Eine periphere Lähmung, auch schlaffe Lähmung oder denervierte Lähmung genannt, unterscheidet sich grundlegend von der spastischen Lähmung. Sie entsteht durch eine Schädigung des Motornervs zwischen Rückenmark und Muskulatur, wodurch die Impulsübertragung unterbrochen wird. Dies führt zu einer Atrophie der Muskulatur, da die fehlende Reizübertragung die Nutzung der Muskeln verhindert. Mit der Zeit kommt es zu einem massiven Rückgang der Muskelmasse, die teilweise durch Fett und Bindegewebe ersetzt wird. Ein Rollstuhl kann Betroffenen einen Teil der Mobilität wiederherstellen.
Ursachen einer peripheren Lähmung
Die Ursachen für eine schlaffe Lähmung sind vielfältig und lassen sich in toxisch-entzündliche und mechanisch-traumatische Ursachen unterteilen.
- Entzündungen: Entzündungen im Bereich der Nerven oder des Rückenmarks können die Reizübertragung vom Rückenmark zum Muskel stören. Zu den häufigsten Ursachen zählen hierbei Borreliose und Gürtelrose (Zoster), aber auch andere Infektionskrankheiten wie Herpes simplex, HIV, Zytomegalievirus (CMV) oder Mumps können eine Rolle spielen.
- Toxische Schäden: Vergiftungen durch Medikamente oder Giftstoffe können ebenfalls zu einer Schädigung der Nerven führen.
- Autoimmunerkrankungen: Auch Autoimmunerkrankungen können eine periphere Lähmung verursachen.
- Mechanische Ursachen: Gequetschte oder beschädigte Nerven, beispielsweise durch Tumore, Unfälle oder operative Eingriffe, können die Nervenfunktion beeinträchtigen. Ein Bruch des Felsenbeins, z. B. bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma, kann ebenfalls eine Ursache sein.
- Weitere Ursachen: Seltene Ursachen sind Ohrfehlbildungen, Schwangerschaft, Diabetes mellitus und Tumore.
Risikofaktoren für eine idiopathische Fazialisparese sind Schwangerschaft, Migräne, Diabetes mellitus, Bluthochdruck und vorangegangene virale Infektionen. Letztlich kann auch extremer Stress eine Gesichtslähmung begünstigen.
Formen der peripheren Lähmung
Je nach Ausmaß der Lähmung und betroffener Körperregion werden verschiedene Formen unterschieden:
- Monoparese: Inkomplette Lähmung einer Extremität, z.B. des Arms.
- Paraparese: Inkomplette Lähmung beider Beine, Arme sind nicht betroffen.
- Hemiparese: Inkomplette Lähmung von Arm und Bein einer Körperseite.
- Tetraparese: Inkomplette Lähmung aller vier Gliedmaßen (Arme und Beine) sowie gestörte Rumpf- und Kopfkontrolle.
- Plexusparese: Schädigung mehrerer Nerven im Bereich des Nervengeflechts. Hierbei unterscheidet man Armplexusparese (Plexus brachialis) und Beinplexusparese (Plexus lumbalis).
Symptome einer peripheren Lähmung
Die Symptome einer peripheren Lähmung hängen von der Lokalisation und dem Ausmaß der Nervenschädigung ab. Typische Anzeichen sind:
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- Muskelschwäche: Minderung der Muskelkraft bis hin zur vollständigen Lähmung.
- Muskelatrophie: Abbau von Muskelmasse durch die fehlende Reizung.
- Reflexverlust: Abgeschwächte oder fehlende Reflexe in den betroffenen Muskeln.
- Sensibilitätsstörungen: Taubheitsgefühle, Kribbeln oder Schmerzen in den betroffenen Arealen.
- Faszikulationen: Unwillkürliche Muskelzuckungen.
Fazialisparese als Sonderform
Eine besondere Form der peripheren Lähmung ist die Fazialisparese, auch Gesichtslähmung genannt. Hierbei kommt es zu einer teilweisen oder vollständigen Lähmung der Gesichtsmuskulatur infolge einer Schädigung des Gesichtsnervs (Nervus facialis).
Symptome der Fazialisparese:
- Herabhängender Mundwinkel
- Schwierigkeiten beim Schließen der Augen
- Abgeschwächtes Stirnrunzeln
- Eingeschränktes Lächeln
- Beeinträchtigung der Fähigkeit zu sprechen, essen und trinken
- Missempfindungen im Gesicht
- Schmerzen im und um das Ohr herum
- Geschmacksstörungen
- Erhöhte Geräuschempfindlichkeit (Hyperakusis)
- Trockenheit von Mund und Augen
Ursachen der Fazialisparese:
Die Ursachen der Fazialisparese können vielfältig sein:
- Idiopathisch: In den meisten Fällen (60-75%) ist die Ursache unbekannt.
