Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die häufiger Frauen als Männer betrifft. Hormonelle Schwankungen, die den weiblichen Körper während des Menstruationszyklus, der Schwangerschaft und der Menopause prägen, können die MS-Symptome beeinflussen. Dieser Artikel beleuchtet die Zusammenhänge zwischen MS und Menstruation, die Rolle der Geschlechtshormone und gibt Empfehlungen für den Umgang mit MS in verschiedenen Lebensphasen.
Hormonelle Einflüsse auf das Immunsystem und MS
Sexualhormone wie Östrogen und Progesteron beeinflussen die Funktion der Immunzellen und können somit die Häufigkeit und Schwere von Autoimmunerkrankungen wie MS beeinflussen. Das weibliche Immunsystem zeigt insgesamt eine höhere Reaktivität als das männliche, was Frauen potenziell besser vor Infektionen schützt, aber auch das Risiko für Autoimmunerkrankungen erhöht.
- Östrogen: Höhere Östrogenspiegel können das Verhältnis der T-Helferzellen (TH) von TH1 zu TH2 verschieben. Sinkende Östrogenspiegel können dagegen die Neurodegeneration beschleunigen.
- Progesteron: Progesteron hat per se eine antientzündliche Wirkung.
- Prolaktin: Das Stillhormon Prolaktin wirkt entzündungsfördernd und verstärkt die TH1-Antwort.
Während der Schwangerschaft werden TH1-gestützte Autoimmunerkrankungen wie MS stabilisiert und die Bildung regulatorischer T-Zellen induziert. Im Gegensatz dazu können sich TH2-gestützte Autoimmunerkrankungen wie der systemische Lupus Erythematodes in der Schwangerschaft verschlechtern.
Menstruationszyklus und MS-Symptome
Hormonelle Schwankungen während des Menstruationszyklus können sich bei Frauen mit MS spürbar auf die Symptome auswirken. Ursache hierfür sind u. a. der abfallende Östrogenspiegel und eine gesteigerte Empfindlichkeit auf das Hormon Progesteron. Studien deuten darauf hin, dass das prämenstruelle Syndrom (PMS) bei MS-Betroffenen oft intensiver wahrgenommen wird, da hormonelle Reize auf ein ohnehin empfindlicheres Nervensystem treffen. In seltenen Fällen kann es auch zu zyklisch auftretenden neurologischen Verschlechterungen kommen.
Zyklusphasen und ihre Auswirkungen auf MS-Symptome:
- Prämenstruelle Phase: In den Tagen vor der Menstruation sinken Östrogen- und Progesteronspiegel stark ab. Viele Frauen mit MS berichten dann über verstärkte Fatigue, Spastik, neuropathische Schmerzen oder emotionale Labilität. Auch Konzentration und geistige Leistungsfähigkeit können beeinträchtigt sein, da der entzündungshemmende Einfluss von Östrogen fehlt. Die erhöhte Schmerzempfindlichkeit verstärkt Symptome wie Kopf- oder Gliederschmerzen.
- Eisprung: Um den 14. Zyklustag steigt der Östrogenspiegel (insbesondere Östradiol) deutlich an. In dieser Phase fühlen sich viele Frauen mit MS stabiler. Fatigue, Muskelschwäche und Stimmungsschwankungen sind oft weniger ausgeprägt.
- Lutealphase: Nach dem Eisprung produziert der Körper mehr Progesteron, das beruhigend und entspannend wirkt. Zu Beginn der Lutealphase fühlen sich viele Frauen ruhiger. Gegen Ende - wenn Progesteron und Östrogen abfallen - verstärken sich MS-Symptome wie das Uhthoff-Phänomen, Stimmungsschwankungen, Muskelkrämpfe, erhöhte Schmerzsensitivität, Schlafprobleme und Verdauungsbeschwerden.
Menopause und MS
Die Menopause ist durch einen dauerhaften Abfall der Hormonspiegel, insbesondere von Östrogen und Progesteron, gekennzeichnet. Dies kann sich auf die MS-Symptome auswirken. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass sich im Rahmen des Klimakteriums sowohl die MS-Symptome als auch die MS-spezifische Behinderung verschlechtern können.
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Symptome der Menopause:
- Hitzewallungen
- Schlafstörungen
- Stimmungsschwankungen
- Kognitive Störungen
Es ist wichtig, diese Symptome von MS-Symptomen zu differenzieren und MS-Patientinnen gezielt danach zu fragen.
