Neuropathische Schmerzen stellen eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität dar und erfordern einen multimodalen Therapieansatz. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Therapieoptionen bei neuropathischen Schmerzen, insbesondere im Kontext der Polyneuropathie.
Einführung
Neuropathische Schmerzen entstehen als direkte Folge einer Schädigung oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems. Die Ursachen können vielfältig sein, darunter mechanische, traumatische, metabolische, entzündliche, toxische oder medikamentöse Faktoren. Die Prävalenz neuropathischer Schmerzen in der Bevölkerung liegt bei etwa 6,9-10 %. Bei Menschen mit Diabetes mellitus kann eine schmerzhafte diabetische Polyneuropathie auftreten, von der bis zu 34 % betroffen sind.
Diagnostik
Die Diagnose neuropathischer Schmerzen basiert auf der Erfassung subjektiv wahrgenommener Symptome wie Schmerz, Hypästhesie oder Anästhesie, Allodynie und Hyperalgesie. Die Patienten beschreiben den Schmerz oft als brennend, stechend, einschießend, kribbelnd oder elektrisierend. Standardisierte diagnostische Verfahren oder Biomarker existieren nicht. Fragebögen wie DN4, I-DN4, LANSS und PainDETECT können zur Quantifizierung und Standardisierung der Symptome eingesetzt werden. Bildgebende Verfahren wie Neurosonografie und MR-Neurografie können ergänzend zur klinischen Untersuchung und Elektrophysiologie eingesetzt werden, um Nervenläsionen darzustellen oder auszuschließen.
Therapieansätze bei Polyneuropathie
Die Therapie der Polyneuropathie umfasst sowohl kausale als auch symptomatische Ansätze. Im Vordergrund steht die konsequente Behandlung der Grunderkrankung, wie beispielsweise die optimale Einstellung des Blutzuckers bei Diabetes mellitus. Eine effektive Blutzuckereinstellung wird durch diätetische Maßnahmen, körperliche Aktivität und optimierte Medikamenten- bzw. Insulingabe erreicht.
Kausale Therapie
Die kausale Therapie zielt darauf ab, die Ursache der Polyneuropathie zu beseitigen oder zu behandeln, um ein Fortschreiten der Nervenschädigung zu verhindern. Dies kann beispielsweise die Gabe von Antibiotika bei bakteriellen Polyneuropathien oder die Vermeidung bzw. Reduktion von auslösenden Medikamenten umfassen.
Lesen Sie auch: Massagegeräte zur Neuropathie-Behandlung
Symptomatische Therapie
Die symptomatische Therapie konzentriert sich auf die Linderung der Beschwerden, die im Rahmen der Polyneuropathie auftreten. Hierzu gehören medikamentöse, physikalische und interventionelle Verfahren.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie neuropathischer Schmerzen zielt auf die zugrunde liegenden Pathomechanismen ab. Da eine komplette Schmerzfreiheit in der Regel nicht erreicht werden kann, ist es wichtig, realistische Therapieziele zu definieren, wie z.B. eine Schmerzreduktion von ≥ 30 % und die Verbesserung schmerzassoziierter Funktionen. Die oralen Medikamente sollten langsam aufdosiert und je nach Nebenwirkungen individuell titriert werden.
Mittel der ersten Wahl:
- Antikonvulsiva: Gabapentin und Pregabalin sind gemäß der aktuellen S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Mittel der ersten Wahl zur Therapie neuropathischer Schmerzen. Sie dämpfen die Erregbarkeit von Nervenzellen und können Schwindel, Schläfrigkeit und Konzentrationsstörungen verursachen.
- Trizyklische Antidepressiva (TCA): Amitriptylin ist ein TCA, das ebenfalls als Mittel der ersten Wahl gilt. Es unterdrückt die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Rückenmark und kann bei begleitenden Schlafstörungen von Vorteil sein. Mögliche Nebenwirkungen sind Blutdruckabfall, Herzrhythmusstörungen und Probleme beim Wasserlassen.
- Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI): Duloxetin ist in Deutschland für die Behandlung der schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie zugelassen. Es verstärkt die endogene deszendierende Schmerzhemmung. Häufige Nebenwirkungen sind Übelkeit und Erbrechen.
Weitere Optionen:
- Carbamazepin, Oxcarbazepin, Lamotrigin und Topiramat: Diese Medikamente blockieren Natriumkanäle peripherer Nozizeptorafferenzen. Aufgrund der geringen Evidenz und häufiger Nebenwirkungen werden sie laut Leitlinie nicht zur Behandlung von schmerzhaften Polyneuropathien empfohlen.
- Lacosamid: Wirkt ebenfalls über die Blockade von Natriumkanälen. Der generelle Einsatz wird aufgrund unzureichender Datenlage nicht empfohlen.