- Entzündlich: Borreliose und Gürtelrose (Zoster) sind die häufigsten entzündlichen Ursachen. Seltenere Ursachen sind Herpes simplex, HIV, Zytomegalievirus (CMV) oder Mumps.
- Unfallbedingt: Bruch des Felsenbeins, z. B. bei schwerem Schädel-Hirn-Trauma.
- Medikamente: Einnahme bestimmter Medikamente, z. B. Ciclosporin A.
- Weitere Ursachen: Schwangerschaft, Diabetes mellitus, Tumore und andere seltene Ursachen.
Zentrale vs. Periphere Fazialisparese:
Es ist wichtig, zwischen der peripheren und der zentralen Fazialisparese zu unterscheiden. Bei der zentralen Fazialisparese liegt die Schädigung im Gehirn, während bei der peripheren Fazialisparese der Gesichtsnerv außerhalb des Gehirns geschädigt ist. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass bei der zentralen Fazialisparese die Stirnmuskulatur und der Lidschluss meist nicht beeinträchtigt sind.
Diagnose einer peripheren Lähmung
Die Diagnose einer peripheren Lähmung umfasst verschiedene Schritte:
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Beschwerden.
- Körperliche Untersuchung: Überprüfung der Muskelkraft, Reflexe und Sensibilität. Bei Verdacht auf einen Schlaganfall wird zusätzlich die Funktion von Armen und Beinen überprüft und ein Sprachtest durchgeführt. Bei der Fazialisparese wird die Funktionalität der Gesichtsmuskulatur geprüft, indem der Patient gebeten wird, die Stirn zu runzeln, die Augen fest zu schließen oder breit zu grinsen und die Zähne zu zeigen. Auch das Ohr wird in der Regel mituntersucht.
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung der Hirnnervenfunktion und Koordination.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Elektromyographie (EMG) und Elektroneurographie (ENG/NLG) zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und Muskelaktivität. Diese Untersuchungen können helfen, die Lokalisation und das Ausmaß der Nervenschädigung zu bestimmen. Bei der Fazialisparese kann eine Fazialisneurografie durchgeführt werden.
- Bildgebende Verfahren: Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) zur Darstellung von Gehirn, Rückenmark und Nerven. Diese Untersuchungen können helfen, Tumore, Entzündungen oder andere strukturelle Ursachen der Lähmung zu identifizieren. Bei Verdacht auf einen Schlaganfall ist eine notfallmäßige Einweisung in die Klinik notwendig, um diesen schnell zu behandeln.
- Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen zur Suche nach Infektionen, Entzündungen oder anderen Erkrankungen, die die Lähmung verursachen könnten. Bei Verdacht auf Borreliose oder andere Infektionen werden entsprechende serologische Tests durchgeführt.
- Lumbalpunktion: Entnahme von Nervenwasser zur Untersuchung auf Entzündungen oder Infektionen des Nervensystems. Die Indikationsstellung für eine Lumbalpunktion ist Gegenstand aktueller Diskussionen. Bei Kindern und klinischem Verdacht auf eine nicht-idiopathische Genese sollte eine Lumbalpunktion in jedem Fall durchgeführt werden.
Therapie einer peripheren Lähmung
Die Behandlung einer schlaffen Lähmung richtet sich nach Ausmaß und Ursache der Erkrankung. Ziel der Therapie ist es, die Ursache zu beseitigen, die Symptome zu lindern und dieFunktionsfähigkeit zu verbessern.
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- Behandlung der Grunderkrankung: Bei einer durch Vergiftung oder Entzündung verursachten Lähmung wird die Grunderkrankung behandelt. In diesem Fall kommen unter anderem Medikamente zum Einsatz, beispielsweise um die Entzündung zu bekämpfen (z. B. Antibiotika gegen Borrelien oder Virustatika gegen Varizella-Zoster-Viren).
- Operative Verfahren: Bei gequetschten oder beschädigten Nerven können operative Verfahren in Betracht gezogen werden, um die Funktionsfähigkeit zu verbessern. Akute Nervenverletzungen mit scharfer Durchtrennung des Nervs sollten sofort neurochirurgisch versorgt werden. Ist eine spannungsfreie Annäherung der Nervenenden nicht möglich, muss in manchen Fällen ein Spendernerv zwischen die Nervenenden eingenäht werden (Nerventransplantation/Nerveninterposition). Auch Tumoren, die den Motornerv schädigen, können operativ entfernt werden.
