Myasthenia gravis ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche und schnelle Ermüdung gekennzeichnet ist. Sie tritt auf, wenn das Immunsystem fälschlicherweise die Verbindungsstellen zwischen Nerven und Muskeln angreift. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Ursachen, die Vererbung und die Behandlungsmöglichkeiten von Myasthenia gravis.
Was ist Myasthenia gravis?
Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem spezifische Proteine an der neuromuskulären Endplatte angreift. Die neuromuskuläre Endplatte ist die Stelle, an der Nervenzellen mit Muskelzellen kommunizieren, um Muskelkontraktionen auszulösen. Bei Myasthenia gravis werden diese Kommunikationsprozesse gestört, was zu Muskelschwäche führt.
Ursachen von Myasthenia gravis
Die genauen Ursachen von Myasthenia gravis sind noch nicht vollständig geklärt, aber es gibt mehrere Faktoren, die eine Rolle spielen können:
Autoimmunreaktion
Die häufigste Ursache für Myasthenia gravis ist eine Autoimmunreaktion. Dabei bildet der Körper Autoantikörper gegen Acetylcholinrezeptoren (AChR) oder gegen die muskelspezifische Tyrosinkinase (MuSK).
- Acetylcholinrezeptor-Antikörper (AChR-Ak): Diese Antikörper blockieren oder zerstören die Acetylcholinrezeptoren an der Muskeloberfläche. Acetylcholin ist ein wichtiger Botenstoff, der von Nervenzellen freigesetzt wird, um an die Acetylcholinrezeptoren der Muskelzellen zu binden und eine Muskelkontraktion auszulösen. Wenn die Acetylcholinrezeptoren blockiert oder zerstört werden, kann Acetylcholin nicht mehr richtig wirken, was zu Muskelschwäche führt.
- Muskelspezifische Tyrosinkinase-Antikörper (MuSK-Ak): MuSK ist ein Protein, das bei der Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln eine wichtige Rolle spielt. Antikörper gegen MuSK stören diese Kommunikation und führen ebenfalls zu Muskelschwäche.
Thymusdrüse
Der Thymus ist ein Organ im oberen Brustbereich, das eine wichtige Rolle für das Immunsystem spielt, besonders in der Kindheit. Bei vielen Patienten mit Myasthenia gravis ist der Thymus morphologisch verändert. Es kann sich eine Thymitis (früher Thymushyperplasie genannt) oder ein Thymom (ein Tumor des Thymus) entwickeln. Es ist jedoch unklar, was die der Myasthenie zugrunde liegende Immunreaktion letztlich auslöst.
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- Thymitis: Eine Entzündung des Thymus.
- Thymom: Ein Tumor des Thymus. Etwa 10-15 % der Patienten mit Myasthenia gravis haben ein Thymom. Umgekehrt kann bei etwa 45 % der Patienten mit einem Thymom eine Myasthenia gravis nachgewiesen werden. Die Thymektomie, die operative Entfernung der Thymusdrüse, hat einen festen Platz im therapeutischen Regime der Myasthenie.
Angeborene Myasthenia gravis
In seltenen Fällen kann Myasthenia gravis angeboren sein. Bei der seltenen angeborenen Myasthenia gravis (z. B. beim Jack Russel Terrier, Foxterrier, Springer Spaniel, Zwergdackel, eingen Katzen) fehlen Acetylcholinrezeptoren auf dem Muskel. Die Folge ist eine reduzierte Interaktion zwischen Acetylcholin, das als Botenstoff (Neurotransmitter) aus dem peripheren Nerv in den synaptischen Spalt freigesetzt wird, und dem Acetylcholinrezeptor an der Muskelmembran.
Medikamente
Bestimmte Medikamente können Myasthenia gravis auslösen oder verschlimmern. Dazu gehören unter anderem:
- D-Penicillamin
- Chinin
- Bestimmte Antibiotika
Vererbung von Myasthenia gravis
Myasthenia gravis ist in den meisten Fällen keine direkt vererbte Erkrankung. Die erworbene Form der Myasthenia gravis, die durch Autoantikörper verursacht wird, tritt in der Regel sporadisch auf, ohne dass eine klare genetische Veranlagung erkennbar ist.
