Myasthenia gravis (MG), oft einfach Myasthenie genannt, ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die die Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln stört. Dabei greift das Immunsystem fälschlicherweise körpereigene Strukturen an, insbesondere die Acetylcholinrezeptoren an der motorischen Endplatte. Dies führt zu einer Muskelschwäche, die sich bei Belastung verstärkt und in Ruhe wieder bessert. Die Erkrankung kann verschiedene Muskelgruppen betreffen und sich im Laufe des Tages verändern.
Grundlagen der Myasthenia Gravis
Bei der Myasthenia gravis kommt es zu einer Fehlfunktion des Immunsystems, wodurch Antikörper (hauptsächlich IgG-Antikörper) gegen verschiedene Muskelrezeptoren gebildet werden. Zu diesen Rezeptoren gehören der Acetylcholinrezeptor (Anti-AChR) und die muskelspezifische Tyrosinkinase (Anti-MuSK). Diese Antikörper blockieren die Acetylcholin-Rezeptoren an der motorischen Endplatte, was die Impulsübertragung zwischen Nerv und Muskel behindert. Infolgedessen kommt es zu Muskelschwäche und Lähmungserscheinungen.
Die Symptome von Myasthenia gravis können vielfältig sein. Typischerweise beginnen sie mit Doppelbildern und hängenden Augenlidern. Im weiteren Verlauf können immer mehr Muskelgruppen betroffen sein, was zu Problemen beim Sprechen, Kauen, Schlucken und sogar Atmen führen kann. Der Verlauf der Erkrankung ist individuell verschieden. Die Muskelschwäche kann sich innerhalb weniger Tage oder Wochen entwickeln und über Monate hinweg schwanken. In manchen Fällen können sich die Symptome nach einer kurzen Krankheitsphase weitgehend zurückbilden und später erneut auftreten, während es in anderen Fällen zu einer fortschreitenden Minderung der Muskelkraft kommen kann.
Innovative Therapieansätze
Dank des sprunghaften Anstiegs der Erkenntnisse über die neuroimmunologischen Zusammenhänge gibt es in jüngster Zeit eine Reihe von innovativen Therapieansätzen, mit denen sich die Prognose der neuromuskulären Erkrankung wesentlich verbessern lässt.
CAR-T-Zell-Therapie
An der Universitätsmedizin Magdeburg wurde eine 34-jährige Patientin mit schwerer Myasthenia gravis im Rahmen eines individuellen Heilversuchs erfolgreich mit der CAR-T-Zell-Therapie behandelt. Bei dieser Therapie werden die T-Zellen des Patienten entnommen und genetisch so verändert, dass sie B-Zellen erkennen und zerstören können. Nach der Infusion dieser CAR-T-Zellen in den Körper der Patientin werden die schädlichen B-Zellen eliminiert, was zu einem immunologischen "Neustart" führen kann. Die Patientin in Magdeburg konnte nach der Therapie ohne Gehhilfe gehen und ihren Alltag wieder selbstständig bewältigen.
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FcRn-Modulatoren
Eine weitere vielversprechende Therapieoption sind FcRn-Modulatoren, die den Abbau von IgG-Autoantikörpern beschleunigen. Zu dieser Gruppe gehören Efgartigimod und Rozanolixizumab. Rozanolixizumab ist ein spezifischer Blocker des neonatalen Fc-Rezeptors (FcRn), der in der MycarinG-Studie untersucht wurde. Die Studie zeigte, dass Rozanolixizumab die Symptome der generalisierten Myasthenia gravis signifikant reduzieren kann, sowohl bei Patienten mit AChR-Antikörpern als auch bei solchen mit MuSK-Autoantikörpern.
Komplementinhibitoren
Komplementinhibitoren stellen eine weitere neue Wirkstoffgruppe zur Therapie der Myasthenia gravis dar. Diese Medikamente, wie Eculizumab, Ravulizumab und Zilucoplan, blockieren das Komplementsystem, das bei der Schädigung der neuromuskulären Endplatte eine Rolle spielt. Zilucoplan ist ein makrozyklisches Peptid, das einmal täglich subkutan verabreicht wird und in der RAISE-Studie eine signifikante Verbesserung der Symptome zeigte.
Neuzugelassene Medikamente
In den letzten Jahren wurden mehrere neue Medikamente speziell für die Behandlung von Myasthenia gravis zugelassen:
- Efgartigimod alfa (Vyvgart®): Ein FcRn-Blocker, der den Abbau von IgG-Antikörpern beschleunigt.
- Eculizumab (Soliris®) und Ravulizumab (Ultomiris®): Antikörper, die das Komplementsystem hemmen.
- Rozanolixizumab (Rystiggo®): Ein weiterer FcRn-Modulator, der die Konzentration von Immunglobulin G im Blutserum senkt.
- Zilucoplan (Zilbrysq®): Ein Peptid-Inhibitor, der das Komplementsystem hemmt und die komplementvermittelte Schädigung der neuromuskulären Endplatte reduziert.
Diese neuen Medikamente bieten zusätzliche Optionen für die Behandlung von Myasthenia gravis, insbesondere für Patienten, bei denen die Standardtherapien nicht ausreichend wirksam sind.
Bispezifische T-Zell-Engager
In einigen Fällen wurden auch bispezifische T-Zell-Engager eingesetzt, um gezielt Immunzellen zu modulieren. Diese Antikörper aktivieren T-Zellen, um B-Zellen oder Plasmazellen zu zerstören, die Autoantikörper produzieren.
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Standardtherapie
Trotz der Fortschritte bei den neueren Therapien bleibt die Standardtherapie ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Myasthenia gravis. Sie umfasst:
- Acetylcholinesterase-Hemmer: Medikamente wie Pyridostigmin, die die Wirkung von Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte verbessern und so die Muskelfunktion unterstützen.
- Immunsuppressiva: Medikamente wie Glucocorticoide (z.B. Prednisolon) und Azathioprin, die das Immunsystem unterdrücken und die Bildung von Autoantikörpern reduzieren.
- Thymektomie: Die operative Entfernung des Thymus, einer Drüse, die an der Produktion von Autoantikörpern beteiligt sein kann.
Die Rolle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) spielt eine wichtige Rolle bei der Sicherstellung und Verbesserung der neurologischen Krankenversorgung in Deutschland. Sie fördert Wissenschaft und Forschung, Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie und beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN hat im Februar dieses Jahres eine aktualisierte Leitlinie zur Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome veröffentlicht.
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