Die COVID-19-Impfung ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Pandemie. Wie bei jeder medizinischen Intervention können jedoch auch nach einer Impfung unerwünschte Reaktionen auftreten. In seltenen Fällen kann es zu einer Nervenentzündung kommen, insbesondere im Zusammenhang mit bestimmten Impfstoffen. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Ursachen und Zusammenhänge von Nervenentzündungen nach einer COVID-19-Impfung, insbesondere im Hinblick auf das Guillain-Barré-Syndrom (GBS).
Einführung in das Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine akute, potenziell lebensbedrohliche Autoimmunerkrankung des peripheren Nervensystems. Typischerweise manifestiert sich GBS mit rasch aufsteigenden, schlaffen Lähmungen sowie sensorischen und autonomen Störungen. Ein Kennzeichen ist die zytoalbuminäre Dissoziation im Liquor, bei der das Eiweiß erhöht ist, während die Zellzahl normal bleibt. Bis zu 30 % der Patienten entwickeln eine respiratorische Insuffizienz und benötigen Beatmung. Die Behandlung erfolgt in der Regel mit intravenösen Immunglobulinen oder Plasmaaustausch. Die Symptome erreichen ihren Höhepunkt meist innerhalb von vier Wochen, und die Erholungsphase kann Monate bis Jahre dauern. Die Inzidenz von GBS wird in Nordamerika und Europa auf 0,8 bis 1,9 pro 100.000 Einwohner pro Jahr geschätzt. Es ist wichtig zu beachten, dass GBS keine einheitliche Erkrankung ist, sondern verschiedene Unterformen umfasst.
Mögliche Ursachen und Auslöser des GBS
GBS tritt häufig innerhalb von vier Wochen nach bakteriellen oder viralen Infektionen auf. Verschiedene Pathogene wie Campylobacter jejuni, Mycoplasma pneumoniae, Cytomegalie-Virus, Epstein-Barr-Virus, Hepatitis-A-Virus und Influenza-A-Virus werden als Auslöser genannt. Der Pathomechanismus ist nicht vollständig geklärt, aber es wird angenommen, dass Autoantikörper und Entzündungszellen mit Epitopen auf peripheren Nerven und Nervenwurzeln kreuzreagieren, was zu Demyelinisierung und/oder axonaler Schädigung führt.
GBS im Zusammenhang mit COVID-19
GBS wurde wiederholt im Zusammenhang mit COVID-19 beschrieben. Dabei sind typische postinfektiöse Erkrankungen von parainfektiösen zu unterscheiden, die annähernd zeitgleich mit COVID-19 auftreten. In einem systematischen Review mit Metaanalyse wurde die Prävalenz von GBS mit 15 pro 100.000 COVID-19-Patienten höher geschätzt als in der Allgemeinbevölkerung zu erwarten (2/100.000). Demgegenüber fand eine große epidemiologische Studie eine niedrigere GBS-Inzidenz während der COVID-19-Pandemie im Vergleich zu den entsprechenden Monaten der Vorjahre. Die Autoren räumen ein, dass dies auch mit Effekten des Lockdowns mit konsekutiv verminderter Übertragung anderer Pathogene wie Campylobacter jejuni oder respiratorischen Viren zusammenhängen könnte.
GBS nach COVID-19-Impfung
Auch nach Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca und anderen Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 werden in der Literatur Fälle von GBS beschrieben. Dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) wurden bis zum 31.07.2021 insgesamt 84 Fallberichte eines GBS bzw. Miller-Fisher-Syndroms im Zusammenhang mit Vaxzevria® gemeldet. In sieben Fällen gab es Hinweise auf andere (z. B. infektiöse) Auslöser. Betroffen waren jeweils 42 Männer und Frauen im Alter von 21 bis 93 Jahren (bei zwei Patienten wurde kein Alter angegeben). Die ersten Symptome traten im Mittel 17 Tage nach der Impfung auf. Demgegenüber wurden nur 59 Fälle von GBS/Miller-Fisher-Syndrom im Zusammenhang mit Comirnaty®, sieben im Zusammenhang mit Spikevax® und 18 nach Impfung mit COVID-19 Vaccine Janssen berichtet.
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In den regelmäßig durchgeführten „Observed-to-exspected“-Analysen des Paul-Ehrlich-Instituts wird untersucht, ob Ereignisse häufiger im Zusammenhang mit einer Impfung gegen SARS-CoV-2 berichtet werden als dies in der Allgemeinbevölkerung zu erwarten wäre. Mit einer „Standard Morbidity Ratio“ (SMR) von 3,91 (95 % Konfidenzintervall 3,05 - 4,93) ergibt sich ein statistisches Signal für Vaxzevria®. Auch für COVID-19 Vaccine Janssen ergibt sich mit einer SMR von 4,27 (95 % Konfidenzintervall 2,39 - 7,04) ein Signal, nicht jedoch für die mRNA-Impfstoffe. Auf Empfehlung des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der EMA wurde GBS als sehr seltene Nebenwirkung in die Fachinformationen von Vaxzevria® und COVID-19 Vaccine Janssen aufgenommen.
