit, sodass der Zufall entscheidet. Menschen mit einem D- und einem C-Allel werden in der Hälfte der Fälle rechtshändig, in der anderen Hälfte entscheidet der Zufall.

Kritik am Genmodell

Onur Güntürkün, Professor für Biopsychologie, glaubt nicht an ein einzelnes Gen für Händigkeit. Er vermutet, dass andere Mechanismen genetisch festgelegt sind, die die Händigkeit beeinflussen. Ein Beispiel ist die visuelle Asymmetrie bei Vögeln, die durch die Drehung des Embryos im Ei bestimmt wird.

Mythen und Legenden über Linkshänder

Mythos 1: Linkshänder sind intelligenter als Rechtshänder

Dieser Mythos stimmt nicht ganz. Studien haben gezeigt, dass der durchschnittliche IQ von Rechts- und Linkshändern fast identisch ist. Allerdings gibt es unter stark zurückgebliebenen Kindern mehr Linkshänder als unter normal begabten Kindern. Es gibt auch Hinweise darauf, dass unter den besonders Hochintelligenten mehr Linkshänder vorkommen. In den USA sind unter den besten 0,1 Prozent in Mathematik 25 Prozent Linkshänder.

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Mythos 2: Linkshänder sterben früher als Rechtshänder

Dieser Mythos entstand durch eine fehlerhafte Studie des Psychologen Stan Coren. Coren verglich die Sterbealter von linkshändigen und rechtshändigen Baseballspielern und fand heraus, dass linkshändige Spieler jünger starben. In einer weiteren Studie befragte er die Verwandten von Verstorbenen nach deren Händigkeit und fand heraus, dass unter den jungen Verstorbenen mehr Linkshänder waren als unter den alten. Coren berücksichtigte jedoch nicht, dass es heutzutage mehr Linkshänder gibt als früher, da Menschen nicht mehr umerzogen werden.

Mythos 3: Linkshänder sind anfälliger für Krankheiten

Dieser Mythos geht auf den Neurologen Norman Geschwind zurück, der unter Linkshändern eine Häufung bestimmter Krankheiten, insbesondere Allergien, feststellte. Dutzende von Studien versuchten, seine Ergebnisse zu bestätigen, aber keine einzige konnte dies tun. Geschwind hatte einen Fehler gemacht: Er befragte Kunden in einem Linkshänderladen nach ihren Krankheiten.

Die Rolle des Rückenmarks bei der Händigkeit

Forscher haben herausgefunden, dass die Genaktivität im Rückenmark bereits im Mutterleib asymmetrisch ist. Diese Asymmetrie beeinflusst die Händigkeit. Ultraschalluntersuchungen zeigen, dass sich eine Präferenz für Bewegungen der linken oder rechten Hand schon im Mutterleib ab der achten Schwangerschaftswoche entwickelt.

Die Bedeutung der Akzeptanz von Linkshändigkeit

Früher wurden Linkshänder stigmatisiert und gezwungen, mit rechts zu schreiben. Heute weiß man, dass dies schädlich ist und zu Sprach-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen führen kann. Linkshändigkeit sollte akzeptiert und gefördert werden. Es gibt spezielle Produkte für Linkshänder, die ihren Alltag erleichtern.

Linkshänder im Sport

Linkshänder haben im Sport einen Vorteil, insbesondere in Duellen, bei denen es um Schnelligkeit geht. Beim Tischtennis, Baseball und Cricket sind überdurchschnittlich viele Linkshänder an der Weltspitze. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass Gegner auf die spiegelverkehrten Bewegungen von Linkshändern nicht eingestellt sind.

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