Die Validation nach Naomi Feil ist ein ganzheitliches Kommunikations- und Pflegekonzept, das darauf abzielt, Menschen mit Demenz in ihrer eigenen Realität anzuerkennen und ihnen so mehr Lebensqualität und Würde zu ermöglichen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Grundlagen, Phasen und Techniken der Validation nach Naomi Feil und zeigt, wie sie in der Praxis angewendet werden kann.
Einführung in die Validation nach Naomi Feil
Naomi Feil, eine Gerontologin, entwickelte diesen Ansatz, um altersverwirrten Menschen mehr Lebensqualität zu schenken und gleichzeitig den Betreuenden Sicherheit zu geben. Validation bedeutet, die Welt des dementen Gegenübers "für gültig erklären". Herkömmliche Modelle gehen oft von einem Defizit bei verwirrten Menschen aus, während die Validation nach Feil die emotionale Befindlichkeit berücksichtigt und sich an der persönlichen Wirklichkeit der Desorientierten in der letzten Lebensphase orientiert.
Was ist Validation?
"Validieren" bedeutet, sich in die Welt der Verwirrten einzufühlen, sie dort abzuholen, wo sie sich befinden, und sie zu begleiten. Durch diese Methode kann das Selbstwertgefühl gesteigert und Stress sowohl bei den Betroffenen als auch bei den Betreuenden reduziert werden.
Die Bedeutung der Empathie
Im Kern ist Validation eine Kommunikationstechnik bzw. Kommunikationsmethode, die aus einem Bündel von verbalen und non-verbalen Konzepten besteht. Sie hilft uns, eine neue Perspektive einzunehmen, mit welcher wir Demenzkranken mit einer positiven Grundhaltung begegnen können und uns dabei selber auch besser fühlen. Die Methode basiert auf Empathie, Akzeptanz und Authentizität.
Die vier Phasen der Desorientierung nach Naomi Feil
Naomi Feil definiert vier Stadien der Desorientierung, an denen sich die Validation/Interaktion der Pflegekräfte orientieren sollte:
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Stadium 1: Mangelhafte Orientierung
In diesem Stadium sind die Betroffenen örtlich und zeitlich orientiert, erkennen aber ihre Defizite und versuchen, diese durch eine Art "Maske" zu überspielen. Sie klammern sich an jedes kleine Stück Realität und haben Angst, desorientiert und verwirrt zu werden. Körperliche Berührungen sind ihnen oft unangenehm, und sie achten auf genügend Abstand zu anderen.
Stadium 2: Zeitverwirrtheit
In diesem Stadium ziehen sich die dementen Menschen zurück und leben in ihren eigenen Erinnerungen. Die reale Zeit und die Zeit, in der sie leben, fallen auseinander. Sie verlieren den Bezug zur "wirklichen Welt" und leben in der Vergangenheit, wobei sich Gegenwart und Vergangenheit vermischen. Sie messen die Zeit in Erinnerungen, nicht in Stunden oder Minuten. Im Gegensatz zu Menschen in der ersten Phase reagieren zeitverwirrte Menschen auf Augenkontakt und brauchen Berührungen.
Stadium 3: Sich wiederholende Bewegungen
In dieser Phase geht das Denk- und Sprachvermögen weitgehend verloren. Die Betroffenen drücken sich durch sich wiederholende Bewegungen aus, wie z.B. rhythmisches Schlagen oder ständiges Auf- und Abgehen. Oft wird angenommen, dass sie keine emotionalen Bedürfnisse mehr haben, aber sie reagieren auf Blickkontakt, Spiegeln des Verhaltens und körperliche Berührungen.
Stadium 4: Vegetieren
Im letzten Stadium ziehen sich die Betroffenen völlig in sich zurück und zeigen kaum noch Reaktionen auf äußere Reize. Oft ist Berührung der einzige Weg, um noch Kontakt aufzunehmen.
Techniken der Validation nach Naomi Feil
Die Validation umfasst eine verbale und eine nonverbale Kommunikationsform, die sich auf die Beziehungsebene konzentriert. Die Einstellung gegenüber dementen Menschen ist für die Anwendung von Validation wichtiger als die konkreten Techniken. Der Rückzug in die Vergangenheit muss akzeptiert werden.
