Neurologisch-psychiatrisches Gutachten für den Führerschein: Voraussetzungen und Leitlinien

Die Teilnahme am Straßenverkehr setzt voraus, dass Fahrer sowohl körperlich als auch geistig geeignet sind. Bei Bedenken hinsichtlich dieser Eignung, insbesondere im Zusammenhang mit neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen, kann die Fahrerlaubnisbehörde ein Gutachten anordnen. Dieses Gutachten dient dazu, die Fahreignung des Betroffenen zu beurteilen und die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten.

Bedeutung der Fahreignung und rechtliche Grundlagen

Die Fahreignung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Einzelfall beurteilt wird. Sie umfasst die körperliche und geistige Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Rechtsgrundlagen hierfür finden sich im Straßenverkehrsgesetz (§ 2 StVG) und in der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV).

Die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO, § 31) besagt, dass der Fahrer eines Autos zum selbstständigen Fahren des Fahrzeugs in der Lage sein muss. Diese Eignung ist unabhängig davon, ob die Fahrerlaubnis gültig ist oder nicht. Auch Auto-Besitzer dürfen dies nicht anordnen oder zulassen, wenn ihnen bekannt ist, dass der Fahrer nicht eigenständig fahren kann.

Wer sich außerdem infolge körperlicher oder geistiger Mängel nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf laut der Fahrerlaubnisverordnung (FeV, § 2) nur dann am Verkehr teilnehmen, wenn dafür gesorgt ist, dass er andere nicht gefährdet. Der Fahrer ist also dazu verpflichtet, vor Antritt jeder Fahrt kritisch zu prüfen, ob er den Anforderungen des Straßenverkehrs gewachsen ist.

Die Mobilität ist für den Gesetzgeber ein wichtiges Gut, das also nicht ohne triftigen Grund eingeschränkt werden darf.

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Wann wird ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten angeordnet?

Die Fahrerlaubnisbehörde kann ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten anordnen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine psychische oder neurologische Störung vorliegen, die die Fahreignung beeinträchtigen könnte. Solche Anhaltspunkte können sein:

  • Auffälliges Verhalten im Straßenverkehr, das auf eine psychische Beeinträchtigung hindeutet
  • Aggressive oder verwirrte Auftritte bei Behörden oder im öffentlichen Raum
  • Informationen über psychiatrische Behandlungen oder Krankenhausaufenthalte aufgrund psychischer Erkrankungen
  • Konsum von Alkohol oder Drogen in Verbindung mit auffälligem Verhalten
  • Epilepsie

Es ist wichtig zu betonen, dass die Behörde für die Anordnung eines psychiatrischen Gutachtens stets konkrete Tatsachen benötigt. Bloße Vermutungen oder vage Hinweise reichen nicht aus. In manchen Fällen können auch Meldungen von Dritten, wie Ärzte oder Angehörige, die Behörde veranlassen, ein Gutachten anzuordnen.

Epilepsie und Fahrtauglichkeit

Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit neurologisch-psychiatrischen Gutachten ist die Beurteilung der Fahrtauglichkeit bei Epilepsie. Epileptische Anfälle können zu plötzlichen Bewusstseinsverlusten oder Beeinträchtigungen der Motorik führen, was eine erhebliche Gefahr im Straßenverkehr darstellt.

Die "Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung" vom Juni 2022 geben Empfehlungen für die Beurteilung der Fahrtauglichkeit von Menschen mit epileptischen Anfällen und Epilepsien. Diese Leitlinien haben in der Praxis einen nahezu verbindlichen Charakter.

Grundsätzlich gilt, dass wer an epileptischen Anfällen leidet, nicht in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden, solange ein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven besteht. Dies gilt auch für andere anfallsartig auftretende Störungen mit akuter Beeinträchtigung des Bewusstseins, der Motorik oder anderer handlungsrelevanter Funktionen, wie z.B. für Synkopen (Kreislaufkollaps) oder psychogene Anfälle.

