Neurodegeneration mit Eisenablagerung im Gehirn: Ursachen und Mechanismen

Neurodegeneration mit Eisenspeicherung im Gehirn (NBIA) ist ein Sammelbegriff für eine Gruppe von fortschreitenden, meist genetisch bedingten neurologischen Erkrankungen, die in der Regel im Kindes- oder Jugendalter beginnen und bisher unheilbar sind. NBIA-Erkrankungen manifestieren sich in fortschreitenden Bewegungs- und Entwicklungsstörungen und können vereinfacht als eine Mischung aus Parkinson und Demenz im Kindesalter betrachtet werden. Kennzeichnend für alle NBIA-Erkrankungen ist eine abnorme Eisenablagerung in den Gehirnkernen, insbesondere den Basalganglien, die unter anderem für die Regulierung von Bewegungen zuständig sind. Der Zusammenhang zwischen Eisenanreicherung und den resultierenden Symptomen ist jedoch noch nicht vollständig geklärt.

Klinische Manifestationen und Diagnose von NBIA

Erste Anzeichen einer NBIA-Erkrankung können je nach spezifischer Form Entwicklungs- und Bewegungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, kognitive Einschränkungen, Seh- oder Sprachstörungen oder Epilepsie sein. Viele Patienten entwickeln eine ausgeprägte Dystonie, die sich in unwillkürlichen Verkrampfungen der Muskulatur äußert und zu Fehlhaltungen und Überbewegungen führt. Spastik, Ataxie, Chorea, Neuropathie und Parkinsonismus können ebenfalls in unterschiedlicher Ausprägung vorkommen. Die resultierenden Bewegungsstörungen führen in den meisten Fällen zur Rollstuhlpflichtigkeit. Sprech- und Schluckstörungen können Atmungs- und Ernährungsprobleme verursachen. NBIA verläuft fortschreitend, wobei sich Phasen rascher Verschlechterung mit längeren Phasen des Krankheitsstillstands abwechseln können. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung können Komplikationen auftreten, die die Lebenserwartung erheblich verkürzen.

Ein klinischer Verdacht auf NBIA wird durch genetische Tests oder MRT-Bildgebung bestätigt und spezifiziert. Die MRT-Bildgebung spielt eine entscheidende Rolle bei der Diagnose, da sie die charakteristischen Eisenablagerungen in den Basalganglien sichtbar macht.

Genetische Ursachen und Klassifizierung von NBIA

NBIA ist in der Regel genetisch bedingt, wobei Mutationen in verschiedenen Genen die Erkrankung verursachen können. Mit einer geschätzten Prävalenz von unter 10 Betroffenen pro 1 Million ist NBIA sehr selten. Die vier häufigsten NBIA-Erkrankungen sind BPAN, PKAN, PLAN und MPAN. Die Grafik zeigt die derzeit bekannten NBIA-Erkrankungen, die jeweils auf eine Mutation in einem anderen Gen zurückzuführen sind.