Fallbeispiel: GBS nach Vaxzevria®-Impfung
Ein Fallbericht schildert einen 35-jährigen Patienten, der zwei Wochen nach der Erstimpfung mit Vaxzevria® Taubheitsgefühl an den Füßen und Kribbelparästhesien an den Fingern entwickelte. Im Verlauf traten eine schlaffe Tetraparese und eine periphere Fazialisparese auf. Ein MRT von Gehirn und Rückenmark war unauffällig, aber im Liquor fand sich eine zytoalbuminäre Dissoziation. Die Neurographie zeigte ein demyelinisierendes Schädigungsmuster. Die Diagnose lautete Guillain-Barré-Syndrom (GBS). Da keine anderen Ursachen für ein GBS identifiziert werden konnten, wurde ein Kausalzusammenhang mit der Impfung gegen COVID-19 vermutet. Der Patient wurde mit intravenösen Immunglobulinen behandelt, erlitt jedoch ein Rezidiv und musste erneut behandelt werden.
Risiko und Nutzen der Impfung
Der beschriebene Fallbericht sowie weitere Berichte in der Literatur und im Spontanmeldesystem deuten darauf hin, dass GBS eine mögliche Nebenwirkung von Vaxzevria® sein könnte. Allerdings sind angesichts der Vielzahl der Geimpften auch spontan bzw. durch andere Pathogene ausgelöste GBS zu erwarten. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem berichteten Fall um eine zufällige Koinzidenz handelt. Da die Inzidenz eines etwaigen Vaxzevria®-assoziierten GBS sehr niedrig eingeschätzt wird, überwiegt aus Sicht der AkdÄ nach wie vor der Nutzen der Impfung deren Risiken.
Handlungsempfehlungen bei Verdacht auf GBS
Wenn nach der Impfung insbesondere mit Vaxzevria® oder mit COVID-19 Vaccine Janssen neurologische Symptome auftreten, wie z. B. schlaffe Paresen oder distal symmetrische Sensibilitätsstörungen, sollte ein GBS erwogen und die Patienten entsprechend untersucht und behandelt werden. Bei der Meldung solcher Fälle sollten nach Möglichkeit weitere Informationen, insbesondere zu möglichen Differenzialdiagnosen, zur Verfügung gestellt werden.
Weitere neurologische Komplikationen nach COVID-19-Impfung
Neben GBS gibt es auch Berichte über andere neurologische Komplikationen nach COVID-19-Impfungen. Dazu gehören beispielsweise:
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- Small-Fiber-Neuropathie (SFN): Eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die sich durch brennende Schmerzen, Kribbeln und Taubheitsgefühle äußern kann.
- Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS): Eine Erkrankung, die zu Schwindel, Herzrasen und Ohnmachtsanfällen beim Aufstehen führen kann.
- Long COVID/Post-Vac-Syndrom: Anhaltende Erschöpfung, Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme und Schlafstörungen, die sowohl nach einer COVID-19-Erkrankung als auch nach einer Impfung auftreten können. In extremen Fällen kann es sogar zu demenzähnlichen Symptomen oder Psychosen kommen.
Mögliche Ursachen für neurologische Komplikationen
Die Ursachen für neurologische Komplikationen nach COVID-19-Impfungen sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt verschiedene Theorien, darunter:
- Autoimmunreaktionen: Das Immunsystem greift fälschlicherweise körpereigene Nervenzellen an.
- Molekulare Mimikry: Antikörper, die gegen das Spike-Protein des Virus gebildet werden, kreuzreagieren mit körpereigenen Strukturen.
- Entzündungsreaktionen: Eine überschießende Entzündungsreaktion im Körper schädigt Nervenzellen.
- Reaktivierung von Viren: Eine Impfung könnte dazu führen, dass bereits im Körper vorhandene Viren, wie das Epstein-Barr-Virus (EBV), reaktiviert werden und neurologische Symptome verursachen.
- Persistenz des Spike-Proteins: Studien deuten darauf hin, dass das Spike-Protein des Virus auch nach der Impfung in bestimmten Geweben, wie den Hirnhäuten und dem Knochenmark des Schädels, verbleiben und dort Entzündungen auslösen kann.
Forschungsansätze und Therapieansätze
Die Forschung zu neurologischen Komplikationen nach COVID-19-Impfungen ist noch im Gange. Es gibt verschiedene Forschungsansätze, die darauf abzielen, die Ursachen und Mechanismen dieser Komplikationen besser zu verstehen und gezielte Therapien zu entwickeln. Dazu gehören:
- Untersuchung von Autoantikörpern: Suche nach Autoantikörpern, die gegen Nervenzellen gerichtet sind.
- Analyse von Entzündungsmarkern: Messung von Entzündungsmarkern im Blut und Liquor, um Entzündungsprozesse im Körper zu identifizieren.
- Bildgebende Verfahren: Einsatz von bildgebenden Verfahren wie MRT, um Veränderungen im Gehirn und Nervensystem festzustellen.
- Klinische Studien: Durchführung von klinischen Studien, um die Wirksamkeit verschiedener Therapien zu testen.
Ein experimentelles Behandlungsschema, das von Bernhard Schieffer am Universitätsklinikum Marburg entwickelt wurde, zeigt vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung von Patienten mit Post-Vac-Syndrom.
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