Myasthenia Gravis: Ursachen, Schluckstörungen und Therapieansätze

Myasthenia gravis, oft auch nur Myasthenie genannt, ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche gekennzeichnet ist. Die Erkrankung ist zwar nicht heilbar, aber gut behandelbar. Ziel der Therapie ist es, die Symptome zu lindern und den Betroffenen ein möglichst beschwerdefreies Leben zu ermöglichen.

Was ist Myasthenia Gravis?

Myasthenia gravis bedeutet übersetzt „schwere Muskelschwäche“. Es handelt sich um eine neuromuskuläre Störung, bei der die Impulsübertragung zwischen Nerven und Muskeln beeinträchtigt ist. Bei gesunden Menschen steuert der Botenstoff Acetylcholin die Impulse zwischen Nerven und Muskeln. Bei Myasthenia gravis wird diese Kommunikation jedoch blockiert, was zu einer belastungsabhängigen Muskelschwäche führt.

Die Erkrankung kann sowohl Kinder als auch Erwachsene betreffen, tritt aber am häufigsten bei Frauen im Alter von 20 bis 40 Jahren und bei Männern zwischen 51 und 81 Jahren auf. In Deutschland sind schätzungsweise 0,015 Prozent der Menschen von dieser Autoimmunerkrankung betroffen.

Ursachen von Myasthenia Gravis

Ursache der Myasthenia gravis ist eine gestörte Impulsübertragung an der Kontaktstelle zwischen Nerv und Muskel, der sogenannten neuromuskulären Endplatte. Der Grund für die gestörte Impulsübertragung liegt in einer fehlgesteuerten Reaktion des Immunsystems. Dabei bildet das Immunsystem Abwehrstoffe (Antikörper) gegen Bestandteile der neuromuskulären Endplatte.

Bestimmte Antikörper blockieren oder verändern Andockstellen, sogenannte Rezeptoren, für den Botenstoff Acetylcholin, der an der Steuerung der Muskulatur einen wesentlichen Anteil hat. Acetylcholin kann seine Wirkung folglich nicht mehr voll entfalten. Die sogenannte neuromuskuläre Endplatte ist der Übergang zwischen Nerv und Muskelfaser. Um den Muskel zu einer Bewegung anzuregen, muss der elektrische Impuls aus dem Rückenmark in ein chemisches Signal umgewandelt werden. Dies geschieht, indem als Folge eines elektrischen Impulses an der Endigung der Nervenzelle der Botenstoff Acetylcholin in den Spalt zwischen Nerv und Muskelfaser freigesetzt wird.

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Eine wichtige Rolle bei Myasthenia gravis spielt die Thymusdrüse, ein Organ des Immunsystems. Die Thymusdrüse liegt hinter dem Brustbein und bildet sich bei gesunden Menschen ab dem Jugendalter zurück. Bei etwa 10 bis 15 von 100 Myasthenia gravis-Patienten ist ein Tumor der Thymusdrüse, ein sogenanntes Thymom, vorhanden. Auch eine Vergrößerung des Thymus tritt bei Patienten mit Myasthenia gravis häufiger auf als bei gesunden Menschen.

Einige Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang mit einer krankhaft veränderten Thymusdrüse, die einen wichtigen Anteil am Immunsystem trägt. Weshalb sich die Antikörper gegen den eigenen Körper wenden und bei der Myasthenie die Kommunikation zwischen den Nerven und Muskeln der Betroffenen stören, muss also noch erforscht werden.

Die Fehlfunktion des Immunsystems basiert auf einer genetischen Veranlagung für Autoimmunerkrankungen.

Symptome von Myasthenia Gravis

Wichtigstes Symptom der Myasthenia gravis ist die belastungsabhängige Muskelschwäche. Sie beginnt meist im Bereich der Augen und kann im Laufe der Zeit alle Körperregionen betreffen. Je nach Ausprägung und Person können sich die Symptome einer Myasthenia gravis unterscheiden. Ihnen gemein ist jedoch die Verstärkung der Symptome im Verlauf des Tages, d. h. bei Belastung. Im frühen Stadium der Myasthenie betrifft die Schwäche der Muskulatur häufig nur die Augen, in späteren Erkrankungsgraden breitet sich diese auch auf andere Skelettmuskeln aus. Muskeln in den Organen sind hiervon nicht betroffen.

