Polyneuropathie ist eine häufige Nebenwirkung der Chemotherapie, die Nervenschäden verursacht. Frühzeitige Erkennung und Behandlung sind entscheidend, um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Einführung
Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathie (CIPN) ist eine Nervenschädigung, die als Folge einer Chemotherapie auftreten kann. Diese Schädigung betrifft häufig die peripheren Nerven, die für die Übertragung von Sinneseindrücken und motorischen Signalen zuständig sind. Die Symptome können von Kribbeln und Taubheit bis hin zu Schmerzen und Muskelschwäche reichen und erhebliche Auswirkungen auf den Alltag der Betroffenen haben.
Ursachen der Polyneuropathie
Schädigung durch Chemotherapie-Medikamente
Manche Medikamente, die in der Chemotherapie verwendet werden, können Nerven schädigen, insbesondere die Axone. Diese Medikamente beeinträchtigen bestimmte Strukturen in den Axonen, wie die Mikrotubuli, die für die Stabilität der Zelle wichtig sind. Es gibt Medikamente, die gezielt gegen Mikrotubuli in Tumorzellen wirken, wie Taxane (Paclitaxel, Docetaxel) und Platin-Medikamente (Oxaliplatin).
- Taxane: Diese Medikamente verklumpen die Mikrotubuli und stören dadurch die Zellteilung.
- Platin-Medikamente: Oxaliplatin, das häufig zur Behandlung von Darmkrebs eingesetzt wird, kann ebenfalls Neuropathie verursachen.
Schädigung der Myelinscheiden
Eine weitere Form der Schädigung betrifft die Myelinscheiden, die schützenden Hüllen der Axone. Entzündliche Prozesse, die durch Immuntherapien ausgelöst werden können, beeinträchtigen die Myelinscheiden und führen zu Nervenschäden.
Weitere Ursachen
Neben der Chemotherapie können auch andere Faktoren eine Polyneuropathie verursachen oder verschlimmern:
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- Diabetes mellitus: In Mitteleuropa ist Diabetes die häufigste Ursache für Polyneuropathie.
- Hoher Alkoholkonsum: Übermäßiger Alkoholkonsum kann ebenfalls zu Nervenschäden führen.
- Andere Medikamente: Bestimmte Medikamente können Polyneuropathie verursachen.
- Entzündliche Ursachen: Entzündliche Erkrankungen können ebenfalls eine Rolle spielen.
Individuelle Unterschiede
Es gibt große individuelle Unterschiede in der Anfälligkeit für Polyneuropathie. Genetische Faktoren und die Art der verwendeten Medikamente spielen eine wichtige Rolle. Zum Beispiel kann Oxaliplatin eine akute Toxizität verursachen, die während oder unmittelbar nach der Chemotherapie auftritt, sich aber zwischen den Zyklen wieder zurückbildet.
Symptome der Polyneuropathie
Sensible Symptome
Sensible Symptome umfassen Veränderungen oder Einschränkungen der:
- Berührungs- und Druckempfindlichkeit
- Temperaturempfindlichkeit (Warm- und Kaltempfinden)
- Schmerzempfindlichkeit
- Tiefenwahrnehmung und Lagesinn
Diese Symptome treten typischerweise zuerst in den Fingerspitzen und Fußzehen auf und können sich dann zur Körpermitte hin ausbreiten.
Motorische Symptome
Gleichzeitig können motorische Symptome auftreten, wie:
- Ungeschicklichkeit
- Gangunsicherheit
- Muskelschwäche
Diese Symptome können zu Stürzen und einer daraus resultierenden Angst führen, was die Betroffenen dazu veranlassen kann, sich zurückzuziehen und weniger aktiv zu sein.
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Weitere Anzeichen
Patienten beschreiben ihre Polyneuropathie oft mit folgenden Begriffen:
- Bamstigkeit
- Pelzigkeit
- Ameisenlaufen
Diese Gefühlsstörungen können alltägliche Verrichtungen wie Ankleiden, Kochen oder Schreiben erschweren.
Auswirkungen auf das Kreislaufsystem
Auch das Kreislaufsystem kann betroffen sein. Durchblutungsstörungen des Herzens, sogenannte kardiale Ischämien, werden möglicherweise nicht mehr wahrgenommen, da derSchmerz fehlt.
Weitere betroffene Strukturen
Weitere Strukturen, die betroffen sein können, sind:
- Knochen
- Bindegewebe
- Haut
Diagnose der Polyneuropathie
Anamnese und neurologische Untersuchung
Die Diagnose beginnt mit einer ausführlichen Anamnese, in der die Patientin oder der Patient die Symptome und Einschränkungen schildert. Anschließend erfolgt eine neurologische Untersuchung, die folgende Aspekte umfasst:
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- Muskeleigenreflexe: Überprüfung der Reflexe mit einem Reflexhammer. Eine Abschwächung oder das Fehlen von Reflexen, insbesondere des Achillessehnenreflexes, kann auf eine Polyneuropathie hinweisen.