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Es wird zwischen zwei Führerscheingruppen unterschieden:

  • Führerscheingruppe 1: Motorräder und PKW (Klassen A und B)
  • Führerscheingruppe 2: Lastkraftwagen und Fahrgastbeförderung (Klassen C und D)

Regelungen in der Führerscheingruppe 1

  • Erstmaliger Anfall: Nach einem unprovozierten, erstmaligen Anfall kann die Kraftfahreignung nach einer anfallsfrei gebliebenen Beobachtungszeit von 6 Monaten wieder bejaht werden, wenn die fachneurologische Abklärung (inkl. EEG und Bildgebung) keine Hinweise auf ein grundsätzlich erhöhtes Anfallsrisiko im Sinne einer beginnenden Epilepsie ergeben hat.
  • Provozierter Anfall: Sofern der Anfall an eine plausible anfallsauslösende Bedingung, wie z.B. ausgeprägter Schlafentzug oder akute Erkrankungen geknüpft war und wenn diese Bedingungen nicht mehr gegeben sind, kann die Kraftfahreignung nach einer anfallsfrei gebliebenen Beobachtungszeit von 3 Monaten wieder bejaht werden.
  • Epilepsien: Wird die Diagnose einer Epilepsie gestellt (d.h. nach wiederholten Anfällen) ist eine mindestens 1-jährige Anfallsfreiheit die Voraussetzung für das Erlangen der Kraftfahreignung.
  • Ausschliesslich an den Schlaf gebundene Anfälle: Eine Fahreignung ist gegeben, wenn ausschließlich an den Schlaf gebundene Anfälle auftreten. Hierfür ist eine mindestens 3-jährige Beobachtungszeit erforderlich.
  • Ausschliesslich einfach-fokale Anfälle: Die Fahreignung ist auch gegeben, wenn ausschließlich einfach-fokale Anfälle auftreten, die ohne Bewusstseinsstörung und nicht mit motorischer, sensorischer oder kognitiver Behinderung für das Führen eines Kraftfahrzeug einhergehen. Hierzu ist eine mindestens einjährige Beobachtungszeit notwendig.

Regelungen in der Führerscheingruppe 2

Für eine Fahrerlaubnis der Gruppe 2 bestehen strengere Bestimmungen als für Fahrerlaubnis der Führerscheingruppe 1. Dies wird mit dem höheren Risiko anfallsbedingter Unfälle sowie der möglichen grösseren Unfallschwere begründet.

  • Erstmaliger Anfall: Nach einem unprovozierten erstmaligen Anfall kann die Fahreignung nach einer anfallsfrei gebliebenen Beobachtungszeit von 2 Jahren wieder bejaht werden, wenn die fachneurologische Abklärung (inkl. EEG und Bildgebung) keine Hinweise auf ein grundsätzlich erhöhtes Anfallsrisiko im Sinne einer beginnenden Epilepsie ergeben hat.
  • Provozierter Anfall: Sofern der Anfall an eine plausible Anfalls-auslösende Bedingung geknüpft war und wenn diese Bedingungen nicht mehr gegeben sind, kann die Kraftfahreignung nach einer anfallsfrei gebliebenen Beobachtungszeit von 6 Monaten wieder bejaht werden.
  • Epilepsien: Wird die Diagnose einer Epilepsie gestellt (d.h. nach wiederholten Anfällen oder Hinweisen auf eine erhöhtes Wiederholungsrisiko nach einem 1. Anfall) bleibt die Kraftfahrereignung dauerhaft ausgeschlossen. Als Ausnahme gilt eine 5-jährige Anfallsfreiheit ohne antiepileptische Behandlung.

Ablauf eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens

Der Ablauf eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens ist abhängig von der jeweiligen Fragestellung bezüglich der Fahreignung. In der Regel umfasst das Gutachten folgende Elemente:

