Nerven an der Schläfe: Anatomie, Funktion und klinische Bedeutung

Die Schläfe, in der Fachsprache als Regio temporalis bezeichnet, ist eine halbrunde Region seitlich am Kopf, die sich hinter dem Auge und über dem Ohr befindet. Obwohl der Begriff "Schläfe" umgangssprachlich meist nur die kleine, tastbare Einsenkung seitlich der Augen bezeichnet, ist die anatomische Schläfe eine komplexere Region, die neben Muskeln auch wichtige Nerven und Gefäße zur Versorgung der Kopfoberfläche und der mimischen Muskulatur enthält. Dieser Artikel beleuchtet die Anatomie der Schläfe, insbesondere die dort verlaufenden Nerven, ihre Funktion und klinische Bedeutung.

Anatomie der Schläfe

Der Grundaufbau der Schläfe wird in der Tiefe von fünf Schädelknochen gebildet: Stirnbein (Os frontale), Scheitelbein (Os parietale), Schläfenbein (Os temporale), Keilbein (Os sphenoidale) und Jochbein (Os zygomaticum). In dieser Region befindet sich die Fossa temporalis, eine laterale Einsenkung am Schädel.

Nervenversorgung der Schläfe

Die Schläfe wird von verschiedenen Nerven versorgt, die sowohl sensible als auch motorische Funktionen haben:

  • Nervus auriculotemporalis: Dieser sensible Nerv begleitet die Arteria temporalis superficialis und versorgt die Schläfe sensibel. Er stammt vom Nervus mandibularis, dem untersten Ast des fünften Hirnnervs (Nervus trigeminus).
  • Rami temporales: Dies sind Äste des siebten Hirnnervs (Nervus facialis), die in der Tiefe der Schläfe verlaufen und die mimische Muskulatur innervieren.

Gefäßversorgung der Schläfe

Die arterielle Versorgung der Schläfe erfolgt hauptsächlich durch die Arteria temporalis superficialis, einen der beiden Endäste der Carotis externa. Sie teilt sich in einen frontalen und einen parietalen Ast auf und versorgt große Teile des lateralen, oberflächlichen Kopfes. Auch die Arteria maxillaris, der andere Endast der Carotis externa, gibt Äste zur Versorgung der Schläfe ab.

Durch den oberflächlichen Verlauf der Arteria temporalis superficialis lässt sich ihr Puls an der Schläfe tasten.

Lesen Sie auch: Diagnose von Schmerzen an der Außenseite des Knies

Musculus temporalis

Ein wichtiger Muskel in der Schläfenregion ist der Musculus temporalis, ein oberflächlicher Kaumuskel, der die gesamte Region fächerförmig ausfüllt und von einer derben Faszie bedeckt wird.

Grundlagen der Nervenanatomie und -funktion

Um die Funktion der Nerven in der Schläfe besser zu verstehen, ist es hilfreich, einige grundlegende Aspekte der Nervenanatomie und -physiologie zu betrachten.

Aufbau eines Nervs

Nerven sind parallel verlaufende Nervenfasern, die von Bindegewebe umhüllt werden und elektrochemische Impulse an periphere Organe, Muskeln und das zentrale Nervensystem (ZNS) leiten können. Eine Nervenzelle besteht aus dem Soma (Zellkörper mit Zellkern und Dendriten), dem Axon und den Synapsen (Axonterminale).

Die einzelnen Strukturen sind von unterschiedlichen Schichten umgeben:

  • Endoneurium: Umfasst eine einzelne Nervenfaser.
  • Perineurium: Umgrenzt mehrere Nervenfasern und bildet zusammen ein Nervenfaserbündel (Faszikel).
  • Epineurium: Fasst mehrere Nervenfaserbündel zur anatomischen Struktur eines peripheren Nervs zusammen.

Signalübertragung an Synapsen

Um eine Information von einer Zelle zur nächsten zu leiten, muss der synaptische Spalt überbrückt werden, ein ca. 20 bis 30 nm breiter Zwischenraum zwischen zwei Zellen. Der synaptische Spalt bildet gemeinsam mit dem Axon-Endknöpfchen der Senderzelle und dem Dendriten der Empfängerzelle die Synapse.