Typische Symptome sind:

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  • Lähmungen der äußeren Augenmuskeln und Lidheberschwäche
  • Doppeltsehen (Diplopie)
  • Schwächung der Muskeln, bspw. im Gesicht, der Arme und Beine, aber auch der Atemmuskulatur
  • Taubheitsgefühle bis hin zu Lähmungserscheinungen
  • Muskelschwäche verstärkt sich im Verlauf des Tages
  • Sprech-, Schluck- und Kauschwierigkeiten
  • Atembeschwerden durch eine Schwächung der Atemmuskulatur

Zusätzlich zu diesen Symptomen kann durch akute Infekte, eine fehlende oder falsche Behandlung oder durch Medikamente eine sogenannte myasthene Krise ausgelöst werden.

Schluckstörungen bei Myasthenia Gravis

Schluckstörungen (Dysphagie) sind ein häufiges Symptom bei Myasthenia gravis. Sie entstehen durch die Schwächung der Muskeln, die für das Schlucken verantwortlich sind. Dies kann dazu führen, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, Nahrung und Flüssigkeiten sicher zu schlucken. In schweren Fällen kann dies zu Aspiration (Eindringen von Nahrung oder Flüssigkeit in die Atemwege) und Lungenentzündung führen.

Diagnose von Myasthenia Gravis

Die Diagnose der Myasthenia gravis beruht vor allem auf den typischen Beschwerden, dem Alter des Patienten und der Beschaffenheit der Thymusdrüse. Dafür erfragt der Arzt die Vorgeschichte und untersucht den Betroffenen auf körperliche Symptome wie ermüdende Muskeln, unterschiedlich stark ausgeprägte Muskelschwäche sowie die betroffenen Körperregionen. Auch eine Untersuchung der Thymusdrüse kann sinnvoll sein. Darüber hinaus unterstützen Labortests dabei, eine fehlerhafte Impulsübertragung zwischen Nerven und Muskeln, den Erkrankungstyp anhand der ursächlichen Antikörper sowie den Schweregrad zu bestimmen. Diese Untersuchungen helfen, die jeweils sinnvolle Therapie und den Behandlungserfolg objektiv einzuschätzen. Welche Untersuchungen und Tests bei welchem Patienten sinnvoll sind, entscheidet dabei der behandelnde Arzt.

Zu den Untersuchungsmethoden gehören:

  • Neurologische Untersuchung: Eine gezielt durchgeführte neurologische Untersuchung kann weitere Hinweise auf das Vorliegen einer Myasthenia gravis geben.
  • Antikörpertests: Eine Testung auf Antikörper gegen den Acetylcholin-Rezeptor im Blut Betroffener ist der erste empfohlene Schritt bei Verdacht auf Myasthenia gravis. Auch Antikörper gegen MuSK, einen Eiweißstoff auf Muskelzellen, der eine wichtige Rolle für die Funktion des Botenstoffs Acetylcholin spielt, können im Blut Betroffener erfasst werden. Antikörper gegen LRP4 können ebenfalls im Blut erfasst werden.
  • Elektromyogramm (EMG): Bei der Durchführung eines Elektromyogramms (EMG) werden Nerven einer wiederholten elektrischen Reizung ausgesetzt. Die dadurch entstehende elektrische Spannung am entsprechenden Muskel wird gemessen. So kann festgestellt werden, ob die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel funktioniert.
  • Bildgebende Verfahren: Auch eine Untersuchung der Thymusdrüse kann sinnvoll sein. Bei etwa 10 bis 15 von 100 Myasthenia gravis-Patienten ist ein Tumor der Thymusdrüse, ein sogenanntes Thymom, vorhanden. Auch eine Vergrößerung des Thymus tritt bei Patienten mit Myasthenia gravis häufiger auf als bei gesunden Menschen. Vor allem zu Beginn der Erkrankung kann es sinnvoll sein, vor der Diagnosestellung andere Erkrankungen auszuschließen.
  • Quantitative-Myasthenia-gravis (QMG)-Test: Für die Bestimmung des Schweregrades der Myasthenia bei der Diagnose und im weiteren Verlauf wird häufig der Quantitative-Myasthenia-gravis (QMG)-Test angewendet. Mit diesem standardisierten Test werden die Muskulatur im Bereich der Augen und des Gesichts, die Muskeln, die für Schlucken und Sprechen verwendet werden, die Muskulatur an Armen, Beinen und Händen sowie die Funktion der Lunge beurteilt.
  • Myasthenia-gravis-Activities-of-Daily-Living (MG-ADL)-Test: Anhand des Myasthenia-gravis-Activities-of-Daily-Living (MG-ADL)-Tests wird erfasst, in welchem Ausmaß die Erkrankung Aktivitäten des täglichen Lebens beeinflusst. Auch dieser Test kann bei der Diagnose und zur Verlaufskontrolle eingesetzt werden.

