Standard Beziehungsgestaltung Demenz Pflege

Demenzkranke Menschen leben oft in einer Welt der Unsicherheit, Bedrohung und Angst. Gerade deshalb ist die Beziehungsgestaltung zu anderen Menschen, seien es Familienangehörige oder Pflegekräfte, von immenser Bedeutung. Der Expertenstandard "Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz", herausgegeben vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), betont bewusst den Schwerpunkt "Beziehung". Die Experten gehen davon aus, dass Pflegefachkräfte durch eine gelingende Beziehungsgestaltung die Lebensqualität der Betroffenen positiv beeinflussen können.

Bedeutung der Beziehungsgestaltung bei Demenz

Bei Menschen mit Demenz zielt der Expertenstandard darauf ab, "das Gefühl, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein, zu erhalten oder zu fördern". Zwischenmenschliche Beziehungen sind für pflegebedürftige oder kranke Menschen oft noch wichtiger als für gesunde Menschen. Eine gezielte Beziehungsgestaltung kann helfen, Patienten mehr emotionale Stabilität und Zufriedenheit zu verschaffen. Nicht nur die Beziehung zwischen Pfleger und Patient steht dabei im Fokus, sondern auch die Beziehungen zu anderen Menschen sollten Teil davon sein.

Der Expertenstandard des DNQP

Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) hat den Expertenstandard "Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz" entwickelt, um Pflegekräften Empfehlungen und Anleitungen zu geben, die die Beziehungsgestaltung mit Demenzpatienten erleichtern. Die Expertenstandards des DNQP sollen die Grundlage für eine kontinuierlich verbesserte Qualität der Pflege in Deutschland bilden.

Fünf Ebenen der Beziehungsgestaltung

Im neuen Expertenstandard wird die Beziehungsgestaltung zu Menschen mit Demenz anhand von fünf Ebenen erfasst:

  1. Personenzentrierte Haltung: Pflegefachkräfte sollen die Betroffenen durch eine personenzentrierte Haltung in ihrer Einzigartigkeit wahrnehmen.
  2. Personenzentrierter Maßnahmenplan: Der Maßnahmenplan sollte gemäß Expertenstandard personenzentriert sein und die auf der ersten Ebene ermittelten Unterstützungsbedarfe sowie mögliche fluktuierende Zustände berücksichtigen.
  3. Rahmenbedingungen für Angehörige: Pflegeeinrichtungen müssen die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um Angehörige individuell informieren, anleiten und beraten zu können.
  4. Dokumentation: Alle Maßnahmen müssen dokumentiert werden. In der Dokumentation muss begründet sein, warum welche Maßnahme ausgewählt wurde.
  5. Laufende Überprüfung: Die Pflegefachkraft soll gemäß Expertenstandard laufend die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüfen. Im Idealfall zeigt der Demenzkranke Anzeichen für den Erhalt und die Förderung des Gefühls, dass er gehört, verstanden und angenommen wird.

Um den Anforderungen des Expertenstandards gerecht zu werden, müssen sich Pflegekräfte zudem regelmäßig weiterbilden.

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Struktur, Prozess und Ergebnis der Beziehungsgestaltung

Der Expertenstandard definiert Struktur-, Prozess- und Ergebniskriterien für die Beziehungsgestaltung:

