Die Polyneuropathie, insbesondere der Füße, stellt für viele Patienten eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität dar. Charakteristische Symptome sind Kribbeln, Brennen, Taubheit, Schmerzen und Gangunsicherheit. Diese Nervenerkrankung kann verschiedene Ursachen haben, wobei Diabetes mellitus und Chemotherapie zu den häufigsten Auslösern zählen. Während die konventionelle Medizin oft auf Schmerztherapie und die Behandlung der Grunderkrankung fokussiert ist, rückt die Akupunktur als komplementäre Behandlungsmethode zunehmend in den Fokus. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Studienlage zur Akupunktur bei Polyneuropathie der Füße und gibt einen Einblick in die Anwendung und Wirkungsweise aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM).
Polyneuropathie: Ursachen, Symptome und konventionelle Therapie
Die periphere Polyneuropathie (PNP) ist eine strukturelle Schädigung der peripheren Nerven, die unter anderem durch Diabetes mellitus und Chemotherapeutika verursacht werden kann. Klinisch äußert sie sich durch distal betonte Parästhesien, Schmerzen, Sensibilitäts- und Funktionsverluste der Extremitäten. Insbesondere bei Diabetes mellitus entwickeln etwa die Hälfte aller Betroffenen im Laufe der Erkrankung eine Polyneuropathie, die mit Symptomen wie Schmerzen, Kribbeln, Taubheit und Gangunsicherheit einhergeht. Diese Symptome schränken die Lebensqualität erheblich ein und erhöhen das Sturzrisiko.
Die konventionelle Therapie konzentriert sich auf die Palliation von neuropathischen Schmerzen und Parästhesien, wobei es derzeit keine pharmakologische Therapie gibt, die die Nervenschädigung ursächlich behandelt oder gar heilen kann. Auch eine gute Blutzuckereinstellung kann die Entwicklung und das Fortschreiten der diabetischen Polyneuropathie nicht verhindern. Symptomatische Behandlungen mit Schmerzmitteln aus dem Antiepileptika-Spektrum können Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten verursachen und beseitigen häufig nicht alle Beschwerden, insbesondere Taubheitsgefühle.
Akupunktur als Therapieoption bei Polyneuropathie
Angesichts der begrenzten therapeutischen Möglichkeiten der konventionellen Medizin suchen viele Patienten nach alternativen oder komplementären Behandlungsansätzen. Die Akupunktur, eine traditionelle chinesische Heilmethode, hat sich als vielversprechende Option zur Linderung der Beschwerden bei Polyneuropathie erwiesen.
Akupunktur aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM)
Nach den Kriterien der TCM bedeutet die PNP eine Schädigung des Yin. Polyneuropathien sind immer mit Strukturschäden der peripheren Nerven verbunden und damit aus Sicht der Chinesischen Medizin mit einer depletio yin (energetische Schwäche des Yin, yinxu) vergesellschaftet, so dass die Stützung des Yin für alle Formen der Polyneuropathie sinnvoll ist. Durch die depletio yin (energetische Schwäche des Yin, yinxu) entstehen sekundär depletio qi lienale et renale (energetische Schwäche des Qi der Fk „Milz“ und „Niere“, pi shen qi xu), eine Blockade der Leitbahnen durch humor („Feuchtigkeit“, shi) und pituita („Schleim“, tan) und eine Tendenz zu algor („Kälte“, han) mit verschlechterter Kapillarfunktion, wodurch Qi und Xue die Extremitäten nicht mehr ausreichend erreicht. Dies führt zu Taubheitsgefühlen, schlaffen Lähmungen, kalten Extremitäten und Schwellungen.
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Weitere sekundäre Folgen der depletio yin (energetische Schwäche des Yin, yinxu) wie depletio yang (energetische Schwäche des Yang, yangxu), ventus internus (innerer „Wind“, neifeng), calor depletionis („Hitze“ aufgrund energetischer Schwäche, xure) und Xue-Stase und konsekutive Symptome wie Eiseskälte, Missempfindungen, Krämpfe, neuralgische Schmerzen, Brennschmerzen, Lividität können auftreten.
Die Akupunktur zielt darauf ab, das gestörte Gleichgewicht im Körper wiederherzustellen und die Selbstheilungskräfte anzuregen.
Akupunkturpunkte und Behandlungskonzepte
Bei der Akupunkturbehandlung der Polyneuropathie werden verschiedene Punkte auf den Meridianen stimuliert, um die Energiebahnen zu aktivieren und Blockaden zu lösen. Am häufigsten wurden Punkte der c. stomachi (Hauptleitbahn des Fk „Magen“, wei jing), c. intestini crassi (Hauptleitbahn des Fk „Dickdarm“, dachang jing), c. hepatica (Hauptleitbahn des Fk „Leber“, gan jing), c. renalis (Hauptleitbahn des Fk „Niere“, shen jing), c. vesicalis (Hauptleitbahn des Fk „Blase“, pangguang jing), c. lienalis (Hauptleitbahn des Fk „Milz“, pi jing) und c. fellei (Hauptleitbahn des Fk „Gallenblase“, dan jing) sowie die Extrapunkte Ex19/EX-LE-10 („Die acht Winde“, bafeng) und Ex14/EX-UE‑9 („Die acht Schrägläufigkeiten“, baxie) behandelt. Die lokale Behandlung der Akren ist der ausschließlichen Behandlung von proximal gelegenen Punkten überlegen.
