Neuroleptika, auch bekannt als Antipsychotika oder Nervendämpfungsmittel, sind eine Klasse von Medikamenten, die primär zur Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Psychosen und bipolaren Störungen eingesetzt werden. Sie wirken, indem sie psychotische Symptome wie Halluzinationen und Wahnvorstellungen reduzieren und oft eine beruhigende, dämpfende Wirkung haben. Trotz ihrer Wirksamkeit bei der Behandlung psychischer Erkrankungen gibt es zunehmend Bedenken hinsichtlich ihrer langfristigen Auswirkungen auf das Gehirn, insbesondere im Hinblick auf die Hirnatrophie.
Anwendungsgebiete von Neuroleptika
Neuroleptika werden hauptsächlich bei schizophrenen Erkrankungen eingesetzt, sowohl zur Linderung akuter Symptome als auch zur langfristigen Rückfallprävention. Sie finden auch Anwendung bei Manien, die durch extrem gesteigerten Antrieb und Hochstimmung gekennzeichnet sind, sowie bei schizoaffektiven Erkrankungen, bei denen neben schizophrenen Symptomen auch manische und depressive Symptome auftreten. Darüber hinaus werden Neuroleptika bei organisch bedingten psychischen Störungen und Demenzen verordnet, bei denen es zu Verwirrtheitszuständen und starker Unruhe kommt. Bei Depressionen mit Wahnvorstellungen und Zwangsstörungen mit magischen Überzeugungen wird häufig ein Antidepressivum mit einem Neuroleptikum kombiniert.
In der Akutbehandlung schizophrener oder manischer Symptome werden oft ältere, sogenannte typische Neuroleptika eingesetzt, da sie relativ schnell wirken. Neuere, atypische Neuroleptika können jedoch auch für die Akutbehandlung verwendet werden. Nach dem Abklingen der akuten Symptomatik wird meist auf ein neueres, atypisches Neuroleptikum gewechselt.
Wirkmechanismus von Neuroleptika
Neuroleptika beeinflussen den Stoffwechsel des Botenstoffs Dopamin im Gehirn. Sie blockieren Dopamin-Rezeptoren, wodurch der Botenstoff an der postsynaptischen Nervenzelle keine Wirkung entfalten kann. Dieser Mechanismus ist entscheidend für die antipsychotische Wirkung der Medikamente. Die meisten Neuroleptika beeinflussen darüber hinaus zahlreiche weitere Neurotransmitter.
Arten von Neuroleptika
Neuroleptika werden grob in zwei Kategorien eingeteilt: typische (klassische) und atypische (moderne) Neuroleptika.
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Typische Neuroleptika
Typische Neuroleptika sind ältere Medikamente, die oft stärkere Nebenwirkungen haben. Sie werden in hochpotente, mittelpotente und niedrigpotente Neuroleptika unterteilt. Hochpotente Neuroleptika wirken stark antipsychotisch und wenig sedierend, während niedrigpotente Neuroleptika wenig antipsychotisch und stark sedierend wirken. Mittelpotente Neuroleptika haben eine mittelstarke antipsychotische und sedierende Wirkung.
Aufgrund ihrer hemmenden Wirkung auf Dopamin verursachen typische Neuroleptika häufig extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen (EPMS), wie Frühdyskinesien, Spätdyskinesien, Akathisie und Parkinsonoid. Frühdyskinesien treten kurz nach Behandlungsbeginn auf und äußern sich in unwillkürlichen Bewegungen und Muskelkrämpfen. Spätdyskinesien entwickeln sich erst nach längerer Behandlung und sind meist irreversibel. Akathisie ist eine quälende Bewegungsunruhe, während Parkinsonoid Symptome der Parkinson-Krankheit wie Muskelstarre, Zittern und verlangsamte Bewegungen umfasst.
