Der Fall des Assistenzarztes Philipp G., der zwischen 2018 und 2020 im Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) in Bielefeld Patientinnen betäubte und vergewaltigte, erschütterte die Öffentlichkeit. Die Taten, die er filmte, warfen Fragen nach dem System der Klinik, der Verantwortung der Vorgesetzten und dem Umgang mit den Opfern auf.
Die Taten des Philipp G.
Philipp G. missbrauchte über Monate hinweg sein Anstellungsverhältnis, um Frauen während ihres Krankenhausaufenthaltes zu betäuben und sexuell zu missbrauchen. Zwischen September 2018 und April 2020 betäubte der Assistenzarzt Patientinnen nachts mit Propofol, um sie zu vergewaltigen. Seine Taten filmte er, wobei über 200 Videodateien entstanden. Der Fall kam ins Rollen, als Patientinnen misstrauisch wurden und Anzeige erstatteten.
Betäubung und Missbrauch
Die Vorgehensweise von Philipp G. war perfide. Er suchte Patientinnen auf der neurologischen Station auf, oft nachts, und gab vor, ihnen einen Venenzugang legen zu müssen oder ihnen etwas zur Entspannung zu spritzen. In Wirklichkeit verabreichte er ihnen das Betäubungsmittel Propofol, das sie bewusstlos machte. Anschließend verging er sich an den Frauen und filmte seine Taten.
Die Opfer
Zu den Opfern von Philipp G. gehörte auch Carina S., die im Juli 2019 wegen Schwindelanfällen im Evangelischen Klinikum Bethel Hilfe suchte. Sie erinnert sich, wie der Assistenzarzt ihr nachts einen Venenzugang legte und sie danach das Bewusstsein verlor. Stunden später wachte sie mit Schüttelfrost und Gliederschmerzen auf. Eine weitere Patientin, Nicole T., erlebte im August 2019 ähnliches. Ihr wurde nachts etwas in ihren Zugang gespritzt, woraufhin sie bewusstlos wurde und später mit Halsschmerzen aufwachte.
Britta Schulte (Name geändert) ist eine weitere Patientin, die vermutet, Opfer von Philipp G. geworden zu sein. Sie verbrachte im Sommer 2019 sechs Tage auf der neurologischen Station des Klinikums und teilte sich für eine Nacht das Zimmer mit einer Frau, von der es Videobelege gibt, die zeigen, dass Philipp G. Sie geht inzwischen davon aus, dass sie im Bethel-Klinikum Opfer einer durch Philipp G. verübten Sexualstraftat wurde. Nach ihrem Klinikaufenthalt habe sie auf einmal anders auf ihren langjährigen Partner reagiert. "Wenn er mich im Schlaf von hinten umarmte, war ich in Schweiß gebadet und bekam Herzklopfen." Damals habe sie sich das nicht erklären können, heute vermutet sie eine mutmaßliche Vergewaltigung als Ursache.
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Jasmin Mahler, eine weitere Betroffene, wurde im Dezember 2019 im Klinikum Bethel behandelt. Sie erinnert sich, dass Philipp G. ihr nachts einen Zugang legte und ihr etwas gegen die Schmerzen geben wollte. Danach weiß sie nichts mehr. Später erfuhr sie, dass sie ebenfalls zu den Opfern von Philipp G. gehörte.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg zählt demnach bislang nur jene 30 Patientinnen des Evangelischen Bethel-Klinikums als Opfer, von denen es Videos gibt.
Das Doppelleben des Täters
Eine ehemalige Freundin von Philipp G. beschrieb ihn als ihren liebsten Mitbewohner. Dies wirft die Frage auf, wie er ein solches Doppelleben führen konnte und ob Warnsignale übersehen wurden.
Die Rolle des Klinikums Bethel
Die Vorfälle im Klinikum Bethel werfen schwerwiegende Fragen nach der Verantwortung der Klinikleitung und des medizinischen Personals auf. Es stellt sich die Frage, ob die Verantwortlichen ausreichend auf Warnsignale reagiert haben und ob sie die Patientinnen ausreichend geschützt haben.
Verdachtsmomente und unterlassene Maßnahmen
Es gab bereits frühzeitig Verdachtsmomente gegen Philipp G. So erstattete Carina S. im September 2019 Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den Assistenzarzt. Ende 2019 meldete auch das Pflegepersonal den Ärzten der Station den Verdacht, dass er Drogen nehme und auch im Dienst "high" sei. Im Januar 2020 untersagte der Chefarzt dem Assistenzarzt, das Betäubungsmittel Propofol zu verwenden und Zugänge ohne medizinische Indikation zu legen.
