Neuroleptika und Demenzrisiko: Eine Neubewertung

Die Anwendung von Neuroleptika, auch bekannt als Antipsychotika, bei der Behandlung von Demenzerkrankungen ist ein komplexes und kontrovers diskutiertes Thema. Obwohl diese Medikamente zur Linderung von Erregungszuständen, aggressivem Verhalten und Sinnestäuschungen eingesetzt werden, mehren sich die Hinweise auf potenzielle Risiken, insbesondere für ältere und demenzkranke Menschen. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle von Neuroleptika im Kontext von Demenzerkrankungen, die damit verbundenen Risiken und die Notwendigkeit einer Neubewertung ihrer Anwendung.

Demenz und ihre Begleiterscheinungen

Der demografische Wandel führt zu einem Anstieg altersbedingter Erkrankungen, darunter die Demenz. In Deutschland leben derzeit über 1,2 Millionen Menschen mit Demenz, und diese Zahl wird sich bis 2060 voraussichtlich auf 2,5 Millionen mehr als verdoppeln. Demenzerkrankungen stellen eine große Herausforderung für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung dar, da sie einen erheblichen Aufwand an medizinischer und pflegerischer Betreuung verursachen.

Im Verlauf einer Demenzerkrankung treten häufig nicht-kognitive Verhaltenssymptome (BPSD) auf, wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Depressionen, Angstzustände, Unruhe, Apathie oder aggressives Verhalten. Diese Symptome können für die Betroffenen selbst, aber auch für ihre Angehörigen und Betreuer sehr belastend sein. In der Vergangenheit wurde der Fokus primär auf kognitive Symptome wie Gedächtnisverlust gelegt, jedoch rücken die BPSD zunehmend in den Vordergrund der Diskussion. Studien zeigen, dass bis zu 80 % der Patienten mit Alzheimer-Demenz im Laufe ihrer Erkrankung eine Form von BPSD entwickeln können, wobei die Prävalenz in Pflegeheimen sogar noch höher liegt.

Der Einsatz von Neuroleptika bei Demenz

Neuroleptika werden häufig als erste pharmakologische Maßnahme eingesetzt, um BPSD im Rahmen einer Demenz zu behandeln. Sie sollen Erregungszustände, aggressives Verhalten und Sinnestäuschungen bekämpfen. Allerdings ist die Wirksamkeit von Neuroleptika in dieser Indikation nicht sehr gut nachgewiesen und insgesamt erstaunlich gering. Die Indikation wird symptombezogen gestellt, wobei Risperidon insbesondere bei agitiertem Verhalten/Aggression wirksam ist, während Quetiapin und Olanzapin in dieser Hinsicht nicht wirksam sind. Zur Behandlung von Wahn und Halluzinationen werden Haloperidol und Risperidon bevorzugt, während Quetiapin und Olanzapin auch hier nicht wirksam sind. Apathie ist der Behandlung mit Neuroleptika nicht zugänglich.

In Deutschland ist lediglich Risperidon für die Behandlung von Demenz bei Alzheimerkrankheit in bestimmten Fällen zugelassen: bei schwerer chronischer Aggressivität, durch die die Patienten sich selbst und andere gefährden, und bei psychotischen Symptomen, durch die die Patienten erheblich beeinträchtigt werden.

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Risiken und Nebenwirkungen von Neuroleptika

Trotz ihres Einsatzes zur Behandlung von BPSD sind Neuroleptika mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen verbunden, insbesondere bei älteren und demenzkranken Menschen.

Erhöhtes Schlaganfallrisiko

Eine kürzlich im Britischen Ärzteblatt veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass die Einnahme von Antipsychotika die Wahrscheinlichkeit erhöht, einen Schlaganfall zu erleiden. Patienten, die Antipsychotika einnahmen, wiesen ein um das 1,7-fache erhöhtes Schlaganfallrisiko auf, wobei Demenzpatienten besonders gefährdet sind. Laut Studienergebnissen ist das Risiko mit modernen, sogenannten „atypischen“ Antipsychotika, die an sich besser verträglich sind, eher größer als mit den älteren „typischen“ Antipsychotika.

Erhöhte Mortalität

Eine Analyse von 17 placebokontrollierten Studien ergab, dass sich beim Einsatz von Neuroleptika bei Demenzpatienten das Mortalitätsrisiko um den Faktor 1,6 bis 1,7 erhöht. Die Haupttodesursachen waren dabei akute Herzerkrankungen und überwiegend pulmonale Infekte. Das Mortalitätsrisiko ist für Haloperidol am höchsten, gefolgt von Risperidon, Olanzapin und Quetiapin.

Weitere unerwünschte Ereignisse

Eine große Kohorten-Studie der Universität Manchester hat gezeigt, dass der Einsatz von Antipsychotika bei Demenzpatienten mit einem erhöhten Risiko für Pneumonien, Schlaganfälle, akute Nierenschäden, Knochenbrüche, Herzinsuffizienzen, venöse Thromboembolien und Herzinfarkte verbunden ist. Ein besonders erhöhtes Risiko für unerwünschte Ereignisse wurde vor allem zu Beginn der Behandlung mit Antipsychotika festgestellt.

Kognitive Verschlechterung

Der Einsatz von Neuroleptika kann möglicherweise zu einem rascheren Verfall der kognitiven Leistungsfähigkeit beitragen.

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Neubewertung der Anwendung von Neuroleptika

Angesichts der potenziellen Risiken und begrenzten Wirksamkeit von Neuroleptika bei der Behandlung von BPSD ist eine Neubewertung ihrer Anwendung bei Demenzerkrankungen dringend erforderlich.

Nicht-medikamentöse Maßnahmen

Leitlinien empfehlen, dass als erste Maßnahme nach möglichen auslösenden und begünstigenden Faktoren des auffälligen Verhaltens gesucht werden sollte. Die Ursachen können multifaktoriell bedingt sein, wie körperliche Probleme oder bestimmte Umgebungsbedingungen. Es steht eine Reihe von psychosozialen Interventionen zur Verfügung, wie Musik- oder Aromatherapie, Bewegungstherapien oder Ergotherapie.

Strenge Therapiekontrolle

Wenn Neuroleptika eingesetzt werden, ist eine strenge Therapiekontrolle erforderlich. Am Beginn jeder Behandlung steht die Definition des Zielsymptoms. Die Behandlungsdauer ist zeitlich zu begrenzen, da Neuroleptika bei Symptomen, bei denen sie wirksam sind, rasch helfen. Wird das definierte Zielsymptom nicht behoben, wird die Neuroleptika-Gabe nicht fortgesetzt. Die Kombination mehrerer Neuroleptika zur Behandlung von neuropsychiatrischen Störungen bei Demenz lässt sich nicht begründen.

Nutzen-Risiko-Abwägung

Bei der konkreten Auswahl eines Neuroleptikums stehen Wirksamkeit und Sicherheit in einem deutlichen Gegensatz. Quetiapin gilt als relativ sicher, ist aber in den wichtigen Indikationen nicht wirksam. Risperidon und Haloperidol sind wirksam, haben aber gefährliche Nebenwirkungen einschließlich einer erhöhten Mortalität. Letzten Endes ist dennoch Risperidon das Mittel der Wahl bei Verhaltensstörungen bei Demenz, gefolgt von Aripiprazol. Jeder potenzielle Nutzen einer antipsychotischen Behandlung muss gegen das Risiko schwerwiegender Schäden abgewogen werden, und die Behandlungspläne sollten regelmäßig überprüft werden.

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