Die Corona-Impfung ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Pandemie. Wie bei jeder Impfung können jedoch auch Nebenwirkungen auftreten. In seltenen Fällen kann es zu neurologischen Komplikationen wie Lähmungen kommen. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieses Themas.
Staatshaftung bei Impfschäden
Im Rahmen der nationalen Corona-Impfkampagne handelten die Impfärzte hoheitlich. Bei etwaigen Aufklärungsfehlern kommen daher nur Staatshaftungsansprüche gegen den Staat in Betracht, nicht aber Schadenersatzansprüche eines Impfgeschädigten gegen die Ärzte persönlich. Dies wurde beispielsweise in einem Fall vor dem OLG Stuttgart deutlich.
Fallbeispiel: Lähmung nach mRNA-Impfung
Eine Auszubildende in einer Heilbronner Pflegeeinrichtung erhielt im Januar und Februar 2021 im Rahmen einer Impfaktion den mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer (Comirnaty). Unmittelbar nach der zweiten Impfung wurde bei ihr eine geringgradige halbseitige Lähmung links mit geringer Gangunsicherheit diagnostiziert und der Verdacht auf eine Impfreaktion bescheinigt. Die Klägerin behauptete, infolge des erlittenen Impfschadens dauerhaft arbeitsunfähig zu sein.
Das Landgericht wies die Klage ab, da es die vom BGH für Routineimpfungen entwickelten Grundsätze entsprechend anwandte. Demnach sei die Aushändigung eines Aufklärungsmerkblattes ausreichend, wenn dem Patienten vor der Impfung zumindest die Möglichkeit gegeben werde, weitere Fragen an den impfenden Arzt zu richten. Das OLG bestätigte die Entscheidung im Ergebnis und wies die Berufung der Klägerin zurück, da die Klage bereits mangels Passivlegitimation der beklagten Impfärztin abzuweisen war.
Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine seltene neurologische Erkrankung, die in seltenen Fällen nach einer Virus- oder Bakterieninfektion auftreten kann. Mediziner gehen davon aus, dass es sich dabei um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der sich das Immunsystem irrtümlich gegen den eigenen Körper richtet. Im Fall des GBS sind die Nerven betroffen, was zu Kribbeln, Taubheitsgefühl und Lähmungserscheinungen führen kann.
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GBS und Corona-Impfung
Auswertungen von Daten aus dem Zeitraum zwischen dem 27.12.2020 bis 31.8.2021 zeigen, dass ein GBS nach der Impfung gegen Covid-19 vorkommen kann, allerdings nur selten. Es wurde häufiger im Zusammenhang mit der Verwendung Vektor-basierter Vakzinen beobachtet als erwartet. Eine Impfung mit mRNA-Impfstoffen scheint das Risiko für GBS hingegen um mehr als die Hälfte zu verringern. Eine israelische Studie aus dem Jahr 2023 kommt zu dem Schluss, dass eine Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff nicht mit einem höheren Risiko für GBS einhergeht. Stattdessen erhöht eine SARS-CoV-2-Infektion das Risiko eines GBS um über das Sechsfache.
Symptome und Therapie des GBS
Erste Warnzeichen des GBS sind Kribbeln und ein Taubheitsgefühl in den Beinen, Armen oder im Gesicht. Es kann auch zu Lähmungserscheinungen führen, die sich von den Beinen nach oben hin ausbreiten. In schlimmen Fällen ist davon auch die Atmung betroffen, was die Erkrankung lebensbedrohlich macht. Die Betroffenen erhalten zur Therapie entweder hochdosiert intravenös Immunglobuline oder es erfolgt ein Blutreinigungsverfahren, bei dem die krankheitsauslösenden Autoantikörper herausgefiltert werden.