Zu den Neuroakanthozytose-Syndromen gehören seltene genetische (vererbbare) neurodegenerative Erkrankungen - wie die Chorea Akanthozytose (VPS13A Krankheit) und das McLeod-Syndrom (XK Krankheit). Sie können unter anderem zu Bewegungsstörungen (Chorea, Dystonie, Parkinsonismus), Epilepsie und kognitiven Defiziten sowie Blutbildveränderungen (Akanthozytose, siehe Abbildung) führen. Auch Schluck- und Sprechstörungen, Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen treten auf. Außerdem können Muskeln (Myopathie) und periphere Nerven (Neuropathie) von der Erkrankung betroffen sein. Patienten erkranken typischerweise im frühen bis mittleren Lebensalter. Der Verlauf ist chronisch-voranschreitend. Die beiden Kern-Neuroakanthozytose-Syndrome werden durch Mutationen im VPS13A- und XK-Gen ausgelöst. Die jeweiligen Proteine bilden zusammen einen funktionellen Komplex an Membrankontaktstellen, wo sie zusammen am sog. „Massentransfer von Lipiden“ beteiligt sind. Dadurch erklärt sich die Ähnlichkeit der beiden Erkrankungen. VPS13A gehört zu einer neuen Superfamilie von Proteinen, den „Brückenartigen Lipid-Transferproteinen“ (BLTP). Diese Proteine sind von großem Interesse für die Forschung, da einige von ihnen an der Entstehung von neurologischen Erkrankungen beteiligt sind. Neben VPS13A sind dies unter anderem VPS13C (assoziiert mit Parkinson-Syndromen) und VPS13D (assoziiert mit Ataxie-Syndromen).Auch der Begriff Neurodegeneration mit Eisenablagerungim Gehirn (NBIA, engl. Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation) umfasst eine Gruppe seltener neurodegenerativer genetischer Erkrankungen. Hauptvertreter ist die Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration (PKAN). Die Erkrankungen haben gemeinsam, dass es vornehmlich in den Basalganglien des Gehirns zu einer abnormen Ablagerung von Eisen kommt. An der klassischen Form der PKAN erkranken bereits Kinder in der Regel vor dem 6. Lebensjahr. Symptome können u.a. eine Gangstörung mit Stürzen (Spastik, Dystonie) und Seheinschränkungen (Retinitis pigmentosa) sein. Bei einigen Patienten mit PKAN findet man auch Akanthozyten im Blutbild, sodass diese Erkrankung auch in der Vergangenheit zu den Neuroakanthozytose-Syndromen (s.o.) gezählt wurde.

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Die Differentialdiagnostik ist komplex und umfasst ein multimodales Vorgehen, das neben der klinischen Untersuchung und Anamnese u.a. bildgebende (z.B. MRT des Kopfes) und laborchemische Verfahren (z.B. Akanthozyten-Screening nach Storch et al. 2005, Chorein-Western Blot), elektrophysiologische Untersuchungen (EEG, ENG, EMG) und genetische Tests beinhaltet.

Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration (PKAN)

Die Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration (PKAN) ist eine der häufigsten Formen von NBIA. Bei der klassischen Form der PKAN erkranken Kinder in der Regel vor dem 6. Lebensjahr. Symptome können u.a. eine Gangstörung mit Stürzen (Spastik, Dystonie) und Seheinschränkungen (Retinitis pigmentosa) sein. Bei einigen Patienten mit PKAN findet man auch Akanthozyten im Blutbild, sodass diese Erkrankung auch in der Vergangenheit zu den Neuroakanthozytose-Syndromen gezählt wurde.

Eisenstoffwechsel im Gehirn und seine Bedeutung bei NBIA

Eisen ist ein essentielles Spurenelement, das für zahlreiche zelluläre Prozesse im Körper und im Gehirn von Bedeutung ist. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Sauerstoffversorgung, der DNA-Synthese und dem Energiestoffwechsel. Ein komplexer Regulationsprozess sorgt normalerweise dafür, dass neurotoxische Effekte des Eisens verhindert werden. Bei NBIA-Erkrankungen ist dieser Prozess jedoch gestört, was zu einer übermäßigen Eisenablagerung und nachfolgenden Schädigung von Nervenzellen führt.

Eisen als potenziell schädliches Element

Eisen ist für den menschlichen Stoffwechsel unverzichtbar. Es ist beispielsweise in den roten Blutkörperchen vorhanden, in Enzymen sowie in bestimmten Proteinen, die als Eisenspeicher dienen. Allerdings ist Eisen auch potenziell schädlich, weil es die Entstehung aggressiver Moleküle auslösen kann.