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Verbale Techniken
- Offene Fragen stellen: Vermeiden Sie "Warum"-Fragen und konzentrieren Sie sich darauf, die Gefühlslage des Gegenübers zu erfragen.
- Umformulieren: Geben Sie dem Betroffenen das Gefühl, verstanden zu werden, indem Sie seine Aussagen in eigenen Worten wiederholen.
- Nach Extremen oder Gegenteilen fragen: Dies kann helfen, Erinnerungen und Emotionen zu wecken.
- Sich gemeinsam an vergangene Tage erinnern: Nutzen Sie Erinnerungen, um positive Gefühle zu verstärken.
- Bewährte Bewältigungsmechanismen finden: Fragen Sie, wie der Betroffene in der Vergangenheit mit ähnlichen Situationen umgegangen ist.
- Wiederholen: Wiederholen Sie das, was der Betroffene sagt, und passen Sie dabei Ihre Stimme und Ihren Sprechrhythmus an seine Gefühle an.
- Erinnern: Fragen Sie nach Zeiten, in denen der Betroffene ähnliche Situationen anders erlebt hat, um positive Erinnerungen zu wecken.
Nonverbale Techniken
- Blickkontakt: Suchen Sie echten, tiefen Blickkontakt, um eine Verbindung herzustellen.
- Berührung: Nutzen Sie Berührungen, um Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln, aber achten Sie auf die Vorlieben des Betroffenen.
- Spiegeln: Ahmen Sie die Körperhaltung, Bewegungen und den Gesichtsausdruck des Gegenübers nach, um Empathie zu zeigen.
- Musik und Singen: Setzen Sie vertraute Lieder ein, um Gefühle auszudrücken und Erinnerungen zu wecken.
- Beobachtung: Achten Sie genau auf die Körpersprache, den Gesichtsausdruck und die Atmung des Gegenübers, um seine Gefühle zu verstehen.
- Atmosphäre: Schaffen Sie eine ruhige und vertraute Umgebung, die Sicherheit und Orientierung bietet.
Die dritte Technik: Wiederholen
Wiederholen ist mehr als aktives Zuhören, vorausgesetzt, dass ich meine Stimme und den Sprechrhythmus dem Menschen anpasse. Die Gefühle, die in meiner Stimme sind, sollen spiegeln, wie der andere fühlt. Das ist Empathie (in die Person sich reinversetzen). Ich versuche nicht, was ich gehört habe, in eine andere Richtung zu fühlen oder gar abzuschwächen. Beispiel: Wenn eine Bewohnerin sagt: "Ich will sterben", dann versuche ich, den Ton in der Stimme dieser Bewohnerin anzupassen. Wenn sie mit leiser Stimme und langsam gesprochen hat, frage ich langsam und mit leiser Stimme: "Sie meinen, Sie möchten nicht mehr leben?" Vielleicht erzählt die Bewohnerin dann, wie das Leben für sie jetzt ist.
Die vierte Technik: Sich das Gegenteil vorstellen
Diese Technik besteht darin, sich das Gegenteil der Situation vorzustellen, über die sich die Person gerade beklagt. Beispiel: Eines Abends läutet eine Bewohnerin und weinte, weil ein starkes Gewitter herrschte. Ich fragte sie: "Gab es Zeiten, wo ihnen das Gewitter nichts ausmachte?" Sie antwortete: "Ja, früher hatte ich keine Angst davor, weil meine Mutter mit mir gebetet hat".
Ziele der Validation
- Stärkung des Selbstwertgefühls: Validation gibt Demenzerkrankten das Gefühl, gehört und respektiert zu werden, unabhängig von ihren kognitiven Einschränkungen.
- Reduktion von Stress und Angst: Durch das Akzeptieren und Validieren von Emotionen werden Betroffene nicht zusätzlich durch Versuche des "Zurückholens in die Wirklichkeit" frustriert oder verunsichert.
- Verbesserung der Kommunikation: Validation hilft, die emotionalen Botschaften hinter den oft verwirrten Äußerungen von Menschen mit Demenz zu verstehen.
- Förderung des Wohlbefindens: Durch die einfühlsame Kommunikation wird ein Gefühl von Verstandenwerden und Akzeptanz vermittelt, was Ängste und Unsicherheiten reduzieren kann.