Fazialisparese (Gesichtslähmung)
Eine periphere Lähmung des VII. Hirnnervs (N. facialis), auch Fazialisparese genannt, ist häufig idiopathisch, d.h. die Gründe hierfür sind bis heute unklar. Zu den nachweisbaren Ursachen zählen Infektionen, Entzündungsprozesse, autoimmune Reaktion oder Traumen. Selten tritt eine Gesichtslähmung auch als Folge von Impfungen auf.
Fazialisparese und Corona-Impfung
Eine systematische Überprüfung mit Metaanalyse untersuchte, ob eine Assoziation zwischen Covid-19-Impfung und Fazialisparese besteht. Die Analyse von vier randomisierten klinischen Phase-III-Studien ergab eine um 200% erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Fazialisparese bei den Impfstoffempfängern im Vergleich zu den Teilnehmenden aus den Placebogruppen. Im Vergleich hatten Probanden, die mit mRNA-Vakzinen geimpft wurden, ein signifikant höheres Risiko für eine Fazialislähmung als Personen aus der Placebogruppe.
Abschließend bewerteten die Forschenden die Rate an Fazialisparesen bei SARS-CoV-2-Geimpften und SARS-CoV-2-Infizierten. Das relative Risiko, nach einer Coronavirusinfektion an einer Fazialisparese zu erkranken, war 3,23-fach höher als nach Erhalt der Impfung. Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass eine Impfung gegen SARS-CoV-2 die Wahrscheinlichkeit einer Fazialisparese im Vergleich zu einer SARS-CoV-2-Infektion deutlich verringern kann.
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Gemäß der Analyse der randomisierten, kontrollierten Studien ist die Inzidenz einer Fazialislähmung bei Geimpften mit etwa 18 pro 100.000 Personen pro Jahr ähnlich hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Hier liegt die Inzidenz bei etwa 15-30 pro 100.000 Personen pro Jahr.
Fazit zur Fazialisparese nach Corona-Impfung
Nach einer Covid-19-Impfung ist das Risiko, an einer idiopathischen Fazialisparese zu erkranken, signifikant höher als nach einer Impfung mit Placebo. Die Erkrankungsrate liegt aber immer noch unter der von Personen, die an einer SARS-CoV-2-Infektion erkrankt waren.
Fallbeispiel: Anais Borrego und das Post-Vac-Syndrom
Anais Borrego, eine 32-jährige Sozialpädagogin, ließ sich gegen Corona impfen. Nach der Booster-Impfung begannen die Probleme. Lähmungen, Muskelzuckungen, Nervenschmerzen, Sehstörungen, Schluckbeschwerden, Herzrasen. Eine Ärzte-Odyssee begann. Andere Ärzte diagnostizierten Entzündungen im Nervenwasser, entzündete Blutgefäße, das Fatigue Syndrom und Autoimmunreaktionen. Ihr Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens wurde abgelehnt.
Internist Albrecht Kühn betont, dass Patienten mit unerklärlichen Symptomen Behandlung und Respekt verdienen, auch wenn ihre Beschwerden rätselhaft bleiben. Er hält es für nicht richtig, sie einfach an einen Psychologen zu verweisen. Kühn glaubt, dass spezielle Ambulanzen die Lösung sein könnten.
Vaxzevria (AstraZeneca) und GBS
Der Impfstoff von AstraZeneca zur Vorbeugung von COVID-19 (Vaxzevria®) wurde Ende Januar 2021 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassen. Es handelt sich um einen adenoviralen Vektorimpfstoff.
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Fallbericht: GBS nach Vaxzevria-Impfung
Dem AkdÄ wurde der Fall eines 35-jährigen Patienten gemeldet, der zwei Wochen nach Erstimpfung gegen COVID-19 mit Vaxzevria® zunächst ein Taubheitsgefühl an den Füßen sowie Kribbelparästhesien an den Fingern entwickelt hat. Im Verlauf kamen innerhalb von neun Tagen eine schlaffe, leicht rechtsbetonte Tetraparese mit abgeschwächten bzw. ausgefallenen Muskeleigenreflexen sowie eine periphere Fazialisparese rechts hinzu, die zur stationären Aufnahme führte. Es wurde die Diagnose eines Guillain-Barré-Syndroms (GBS) gestellt. Da keine anderen Ursachen für ein GBS identifiziert werden konnten, wurde ein Kausalzusammenhang mit der Impfung gegen COVID-19 vermutet.