Abhängig von den vorliegenden Beschwerden können u. a. folgende weitere Erkrankungen in Frage kommen: Lambert-Eaton-Syndrom, medikamenteninduzierte myasthene Syndrome, Polymyositis, Dermatomyositis, mitochondriale Muskeldystrophie, okulopharyngeale Muskeldystrophie, Guillain-Barré-Syndrom oder auch ein Hirntumor.

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Therapie von Myasthenia Gravis

Obwohl die Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis selten auftritt, ist diese gut erforscht und behandelbar. Ziel des individuellen Therapieplans stellt hierbei die möglichst vollständige Beschwerdefreiheit der Patientinnen und Patienten dar.

Die Myasthenia gravis-Therapie ist rein symptomatisch, das heißt, sie lindert die Beschwerden, hält aber den Krankheitsverlauf nicht auf. Eine Heilung ist nicht möglich. In den meisten Fällen ist nehmen Patienten die Medikamente ein Leben lang ein.

Es stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung:

  • Medikamentöse Therapie:
    • Acetylcholinesterasehemmer: Mit diesem Wirkstoff wird der Abbau des Botenstoffes Acetylcholin gebremst und damit die Reizübertragung von den Nerven zu den Muskeln verbessert.
    • Immunsuppressiva: Sie werden eingesetzt, um die Neubildung von Antikörpern zu bremsen. Sie haben in der Regel während einer Langzeitbehandlung weniger starke Nebenwirkungen als Kortison. Der Behandlungserfolg tritt mit diesen Medikamenten jedoch erst mit einer gewissen Verzögerung ein. Corticosteroide (z. B. Prednisolon) dämpfen als körpereigene Hormone die Überaktivität des Immunsystems und erzielen rasch eine deutliche Symptomverbesserung. Aufgrund der vielfältigen Nebenwirkungen - auch mit möglicher Zunahme der Lähmungen - erfolgt eine niedrig dosierte Gabe, ggf.
    • Biologika: Neuartige monoklonale Antikörper wie Rituximab und Eculizumab, greifen spezifisch in den Krankheitsprozess ein und können das Krankheitsgeschehen in bestimmten Konstellationen nachhaltig positiv zu beeinflussen.
  • Thymektomie: Da ein Zusammenhang zwischen dem Thymus und der Entstehung der Autoimmun-Antikörper vermutet wird, zieht der Arzt in manchen Fällen die operative Entfernung des Thymus (Thymektomie) in Betracht. Bei Patienten zwischen 15 und 50 Jahren wird eine Entfernung des Thymus möglichst früh nach der Diagnose empfohlen. Bei Kindern bis zu 15 Jahren sollte der Thymus erst entfernt werden, wenn mit einer medikamentösen Therapie keine Besserung erzielt wird, da der Thymus im Kindesalter noch wichtige Funktionen erfüllt.
  • Plasmapherese/Immunadsorption oder hochdosierte Immunglobulingabe (IVIg): Diese Therapiemöglichkeiten werden nur bei schweren Verläufen oder bei einer Beeinträchtigung der Atem- und Rachenmuskulatur eingesetzt. Bei einer Plasmapherese handelt es sich um den Austausch des Blutplasmas, also den eigentlich flüssigen Anteil des Blutes ohne die Blutkörperchen. Heute wird jedoch aufgrund der höheren Spezifizität anstelle der Plasmapherese meist eine sogenannte Immunadsorption durchgeführt, bei der nur die Auto-Antikörper aus dem Blutplasma entfernt werden. Intravenös angewendete Immunglobuline (IVIg) sind Antikörper von menschlichen Blutspendern, die sich in die Immunantwort des Körpers einmischen. Daher wird vermutet, dass diese während einer akuten Krise die weitere Ausschüttung von weiteren Autoimmun-Antikörpern verhindern und so die durch die fehlgeleiteten Auto-Antikörper ausgelösten Symptome lindern.
  • Weitere Therapiemaßnahmen: Viele Patienten mit Myasthenia gravis profitieren von einer Physiotherapie. Bei chronischen Schluckbeschwerden bietet sich die Schlucktherapie durch einen ausgebildeten Logopäden an. Bei mittelschweren Verläufen von Myasthenia gravis sollten Patienten vorsichtshalber nur noch Nahrung zu sich nehmen, die flüssig ist und nicht so leicht verschluckt wird. In schweren Fällen werden manchmal eine künstliche Ernährung über eine Magensonde, eine maschinelle Beatmung und eine regelmäßige Absaugung des Speichels nötig. Doppelbilder lassen sich durch ein individuell angepasstes Prismenglas gut ausgleichen.