Es gibt jedoch seltene angeborene Formen der Myasthenia gravis, die genetisch bedingt sind. Diese Formen werden in der Regel autosomal-rezessiv vererbt, was bedeutet, dass beide Elternteile Träger eines defekten Gens sein müssen, damit das Kind die Krankheit entwickelt.
Genetische Prädisposition
Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte genetische Faktoren das Risiko erhöhen können, an Myasthenia gravis zu erkranken. Studien haben Zusammenhänge zwischen bestimmten Genvarianten und dem Auftreten von Myasthenia gravis gefunden. Diese genetischen Varianten beeinflussen oft Immunprozesse und können die Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen erhöhen.
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Myasthenia gravis bei Katzen: Vererbungsschema
Bei Katzen gibt es Rassen, die eine höhere Prädisposition für die Krankheit aufweisen, was auf genetische Faktoren zurückgeführt werden kann. Besonders betroffen sind:
- Abessinier-Katzen
- Somali-Katzen
- Devon Rex
Um die genetische Vererbung von Myasthenia gravis zu verdeutlichen, kann ein einfaches Vererbungsschema dargestellt werden, wobei angenommen wird, dass das Krankheitsgen autosomal-rezessiv vererbt wird.
Symptome von Myasthenia gravis
Die Symptome von Myasthenia gravis können variieren, aber das Hauptmerkmal ist eine belastungsabhängige Muskelschwäche. Das bedeutet, dass die Muskelschwäche bei körperlicher Anstrengung zunimmt und sich nach Ruhephasen bessert.
Häufige Symptome sind:
- Doppelbilder (Diplopie): Schwäche der Augenmuskeln führt zu Doppelbildern.
- Hängende Augenlider (Ptose): Schwäche der Muskeln, die die Augenlider heben.
- Schluckbeschwerden (Dysphagie): Schwäche der Muskeln, die am Schlucken beteiligt sind.
- Sprachstörungen (Dysarthrie): Schwäche der Muskeln, die für die Sprache verantwortlich sind.
- Schwäche der Arme und Beine: Schwierigkeiten beim Heben von Gegenständen, Gehen oder Treppensteigen.
- Atembeschwerden: In schweren Fällen kann die Atemmuskulatur betroffen sein, was zu Atemnot führen kann.
- Fatigue: Eine anhaltende, extreme Erschöpfung, die durch Ruhe oder Schlaf nicht vollständig behoben werden kann.
Diagnose von Myasthenia gravis
Die Diagnose von Myasthenia gravis umfasst in der Regel eine Kombination aus:
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- Klinische Untersuchung: Beurteilung der Symptome und der körperlichen Verfassung des Patienten.
- Neurologische Untersuchung: Überprüfung der Muskelkraft, Reflexe und Nervenfunktion.
- Blutuntersuchungen: Nachweis von Acetylcholinrezeptor-Antikörpern (AChR-Ak) oder muskelspezifischen Tyrosinkinase-Antikörpern (MuSK-Ak) im Serum.
- Elektrophysiologische Tests:
- Repetitive Nervenstimulation: Hierbei wird der Nerv wiederholt stimuliert und jedes Mal das Muskelpotential aufgezeichnet. Bei Myasthenia gravis zeigt sich eine zunehmend reduzierte Amplitude (Dekrement) des Muskelpotentials bei wiederholter Nervenstimulation.
- Einzelfaser-Elektromyographie (SFEMG): Diese Methode ist sehr sensitiv und kann auch bei Patienten mit seronegativer Myasthenia gravis (keine nachweisbaren Antikörper im Blut) Auffälligkeiten zeigen.
- Tensilon-Test: Injektion von Edrophonium, einem Cholinesterasehemmer, der die Wirkung von Acetylcholin verstärkt. Eine vorübergehende Verbesserung der Muskelschwäche nach der Injektion deutet auf Myasthenia gravis hin.
- Bildgebende Verfahren: Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) des Brustkorbs, um einen Thymom auszuschließen.