Bewertung von Vaxzevria und GBS
Der beschriebene Fallbericht sowie weitere Berichte in der Literatur und im Spontanmeldesystem deuten darauf hin, dass GBS eine mögliche Nebenwirkung von Vaxzevria® sein könnte. Allerdings sind angesichts der Vielzahl der Geimpften auch spontan bzw. durch andere Pathogene ausgelöste GBS zu erwarten. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem berichteten Fall um eine zufällige Koinzidenz handelt. Da die Inzidenz eines etwaigen Vaxzevria®-assoziierten GBS sehr niedrig eingeschätzt wird, überwiegt aus Sicht der AkdÄ nach wie vor der Nutzen der Impfung deren Risiken.
Wenn nach der Impfung insbesondere mit Vaxzevria® oder mit COVID-19 Vaccine Janssen neurologische Symptome auftreten, wie z. B. schlaffe Paresen oder distal symmetrische Sensibilitätsstörungen, sollte ein GBS erwogen und die Patienten entsprechend untersucht und behandelt werden.
Schlaganfall und Corona-Impfung
Etwa 70 Prozent der Deutschen sind bereits gegen Corona geimpft. Grundsätzlich sind die Verläufe einer Corona-Infektion sehr individuell und unterschiedlich ausgeprägt. Bei Schlaganfall-Betroffenen kann es gewisse Faktoren geben, die das Risiko für einen schwereren Verlauf oder ausgeprägtere Spätfolgen erhöhen - dies hängt unter anderem auch von den Ursachen und Folgen des Schlaganfalls ab.
Schlaganfall und Impf-Nebenwirkungen
Schlaganfall-Betroffene haben allein aufgrund des Schlaganfalls kein erhöhtes Risiko für Impf-Nebenwirkungen. Viele Patienten mit Vorhofflimmern oder Schlaganfällen nehmen allerdings Gerinnungshemmer zur Blutverdünnung. Die Impfung muss intramuskulär, also in den Muskel, verabreicht werden. Bei einer intramuskulären Impfung besteht für Patienten, die Gerinnungshemmer einnehmen, eine erhöhte Gefahr von Einblutungen. Deswegen sollte eine sehr feine Injektionskanüle genutzt werden und die Einstichstelle sollte nach der Impfung mindestens zwei Minuten fest komprimiert werden. Bei den betroffenen Patienten ist eine verlängerte Nachbeobachtungszeit von bis zu 30 Minuten (statt 15 Minuten) nach der Impfung empfohlen.
Schlaganfall nach Impfung?
Jedes Jahr erleiden etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Da bereits etwa 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, ist es - rein statistisch - wahrscheinlich, dass einzelne Menschen kurz nach ihrer Impfung einen Schlaganfall erleiden. Ob ein Schlaganfall in direktem Zusammenhang mit der Impfung steht, muss individuell abgeklärt werden. Wenn der Verdacht besteht, dass es sich um eine Nebenwirkung der Impfung handelt, kann dies dem Paul-Ehrlich-Institut mitgeteilt werden.
Long-Covid-Syndrom und Post-Vac-Syndrom
Nach einer durchgemachten Covid-19-Infektion kann es zu anhaltenden und z.T. dauerhaften neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen kommen. Wenn diese über einen Zeitraum von mehr als 3 Monaten nach der Akutinfektion bestehen spricht man von einem Long-Covid-Syndrom oder Post-Covid-Syndrom. Auch im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung gegen Covid-19 wurde das Auftreten von verschiedenen neurologischen Erkrankungen wie z.B. Hirnnervenausfällen, Nervenentzündungen (Polyneuritis) und Muskelerkrankungen (Myopathien) beschrieben. Die genauen Zusammenhänge sind Gegenstand aktueller Forschung.
