Die Strahlentherapie des Gehirns ist eine wichtige Behandlungsmethode bei verschiedenen Krebserkrankungen, insbesondere bei Hirnmetastasen und primären Hirntumoren. Obwohl moderne Verfahren es ermöglichen, das bestrahlte Gebiet präzise auf die Tumorregion zu konzentrieren, können Strahlen auch gesunde Zellen im bestrahlten Gewebe angreifen und so zu Nebenwirkungen und Langzeitfolgen führen. Diese variieren von Patient zu Patient und sind abhängig von Dosis und Dauer der Therapie.
Akute Nebenwirkungen der Strahlentherapie
Die akuten Nebenwirkungen einer Strahlentherapie treten hauptsächlich im bestrahlten Gewebe auf. Bei einer Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich können vorübergehende Schäden der Haut, ähnlich einem Sonnenbrand, Brennen der Schleimhäute, Schluckbeschwerden und Mundtrockenheit auftreten. Im Mundbereich kann es zu einer Entzündung der Mund- und Rachenschleimhaut (Mukositis) kommen.
Weitere mögliche akute Nebenwirkungen sind:
- Haarausfall: Ein Haarverlust kann prinzipiell bei allen Patientinnen und Patienten auftreten, meist lässt er sich nicht mehr komplett rückgängig machen.
- Übelkeit und Erbrechen: Bei Bestrahlungen des Bauchgewebes können, abhängig von der Strahlendosis, Übelkeit und Erbrechen auftreten.
- Veränderungen des Blutbilds: Veränderungen des Blutbilds sind besonders bei der Bestrahlung des Brustkorbs möglich.
- Entzündungen: In bestrahlten Organen können sich Entzündungen bilden, beispielsweise auf den Enddarm, die Blase oder die Lunge.
Langzeitfolgen der Strahlentherapie
Manche Schäden bleiben auch nach Ende der Strahlentherapie bestehen. Späte Strahlenfolgen werden mit einer Latenzzeit von drei Monaten bis zu Jahrzehnten nach Therapieabschluss manifest und sind im Gegensatz zu akuten Strahlenfolgen in der Regel irreversibel. Latenzzeit und Schweregrad der Strahlenspätfolge werden von der Art des betroffenen Organs/der Gewebe und der applizierten Strahlendosis pro Fraktion/Gesamtdosis/Strahlenvolumen maßgeblich bestimmt und von Co-Therapien und Patientencharakteristika moduliert.
Zu den wichtigsten Langzeitfolgen der Strahlentherapie des Gehirns gehören:
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Neurotoxizität
Die Neurotoxizität ist eine der bedeutendsten Langzeitfolgen der Strahlentherapie im ZNS-Bereich. Sie kann sich in Form von neurokognitiven Funktionseinschränkungen äußern, die vor allem die Domänen verbales/nonverbales Gedächtnis, Problemlösung, Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit betreffen. Auch eine Demenz, Störung der Bewegungskoordination oder Harninkontinenz sind möglich. Die in neuropsychologischen Tests nachgewiesenen Veränderungen sind nicht immer klinisch relevant, ein demenzielles Syndrom ist selten.
Risikofaktoren für neurokognitive Einschränkungen sind Einzeldosen > 2 Gy, eine antiepileptische Therapie, eine Chemotherapie, die Gabe von BRAF-Inhibitoren, sehr junges und höheres Lebensalter.
In seltenen Fällen kann es zu Hirnnekrosen kommen. Im Hochdosisbereich einer Tumor-/Metastasentherapie tritt eine Nekrose dosis-, fraktions- und volumenabhängig zehn Monate bis circa drei Jahre nach Therapie bei 1-12 % der Patienten auf.
Endokrine Störungen
Durch die Schädelbestrahlung kann gelegentlich die Produktion des Wachstumshormons sowie anderer Hormone der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) eingeschränkt sein. Zu letzteren gehören auch Hormone, die die Funktion der Schilddrüse und die Bildung der Sexualhormone steuern. Eine Bestrahlung des Schädels kann durch die mögliche Beeinträchtigung der Hormondrüsen im Gehirn (Hypothalamus, Hypophyse) die Fruchtbarkeit ebenfalls beeinträchtigen.
Zweittumoren
Nach einer Chemotherapie ist das Risiko erhöht, zu einem späteren Zeitpunkt an einem zweiten bösartigen Tumor zu erkranken. Das gilt insbesondere dann, wenn zusätzlich eine Bestrahlung des Gehirns erfolgt. Die häufigsten Zweitkrebserkrankungen nach einer ALL sind akute myeloische Leukämien (AML) und Tumoren des Zentralnervensystems, seltener Lymphome und Schilddrüsenkrebs. Zweittumoren können bereits innerhalb des ersten Jahres nach Diagnosestellung auftreten, aber auch erst nach über 20 Jahren.
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Weitere mögliche Spätfolgen
- Kardiotoxizität: Kardiale Toxizitäten nach mediastinaler Bestrahlung umfassen die koronare Herzerkrankung (KHK), Kardiomyopathie, Herzklappenerkrankungen, Störungen des Reizleitungssystems sowie Perikarderkrankungen.