- Topische Therapie: Capsaicin- und Lidocainpflaster können bei lokalisierten neuropathischen Schmerzen eingesetzt werden. Capsaicinpflaster setzen Capsaicin frei, das selektiv an TRPV1-Rezeptoren auf nozizeptiven Endigungen bindet. Lidocainpflaster wirken als Lokalanästhetika über die Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle.
- Botulinumtoxin (BTX): Intrakutane Injektionen von BTX können die Freisetzung proinflammatorischer Substanzen vermindern und die periphere und zentrale Sensibilisierung verhindern.
- Opioide: Opioide wirken als Agonisten an µ-Opioidrezeptoren im zentralen Nervensystem. Sie sollten aufgrund des Suchtpotenzials und möglicher Nebenwirkungen nur als Ultima Ratio eingesetzt werden.
Physikalische Therapie
Die physikalische Therapie spielt eine wichtige Rolle bei der Schmerzbekämpfung und der Verbesserung sensibler und motorischer Störungen. Verschiedene Anwendungen sollen die Durchblutung verbessern, die geschwächten Muskeln stärken und die Mobilität möglichst lange aufrechterhalten. Zum Einsatz kommen beispielsweise:
- Manuelle Therapie: Zur Lösung von Muskelverspannungen und Gelenkblockaden.
- Krankengymnastik: Zur Kräftigung der Muskulatur, Verbesserung der Koordination und des Gleichgewichts.
- Ergotherapie: Zur Verbesserung der Feinmotorik und der Alltagsfähigkeiten.
- Elektrotherapie: Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) kann zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
- Thermische Anwendungen: Wärme- oder Kälteanwendungen können zur Muskelentspannung und Schmerzlinderung beitragen.
Interventionelle Verfahren
Invasive Verfahren wie Nervenblockaden, epidurale Injektionen oder die Implantation von Nervenstimulatoren können bei therapierefraktären Schmerzen in Betracht gezogen werden.
Alternative und ergänzende Therapien
Einige Patienten berichten über positive Erfahrungen mit alternativen und ergänzenden Therapien wie Akupunktur, Homöopathie oder pflanzlichen Präparaten. Die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit dieser Verfahren ist jedoch begrenzt.
Lesen Sie auch: Small Fiber Neuropathie verstehen: Ursachen, Symptome, Therapie
Weitere unterstützende Maßnahmen
Neben den spezifischen Therapien gibt es eine Reihe von unterstützenden Maßnahmen, die zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen können:
- Fußpflege: Regelmäßige Fußpflege ist besonders wichtig, um Verletzungen und Infektionen vorzubeugen. Patienten sollten ihre Füße täglich auf Blasen, Rötungen und Schwielen untersuchen und gut passende Schuhe tragen.
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung kann zur Verbesserung des Stoffwechsels und zur Unterstützung der Nervenfunktion beitragen.
- Psychologische Unterstützung: Chronische Schmerzen können zu psychischen Belastungen führen. Eine psychologische Beratung oder Therapie kann helfen, mit den Schmerzen umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann eine wertvolle Unterstützung sein.
Operative Behandlungen
Die operative Behandlung neuropathischer Schmerzen zielt auf die Dekompression neuronaler Strukturen, die Entfernung von Tumoren oder die Beseitigung von Gefäß-Nerven-Konflikten ab. Ablative Verfahren dienen der Destruktion neuraler Strukturen zur Schmerztherapie. Neuromodulatorische Verfahren wie die elektrische Stimulation des Rückenmarks oder peripherer Nerven können die Schmerzweiterleitung und -verarbeitung beeinflussen.
Rehabilitation
Die Rehabilitation spielt eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Polyneuropathie. Sie umfasst Einzel- und Gruppentherapien in der Ergotherapie und Physiotherapie, um die Sensibilität der Füße zu trainieren, die Feinmotorik zu üben, die Koordination von Händen und Füßen zu verbessern und den Gang zu trainieren.
Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie
Die Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie kann verschiedene Beschwerden im Alltag verursachen. Neben medikamentösen und physikalischen Maßnahmen kann auch Rehabilitation die Lebensqualität verbessern. Es ist wichtig, die Chemotherapie gegebenenfalls zu pausieren oder die Dosis zu reduzieren, wenn die Nebenwirkungen zu stark sind.
Diabetische Polyneuropathie
Die diabetische Polyneuropathie ist eine der wichtigsten Folgeerkrankungen des Diabetes. Neben der optimalen Stoffwechseleinstellung kann die Alpha-Liponsäure evidenzbasiert im klinischen Alltag eingesetzt werden. Bei neuropathischen Schmerzen stehen Antidepressiva, Antiepileptika, Opioide und physikalische Maßnahmen im Vordergrund.
Lesen Sie auch: Ursachen und Behandlung von Polyneuropathie in den Füßen
tags: #Neuropathie #Schmerzen #Therapie #Optionen