Pflege von Menschen mit Multipler Sklerose: Ein umfassender Pflegeplan

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie ist auch als „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ bekannt, da sie sehr unterschiedlich verläuft und in vielen Fällen zu Pflegebedürftigkeit führt. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Pflege von Menschen mit MS, einschließlich der medizinischen Behandlungspflege, Unterstützung bei Körperpflege und Mobilität, Alltagsunterstützung, Beratung für Angehörige und Koordination mit Therapeuten und Ärzten.

Was ist Multiple Sklerose (MS)?

Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem das Myelin, die Schutzschicht um die Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark, angreift und zerstört. Dieser Prozess führt zu Entzündungen und Schädigungen der Nervenfasern, wodurch die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper gestört wird.

Die genaue Ursache von MS ist noch nicht vollständig geklärt, aber es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren eine Rolle spielt. Die Erkrankung tritt häufiger bei Menschen auf, die in Regionen mit geringer Sonneneinstrahlung leben, was auf einen möglichen Zusammenhang mit Vitamin-D-Mangel hindeutet.

Symptome und Verlauf

Die Symptome von MS sind vielfältig und können von Person zu Person unterschiedlich sein, abhängig davon, welche Bereiche des zentralen Nervensystems betroffen sind. Häufige Symptome sind:

  • Motorische Störungen: Muskelschwäche, Spastik, Koordinationsprobleme, Gangunsicherheit, Zittern
  • Sensibilitätsstörungen: Taubheitsgefühle, Kribbeln, Schmerzen, Brennen
  • Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Doppeltsehen, Entzündung des Sehnervs (Neuritis nervi optici)
  • Fatigue: Lähmende Müdigkeit und Erschöpfung
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Gedächtnisprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten, Aufmerksamkeitsdefizite
  • Blasen- und Darmfunktionsstörungen: Inkontinenz, Verstopfung
  • Sexuelle Funktionsstörungen
  • Psychische Probleme: Depressionen, Angstzustände, Stimmungsschwankungen

MS verläuft bei jedem Menschen anders. Es gibt verschiedene Verlaufsformen:

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  • Schubförmig-remittierende MS (RRMS): Die häufigste Form, bei der sich Schübe mit Zeiten der Remission abwechseln, in denen sich die Symptome teilweise oder vollständig zurückbilden.
  • Sekundär progrediente MS (SPMS): Entwickelt sich oft aus der RRMS, wobei die Schübe seltener werden und die Symptome allmählich zunehmen.
  • Primär progrediente MS (PPMS): Eine seltene Form, bei der die Symptome von Anfang an kontinuierlich zunehmen, ohne Schübe oder Remissionen.
  • Progredient-schubförmige MS (PRMS): Eine seltene Form, bei der die Symptome kontinuierlich zunehmen, aber auch akute Schübe auftreten.

Der Pflegeplan bei Multipler Sklerose

Die Pflege von Menschen mit MS erfordert einen individuellen Ansatz, der auf die spezifischen Bedürfnisse und Symptome des Einzelnen zugeschnitten ist. Ein umfassender Pflegeplan sollte folgende Aspekte berücksichtigen:

Medizinische Behandlungspflege

Die medizinische Behandlungspflege umfasst alle pflegerischen Maßnahmen, die vom Arzt verordnet werden und von speziell ausgebildeten Pflegefachkräften durchgeführt werden. Dazu gehören:

  • Verabreichung von Medikamenten: MS-Medikamente können helfen, die Entzündung zu reduzieren, das Immunsystem zu modulieren und die Symptome zu lindern. Die Medikamente können oral, intravenös oder subkutan verabreicht werden.
  • Injektionen: Einige MS-Medikamente müssen regelmäßig injiziert werden. Die Pflegekraft kann den Patienten bei der Injektionstechnik anleiten und die Injektionen bei Bedarf durchführen.
  • Infusionstherapien: Bei bestimmten MS-Medikamenten sind regelmäßige Infusionen erforderlich. Die Pflegekraft kann die Infusion überwachen und auf mögliche Nebenwirkungen achten.
  • Wundversorgung: Bei immobilen Patienten kann es zu Druckgeschwüren kommen. Die Pflegekraft kann die Wunden versorgen und Maßnahmen zur Druckentlastung ergreifen.
  • Katheterpflege: Bei Blasenfunktionsstörungen kann ein Katheter erforderlich sein. Die Pflegekraft kann die Katheterpflege durchführen und Infektionen vorbeugen.
  • Vitalzeichenkontrolle: Regelmäßige Überwachung von Blutdruck, Puls, Temperatur und Atmung, um den Gesundheitszustand des Patienten zu beurteilen und ggf. den Arzt zu informieren (z.B. bei Fieber über 38°C).