Weitere häufige Nebenwirkungen typischer Neuroleptika sind Müdigkeit, verlangsamte Reaktionsfähigkeit, Gewichtszunahme und sexuelle Funktionsstörungen. Einige Präparate können Herz-, Leber- oder Nierenfunktionsstörungen verursachen, weshalb regelmäßige Blutbild- und Leberwertkontrollen wichtig sind. Wegen der ausgeprägten Nebenwirkungen werden typische Neuroleptika, insbesondere hochpotente, in der Regel nur kurzzeitig in den Akutphasen schwerer psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie oder Manie eingesetzt.
Atypische Neuroleptika
Atypische Neuroleptika sind neuer und zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine oder nur geringe extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen verursachen. Sie können auch bei der Negativsymptomatik der Schizophrenie eingesetzt werden, bei der Antriebsarmut und eine Verarmung von Sprache und Gefühlsleben im Vordergrund stehen. Atypische Neuroleptika werden auch bei bipolaren Erkrankungen und teilweise bei Depressionen zur Verhinderung erneuter Krankheitsphasen eingesetzt.
Ähnlich wie bei typischen Neuroleptika können die Nebenwirkungen je nach Präparat sehr unterschiedlich sein. Im Allgemeinen sind atypische Neuroleptika jedoch besser verträglich. Mögliche Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, Müdigkeit, sexuelle Funktionsstörungen, Herzprobleme und Veränderungen des Blutbilds. Auch bei atypischen Neuroleptika sollten daher regelmäßig Blutbild- und Leberwertkontrollen durchgeführt werden.
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Hirnatrophie durch Neuroleptika
Eine der größten Sorgen im Zusammenhang mit der langfristigen Anwendung von Neuroleptika ist die potenzielle Hirnatrophie, also eine Verminderung der Gehirnsubstanz. Studien haben gezeigt, dass die Einnahme von Neuroleptika zu einer Gehirnvolumenminderung führen kann. Eine amerikanische Arbeitsgruppe in Iowa hat gezeigt, dass der langjährige Gebrauch von Neuroleptika das Gehirn schrumpfen lassen kann. Je höher die Neuroleptika-Dosis, desto stärker zeigen sich Schrumpfungseffekte.
Die Iowa Longitudinal Study, eine der wichtigsten Langzeitbeobachtungen von Psychosekranken, alarmierte die psychiatrische Fachwelt im Jahr 2011 mit ihren Ergebnissen. Die Forscher untersuchten Gehirne von 211 Schizophrenie-Patienten über einen Zeitraum von 7 bis 14 Jahren mit der MRT-Technologie. Die Patienten hatten jeden Tag neuroleptische Medikamente erhalten, die einer Dosis von 4mg Haloperidol entsprachen. Den Patienten wurden sowohl alte Neuroleptika als auch neuere, sogenannte atypische Neuroleptika, verordnet. Der Gehirnschwund trat im frontalen, temporalen und parietalen Bereich der Großhirnrinde auf und umfasste die gesamte sogenannte „graue Substanz“. Rin Abbau der „weißen Substanz“ erfolgte meist zeitlich etwas später. Der Abbau hatte Folgen auf mehrere kognitive Prozesse. Einen zusätzlichen Einfluss auf die Abbauvorgänge hatte die zeitliche Länge der Rückfälle (jedoch nicht die Anzahl) bei den schizophrene Psychosen.
Eine tierexperimentelle Studie mit Makaken-Affen, denen über 17 bis 27 Monate Haloperidol, Olanzapin oder Placebo verabreicht wurde, zeigte, dass die Affen in den Neuroleptika-Gruppen ein signifikant geringeres Hirnvolumen aufwiesen als die Placebo-Gruppe. Eine aktuelle Metaanalyse von 30 longitudinalen MRT-Studien bestätigte diese Befunde und zeigte, dass Patienten, die mit Neuroleptika behandelt wurden, eine weitere Vergrößerung der Seitenventrikel sowie eine Abnahme des Volumens der grauen Substanz aufwiesen. Diese Veränderungen korrelierten signifikant mit der kumulativen Neuroleptikadosis.
Es gibt deutliche Hinweise, dass Neuroleptika einen eigenen volumenmindernden Effekt haben, vor allem im Bereich des Vorderhirns.