Behandlung von Myasthenia gravis
Die Behandlung von Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Es gibt verschiedene Behandlungsansätze:
Medikamentöse Therapie
- Acetylcholinesterasehemmer: Diese Medikamente, wie Pyridostigmin, hemmen den Abbau von Acetylcholin im synaptischen Spalt. Dadurch steht mehr Acetylcholin zur Verfügung, um an die verbliebenen Acetylcholinrezeptoren zu binden und die Muskelkraft zu verbessern.
- Immunsuppressiva: Diese Medikamente, wie Kortikosteroide (z. B. Prednisolon), Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil oder Cyclosporin, unterdrücken die Autoimmunreaktion und reduzieren die Bildung von Autoantikörpern.
- Biologika: In einigen Fällen können Biologika wie Rituximab oder Eculizumab eingesetzt werden, um gezielt bestimmte Immunzellen oder -proteine zu blockieren.
Thymektomie
Die Thymektomie, die operative Entfernung der Thymusdrüse, ist eine wichtige Behandlungsoption bei Myasthenia gravis, insbesondere bei Patienten mit einem Thymom. Auch bei Patienten ohne Thymom kann die Thymektomie die Symptome verbessern und die Notwendigkeit für Immunsuppressiva reduzieren.
Akuttherapie
Bei einer myasthenen Krise, einer lebensbedrohlichen Verschlimmerung der Muskelschwäche, die oft die Atemmuskulatur betrifft, sindNotfallmaßnahmen erforderlich:
- Plasmapherese: Hierbei werden die Autoantikörper aus dem Blut entfernt.
- Intravenöse Immunglobuline (IVIG): Hierbei werden Antikörper aus dem Blutplasma gesunder Spender verabreicht, um die Autoimmunreaktion zu hemmen.
Lebensqualität und Management von Myasthenia gravis
Patienten mit Myasthenia gravis können trotz ihrer Erkrankung ein erfülltes Leben führen. Wichtig ist ein gutes Krankheitsmanagement, das Folgendes umfasst:
- Regelmäßige ärztliche Kontrollen: Um den Krankheitsverlauf zu überwachen und die Therapie anzupassen.
- Anpassung des Lebensstils: Vermeidung von Überanstrengung, Stress und anderen Faktoren, die die Symptome verschlimmern können.
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung kann helfen, die Muskelkraft zu erhalten und die allgemeine Gesundheit zu verbessern.
- Unterstützung: Der Austausch mit anderen Betroffenen und die Inanspruchnahme von psychologischer Unterstützung können helfen, mit den Herausforderungen der Erkrankung umzugehen.
- Reiseplanung: Patient*innen mit myasthenen Syndromen können, trotz ihrer Erkrankung, in den Urlaub fahren. Es bedarf einiger Organisation und eventuell auch, je nach Schweregrad und Behandlung, eine individuelle Abstimmung mit der behandelnden Ärztin / dem behandelnden Arzt.
Seltene Erkrankungen im Zusammenhang mit Myasthenia gravis
Neben Myasthenia gravis gibt es eine Reihe von anderen seltenen Erkrankungen, die mit Muskelschwäche oder ähnlichen Symptomen einhergehen können. Einige Beispiele sind:
- Lambert-Eaton-Syndrom: Eine Autoimmunerkrankung, die die Freisetzung von Acetylcholin an den Nervenendigungen beeinträchtigt.
- Kongenitale Myasthenie-Syndrome: Eine Gruppe von genetisch bedingten Erkrankungen, die die neuromuskuläre Signalübertragung stören.
- Muskeldystrophien: Eine Gruppe von genetisch bedingten Erkrankungen, die zu fortschreitender Muskelschwäche und -atrophie führen.
- Mitochondriopathien: Eine Gruppe von genetisch bedingten Erkrankungen, die die Funktion der Mitochondrien beeinträchtigen, was zu Muskelschwäche und anderen Symptomen führen kann.
Forschung und Ausblick
Die Forschung im Bereich Myasthenia gravis schreitet stetig voran. Neue Erkenntnisse über die Ursachen und Mechanismen der Erkrankung führen zu verbesserten Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Zukünftige Therapien könnten gezielter auf die Autoimmunreaktion einwirken oder die Regeneration der neuromuskulären Endplatte fördern.
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