Unterstützung bei der Körperpflege und Mobilität

MS kann die Beweglichkeit und Selbstständigkeit im Alltag stark einschränken. Ein ambulanter Pflegedienst kann bei folgenden Aufgaben unterstützen:

  • Körperpflege: Duschen, Baden, Waschen, Ankleiden, Haarpflege, Mundpflege. Die aktivierende Pflege steht im Vordergrund, um die Selbstständigkeit des Betroffenen so lange wie möglich zu erhalten und zu fördern.
  • Mobilisation: Aufstehen, Gehen, Treppensteigen, Transfer vom Bett in den Rollstuhl. Hilfsmittel wie Gehhilfen, Rollatoren oder Rollstühle können die Mobilität erleichtern.
  • Lagerung: Regelmäßige Positionswechsel im Bett, um Druckgeschwüre zu vermeiden.
  • Inkontinenzversorgung: Unterstützung bei der Blasen- und Darmentleerung, Verwendung von Inkontinenzprodukten.

Alltagsunterstützung und hauswirtschaftliche Hilfe

Ein Pflegedienst kann auch bei folgenden Aufgaben im Haushalt unterstützen:

  • Zubereiten von Mahlzeiten: Planung und Zubereitung gesunder und ausgewogener Mahlzeiten, Berücksichtigung von speziellen Ernährungsbedürfnissen.
  • Einkaufen: Besorgungen erledigen, Einkaufslisten erstellen.
  • Leichte Reinigungsarbeiten: Staubsaugen, Wischen, Abwaschen.
  • Wäsche waschen und bügeln.
  • Begleitung bei Arztterminen und Freizeitaktivitäten.
  • Unterstützung bei der Alltagsplanung und Organisation.

Beratung und Anleitung für Angehörige

Angehörige spielen eine wichtige Rolle bei der Pflege von Menschen mit MS. Ein Pflegedienst kann Angehörige beraten und schulen, damit diese die bestmögliche Unterstützung leisten können. Die Beratung kann folgende Themen umfassen:

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  • Informationen über die Erkrankung MS.
  • Umgang mit den Symptomen der MS.
  • Unterstützung bei der Mobilisation und Transfers.
  • Hilfsmittelversorgung.
  • Medikamentengabe.
  • Beantragung von Pflegeleistungen und finanziellen Hilfen.
  • Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige.
  • Gesprächsangebote und emotionale Unterstützung.

Koordination mit Therapeuten und Ärzten

Ein Pflegedienst kann die Kommunikation und Koordination zwischen allen an der Behandlung beteiligten Fachkräften sicherstellen. Dazu gehören:

  • Ärzte: Neurologen, Hausärzte, Urologen, Augenärzte.
  • Therapeuten: Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen.
  • Sozialarbeiter: Beratung zu sozialen und finanziellen Fragen.

Der Pflegedienst kann Termine koordinieren, Informationen austauschen und sicherstellen, dass die Behandlung reibungslos abläuft.

Emotionale und psychosoziale Unterstützung

MS kann zu psychischen Problemen wie Depressionen, Angstzuständen und Stimmungsschwankungen führen. Ein Pflegedienst kann emotionale Unterstützung bieten und den Patienten bei der Krankheitsbewältigung helfen. Dazu gehören:

  • Zuhören und Gespräche führen.
  • Trost spenden und Mut machen.
  • Hilfe bei der Bewältigung von Ängsten und Depressionen.
  • Vermittlung von Kontakten zu Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen.
  • Förderung sozialer Kontakte und Freizeitaktivitäten.

Spezifische Pflegemaßnahmen bei MS

Neben den allgemeinen Pflegemaßnahmen gibt es auch spezifische Maßnahmen, die bei bestimmten Symptomen und Problemen von MS-Patienten erforderlich sein können:

Spastik

Spastik ist eine häufige Begleiterscheinung von MS, die zu Muskelsteifheit, Krämpfen und Schmerzen führen kann. Folgende Maßnahmen können helfen, die Spastik zu reduzieren:

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  • Physiotherapie: Dehnübungen, Bewegungsübungen, Massagen.
  • Medikamente: Muskelrelaxantien, Botulinumtoxin-Injektionen.
  • Wärme- oder Kälteanwendungen.
  • Entspannungstechniken.
  • Lagerung: Vermeidung von ungünstigen Positionen, die die Spastik verstärken.

Fatigue

Fatigue ist einEnergy-Management-Strategien.

Blasen- und Darmfunktionsstörungen

Blasen- und Darmfunktionsstörungen können die Lebensqualität von MS-Patienten erheblich beeinträchtigen. Folgende Maßnahmen können helfen, die Symptome zu lindern:

  • Blasentraining: Regelmäßige Toilettengänge, um die Blasenkapazität zu erhöhen.
  • Beckenbodentraining: Stärkung der Beckenbodenmuskulatur, um die Kontinenz zu verbessern.
  • Medikamente: Zur Behandlung von Inkontinenz oder überaktiver Blase.
  • Ballaststoffreiche Ernährung: Zur Vorbeugung von Verstopfung.
  • Regelmäßige Darmmassage.
  • Bei Bedarf: Verwendung von Inkontinenzprodukten.