Neurologische Erkrankungen nach Covid-19-Infektion
Es kann im Rahmen der Covid-19-Infektion zu einer Gehirnentzündung (Enzephalitis) mit nachfolgender Verminderung der Hirnleistungsfähigkeit kommen. Dies äußert sich in verstärkter Müdigkeit (Fatigue), Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Verminderung des Antriebs, aber auch Depressionen sowie Schlafstörungen, neurologischen Ausfällen am Körper und selten auch epileptischen Anfällen. Im Bereich der peripheren Nerven kann es zu einer Entzündung vieler Nerven (Polyneuritis) mit Taubheitsgefühlen, Lähmungen überwiegend an den Extremitäten und Schmerzen (Burning-Hands- und Burning-Feet-Syndrom) überwiegend nächtlich und seltener zu einem Guillain-Barré-Syndrom mit schnell aufsteigenden Taubheitsgefühlen und Lähmungen kommen. Sehr häufig ist auch das Auftreten von Riechstörungen. Auch Lähmungen einzelner Hirnnerven (wie z.B. Gesichtslähmung), Lähmungen der Nervengeflechte (Plexopathien), Muskelentzündungen (Myositis) und Muskelschwund (Rhabdomyolyse) wurden beschrieben. Auch können Polyneuropathien im Rahmen einer Covid-19-Infektion erstmalig auftreten und z.T. dauerhaft bestehen bleiben. Vorbestehende Polyneuropathien können sich nach einer Covid-19-Infektion auch verschlechtern.
Diagnose und Behandlung des Long-Covid-Syndroms
Notwendig ist eine umfassende neurologische und psychiatrische Untersuchung auch unter Anwendung der diagnostischen Methoden EEG, Kernspintomografie des Schädels und/oder der Wirbelsäule, Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten und Elektromyografie (EMG) sowie neuropsychologischer Testung und umfangreicher laborchemischer Untersuchungen.
Es stehen mehrere Möglichkeiten zur Behandlung des Long-Covid-Syndroms, entsprechend der jeweiligen neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen nach Covid-19-Infektion zur Verfügung. Nervenentzündungen und Nervenausfälle können mit Cortisonstoß-Therapie oder Anwendung von Immunglobulinen oder in schweren Fällen auch durch Plasmaaustausch behandelt werden und werden zusätzlich physiotherapeutisch und mittels Akupunktur oder auch medikamentöser Schmerztherapie, falls notwendig, behandelt.
Post-Vac-Syndrom: Long COVID nach Impfung?
Einige Experten sprechen von Post-Vac, wenn nach einer COVID-19-Impfung ähnliche Symptome wie bei Long COVID auftreten. Im Sicherheitsreport listet das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) einige sehr seltene unerwünschte Reaktionen, wie etwa Myokarditis und Perikarditis, das Guillain-Barré-Syndrom sowie dem Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom.
Deutschlandweit gibt es bisher 2 Anlaufstellen für Erwachsene mit Verdacht auf Post-Vac: Eine Spezialambulanz für Post-Vac-Fälle am Universitätsklinikum Marburg sowie die neurologische Post-COVID-19-Sprechstunde an der Klinik für Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin.
Über die Ursachen des Post-Vac-Syndroms kann derzeit nur spekuliert werden. Möglicherweise sei eine Reaktivierung einer Epstein-Barr-Virus-(EBV-)Infektion in der Entstehung von Long COVID und Post-Vac beteiligt. Eine Rolle bei der Entstehung des Syndroms könnten auch Autoantikörper spielen.
Wie häufig Long COVID nach einer Impfung tatsächlich vorkommt, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Das Risiko für ein neurologisches Post-Vac-Syndrom wird noch niedriger geschätzt als Long COVID nach einer Infektion.
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