  1. Haltung und Kompetenz:
    • Struktur: Die Pflegefachkraft hat eine personenzentrierte Haltung in der Pflege von Menschen mit Demenz entwickelt. Die Einrichtung fördert und unterstützt eine personenzentrierte Haltung.
    • Prozess: Die Pflegefachkraft erfasst zu Beginn des pflegerischen Auftrags sowie anlassbezogen, schrittweise und unter Einbeziehung der Angehörigen bzw. anderer Berufsgruppen kriteriengestützt mit der Demenz einhergehende Unterstützungsbedarfe in der Beziehungsgestaltung, deren Auswirkungen auf seine Lebens- und Alltagswelt sowie Vorlieben und Kompetenzen des Menschen mit Demenz.
    • Ergebnis: Der Mensch mit Demenz wird durch die personenzentrierte Haltung der Pflegenden in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen. Die Pflegedokumentation enthält systematische und konkretisierende Hinweise auf mit der Demenz einhergehende Unterstützungsbedarfe in der Beziehungsgestaltung.
  2. Planung und Durchführung:
    • Struktur: Die Pflegefachkraft verfügt über Kompetenzen zur Planung und Koordination von beziehungsfördernden und -gestaltenden Maßnahmen. Die Einrichtung stellt sicher, dass die Pflege von Menschen mit Demenz auf Basis eines personenzentrierten Konzepts gestaltet wird und verfügt über eine interdisziplinäre Verfahrensregelung, in der die Zuständigkeiten für beziehungsfördernde und - gestaltende Angebote definiert sind.
    • Prozess: Die Pflegefachkraft plant auf Basis einer Verstehenshypothese unter Einbeziehung des Menschen mit Demenz und seiner Angehörigen sowie den beteiligten Berufsgruppen individuell angepasste beziehungsfördernde und -gestaltende Maßnahmen.
    • Ergebnis: Eine personenzentrierte, die identifizierten Unterstützungsbedarfe und mögliche fluktuierende Zustände berücksichtigende Maßnahmenplanung liegt vor und ist allen an der Pflege des Menschen mit Demenz beteiligten Personen bekannt.
  3. Anleitung, Schulung und Beratung:
    • Struktur: Die Pflegefachkraft verfügt über Wissen und Kompetenzen zur Information, Anleitung, Schulung und Beratung über beziehungsfördernde und -gestaltende Angebote sowie deren Einbindung in Alltagssituationen. Die Einrichtung schafft Rahmenbedingungen für individuelle Anleitungen und Schulungen von Angehörigen und stellt zielgruppenspezifische Materialien für Information, Anleitung, Schulung und Beratung über beziehungsgestaltende Maßnahmen zur Verfügung.
    • Prozess: Die Pflegefachkraft informiert, leitet an oder berät den Menschen mit Demenz entsprechend seiner Fähigkeiten über beziehungsfördernde und -gestaltende Angebote. Die Pflegefachkraft informiert, leitet an, schult und berät die Angehörigen proaktiv und anlassbezogen über beziehungsfördernde und - gestaltende Maßnahmen in Alltags- und Ausnahmesituationen.
    • Ergebnis: Information, Anleitung oder Beratung des Menschen mit Demenz und seine Reaktionen auf das Angebot sind dokumentiert. Die Angehörigen des Menschen mit Demenz kennen die Notwendigkeit und Bedeutung beziehungsfördernder und - gestaltender Maßnahmen.
  4. Maßnahmen und Angebote:
    • Struktur: Die Pflegefachkraft kennt beziehungsfördernde und - gestaltende Angebote und ist in der Lage, die Pflege von Menschen mit Demenz darauf auszurichten. Die Einrichtung schafft Rahmenbedingungen für personenzentrierte, beziehungsfördernde und -gestaltende Angebote und sorgt für einen qualifikationsgemäßen Kenntnisstand aller an der Pflege Beteiligten.
    • Prozess: Die Pflegefachkraft gewährleistet und koordiniert das Angebot sowie die Durchführung von beziehungsfördernden und - gestaltenden Maßnahmen. Gegebenenfalls unterstützt sie andere an der Pflege des Menschen mit Demenz Beteiligte.
    • Ergebnis: Die Pflege des Menschen mit Demenz wird beziehungsfördernd und -gestaltend durchgeführt.
  5. Evaluation:
    • Struktur: Die Pflegefachkraft verfügt über das Wissen und die Kompetenz zur Evaluation beziehungsfördernder und - gestaltender Pflege.
    • Prozess: Die Pflegefachkraft überprüft laufend die Wirksamkeit der beziehungsfördernden und - gestaltenden Maßnahmen.

Umsetzung des Expertenstandards

Der Expertenstandard enthält ein 4-Phasenmodell, das die Vorgehensweise für seine Implementierung abbildet:

  1. Vorbereitung: Zu Beginn des Prozesses sollte man sich Zeit für die Vorbereitung nehmen.
  2. Schulung der Mitarbeiter: Um den Expertenstandard umsetzen zu können, sollten Mitarbeiter geschult und ihnen der Inhalt nähergebracht werden.
  3. Konkretisierung: Nachdem das gesamte Pflegepersonal in die Implementierung miteinbezogen wurde, geht es an die Konkretisierung. Man setzt sich mit dem Expertenstandard auseinander und arbeitet heraus, welche Prozesse in der Pflegeeinrichtung angepasst werden müssen.
  4. Überprüfung: Mit Hilfe eines Audit-Instruments wird überprüft, ob die Kriterien umgesetzt wurden.