Kognitive Beeinträchtigungen

Kognitive Beeinträchtigungen können die Fähigkeit beeinträchtigen, sich zu konzentrieren, sich zu erinnern und Probleme zu lösen. Folgende Maßnahmen können helfen, die kognitiven Funktionen zu verbessern:

  • Kognitives Training: Gezielte Übungen zur Verbesserung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Problemlösungsfähigkeiten.
  • Ergotherapie: Training vonAlltagsfähigkeiten, wie z. B. Kochen, Einkaufen undOrganisieren.
  • Strukturierung des Alltags: Feste Routinen,Checklisten und Kalender können helfen, den Alltag zuorganisieren und zu strukturieren.
  • Vermeidung von Stress und Überlastung.
  • Ausreichend Schlaf und Ruhe.

Schmerzen

Schmerzen können bei MS verschiedene Ursachen haben, z. B. Nervenschmerzen, Muskelkrämpfe oder Gelenkschmerzen. Folgende Maßnahmen können helfen, die Schmerzen zu lindern:

  • Medikamente: Schmerzmittel, Antidepressiva, Antikonvulsiva.
  • Physiotherapie: Dehnübungen, Bewegungsübungen, Massagen.
  • Alternative Schmerztherapien: Akupunktur, TENS, Hydrotherapie.
  • Entspannungstechniken.
  • PsychologischeSchmerztherapie.

Schluckstörungen

Schluckstörungen (Dysphagie) können bei MS auftreten und das Risiko vonAspiration (Einatmen von Nahrung in die Lunge) erhöhen. Folgende Maßnahmen können helfen, die Schluckfähigkeit zu verbessern:

  • Logopädie: Schlucktraining,Anpassung der Konsistenz der Nahrung.
  • Aufrechte Sitzposition beim Essen.
  • KleinePortionen und langsames Essen.
  • Vermeidung von ablenkenden Faktoren beim Essen.
  • Bei Bedarf: Ernährung über eineMagensonde.

Hilfsmittel bei Multipler Sklerose

Es gibt eine Vielzahl von Hilfsmitteln, die Menschen mit MS den Alltag erleichtern können. Dazu gehören:

  • Mobilitätshilfen: Gehhilfen, Rollatoren, Rollstühle,Scooter.
  • Hilfsmittel für die Körperpflege: Duschstühle, Badewannenlifter,Haltegriffe, Toilettensitzerhöhungen.
  • Hilfsmittel für die Ernährung: Spezielles Besteck,Teller mit erhöhtem Rand,Becher mit Trinkaufsatz.
  • Hilfsmittel für die Kommunikation: Sprachcomputer,Schreibhilfen.
  • Hilfsmittel für den Haushalt: Greifzangen, Knöpfhilfen,Strumpfanzieher.
  • Technische Hilfsmittel: Hausnotrufsysteme, Sprachsteuerung fürGeräte.

Pflegegrad und finanzielle Unterstützung

Die Pflege von Menschen mit MS kann sehr aufwendig und kostspielig sein. Um die finanzielle Belastung zu reduzieren, können Betroffene einen Pflegegrad beantragen. Der Pflegegrad richtet sich nach demGrad der Selbstständigkeit und dem Unterstützungsbedarf im Alltag. Je nach Pflegegrad stehen verschiedene Leistungen der Pflegeversicherung zur Verfügung, z. B.:

  • Pflegegeld: Für dieSelbstbeschaffung von Pflegeleistungen.
  • Pflegesachleistungen: Für die Inanspruchnahme einesambulanten Pflegedienstes.
  • Verhinderungspflege: Für die vorübergehendeVertretung der pflegenden Angehörigen.
  • Kurzzeitpflege: Für die stationärePflege in einer Pflegeeinrichtung für einen begrenzten Zeitraum.
  • Entlastungsbetrag: Für die Finanzierung von zusätzlichenBetreuungs- und Entlastungsleistungen.
  • Zuschüsse fürWohnungsanpassung.
  • Hilfsmittelversorgung.

Zusätzlich zum Pflegegrad können Menschen mit MS auch einen Schwerbehindertenausweis beantragen. DerSchwerbehindertenausweis kann verschiedene Vorteile mit sich bringen, z. B. steuerlicheEntlastungen,Parkerleichterungen undNachteilsausgleiche imBerufsleben.

Die Rolle der Angehörigen

Angehörige spielen eine entscheidende Rolle bei der Pflege von Menschen mit MS. Sie sind oft die wichtigsten Bezugspersonen und leisten einen Großteil der Pflegearbeit. Die Pflege von MS-Patienten kann jedoch sehr belastend sein, sowohl körperlich als auch psychisch. Es ist daher wichtig, dass Angehörige sich selbst nicht vergessen und auf ihre eigene Gesundheit achten.

Folgende Tipps können Angehörigen helfen, die Pflege besser zu bewältigen:

  • Informieren Sie sich umfassend über die Erkrankung MS.
  • Nehmen SieHilfsangebote vonPflegediensten, Beratungsstellen undSelbsthilfegruppen in Anspruch.
  • Teilen Sie sich die Pflegearbeit mit anderen Angehörigen oderFreunden.
  • Sorgen Sie für ausreichendEntlastung undErholung.
  • Nehmen Sie sich Zeit für sich selbst und Ihre eigenenInteressen.
  • Sprechen Sie über Ihre Gefühle undBelastungen.
  • Scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zunehmen, wenn Sie überfordert sind.

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