Beteiligung von Eisen an neurodegenerativen Prozessen

Eisen spielt eine Rolle bei verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen und geht mit Einschränkungen der kognitiven und motorischen Fähigkeiten einher. Es ist an Prozessen beteiligt, die zum Untergang dopaminerger Neurone in der Substantia nigra führen, einem Hirnbereich, der bei Parkinson-Erkrankungen betroffen ist. Eisen kann auch die Bildung von β-Amyloid-Plaques und Neurofibrillen-Tangles fördern, die für die Alzheimer-Krankheit charakteristisch sind. Darüber hinaus kann ein erhöhter Eisengehalt in bestimmten Hirnregionen bei Patienten mit dem Alzheimer-Risikoallel ApoE4 festgestellt werden. Studien haben gezeigt, dass erhöhte Eisenwerte in bestimmten Hirnregionen, wie dem Gyrus frontalis inferior und dem Hippocampus, negativ mit kognitiven Leistungen assoziiert sind.

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Rolle von MikroRNA bei der Regulation von Eisenablagerungen

Forscher vom Leibniz-Institut für Alternsforschung (FLI) in Jena und der Scuola Normale Superiore (SNS) im italienischen Pisa konnten nachweisen, dass die MikroRNA miR-29 die Eisenablagerungen im Gehirn verhindert. Bei Fischen, bei denen miR-29 unterdrückt wurde, waren die Eiseneinlagerungen deutlich stärker und führten zu einer frühzeitigen Gehirnalterung. Im gesunden Fisch war hingegen umso mehr miR-29 in Nervenzellen nachweisbar, je älter das untersuchte Exemplar war. Dies deutet darauf hin, dass miR-29 als molekularer Schalter fungiert und die Eisenablagerung verhindern kann.

Therapieansätze bei NBIA

Es gibt zurzeit nur begrenzt wirksame Therapien, insbesondere zur Muskelentspannung, die eventuell zeitweise Linderung erzielen können, aber den Verlauf nicht stoppen. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen ist die wissenschaftliche Evidenz für therapeutische Ansätze gering. Leider stehen nach wie vor keine Therapien zur Verfügung, die den Krankheitsverlauf wesentlich modifizieren können oder gar zu einer Heilung führen. Allerdings gibt es eine Reihe an beschwerdelindernden medikamentösen und nicht-medikamentösen (z.B. Physio-, Ergotherapie, Logopädie, in Einzelfällen Tiefe Hirnstimulation) Therapieoptionen, die je nach Symptomen und Krankheitsstadium zum Einsatz kommen können.

Aktuelle Forschungsprojekte

Aktuelle Forschungsprojekte konzentrieren sich auf die translationale Identifikation von „Drug Targets“ bei Chorea Akanthozytose, Untersuchungen zu Biomarkern und zur Verbesserung der Diagnostik für Neuroakanthozytose-Syndrome, Untersuchungen zum natürlichen Krankheitsverlauf sowie zellbiologische Untersuchungen zum „Massentransfer“ von Lipiden an Membrankontaktstellen durch BLTPs/VPS13-Proteine, u.a. mittels neuronaler Zellkulturmodelle (aus induzierbaren pluripotenten Stammzellen) mit krankheitsauslösenden Mutationen in der VPS13-Genfamilie.

Eisenablagerungen bei anderen neurologischen Erkrankungen

Eisenablagerungen im Gehirn sind nicht nur bei NBIA, sondern auch bei anderen neurologischen Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer zu beobachten.

Eisen und Parkinson-Krankheit

Bei Parkinson-Patienten wurde ein erhöhter Eisengehalt in der Substantia nigra sowie in weiten Bereichen des Neocortex festgestellt. Die QSM (Quantitative Suszeptibilitätskartierung) zeigte Anomalien auch in Hirnbereichen, die in Zusammenhang mit Parkinson bisher wenig beachtet wurden. Der Nucleus dentatus, eine Region des Kleinhirns, weist normalerweise einen hohen Eisengehalt auf. Bei Parkinson-Patienten wurde jedoch ein verringerter Eisengehalt in diesem Areal festgestellt.

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Eisen und Alzheimer-Krankheit

Verstärkte Eisenablagerungen sind auch bei Patienten mit Alzheimer-Krankheit bekannt, und auch eine reduzierte Konzentration von miR-29 in diesen Fällen wurde schon nachgewiesen.

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