Leider kommt es zunehmend nach einer vorangegangenen Leistenbruch-Operation zu chronischen, d.h. dauerhaften, Schmerzen im Leistenbereich. Wurden bis vor einigen Jahren die Qualität und der Erfolg einer Hernienoperation ausschließlich anhand der Rate von Wiederholungsbrüchen (Rezidive) bemessen, hat sich in den letzten Jahren der chronische Leistenschmerz als Folge einer stattgefundenen Hernienoperation als weiterer, wichtiger Parameter etabliert. Von chronischem Schmerz spricht man, wenn der Schmerz über eine Zeitspanne von 6 Monaten und länger anhält. Das dies nicht so selten ist, geht aus aktuellen Daten des deutschen Hernienregisters Herniamed hervor. Die Auswertung von über 40.000 Datensätzen konnte dies belegen: 5.8 % der Leistenhernien-Patienten klagen auch noch 12 Monate nach der Operation über Schmerzen im Ruhezustand. Bei körperlicher Belastung erhöht sich die Anzahl der Schmerzpatienten auf 11.7%. Insgesamt leiden 3.5% der Patienten 12 Monate nach der Operation über behandlungs-bedürftige Schmerzen. Dabei muss davon ausgegangen werde, das die Dunkelziffer sogar noch höher liegt.
Schmerzen nach einer erfolgten Operation sind Teil des normalen Heilungsprozesses und gehen bei der Mehrzahl der Operationen nach kurzer Zeit zurück. Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in denen Patient*innen auch noch Wochen oder gar Monate nach einer Operation über Schmerzen im Wundgebiet klagen. Dabei kann eine Chronifizierung durchaus auch nach schmerzfreien Intervallen auftreten und muss nicht zwingend mit kontinuierlichen Akutschmerzen einhergehen. Diese lang anhaltenden Schmerzen nach Operationen können daher rühren, dass Signalwege der Schmerzverarbeitung bspw. durch Gewebebeschädigung, Entzündung, Nervenverletzung, im Vorfeld bestehende, sowie postoperative Schmerzen, oder auch psychologische Faktoren verändert wurden. Interventionstechniken und Operationsmaterialien werden optimiert, um chronische Schmerzen zu vermeiden. Zur Therapie der Frau gibt es große Wissenslücken.
Ursachen von Nervenschmerzen nach Leisten-OP
Neuropathische Schmerzen können auf unterschiedliche Weise entstehen, beispielsweise im Rahmen einer Operation. Rund 20 % aller operierten Patienten entwickeln Nervenschmerzen, sogenannte postoperative neuropathische Schmerzen oder postoperative Neuropathie. Zu den Operationen, die häufig Nervenschmerzen nach sich ziehen, gehören unter anderem:
- Brust- oder Brustkorb-Operationen (zum Beispiel aufgrund von Herzerkrankungen oder Brustkrebs)
- Leistenbruch-Operationen
- Lungen-Operationen
- Amputationen
Die Ursachen postoperativer Nervenschmerzen sind verschieden: So kann es während des operativen Eingriffs zu Schädigungen des Nervensystems kommen, etwa aufgrund von Kompressionen, Dehnungen, Traumen oder der Patientenlagerung. Davon abgesehen können Entzündungsprozesse nach einer Operation dazu führen, dass die peripheren Nerven erkranken. Durch eine Nervenverletzung kommt es im Nervensystem zu plastischen Veränderungen: Diese können langfristig irreversibel werden, sodass die neuropathischen Schmerzen in eine chronische Form übergehen. Bei postoperativen Nervenschmerzen variiert das Ausmaß der Nervenverletzung je nach Größe des operativen Eingriffs. Das Ausmaß der Nervenschädigung hängt jedoch häufig nur geringfügig mit der Stärke der postoperativen Nervenschmerzen zusammen: Kleinere operative Eingriffe führen also nicht unbedingt zu weniger Nervenschmerzen. Umgekehrt treten bei manchen Menschen, die einen großen operativen Eingriff hinter sich haben, nur geringe Nervenschmerzen auf.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Art der Operationstechnik. So führt die offene Leistenhernien-OP signifikant häufiger zu chronischen Schmerzen als die laparoskopisch/endoskopische Versorgung. Insbesondere bei der Lichtenstein-Operation ist der chronische Schmerz die häufigste Komplikation. Nervenschäden durch Verletzungen oder Kontakt mit alloplastischem Material sind mögliche Auslöser. Narbenbildung mit Netzschrumpfung stellen weitere potenzielle Ursachen dar.