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Trotz dieser Verdachtsmomente und Anweisungen dauerte es bis April 2020, bis die Wohnung von Philipp G. durchsucht wurde und die Beweise für seine Taten gefunden wurden. Dies wirft die Frage auf, ob die Klinikleitung und der Chefarzt ausreichend schnell und konsequent gehandelt haben.
Ein externes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die verantwortlichen Personen Maßnahmen hätten ergreifen müssen. Die Menge der Auffälligkeiten sei groß genug gewesen.
Ermittlungen gegen Verantwortliche
Die Bielefelder Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Beihilfe zur Vergewaltigung durch Unterlassen gegen den Chefarzt, den Oberarzt und die Leitung der Bethel gGmbH ein. Die Ermittlungen wurden jedoch im Mai 2021 eingestellt, da den Verantwortlichen keinHandeln nachgewiesen werden konnte. Das Justizministerium NRW schaltete sich jedoch ein und übergab die Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft Duisburg.
Im April 2024 wurden die Ermittlungen gegen den Chefarzt der Neurologie, einen früheren Oberarzt und den Geschäftsführer des EvKB eingestellt, da ihnen nicht nachgewiesen werden konnte, dem Täter Beihilfe zur Vergewaltigung geleistet zu haben.
Maßnahmen des Klinikums
Vonseiten der Klinik hieß es, die Vorgänge würden intern aufgearbeitet. Es seien medizinisch-labortechnische Untersuchungen veranlasst und der Betäubungsmittelverbrauch der gesamten Klinik kontrolliert worden. Beide Untersuchungen hätten keine Auffälligkeiten ergeben.
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Das Bethel-Klinikum und die Stiftung haben einen Unterstützungsfonds für die Opfer des sexuellen Missbrauchs durch Philipp G. eingerichtet.
Die Rolle der Justiz
Die Rolle der Justiz in diesem Fall ist ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Es dauerte sieben Monate nach der Anzeige, bis die Wohnung von Philipp G. durchsucht wurde. Zudem wurden die betroffenen Frauen zunächst nicht über die Vergewaltigungen und die Geschlechtskrankheiten, die Philipp G. hatte, informiert.
Kritik an der Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaft Bielefeld wurde dafür kritisiert, dass sie die betroffenen Frauen nicht über die Vergewaltigungen und die Geschlechtskrankheiten informiert hat. Traumatherapeuten hätten davon abgeraten, habe die Staatsanwältin zu Stefanie Höke gesagt. Später stellte sich jedoch heraus, dass es keine Akteneinträge über Gespräche mit Experten gab.
Die Staatsanwaltschaft schützte die Klinik nicht die Frauen, so Stefanie Höke. Frauen, die nicht wissen, dass sie vergewaltigt wurden, können keine Konsequenzen fordern, keine Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadenersatz stellen.
Anklage gegen die Staatsanwaltschaft
Jasmin Mahler erstattete Anzeige gegen die Staatsanwaltschaft Bielefeld wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Sie ist nicht die einzige, die heute noch, zwei Jahre nach Philipp G.s Tod, nach Antworten sucht. Nach einer Erklärung, wieso über Monate hinweg Hinweise auf verdächtiges Verhalten von Philipp G. in der Klinik versandeten. Wieso die Ermittlungen bei der Polizei nur schleppend vorangingen. Und wieso die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren einstellte, ohne die betroffenen Frauen zu befragen. Im Frühjahr 2022 lagen den Behörden acht Strafanzeigen von den Frauen vor: Gegen den Chefarzt und Oberarzt, die Philipp G. lange Glauben schenkten. Gegen die Klinikleitung. Gegen die Polizei Bielefeld. Gegen die Staatsanwaltschaft. Sie bilden die Chronik eines Versagens. 22 anwaltlich vertretene Frauen schlossen sich den Verfahren an.
Das Schicksal des Täters
Nach seiner Festnahme im September 2020 nahm sich Philipp G. in der Untersuchungshaft das Leben. Er soll sich erstickt haben und mehrere Abschiedsbriefe hinterlassen haben.
Die Folgen für die Opfer
Die Opfer von Philipp G. leiden bis heute unter den Folgen der Vergewaltigungen. Viele von ihnen kämpfen mit psychischen Problemen, Ängsten und Traumata. Einige Frauen erfuhren erst Monate oder Jahre später von den Taten und mussten sich mit der schrecklichen Wahrheit auseinandersetzen.