- Lungentoxizität: Die subakute Pneumonitis und chronische Lungenfibrose sind mögliche Nebenwirkungen einer Bestrahlung im Thoraxbereich.
- Mundtrockenheit und Osteoradionekrose: Obwohl viele Nebenwirkungen nach der Bestrahlung wieder abklingen, kommt es häufig zu einer dauerhaften Gewebeänderung. Im Mundbereich ist hiervon vor allem der Kieferknochen betroffen, in dem die Verringerung der Durchblutung des Gewebes im Zuge der Bestrahlung zu Entzündungen und schließlich Absterben von Knochenarealen führen kann. Dies wird auch als Osteoradionekrose bezeichnet.
Prävention und Behandlung von Nebenwirkungen und Langzeitfolgen
Um Osteoradionekrosen langfristig vorzubeugen, sind bereits vor der Bestrahlung Maßnahmen zu treffen. Ein erster Schritt ist die Herstellung einer Strahlenschutzschiene. Vor der Bestrahlung sollte zudem eine ausführliche zahnärztliche Untersuchung erfolgen. Zähne, von denen eine Entzündung ausgeht oder ausgehen kann, sollten vor dem Beginn einer Bestrahlung entfernt werden, um Komplikationen langfristig zu vermeiden.
Auch während der operativen Eingriffe sind besondere Maßnahmen zur Infektionsprävention notwendig.
Die Behandlung von wiederkehrenden (rezidivierenden) Hirnmetastasen hängt davon ab, welche Therapie eine Patientin zuvor schon durchlaufen hat. Folgende Möglichkeiten gibt es: Eine erneute Operation kann vor allem bei großen Metastasen hilfreich sein. Die Ganzhirnbestrahlung kann Patientinnen helfen, die diese Behandlung zuvor noch nicht erhalten haben. Die Radiochirurgie ist bei Patientinnen sinnvoll, die zuvor operiert wurden oder sich einer Ganzhirnbestrahlung unterzogen haben.
Mit zunehmender Zahl langzeitüberlebender Patienten nach einer Krebserkrankung wächst die Bedeutung der Spätfolgen durch die Tumortherapien, zu denen für circa die Hälfte der Patienten die Strahlentherapie gehört.
Neue Möglichkeiten der Bestrahlungstechnik, Therapieplanung und Integration moderner Bildgebung haben zum Ziel, die Strahlenexposition des Normalgewebes zu verringern, um die Toxizität zu reduzieren, oder die tumorwirksame Dosis bei gleicher Toxizität zu erhöhen. Zu diesen Entwicklungen gehören Linearbeschleuniger mit intensitätsmodulierter Radiotherapie (IMRT) oder volumenmodulierter Rotationstherapie (VMAT), die bildgeführte Strahlentherapie sowie die stereotaktische Bestrahlung. Gleichzeitig wächst die Bedeutung moderner Bildgebung für die präzisere Tumorabgrenzung in der Bestrahlungsplanung und -durchführung.
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Die Dosisverteilung ist immer ein Kompromiss, bei dem Ärzte und Physiker die Wahrscheinlichkeit von Strahlenfolgen und die Tumorkontrollrate individuell für die Patienten im Dialog abwägen.
Technische Entwicklungen in der Strahlentherapie
- Intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT) und volumenmodulierte Rotationstherapie (VMAT): Diese Techniken ermöglichen eine präzisere Anpassung der Strahlendosis an die Tumorform und reduzieren die Strahlenbelastung des umliegenden Gewebes.
- Bildgeführte Strahlentherapie: Durch die Integration moderner Bildgebungstechniken in den Bestrahlungsprozess kann die Position des Tumors während der Behandlung genau überwacht und die Strahlendosis entsprechend angepasst werden.
- Stereotaktische Bestrahlung: Diese hochpräzise Bestrahlungstechnik ermöglicht die Behandlung kleiner, abgegrenzter Tumoren mit hoher Strahlendosis bei minimaler Belastung des umliegenden Gewebes.
Maßnahmen zur Reduktion der Herzbelastung
Entwicklungen wie die Möglichkeit zur Bestrahlung in tiefer Inspiration reduzieren die Herzdosis weiter. Die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie empfiehlt diese Technik für die Therapie des linksseitigen Mammakarzinoms.
Integration der PET-CT in die Bestrahlungsplanung
Die Integration der PET-CT in die Bestrahlungsplanung zur Reduktion des Zielvolumens ermöglichte eine isotoxische Dosiseskalation.
Atemanhaltetechnik
Die Atemanhaltetechnik konnte in Planungsstudien bei Patienten mit einem Lymphom die mediane Lungenbelastung um 1,5-2,4 Gy verringern.
Adaptive Planung
Mit der Bildgebungseinheit am Linearbeschleuniger mit Verifikationsaufnahmen während der Strahlentherapie („onboard-imaging“) können täglich anatomische Veränderungen wie Tumorremission, Atelektase oder Pleuraerguss visualisiert werden und das Bestrahlungsvolumen der individuellen anatomischen Situation kann während der Behandlungsserie angepasst werden (adaptive Planung).
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