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Risikofaktoren für chronische postoperative Schmerzen
Bestimmte Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit postoperativer Neuropathien. Dazu zählen zum einen Vorerkrankungen der peripheren Nerven. Zum anderen gibt es Nervenschäden begünstigende Erkrankungen, darunter Diabetes, sehr hoher oder sehr niedriger Body-Mass-Index, periphere Gefäßerkrankungen, Alkoholabhängigkeit oder eine Arthritis. Darüber hinaus gibt es Risikofaktoren, die die empfundene Stärke von Nervenschmerzen beeinflussen, darunter eine subjektiv erniedrigte Schmerzschwelle oder eine pessimistische Erlebnisverarbeitung. Indikatoren für ein hohes Risiko chronischer postoperativer Schmerzen nach Leistenhernien-OP sind: junges Lebensalter, präoperative Schmerzen und offenes Verfahren.
Symptome neuropathischer Schmerzen nach OP
Kennzeichnend für postoperative neuropathische Schmerzen beziehungsweise Nervenschmerzen allgemein ist eine charakteristisch veränderte Hautsensibilität. So reagieren Betroffene unter- oder überempfindlich (manchmal auch beides) auf Reize wie Kälte, Wärme, Berührung oder Druck. Betroffene berichten von Taubheitsgefühlen und/oder Schmerzattacken. Letztere können sich kribbelnd, brennend, stechend, einschießend oder elektrisierend äußern. Die Patienten berichten über das Gefühl von Ameisenlaufen, teils einschiessende bis elektrisierende, ausstrahlende Schmerzsensationen. Manchmal vermeiden die Betroffenen es, den schmerzbereitenden Körperteil zu bewegen, wodurch die entsprechenden Muskeln verkümmern können.
Diagnose von Nervenschmerzen
Eine neurologische Untersuchung kann helfen zwischen neuropathischen und nozirezeptiven Schmerzen zu unterscheiden. Der neuropathische Schmerz entsteht durch direkte Nervenschädigung/Irritation und führt zu einer gestörten Schmerzverarbeitung. Für den betroffenen Patienten macht sich der neuropathische Schmerz in der Leiste mit lokalisierten Kribbeln, Stechen und Brennen bemerkbar. Der nozirezeptive Schmerz entsteht durch mechanische, chemische oder elektrische Stimulation der Schmerzrezeptoren. Gerade in der Leistenhernienchirurgie kann dies durch das operative Trauma und der Implantation von großflächigen Kunststoffnetzen erfolgen. Nicht selten muss aber auch von einer Kombination von neuropathischen und nozirezeptiver Schmerzen ausgegangen werden.
Neben der neurologischen Untersuchung ist eine gründliche Anamnese unerlässlich. Der Arzt sollte den Patienten fragen, wo, wie und wann er Schmerzen hat. Gab es Traumata, auf die sich die Schmerzen zurückführen lassen könnten? Trat der Schmerz akut oder schleichend auf? Strahlen die Schmerzen eher in den Unterbauch oder eher Richtung Oberschenkel aus? Eine gründliche klinische Untersuchung der Leiste, der Beine, des Beckens, der Genitalorgane und des Rückens ist die Basis, bildgebende Verfahren wie CT und MRT helfen lediglich bei der Differenzierung.
Behandlung von Nervenschmerzen nach Leisten-OP
Die Therapie postoperativer neuropathischer Schmerzen kann wie folgt aussehen:
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Medikamentöse Therapie: Typischerweise gegen neuropathische Schmerzen eingesetzte Medikamente sind unter anderem Antikonvulsiva, trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer oder Opioide. Eine lokale Therapie erfolgt zum Beispiel mittels Lidocain-Pflastern. Meistens ist es sinnvoll, mehrere Medikamente miteinander zu kombinieren. Zu beachten ist, dass sowohl Wirksamkeit als auch Nebenwirkungen eines Medikaments je nach Patient sehr verschieden sein können: Arzt und Patient sollten also genug Geduld aufbringen, um gemeinsam die individuell optimale Schmerztherapie zu finden. Hierbei ist auch wichtig, die Therapieziele zu besprechen: Eine völlige Schmerzfreiheit kann im Grunde fast nie erreicht werden. Realistisch ist eine Schmerzreduktion um 30 bis 50 Prozent, sodass Schlaf- und Lebensqualität des Patienten sich verbessern können. Dies muss dem Patienten bewusst gemacht werden, damit zu hohe Erwartungen und damit Enttäuschungen vermieden werden.
Nicht-medikamentöse Therapie: Die nicht-medikamentöse Behandlung neuropathischer Schmerzen erstreckt sich unter anderem auf warme Fußbäder, transkutane elektrische Nervenstimulation, Akupunktur, milde Infrarotstrahlung, Applikation von Kälte, Physio- und Ergotherapie und Psychotherapie (Verbesserung der Schmerzakzeptanz).