Kampf um Gerechtigkeit
Die geschädigten Frauen kämpfen seit Jahren um Gerechtigkeit und Aufklärung. Sie fordern, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und dass die Klinikleitung Fehler zugibt und personelle Konsequenzen zieht.
Unterstützung für die Opfer
Das Bethel-Klinikum und die Stiftung haben einen Unterstützungsfonds für die Opfer des sexuellen Missbrauchs durch Philipp G. eingerichtet. Die Ermittler versuchen nun, eine ältere Frau zu finden, mit der Schulte ihr zweites Zimmer im Klinikum geteilt hat. Diese Frau, sagt Schulte, habe zu ihr eines Morgens gesagt: "Sie hatten aber noch spät Besuch!" Damals habe sie damit nichts anfangen können. Bei ihrer ersten Vernehmung im Februar 2023, erzählt Schulte, habe die Polizistin ihr ein Blatt Papier in die Hand gedrückt. Die Staatsanwaltschaft schreibt dazu auf Anfrage, dieses "Merkblatt" sei "höchst vorsorglich" überreicht worden.
Lehren aus dem Fall Philipp G.
Der Fall Philipp G. hat gezeigt, wie wichtig es ist, auf Warnsignale zu achten, Verdachtsmomenten nachzugehen und die Patientinnen zu schützen. Es müssen Strukturen geschaffen werden, die sexuellen Missbrauch in Kliniken verhindern und die Opfer unterstützen.
Notwendigkeit von Aufklärung und Transparenz
Es ist wichtig, dass die Verantwortlichen Fehler eingestehen und transparent mit den Vorfällen umgehen. Nur so kann Vertrauen wiederhergestellt und verhindert werden, dass sich solche Taten wiederholen.
Schutz der Patientinnen
Der Schutz der Patientinnen muss oberste Priorität haben. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um sexuellem Missbrauch vorzubeugen und die Opfer zu unterstützen. Dazu gehören beispielsweise Schulungen des Personals, die Einrichtung von Beschwerdestellen und die Bereitstellung von psychologischer Hilfe.
Verantwortung der Gesellschaft
Der Fall Philipp G. ist nicht nur ein Problem des Klinikums Bethel, sondern ein Problem der gesamten Gesellschaft. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft sensibel für das Thema sexuelle Gewalt sind und dass wir uns dafür einsetzen, dass die Opfer Schutz und Unterstützung erhalten.
Philipp Schulz
Dr. rer. nat. Philipp Schulz, M. ist Neuropsychologe in der epileptologischen Rehabilitationsklinik, Krankenhaus Mara, Epilepsie-Zentrum Bethel. Er hat zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht und Kongressbeiträge geleistet. Seine Forschungsschwerpunkte sind Fahrtauglichkeit im höheren Lebensalter, kognitive Defizite und Verkehrssicherheit.
Publikationen (Auswahl)
- Schulz, P., Beblo, T., Spannhorst, S., Boedeker, S., Kreisel, S. H., Driessen, M., Labudda, K., & Toepper, M. (2021). Assessing fitness to drive in older adults: Validation and extension of an economical screening tool. Accident; analysis and prevention, 149, 105874.
- Toepper, M., Schulz, P., Beblo, T., & Driessen, M. (2021). Predicting On-Road Driving Skills, Fitness to Drive, and Prospective Accident Risk in Older Drivers and Drivers with Mild Cognitive Impairment: The Importance of Non-Cognitive Risk Factors. Journal of Alzheimer's disease : JAD, 79(1), 401-414.
- Schulz, P., Beblo, T., Spannhorst, S., Labudda, K., Wagner, T., Bertke, V., Boedeker, S., Driessen, M., Kreisel, S. H., & Toepper, M. (2020). Avoidance Behavior is an Independent Indicator of Poorer On-road Driving Skills in Older Adults. The journals of gerontology. Series B, Psychological sciences and social sciences, 75(10), 2152-2161.
- Schulz, P., Labudda, K., Bertke, V., Bellgardt, S., Boedeker, S., Spannhorst, S., … & Toepper, M. (2020). Age effects on traffic sign comprehension. IATSS research, 44(2), 103-110.
Wolf-Rüdiger Schäbitz
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz wurde 1967 in Zeitz in Sachsen-Anhalt geboren. Er ist Facharzt für Neurologie und arbeitete an der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg und der Neurologischen Universitätsklinik Münster.
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