Lesen Sie auch: Nurvet Kautabletten Nerven: Die Inhaltsstoffe und ihre Wirkung.

Im Axon-Endknöpfchen befinden sich kleine Bläschen (Vesikel), die bei chemischen Synapsen Neurotransmitter wie Adrenalin und Dopamin enthalten. Gelangt ein elektrischer Impuls zum Endknöpfchen, verschmelzen die Vesikel mit der präsynaptischen Zellmembran und schütten die Neurotransmitter in den synaptischen Spalt aus. Der elektrische Impuls wird dadurch zunächst in ein chemisches Signal umgewandelt.

An der Zellmembran der Empfängerzelle (postsynaptische Membran) befinden sich Rezeptormoleküle für die Neurotransmitter. Bindet ein Transmitter an ein Rezeptormolekül, wird in der Empfängerzelle wieder ein elektrisches Signal ausgelöst, das sich entlang der Zelle fortpflanzen kann. So werden Nervenimpulse von Zelle zu Zelle fortgeleitet. Die Nervenleitgeschwindigkeit kann zwischen 1 und 100 m/s liegen und hängt unter anderem davon ab, ob der Nerv von einer fettreichen Biomembran (Myelinscheide) umgeben ist.

Arten von Nervenzellen

Es werden verschiedene Arten von Nervenzellen unterschieden:

  • Multipolare Nervenzellen: Für sensorische und motorische Aufgaben.
  • Unipolare Nervenzellen: Nur für sensorische Wahrnehmung.
  • Bipolare Nervenzellen: Aufnahme und Weiterleitung der Signale von Stäbchen und Zäpfchen in der Hornhaut des Auges.
  • Pseudounipolare Nervenzellen: Mit nur einem Fortsatz aus dem Soma.

Zudem werden afferente (leiten Signale von sensorischen Zellen zum ZNS) und efferente (leiten Signale vom ZNS an Muskeln und Drüsen) Neurone unterschieden. Das Nervensystem wird in zentrale (ZNS) und periphere (PNS) Anteile unterteilt, wobei das Hirnnervensystem eine Sonderform des PNS darstellt. Das PNS wird wiederum in somatische (willkürliche) und autonome (vegetative) Bereiche untergliedert.

Klinische Bedeutung der Nerven in der Schläfe

Die relativ exponierte Lage der Schläfe macht sie anfällig für Schmerzen und andere Beschwerden. Betroffene Nerven können Missempfindungen verursachen.

Lesen Sie auch: Warum Eltern manchmal nerven

Kopfschmerzen an der Schläfe

Kopfschmerzen sind häufig an der Schläfe lokalisierbar. Die Ursache kann vielfältig sein, daher ist eine ausführliche Schmerzanamnese erforderlich. Die Schmerzen können ein- oder beidseitig auftreten, stechend, pochend, bohrend oder dumpf sein und verschiedene zeitliche Verläufe nehmen.

Mögliche Ursachen für Kopfschmerzen an der Schläfe sind:

  • Verspannungen: Muskelverspannungen im Nacken- und Schulterbereich können sich auf die Schläfe auswirken.
  • Migräne: Migräneattacken können von pochenden Kopfschmerzen an der Schläfe begleitet sein.
  • Sinusitis: Entzündungen der Nasennebenhöhlen können Schmerzen im Bereich der Schläfe verursachen.
  • Arteriitis temporalis (Riesenzellarteriitis): Eine Entzündung der Arteria temporalis superficialis, die sich durch pochende Schmerzen an der Schläfe, Berührungsempfindlichkeit und allgemeine Krankheitssymptome äußern kann.
  • Trigeminusneuralgie: Obwohl der Trigeminusnerv hauptsächlich das Gesicht versorgt, können Schmerzen auch in die Schläfe ausstrahlen.
  • Myogelosen und Triggerpunkte: Kleinste Knötchen in der Muskulatur, die unter anderem zu Schmerzen führen können. Temporalis Triggerpunkte über und vor dem Ohr können nach hinten ausstrahlende Kopfschmerzen, Kieferschmerzen und Zahnschmerzen auslösen. Des Weiteren können Triggerpunkte im Temporalis die endgradige Kieferöffnung einschränken.