Invasive Therapie: Manchmal ist es sinnvoll beziehungsweise erforderlich, neuropathische Schmerzen zusätzlich invasiv zu behandeln. Dies erfolgt unter anderem durch selektive Nervenblockaden, Ganglionblockaden oder Neuromodulationsverfahren. Blockade der Nn. Ilioinguinalis und iliohypogastricus durch Infiltration mit einem langwirksamen Lokalanästhetika 1-2 cm oberhalb und medial der Spina iliaca anterior superior.
Ein Patient mit chronischen Schmerzen hat nur einen Wunsch: Er möchte wieder schmerzfrei sein, die auslösende Operation am liebsten wieder rückgängig gemacht haben, die vermeintliche Ursache beseitigt. Aufgrund des erhöhten Risikoprofils eines erneuten Eingriffs war bislang eine operative Revision als „ultima ratio“, als letzte Möglichkeit angesehen worden. In der Literatur werden zum Teil aufwändige Operationsverfahren beschrieben bei denen die Nerven bereits weit proximal fernab der Leiste durchtrennt werden, sog. retroperitoneale Tripleneurektomie.
Frau Dr. Muschaweck hat hierzu ein Verfahren entwickelt, das sog. Fast immer ist eine Netzentfernung erforderlich, was leider bei Patienten mit einem laparoskopisch eingebrachten Netz (TAPP, TEP) nur selten möglich ist. Durch langjährige Erfahrung mit Eingriffen in Lokalanästhesie ist es uns möglich intraoperativ, d.h. während des operativen Eingriffs, den Schmerzpunkt aufzusuchen. Diese präzise intraoperative Schmerzantwort (intraoperative nerve response) ermöglicht die genaue Lokalisation der Schmerzursache. Die betroffenen, sensiblen Nerven können dann selektiv befreit und ggfs. durchtrennt werden.
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Die optimale Behandlung postoperativer Nervenschmerzen erfordert ein multimodales Therapiemanagement, bestehend aus medizinischer und medikamentöser Behandlung, psychologisch-therapeutischen Maßnahmen sowie Bewegungstherapie. Hierzu müssen sich Patienten meist in spezialisierte Schmerzzentren begeben. Wichtig ist, dass die Therapie neuropathischer Schmerzen langfristig kontrolliert wird: So sollten Erfolg und Auswirkungen der Schmerzlinderung auf die Lebensbereiche des Patienten dokumentiert werden, beispielsweise in einem Schmerztagebuch. Leider können chronisch gewordene Nervenschmerzen oft nicht mehr vollständig geheilt werden. Umso wichtiger ist es in solchen Fällen, dass die Betroffenen lernen, richtig mit ihren Schmerzen umzugehen. Das Hauptziel der Behandlung neuropathischer Schmerzen ist und bleibt, die Lebensqualität der Betroffenen so gut es geht zu verbessern.
Prävention von Nervenschmerzen
- Sorgfältige Operationstechnik: Eine schonende Operationstechnik, die Nervenverletzungen vermeidet, ist entscheidend.
- Vermeidung von unnötiger Nervenfreilegung: Im Rahmen einer Lichtenstein-Operation sollte nach Möglichkeit auf eine Präparation des N. ilioinguinales verzichtet werden. Wenn sich eine Freilegung des Nervens aus operationstechnischen Gründen nicht vermeiden lasse, sei es besser, ihn zu resezieren; dies reduziere das Risiko chronischer Leistenschmerzen.
- Schonende Fixierungsmethoden für Netze: Weniger postoperative Schmerzen verspricht man sich unter anderem von schonenden Fixierungsmethoden für Netze. Als Alternative zu klassischem Nahtmaterial oder Metallklammern, die als häufige Schmerzauslöser etwas in Verruf geraten sind, gibt es für die laparoskopische Hernienchirurgie mittlerweile auch teilresorbierbare Tacks. Auch Fibrinkleber könne in der Hernienchirurgie gute Dienste leisten.
- Individuell angepasste Überlappung des Netzes: Unabhängig von der Fixierungsmethode sollte der Chirurg auf eine ausreichende Überlappung des Netzes über die Bruchlücke achten. Je größer die Bruchlücke, desto mehr Überlappung sollte man einkalkulieren.
- Verwendung von großporigen Netzen: Gemäß internationalen Leitlinien werden heute großporige Netze aus monofilem nichtresorbierbarem Kunststoff (Polypropylen, Polyvinylidenfluorid oder Polyester) empfohlen. Die Porengröße scheint für die Integration von Gewebe und Vermeidung akuter und chronischer Schmerzen entscheidend zu sein.