Behandlung von Schluckstörungen

Bei Schluckstörungen ist eine enge Zusammenarbeit mit Logopäden und Ernährungstherapeuten wichtig. Sie können helfen, die Schluckmuskulatur zu stärken und Strategien zu entwickeln, um das Schlucken sicherer zu machen. In einigen Fällen kann eine Anpassung der Ernährung erforderlich sein, z. B. durch die Verwendung von pürierter oder passierter Nahrung.

Besonders Pausen vor den Mahlzeiten und die Verteilung der Nahrungsaufnahme auf viele kleine Mahlzeiten sind dabei mit dem Patienten zu besprechen. Beim Essen selbst sollte so wenig Ablenkung wie möglich vorhanden sein, damit eine konzentrierte Nahrungsaufnahme möglich ist. Neben der Beratung ist ein moderates Krafttraining für Zunge und Gaumensegel wichtiges Element. Die Erarbeitung einer einfachen aber unterstützenden Haltung bei der Nahrungsaufnahme sollte durchgeführt werden, auch unter Zuhilfenahme externer Kontrollen.

Verlauf und Prognose

Es lässt sich keine generelle Prognose geben, da sich bei jedem Betroffenen mit Myasthenia gravis Symptome unterschiedlich stark, an unterschiedlichen Stellen und in unterschiedlichen Verläufen zeigen. Die Mehrzahl der Patienten, bei denen Myasthenia gravis entdeckt und behandelt wird, sprechen gut auf eine Therapie an. Die Symptome werden abgeschwächt, und in den meisten Fällen nehmen die Patienten das normale Alltagsleben mit nur geringen Einschränkungen wieder auf. Die Symptome bei Myasthenia gravis sind zudem nie kontinuierlich, sodass Betroffene an manchen Tagen gar keine Beeinträchtigungen verspüren und an anderen sehr starken Einschränkungen unterworfen sind.

Bei etwa 15 Prozent der Erkrankten bleibt die Myasthenia gravis okulär, das heißt rein auf die Augen beschränkt. Unbehandelt entwickeln sich bei einer Myasthenia gravis die Symptome immer weiter, und es kommt mitunter zu schweren Komplikationen. Im Extremfall, wenn die Atemmuskulatur versagt, verläuft dies tödlich. In anderen Fällen ist eine lebenslange maschinelle Beatmung nötig. Da heutzutage Myasthenia gravis mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wird und Symptome häufig schon früh erkannt werden, sind solche schweren Verläufe allerdings wesentlich seltener geworden.

Eine Myasthenie ist nicht heilbar, aber gut einstellbar. Dank der vielseitigen und individuell abstimmbaren Therapiemöglichkeiten ist die Myasthenie unter fachärztlicher Kontrolle - mit wenigen Ausnahmen - heute gut einstellbar. Mit Verlaufsschwankungen ist besonders in den ersten Jahren der Erkrankung immer wieder zu rechnen. Körperliche und psychische Belastungen wirken symptomverstärkend und sollten weitgehend vermieden werden. Der Alltag sollte auf die Erkrankung abgestimmt werden. So ist die Belastbarkeit am Morgen größer als am Abend und Ruhephasen zur Erholung sollten immer wieder eingeplant werden. Grundsätzlich ist die Prognose bei guter Medikamenteneinstellung positiv, mit geringen Beeinträchtigungen kann ein weitgehend normales Leben geführt und eine Berufstätigkeit ausgeübt werden.

Leben mit Myasthenia Gravis

Eine Myasthenie ist nicht heilbar, aber gut einstellbar. Dank der vielseitigen und individuell abstimmbaren Therapiemöglichkeiten ist die Myasthenie unter fachärztlicher Kontrolle - mit wenigen Ausnahmen - heute gut einstellbar. Mit Verlaufsschwankungen ist besonders in den ersten Jahren der Erkrankung immer wieder zu rechnen. Körperliche und psychische Belastungen wirken symptomverstärkend und sollten weitgehend vermieden werden. Der Alltag sollte auf die Erkrankung abgestimmt werden. So ist die Belastbarkeit am Morgen größer als am Abend und Ruhephasen zur Erholung sollten immer wieder eingeplant werden. Grundsätzlich ist die Prognose bei guter Medikamenteneinstellung positiv, mit geringen Beeinträchtigungen kann ein weitgehend normales Leben geführt und eine Berufstätigkeit ausgeübt werden.

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