Verletzungen und Erkrankungen

Auch Prellungen und Brüche, beispielsweise des Os zygomaticum, können Schmerzen im Schläfenbereich auslösen. Schlaganfälle im Bereich des unter der Schläfe gelegenen Schläfen- oder Temporallappens können die Sprache, das Gedächtnis und die Emotionen beeinträchtigen. Neben den klassischen Anzeichen eines Schlaganfalls (Gesichtslähmungen, fehlende Fähigkeit, beide Arme ausgestreckt zu halten, verwaschene Sprache) ist für einen Temporallappen-Anfall die sogenannte flüssige Aphasie typisch.

Wann sind Kopfschmerzen gefährlich?

In den meisten Fällen sind Kopfschmerzen harmlos und durch äußere Faktoren wie Wetter, Flüssigkeitsmangel, Stress oder eine falsche Brille bedingt. Treten jedoch plötzlich sehr heftige Kopfschmerzen auf oder dauern Schmerzen über einen längeren Zeitraum an, sollte man einen Arzt aufsuchen, um die Ursache abklären und die Symptome behandeln zu lassen. Eine der gefährlichsten Ursachen für plötzlich auftretende Kopfschmerzen ist ein Schlaganfall. Klassische Anzeichen für einen Schlaganfall sind Gesichtslähmungen, die fehlende Fähigkeit, beide Arme ausgestreckt zu halten, und verwaschene Sprache (FAST-Prinzip: Face, Arms, Speech, Time).

Stille Schlaganfälle sind gefährlich, da sie häufig erst spät oder gar nicht erkannt werden. Hierbei treten Symptome beispielsweise im Schlaf auf und klingen bis zum Aufwachen wieder ab oder sind so gering, dass sie akut nicht auffallen.

Der Temporallappen und seine Funktionen

Ein wichtiger Teil des Gehirns, der unterhalb der Schläfe liegt, ist der Temporallappen (Lobus temporalis). Er ist nach dem Frontallappen der zweitgrößte der vier Lobi des Großhirns und spielt eine wichtige Rolle bei verschiedenen Funktionen:

  • Hören: Das primäre Hörzentrum (Heschl’sche Querwindungen) liegt in der tiefen Fissura lateralis des Temporallappens. Nachgeschaltete sekundäre und tertiäre auditorische Zentren nehmen fast die gesamte kortikale Fläche des Temporallappens ein, die man in der Seitenansicht sehen kann.
  • Sprache: Das sensorische Wernicke-Sprachzentrum, das für das Sprachverständnis wichtig ist, befindet sich in der dominanten (meist linken) Hemisphäre im Übergangsbereich zwischen Temporallappen und Okzipitallappen.
  • Riechen: Am Uncus, einer Vorwölbung auf der Innenfläche des Temporallappens, endet die Riechbahn.
  • Emotionen: Die Amygdala, ein Kerngebiet im Temporallappen, gehört zum limbischen System und ist für die affektive Einfärbung unseres Erlebens zuständig.
  • Gedächtnis: Der Temporallappen spielt eine wichtige Rolle für das Gedächtnis. Der Gyrus parahippocampalis und die Hippocampusformation sind sowohl für das Einlesen neuer Gedächtnisinhalte als auch für den Abruf bereits vorhandener Erinnerungen zuständig.
  • Visuelle Verarbeitung: Auf der hinteren Unterfläche des Temporallappens befinden sich Isocortices, die wichtige Schnittstellen zwischen visuellem System und Gedächtnis bilden. Im Gyrus fusiformis wurden Zentren gefunden, die mit der (Wieder-)Erkennung von Gesichtern zu tun haben.

Behandlung von Schmerzen und Beschwerden in der Schläfe

Die Behandlung von Schmerzen und Beschwerden in der Schläfe richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache. Bei Kopfschmerzen können Schmerzmittel, Entspannungstechniken oder Physiotherapie helfen. Bei Migräne können spezifische Migränemedikamente zum Einsatz kommen. Bei einer Arteriitis temporalis ist eine Behandlung mit Kortikosteroiden erforderlich. Triggerpunkte im Musculus temporalis können durch Selbstmassage gelöst werden.

tags: #Nerven #an #der #Schläfe #Anatomie