Hormonersatztherapie
Patientinnen mit Hormonersatztherapie berichten über eine Verbesserung der MS-bedingten Beschwerden aufgrund der mit denen der Menopause überlappenden Symptome. Die Entscheidung für oder gegen eine Hormonersatztherapie sollte jedoch in Abhängigkeit des individuellen Tumorrisikos und der Beschwerden getroffen werden.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei MS
Frauen erkranken zwei- bis dreimal häufiger an MS als Männer. Dies scheint auf ein Eiweißmolekül im Gehirn zurückzuführen sein, das beim weiblichen Geschlecht deutlich häufiger vorkommt. Auch der Verlauf der MS kann sich zwischen Männern und Frauen unterscheiden:
- Frauen erkranken häufiger in jüngerem Alter an der schubförmigen Verlaufsform.
- Bei Männern tritt die MS in der Regel später auf und zeigt eher einen progredienten Verlauf.
- Männer zeigen meist ein schnelleres Fortschreiten der MS und einen höheren Verlust von Hirnvolumen (Hirnatrophie).
- Bei Frauen treten zwar mehr Entzündungsherde auf, sie scheinen sich jedoch von einem MS-Schub besser zu erholen als Männer.
- Männer mit MS weisen niedrigere Testosteronkonzentrationen auf als die Vergleichsgruppe ohne MS.
Risikofaktoren für MS
Neben genetischen Faktoren und dem Geschlecht spielen auch Umweltfaktoren und der Lebensstil eine Rolle bei der Entstehung von MS:
- Geographische Lage: MS ist in kälteren Regionen, wie Deutschland, stärker verbreitet. Ein Vitamin-D-Mangel aufgrund mangelnder Sonneneinstrahlung wird als möglicher Risikofaktor vermutet.
- Rauchen: Nikotin ist ein nachgewiesener MS-Risikofaktor. Raucher*innen haben ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko.
- Frühere Viruserkrankungen: Virale Infektionen werden als mögliche Ursache für Autoimmunerkrankungen wie MS diskutiert.
- Ernährung: Eine ungesunde Ernährung und Alkoholkonsum können Entzündungen im Körper fördern und somit den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen.
Empfehlungen für Frauen mit MS
- Symptom-Tagebuch: Führen Sie ein Symptom-Tagebuch, um hormonelle Muster zu erkennen und die Auswirkungen des Menstruationszyklus auf Ihre MS-Symptome zu dokumentieren.
- Gespräch mit dem Arzt: Sprechen Sie Ihre Beschwerden gezielt im Gespräch mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin an.
- Regelmäßige Bewegung: Regelmäßige körperliche Bewegung, Physiotherapie, Beckenbodentraining, moderater Ausdauersport und Entspannungsübungen wie Yoga können helfen, die Symptome zu lindern.
- Gesundheitsschecks: Nehmen Sie regelmäßig an Gesundheitsschecks teil, insbesondere zu Knochendichtemessungen, und beachten Sie Komorbiditäten wie Kreislauferkrankungen.
- Ernährung: Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung, die Omega-3-Fettsäuren und Vitamin B6 umfasst.
- Entspannungstechniken: Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation können helfen, Stress zu reduzieren und das emotionale Wohlbefinden zu verbessern.
- Aufklärung: Informieren Sie sich umfassend über MS, ihre Symptome und deren Auswirkungen, um ein besseres Verständnis für die Erkrankung zu entwickeln und sich nicht ausgegrenzt zu fühlen.
- Stillen: Stillen über einen Zeitraum von 15 Monaten oder länger kann das Risiko, an MS zu erkranken, reduzieren.
MS und Familienplanung
MS kann sich bei Frauen stärker als bei Männern auf die Familienplanung auswirken. Viele Frauen mit MS überlegen, ob sie trotz der Erkrankung schwanger werden wollen. Beschwerden wie Fatigue und Schmerzen können die Entscheidung beeinflussen. Es ist wichtig, sich umfassend über die Auswirkungen von MS auf Schwangerschaft und Stillzeit zu informieren und sich von einem Arzt oder einer Ärztin beraten zu lassen.
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Sozioökonomische Auswirkungen von MS auf Frauen
MS kann erhebliche sozioökonomische Auswirkungen auf Frauen haben, insbesondere in Bezug auf Beschäftigung, Erwerbsleben und Partnerschaft. Viele Frauen mit MS verzichten eher auf einen beruflichen Aufstieg, können keiner Beschäftigung mehr nachgehen oder erleben Veränderungen in ihrer Partnerschaft. Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit besser über MS, ihre Symptome und deren Auswirkungen aufgeklärt wird, um Ausgrenzung zu vermeiden und die Lebensqualität von Frauen mit MS zu verbessern.
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