- Identitätsstiftung: In der validierenden Kommunikation werden Erinnerungen, Empfindungen und frühere Erfahrungen anerkannt, was das Gefühl von Kontinuität bewahrt.
- Reduktion von Konflikten und Missverständnissen: Da Betroffene in ihrer emotionalen Realität akzeptiert werden, sinkt der Frust auf beiden Seiten.
Integrative Validation (IVA) nach Nicole Richard
Die Integrative Validation nach Nicole Richard ist die Weiterentwicklung der Validation bei demenziell erkrankten Menschen nach Naomi Feil. Richard geht davon aus, dass bei einer Demenz hirnorganische Abbauprozesse stattfinden, und konzentriert sich auf die Wahrnehmung von Ressourcen, die Wertschätzung der demenzkranken Person und die Wahrnehmung ihrer Gefühle.
Grundhaltung der IVA
Die IVA ist geprägt von Wertschätzung, Akzeptanz und Anerkennung des Menschen. Wichtig ist eine Kongruenz von verbalem und nonverbalem Verhalten, da dementiell erkrankte Menschen sehr feinfühlig sind. Empathie steht an oberster Stelle, um sich professionell mit dementiell Erkrankten einzulassen und sie einen Abschnitt ihres Lebens zu begleiten.
Ressourcenorientierung
Die IVA ist eine ressourcenorientierte Methodik, die sich an den vorhandenen Ressourcen des dementen Patienten orientiert. Diese Ressourcen sind die Gefühle und die Antriebe. Nicole Richard sieht die Antriebe als Hauptressource in der dementiellen Erkrankung, da sie das "Kraftpotenzial der Menschen mit Demenz" sind. Als zweite Ressource nennt Nicole Richard die Gefühle, wie Wut, Trauer, Freude, Ärger, etc.
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Praktische Anwendung der IVA
In der praktischen Anwendung wird die IVA oft im "Vorübergehen" angewendet, d.h. dass eventuell nur kurze Sätze den dementen Personen gesagt werden, um ein Zugehörigkeitsgefühl zu geben und deren Gefühle und Antriebe wahrzunehmen. Ein Beispiel hierfür kann Folgendes sein: ein älterer Herr räumt persönliche Utensilien immer von A nach B und wieder zurück. Eine Art der Verbalisierung kann hier sein: "Ordnung ist das halbe Leben!" oder "Sie haben alles genau im Blick."
Validation im Pflegealltag integrieren
Validation kann in den Pflegealltag durch regelmäßige Schulungen, die Förderung einfühlsamer Kommunikation und den Aufbau einer unterstützenden Umgebung integriert werden.
Schulungen und Workshops
Es gibt Schulungen und Workshops, die Pflegekräften und Betreuungspersonen helfen, die Prinzipien und Techniken der Validation zu erlernen und anzuwenden.
Die Rolle der 24-Stunden-Betreuung
Bei der 24 Stunden Betreuung der SHD Seniorenhilfe Dortmund übernimmt die Betreuungskraft Aufgaben im Haushalt, der Grundpflege und im Alltag. Auch ohne spezielle Validations-Ausbildung sind die eingesetzten Betreuungskräfte den einfühlsamen Umgang mit Menschen, die an einer Demenz leiden, gewohnt. Sie bringen viel Verständnis für die Sorgen und Bedürfnisse von dementen Menschen mit und kümmern sich fürsorglich um ihr Wohlbefinden.
Vorteile der Validation für Demenzkranke und Pflegekräfte
- Verbesserte Kommunikation: Validierende Kommunikation legt den Fokus auf das Verstehen der emotionalen Botschaften hinter den oft verwirrten oder unlogischen Äußerungen von Menschen mit Demenz.
- Reduzierung von Konflikten und Missverständnissen: Da Betroffene in ihrer emotionalen Realität akzeptiert werden und keine ständigen Korrekturen oder Widerlegungen von Aussagen erfahren, sinkt der Frust auf beiden Seiten.
- Erhöhte Zufriedenheit: Sowohl der Mensch mit Demenz als auch pflegende Angehörige oder Pflegekräfte erleben eine größere Zufriedenheit, da die Emotionen validiert und die Bedürfnisse besser erkannt werden.