Die Myasthenia gravis ist eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Verbindung zwischen Nerven und Muskeln angreift. Dies führt zu Muskelschwäche, die sich bei Belastung verschlimmert und in Ruhephasen wieder bessert. An der Universitätsmedizin Magdeburg wurde nun eine Patientin mit dieser Erkrankung mit einer neuartigen CAR-T-Zell-Therapie behandelt, was einen bedeutenden Fortschritt in der Behandlung dieser Krankheit darstellt.
Der Leidensweg von Denise Hohmann
Denise Hohmann, eine 34-jährige vierfache Mutter aus Salzwedel, leidet seit 2012 an Myasthenia gravis. Ihre Symptome umfassten gelähmte Augenlider, Doppelbilder, Muskelschwäche in Armen und Beinen sowie Schluck- und Atembeschwerden. "Vor der Therapie habe ich mich extrem schlecht gefühlt und war regelrecht verzweifelt. Insbesondere in den letzten fünf Jahren ging es mir sehr schlecht. Zwei Jahre vor meiner Behandlung wurde ich zum Pflegefall und war auf eine Gehhilfe angewiesen", erzählt sie.
Ihr Zustand verschlechterte sich im Laufe der Jahre, sodass sie mehrmals im Jahr aufgrund von schweren Krankheitsschüben intensivmedizinisch behandelt werden musste und wiederholt künstlich beatmet werden musste. "Ich war mehr in der Klinik als zu Hause, meine Kinder kannten keine gesunde Mutter mehr", erinnert sie sich. Ein Jahr zuvor hätte sie nicht mehr damit gerechnet, Weihnachten mit ihren Kindern zu erleben.
Die CAR-T-Zell-Therapie als Hoffnungsschimmer
Nach einem langen Ärztemarathon und dem Verlust des Vertrauens in die Medizin wandte sich Denise Hohmann an die Universitätsklinik Magdeburg. Dort beobachteten der Onkologe Dimitrios Mougiakakos und der Neurologe Aiden Haghikia ihren Krankheitsverlauf. Sie schlugen ihr eine revolutionäre Immunzellen-Therapie vor, die sogenannte CAR-T-Zell-Therapie.
Die CAR-T-Zell-Therapie ist ein gentechnisch basierter Ansatz, der bisher vor allem bei der Behandlung von Blut- und Lymphdrüsenkrebs eingesetzt wird. Dabei werden patienteneigene T-Zellen, eine Schlüsselkomponente des Immunsystems, entnommen und gentechnisch zu sogenannten chimären Antigenrezeptor-(CAR-)T-Zellen reprogrammiert. Diese CAR-T-Zellen erkennen ein bestimmtes Eiweiß auf der Oberfläche von B-Zellen und zerstören sie dann. Anschließend werden diese "lebenden Medikamente" dem Patienten als Infusion verabreicht.
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Denise Hohmann war die weltweit erste Patientin mit Myasthenia gravis, bei der diese Therapie angewendet wurde. "Ich wusste, dass ich dies vor allem für meine vier Kinder mache, sie sollten wieder eine gesunde Mutter haben", sagt sie heute.
Der Behandlungserfolg
Im Mai 2023 wurde Denise Hohmann in der Universitätsklinik Magdeburg mit den in den USA behandelten Zellen transplantiert. Bereits wenige Wochen später zeigte sich ein erstaunlicher Erfolg: Sie konnte sich auf den Klinikfluren schon wieder sicher mit dem Rollator bewegen. Im Park des Uniklinik-Campus ließ sie den Rollator stehen und konnte wieder gehen - allein, erstaunlich sicher und ohne Hilfe.
"Seit Beginn meiner CAR-T-Zell-Therapie im Mai 2023 geht es mir Woche für Woche besser. Eine Gehhilfe benötige ich nicht mehr und ich gehe zuversichtlich durchs Leben, insbesondere weil ich inzwischen alles alleine erledigen kann", berichtet Denise Hohmann. Kurz nach ihrer Entlassung besuchte sie mit ihren Kindern das Stadtfest in Salzwedel - ohne Rollator und ohne Angst zu stolpern oder hinzufallen. "Dies war auch der Tag, an dem meine Kindern das erste Mal glaubten, das sie wieder eine gesunde Mutter haben können", erzählt sie.
Prof. Mougiakakos spricht von einem möglichen immunologischen "Neustart", der durch die CAR-T-Zelltherapie ausgelöst wird. Die B-Zellen sind zwar mittlerweile zurückgekehrt, produzieren aber keine Autoantikörper mehr, sodass die Patientin krankheitsfrei bleibt.
Ausblick
Die Magdeburger Professoren Aiden Haghikia und Dimitrios Mougiakakos präsentierten ihren Therapie-Erfolg im November 2023 erstmals öffentlich. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sprach von einem Meilenstein für den Wissenschafts- und Forschungsstandort Sachsen-Anhalt.
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Denise Hohmann kann sich nun neue Ziele setzen. Zum ersten Mal seit 13 Jahren hofft sie, wieder als Verkäuferin arbeiten zu können. Sie hat viel nachzuholen.
Die behandelnden Ärzte betonen, dass jetzt größere kontrollierte Studien wichtig seien, um den Behandlungserfolg zu validieren und damit diese Form der Therapie möglichst vielen Patienten in der nahen Zukunft zugänglich zu machen.
Die Rolle der Deutschen Myasthenie Gesellschaft
Die Deutsche Myasthenie Gesellschaft e.V. (DMG) hat das Ziel, über die seltene chronische Krankheit Myasthenia Gravis aufzuklären und Personen, die von Myasthenie betroffen sind, zu unterstützen. Der Verein ist bundesweit vernetzt und bietet mit verschiedenen Regionalgruppen Anlaufstellen an.
In den Regionalgruppen treffen sich die Mitglieder regelmäßig in Präsenz oder virtuell zu einem Erfahrungsaustausch. Oft werden auch Ärzte und weitere Fachleute zu diesen Info-Treffen eingeladen, um über neue Erkenntnisse in der Diagnose und Therapie oder andere wichtige Themen zu informieren. Diese Info-Treffen sind offen für alle Betroffenen und deren Angehörigen.
Das große Netzwerk an Fachleuten der DMG steht zur Verfügung, um alle Fragen zu beantworten.
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Myasthenia Gravis: Mehr als nur Muskelschwäche
Die Myasthenia gravis ist eine komplexe Erkrankung, die weit mehr als nur Muskelschwäche verursacht. Sie betrifft das gesamte Leben der Betroffenen und ihrer Familien. Die Diagnose ist oft schwierig und langwierig, da die Symptome vielfältig und unspezifisch sein können.
Die Behandlung der Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Neben der medikamentösen Therapie spielen auch Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie eine wichtige Rolle.
Die CAR-T-Zell-Therapie stellt einen vielversprechenden neuen Ansatz in der Behandlung der Myasthenia gravis dar. Sie bietet die Chance auf eine langfristige Remission und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität.
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