- Hirnnervensituation: Untersuchung der Funktion der Hirnnerven.
- Sensibilität: Prüfung der Berührungs-, Druck-, Temperatur- und Schmerzwahrnehmung.
- Tiefensensibilität: Überprüfung der Fähigkeit, verschiedene Reize (spitz/stumpf) zu unterscheiden, Zahlen oder Buchstaben auf der Haut zu erkennen und Gelenkstellungen ohne hinzusehen wahrzunehmen.
- Gleichgewichtssinn: Überprüfung der Gangsicherheit und Durchführung von Gleichgewichtstests wie dem Tinetti-Test.
- Hör- und Sehvermögen: Abklärung von Hör- oder Sehveränderungen durch Befragung und Untersuchung.
Apparative Diagnostik
Ergänzend zur klinischen Untersuchung können apparative Verfahren eingesetzt werden:
- Elektroneurographie (ENG): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um Störungen der Nervenfunktion objektiv darzustellen.
- Elektromyogramm (EMG): Messung der Muskelaktivität, um zu differenzieren, ob die Störung primär im Muskel oder durch die versorgenden Nerven bedingt ist.
- Pedobarografie: Druckmessung unter den Füßen während des Gehens, um falsche Druckwerte und Druckspitzen zu identifizieren.
Weitere Untersuchungen
- Laborwerte: Untersuchung des Blutes auf Diabetes mellitus, Leberwerte und andere mögliche Ursachen für Polyneuropathie.
- Liquoruntersuchung: In seltenen Fällen kann eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) erforderlich sein, um entzündliche Ursachen auszuschließen.
Behandlung der Polyneuropathie
Vorbeugende Maßnahmen
- Frühe Erkennung: Regelmäßige Gespräche mit dem Onkologen vor jedem Chemotherapie-Zyklus, um Hinweise auf eine Polyneuropathie zu erkennen.
- Kryotherapie: Anwendung von Kälte (z.B. Kältehandschuhe) während der Chemotherapie, um die Durchblutung in den Händen zu vermindern und die Nerven vor Schädigung zu schützen.
Medikamentöse Therapie
- Schmerzmittel: Bei neuropathischen Schmerzen können spezielle Schmerzmittel eingesetzt werden, wie Duloxetin, Venlafaxin oder Amitriptylin. Auch Antikonvulsiva (Gabapentin, Pregabalin) und Opioide können in Betracht gezogen werden.
- Pflaster und Cremes: Lokal wirkende Substanzen in Pflastern oder Salben (z.B. Capsaicin, Lidocain) können ergänzend zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
Nicht-medikamentöse Therapie
- Bewegungstherapie: Sensomotorisches Training oder Vibrationstraining zur Verbesserung von Gleichgewicht und Koordination.
- Physiotherapie: Gezielte Übungen zur Verbesserung der Gangsicherheit und des Gleichgewichts.
- Ergotherapie: Hilfsmittel und Übungen zur Förderung der manuellen Geschicklichkeit und Beweglichkeit.
- Elektrotherapie: Elektrische Stimulation der Nerven zur Verbesserung der Nervenfunktion.
- Akupunktur: Kann als experimentelles Behandlungsverfahren in Betracht gezogen werden.
Weitere Maßnahmen
- Anpassung der Krebstherapie: In einigen Fällen kann eine Dosisreduktion oder ein Wechsel des Chemotherapeutikums erforderlich sein, um die Nervenschädigung zu begrenzen.
- Behandlung von Begleiterkrankungen: Eine gute Einstellung von Diabetes mellitus und der Verzicht auf übermäßigen Alkoholkonsum können die Polyneuropathie verbessern.
- Schutzmaßnahmen: Vermeidung von Kälte, um die Symptome nicht zu verschlimmern. Achten auf Verletzungen an Händen und Füßen aufgrund der verminderten Schmerzempfindlichkeit.
Was Patienten selbst tun können
- In Bewegung bleiben: Regelmäßiges Training zur Verbesserung der Einschränkungen im Alltag.
- Auf Hitze achten: Temperaturen mit einem Thermometer messen, um Verbrennungen zu vermeiden.
- Verletzungen vermeiden: Regelmäßige Kontrolle von Händen und Füßen auf kleine Wunden.
- SENSI-Bäder: Stimulation der Nerven durch verschiedene Reize in Schüsseln mit Linsen, Tannenzapfen, Watte etc.
- Sportübungen: Qi Gong, Tai Chi, Yoga, Laufen oder Nordic Walking zur Verbesserung des Gangbildes und des Gleichgewichts.
- Ergotherapie zu Hause: Schalen mit verschiedenen Inhalten wie Trockenfrüchte, Reis, Nudeln, Sand, Murmeln etc. mit Händen und Füßen durchmischen.
- Warme Hand- und Fußbäder: Mit Basensalz zur Entspannung und Linderung.
- Zucker-Öl-Peeling: Ein bis zwei Mal pro Woche zur Anregung der Durchblutung.
- Einreibung: Mit schmerzlindernden Ölen bei Bedarf.
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