Die Vorbereitungsphase und die Implementierung der vier Phasen sollen circa 6 Monate in Anspruch nehmen. Während der vier Phasen wird eine Projektverlaufsdokumentation erhoben, in der notiert wird, welche Maßnahmen eingeleitet werden, um die Kriterien des Expertenstandards umzusetzen.

Personenzentrierte Pflege

Ein wichtiger Punkt dieses Expertenstandards ist, dass eine personenzentrierte Pflege von Demenzpatienten gefordert wird. Der Expertenstandard fordert, dass die Beziehungsgestaltung von Akzeptanz, Vertrauen und Respekt geprägt sein sollte. Unterschiede zwischen Patient und Pflegekraft sollen außer Acht gelassen und hingenommen werden. Das stellt oftmals ein Problem dar, da es vielen Menschen schwerfällt, mit den Auswirkungen der Demenz umzugehen. Das kann sich zum einen in Pflegeeinrichtungen zeigen, in denen Menschen mit Demenz und ohne Demenz zusammenleben. Zum anderen können solche Schwierigkeiten auch im sozialen Umfeld des Demenzpatienten auftreten, etwa wenn langjährige Freunde sich abwenden, weil sie mit den Auswirkungen der Demenz nicht zurechtkommen.

Die drei Phasen der Demenz

Je nach Phase der Erkrankung sind unterschiedliche Aspekte in der Beziehungsgestaltung zu beachten:

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  1. Beginn der Erkrankung: Das Erinnerungsvermögen ist nur punktuell beeinträchtigt. Der oberste Grundsatz lautet: Achten Sie die Selbstbestimmung. Nehmen Sie die Person unbedingt ernst und respektieren Sie die Selbstbestimmung. Fördern Sie eigenständige Aktivität und bleiben Sie tolerant.
  2. Fortgeschrittene Erkrankung: Der Patient kann sich Neues immer schlechter merken, lässt sich leicht ablenken und kann sich nur noch über kurze Phasen hinweg konzentrieren. Alltagsaktivitäten kann er nicht mehr ohne Hilfe ausführen. Die Einsichtsfähigkeit lässt nach. Er verkennt häufig optische und akustische Umgebungsreize. Unterstreichen Sie Ihre Worte immer durch Gestik und Mimik. Dies kann leichter und länger verstanden werden als Sprache. Akzeptieren Sie Verhaltensauffälligkeiten. Behalten Sie einen möglichst gleichförmigen Tagesablauf bei.
  3. Späte Phase der Erkrankung: Der Patient hat kaum Erinnerungen, auch nicht an ganz frühe Lebensphasen. Das Sprachvermögen erlischt bis auf das Wiederholen einzelner Worte und Phrasen. Er versteht zunächst noch Körpersprache, später reduziert sich dieses Verständnis auf die Mimik. Die demenzerkrankte Person kann durch ihre verminderte Mobilität nicht mehr gezielt nach Reizen suchen oder Unangenehmes ausblenden. Daher ist es notwendig, dass Sie Reizüberflutung vermeiden und gezielt Sinnesanregungen anbieten.

Das Demenz-Balance-Modell

Menschen mit Demenz verlieren immer mehr Kompetenzen, wodurch ihr Identitätsgefüge aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Damit sich Pflegekräfte besser in diese Situation einfühlen können, hat Barbara Klee-Reiter das Demenz-Balance-Modell erarbeitet.

Bedeutung der Beziehungsgestaltung in der Praxis

Die Beziehungsgestaltung ist ein wichtiger Punkt in der Pflege von Patienten mit Demenz. Durch die Krankheit werden sie häufig ausgeschlossen und gemieden. Eine gezielte Beziehungspflege soll dem entgegenwirken: Der Patient soll sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen und von Ihnen unterstützt werden. Durch beziehungsfördernde- und gestaltende Maßnahmen soll dem Patienten zu neuen Beziehungen verholfen werden und bereits bestehende sollen beibehalten und intensiviert werden. Ob im Krankenhaus oder der Demenz-WG - es hilft allen Beteiligten in Pflege-Settings, Betreuung, Unterstützung und Pflege person-zentriert und in multiprofessionellen Teams zu gestalten, Angehörige mit einzubeziehen und mit Menschen mit Demenz bewusst in Beziehung zu gehen. Dies betonten Expert:innen auf dem jüngsten BAGFW-Fachtag zum Expertenstandard mit über 150 Teilnehmer:innen vor Ort und digital.

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