Interpretation der Ergebnisse
Die Interpretation der Studienergebnisse zur Hirnatrophie durch Neuroleptika ist komplex. Es ist wichtig zu beachten, dass schizophren Erkrankte im Mittel geringere Hirnvolumina aufweisen als Gesunde. Es ist unklar, welche Folgen die Gehirnatrophie hat und was dies für die Verschreibung von Neuroleptika bedeutet. Die Annahme „Je weniger Hirn, desto schlechter“ greift hier zu kurz.
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Möglicherweise ist die Hirnvolumenminderung zumindest teilweise reversibel und nicht Ausdruck eines unwiederbringlichen Substanzverlustes, sondern der Rückbildung dopaminerger Projektionsbahnen und Synapsen, solange neuroleptisch die Dopamin-Transmission geblockt ist. Das Gehirn ist fortwährenden Veränderungen seiner Plastizität je nach aktuellen Anforderungen und Beeinflussungen unterworfen. Die beobachtete Hirnvolumenminderung könnte somit den Wirkmechanismus der Neuroleptika darstellen: So gab es Hinweise darauf, dass eine Reduktion der Hirnmasse im Frontalhirn mit einer Reduktion von produktiv psychotischen Symptomen einherging.
Einheitliche Studienergebnisse, dass die Volumenminderung auch mit kognitiven Defiziten einhergeht, gibt es nicht. So existieren in einigen Studien Hinweise auf eine Korrelation zwischen dem Abbau von Hirnsubstanz und dem Verlust von kognitiven Fähigkeiten, jedoch zeigten sich andernorts auch kognitive Defizite, die nicht mit der Medikamenteneinnahme korrelierten und auch Fälle, in denen eine Hirnvolumenminderung keine kognitiven Defizite mit sich zu bringen schien.
Klinische Bedeutung und Empfehlungen
Trotz der Bedenken hinsichtlich der Hirnatrophie sind Neuroleptika ein zentraler Bestandteil der Behandlung akuter Psychosen. Sie können die Symptome einer Psychose lindern und Rückfällen vorbeugen. Eine Schizophrenie oder anderweitige Psychose ist eine schwere Erkrankung, unter der die Patienten schwer leiden, die eine akute Gefährdung für den Patienten und/oder Andere bedeuten und bei der jedes Krankheitsrezidiv gravierende psychosoziale Folgen haben kann (z. B. Verlust des Arbeitsplatzes, Zerbrechen einer Beziehung).
Die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung mit Neuroleptika sollte immer auf einer sorgfältigen Abwägung von Vor- und Nachteilen basieren. Neben der Gehirnatrophie sind dies vor allem extrapyramidalmotorische, kardiale und metabolische Nebenwirkungen. Diese Abwägung sollte gemeinsam mit dem Patienten und gegebenenfalls seinen Angehörigen im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung geschehen.
Empfehlungen für die Verschreibung von Neuroleptika:
- Indikation: Neuroleptika sollten nur bei eindeutiger Indikation und Überwiegen der Vorteile über die Nachteile verordnet werden.
- Dosierung: Es sollte möglichst eine Monotherapie eines Neuroleptikum in der geringsten wirksamen Dosis erfolgen. Die niedrigste mögliche Dosis ist dabei viel geringer, als im Praxisalltag berücksichtigt wird.
- Überwachung: Regelmäßige Blutbild- und Leberwertkontrollen sind wichtig, um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen.
- Nichtmedikamentöse Therapie: Nichtmedikamentöse Therapieoptionen (Psychotherapie, Soziotherapie) sollten gleichrangig verordnet und das Angebot an solchen Therapien ausgebaut werden.
- Patientenaufklärung: Ärzte sollten ihre Patienten über die Medikamente aufklären und sie in der kleinstnötigen Dosis verschreiben.
Es ist auch wichtig, das gesamte Arsenal anderer, psychosozialer und psychotherapeutischer Behandlungsmöglichkeiten miteinzubeziehen. Gut vierzig Prozent der erstmals an einer Psychose Erkrankten könnten auf Dauer ohne Antipsychotika behandelt werden, so das Fazit zahlreicher Studien.
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