  1. Akteneinsicht: Der Gutachter sichtet die relevanten Akten, um sich einen Überblick über die Vorgeschichte des Betroffenen zu verschaffen.
  2. Exploration: Der Gutachter führt ein ausführliches Gespräch mit dem Betroffenen, um dessen Krankheitsgeschichte, aktuelle Beschwerden und Lebensumstände zu erfassen.
  3. Körperliche und neurologische Untersuchung: Der Gutachter führt eine körperliche und neurologische Untersuchung durch, um mögliche körperliche Ursachen für die Beeinträchtigung der Fahreignung auszuschließen oder festzustellen.
  4. Psychiatrische Untersuchung: Der Gutachter führt eine psychiatrische Untersuchung durch, um psychische Erkrankungen oder Beeinträchtigungen festzustellen.
  5. Psychologische Tests: Je nach Fragestellung können psychologische Tests durchgeführt werden, um z.B. die Aufmerksamkeit, Konzentration, Reaktionsfähigkeit und Intelligenz des Betroffenen zu überprüfen.
  6. Laboruntersuchungen: Bei Verdacht auf Alkohol- oder Drogenmissbrauch können Laboruntersuchungen durchgeführt werden.
  7. Erstellung des Gutachtens: Der Gutachter fasst die Ergebnisse der Untersuchungen in einem Gutachten zusammen und beurteilt die Fahreignung des Betroffenen.

Wer darf ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten durchführen?

Die Fahrerlaubnisbehörde bestimmt in der Anordnung, wer das Gutachten erstellen soll. In der Regel sind dies:

  • Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation
  • Ärzte des Gesundheitsamtes oder andere Ärzte der öffentlichen Verwaltung
  • Ärzte mit der Gebietsbezeichnung "Arbeitsmedizin" oder der Zusatzbezeichnung "Betriebsmedizin"
  • Ärzte mit der Gebietsbezeichnung "Facharzt für Rechtsmedizin"
  • Ärzte in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung (BfF), die die Anforderungen nach Anlage 14 FeV erfüllen

Wichtig ist, dass der untersuchende Facharzt nicht der behandelnde Arzt des Betroffenen sein darf.

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Kosten eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens

Die Kosten für ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten sind vom Betroffenen zu tragen. Die Höhe der Kosten hängt von der Komplexität des Falles und dem Umfang der erforderlichen Untersuchungen ab. Es empfiehlt sich, im Vorfeld bei der entsprechenden Stelle die Gebühren zu erfragen.

Verweigerung der Gutachtenerstellung

Die Verweigerung der Teilnahme an einem angeordneten Gutachten kann schwerwiegende Folgen haben. Die Fahrerlaubnisbehörde ist in solchen Fällen berechtigt, aus der Weigerung oder Versäumnis des Betroffenen, das geforderte Gutachten vorzulegen, negative Rückschlüsse auf dessen Fahreignung zu ziehen. Die gravierendste und häufigste Konsequenz ist der Entzug der Fahrerlaubnis.

Rechte und Pflichten des Betroffenen

Im Verfahren zur Anordnung eines psychiatrischen Gutachtens haben Betroffene sowohl Rechte als auch Pflichten.

Rechte:

  • Recht auf Anhörung
  • Recht auf freie Wahl des Gutachters innerhalb der von der Behörde vorgegebenen Frist
  • Recht, die Anordnung des Gutachtens rechtlich überprüfen zu lassen

Pflichten:

  • Pflicht, innerhalb der gesetzten Frist einen Gutachter auszuwählen und das Gutachten erstellen zu lassen
  • Pflicht, an der Erstellung des Gutachtens mitzuwirken
  • Pflicht zur Kostentragung für das Gutachten
  • Pflicht zur Einhaltung von Fristen

Alternativen zum neurologisch-psychiatrischen Gutachten

In bestimmten Fällen gibt es Alternativen zum neurologisch-psychiatrischen Gutachten. Diese sind jedoch von der Zustimmung der Fahrerlaubnisbehörde abhängig. Mögliche Alternativen sind:

  • Vorlage eines Gutachtens eines anderen Facharztes
  • Durchführung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU)
  • Vorlage eines ärztlichen Attests in Verbindung mit Laborbefunden
  • Freiwillige Teilnahme an einer Therapie oder einem Präventionsprogramm
  • Vorlage von Zeugenaussagen oder Charakterreferenzen

Es empfiehlt sich, frühzeitig mit der Fahrerlaubnisbehörde in Kontakt zu treten und die Möglichkeit alternativer Nachweise zu besprechen.

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