- Physiotherapie: Regelmäßige Physiotherapie kann einen Beitrag leisten, die vorhandene Beweglichkeit zu erhalten und den Rückgang der Muskulatur hinauszuzögern. Bei peripheren Lähmungen ist eine Kombination aus aktiven Übungen und elektrischer Stimulation sinnvoll, um eine Atrophie der Muskeln zu verhindern und die Regeneration der Nerven zu fördern.
- Medikamentöse Therapie: Kortison-Präparate (Glukokortikoide) können bei idiopathischer Fazialisparese den Krankheitsverlauf verkürzen und die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Remission erhöhen. Bei Vitamin-B12-Mangel wird mit Präparaten aus dem Vitamin-B-Komplex behandelt.
- Supportive Therapie: Schutz der Hornhaut bei unvollständigem Lidschluss durch Tränenersatzmittel, Dexpanthenol-Augensalben und nächtliche Uhrglasverbände.
- Botulinumtoxin: Behandlung von Synkinesien (unwillkürliche Mitbewegungen der Gesichtsmuskulatur) mit Botulinumtoxin.
- Rekonstruktive Chirurgie: Bei chronischer Fazialisparese mit bleibenden funktionellen Beeinträchtigungen (z. B. gestörter Lidschluss) können rekonstruktive, plastische Operationen in Betracht gezogen werden.
Spezielle Therapie der Fazialisparese
Die Therapie der Fazialisparese richtet sich nach der Ursache und dem Schweregrad der Lähmung.
- Idiopathische Fazialisparese: Hierbei kommen insbesondere Kortison-Präparate (Glukokortikoide) zum Einsatz. Sie verkürzen den Krankheitsverlauf und führen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu einem kompletten Rückgang der Erkrankung (Remission).
- Symptomatische Fazialisparese: Im Rahmen einer symptomatischen Fazialisparese gilt es in erster Linie, den auslösenden Erreger zu bekämpfen. Hierfür kommen etwa Antibiotika, die sich gegen krankheitsauslösende Bakterien (z. B. Borrelien im Falle einer Borreliose) richten, oder Virustatika, die sich gegen krankheitsauslösende Viren (z. B. das Varizella-Zoster-Virus im Falle einer Zoster-Erkrankung) richten, zum Einsatz.
Zusätzlich zu den oben genannten Behandlungsverfahren kommen auch noch unterstützende (supportive) Maßnahmen zum Einsatz. Kann das Augenlid nicht mehr vollständig geschlossen werden, kommt dem Schutz der Hornhaut eine wichtige Bedeutung zu. Hierbei finden z. B. Tränenersatzmittel, Dexpanthenol-Augensalben und nächtliche Uhrglasverbände, bei denen das betroffene Auge abgedeckt wird, Anwendung.
Prognose und Verlauf
Eine schlaffe Lähmung kann zu einer dauerhaften Beeinträchtigung bei Betroffenen führen, insbesondere wenn sie über einen Zeitraum von länger als sechs Monaten anhält und keine signifikante Verbesserung zu erwarten ist.
Die Prognose der peripheren Fazialisparese ist abhängig von der Ursache, insgesamt jedoch gut. In der Regel kommt es nach 4-6 Wochen zu einer beginnenden Remission (Besserung der Symptome). In 80 % der Fälle bilden sich die Symptome innerhalb von 6 Monaten vollständig oder fast vollständig zurück. Bei nicht behandelten Patient*innen kommt es 9 Monate nach Symptombeginn zu einer teilweisen Rückbildung.
Negative prognostische Faktoren bei Fazialisparese:
- Vollständige Lähmung des Nervus facialis
- Keine Besserung nach 3 Wochen
- Alter > 60 Jahre
- Starke Schmerzen
- Begleiterkrankungen: Bluthochdruck, Diabetes
- Gürtelrose im Gesicht als Ursache
- Verletzung als Ursache
- Schwangerschaft
- Hyperakusis (Geräuschüberempfindlichkeit)
- Bei elektrophysiologischen Untersuchungen nachgewiesener ausgeprägte Schädigung des Nervus facialis
Schwerbehinderteneigenschaft
Bei einer dauerhaften Beeinträchtigung durch eine schlaffe Lähmung kann ein Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft beim Versorgungsamt oder der örtlich zuständigen Behörde gestellt werden. Hierzu ist es ratsam, Rücksprache mit behandelnden Ärzt*innen zu halten, da diese in einem fachärztlichen Gutachten zum Gesundheitszustand Stellung nehmen müssen.
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