Eine häufig verwendete Punktkombination ist EX-LE12 („Ende des Qi“, qiduan), Ex15/Ex-UE-11 („Die zehn Drainagen“, shixuan), Ex19/EX-LE-10 („Die acht Winde“, bafeng), Ex14/EX-UE‑9 („Die acht Schrägläufigkeiten“, baxie) und der foramina rimica (Spaltpunkte, xixue) als Grundkonzept mit breiter Wirkung angesehen werden.
Studienlage zur Akupunktur bei Polyneuropathie
Die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit der Akupunktur bei Polyneuropathie ist noch begrenzt, aber vielversprechend. Es gibt diverse Berichte, die eine positive Wirkung von Akupunktur auf Polyneuropathie zeigen, allerdings fehlen noch eindeutig messbare Ergebnisse. Die Beurteilbarkeit der Evidenz ist dennoch weiterhin eingeschränkt.
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Eine randomisierte, kontrollierte Studie von Forschern um Dr. Ting Bao am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York untersuchte die Wirksamkeit von Akupunktur bei Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie (CIPN). Die 75 Patienten hatten unter Chemotherapie mäßige bis schwere Polyneuropathien mit Taubheit, Kribbeln und/oder Schmerzen entwickelt. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen randomisiert: echte Akupunktur, Scheinakupunktur und übliche Standardbehandlung. Die Ergebnisse zeigten, dass die echte Akupunktur in allen Punkten signifikant stärkere Symptomabnahmen erzielte als die Standardbehandlung (Schmerzen: p = 0,05; Kribbeln: p = 0,02; Taubheit: p = 0,005). Der Effekt der echten Akupunktur hielt lange an: Nach acht Wochen hatte sich der Wert auf der Schmerzskala um -1,75 Punkte reduziert, nach zwölf Wochen betrug er noch -1,74 Punkte (95%-KI -2,6 bis -0,83). Die Scheinakupunktur schnitt lediglich bei den Taubheitsgefühlen besser ab als die konventionelle Behandlung (p = 0,003).
Eigene klinische Studien des HanseMerkur Zentrums zur Erforschung der Akupunktur der Polyneuropathie zeigten signifikant positive Effekte auf elektroneurographische, klinische und symptombezogene Endpunkte bei diabetischer PNP und CIPN. Diese Bemühungen finden nun auch bei der Techniker-Krankenkasse (TK) Beachtung, die in einer Veröffentlichung auf ihrer Webseite Bezug auf eine Multicenter-Studie nimmt, die gemeinsam mit der Charité Berlin durchgeführt wurde und die Wirksamkeit von Akupunktur bei diabetischer Polyneuropathie belegt. Die Studie war eine Bestätigungsstudie der ACUDIN-Studie, in der sogar nachgewiesen werden konnte, dass Akupunktur die Nervenleitgeschwindigkeiten der Nerven verbessert. Hervorgehoben wurde in dem Artikel auch, dass Akupunktur auch bei Polyneuropathie durch Chemotherapie zur Krebstherapie wirkt.
In der ACUDPN-Studie untersuchten Forschende der Charité Berlin und dem Zentrum für TCM der Uni Hamburg die therapeutischen Möglichkeiten der Akupunktur bei diabetischer Polyneuropathie (DPN). Die Studienteilnehmer berichteten weniger neuropathische Schmerzen, geringeres Schmerzempfinden sowie eine verbesserte Lebensqualität. Sowohl direkt nach der Akupunktur als auch im Follow-up. Die Forschenden schlussfolgern: Akupunktur kann die Beschwerden einer diabetischen Neuropathie signifikant und anhaltend reduzieren im Vergleich zur Routine-Behandlung. Allerdings brauche es mehr qualitativ hochwertige klinische Studien.
Eine weitere Studie untersuchte den Effekt von Akupunktur auf die CIPN in einem Cross-over-Design mit zwei Gruppen von betroffenen Patienten. Ziel war es, anhand von elektroneurographischen Messungen den objektiven Effekt von Akupunktur auf die CIPN zu untersuchen.
Mögliche Wirkmechanismen der Akupunktur
Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt. Es wird angenommen, dass Akupunktur über die Stärkung der Selbstheilungskräfte und die Aktivierung der gestörten Feindurchblutung (Mikrovaskularisation) zu einer Verbesserung der Beschwerden und zu messbarer Regeneration von peripheren Nerven führt.
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Fest steht, dass an den Akupunkturpunkten unterschiedliche Strukturen wie Nerven-, Faszien- und Muskelpunkte liegen. Wenn der Stich durch die Haut geht und den Akupunkturpunkt trifft, dann gibt es eine Ausschüttung von verschiedenen Überträgersubstanzen. Dann wird das Signal weitergeleitet auf Rückenmarksebene. Dort wird der Reiz schon moduliert und es findet die erste schmerzhemmende Reaktion des Körpers statt. Es folgt die zentrale Verarbeitung im Gehirn, wo der Nadelstich in den verschiedensten Zentren der Schmerzbewertung, der Schmerzwahrnehmung und der Schmerzstärke verarbeitet wird - bis hin zu den kortikalen Regionen in der Großhirnrinde. Die Akupunktur hat aber viele weitere Wirkungen. Der Stich rege auch das vegetative Nervensystem an, worauf der Parasympathikus reagiere. Eine hemmende Reaktion, die dazu führe, dass die Patienten zur Ruhe kommen und sich entspannen können. Diese Wirkung halte an und führe bei den Patienten zu besserem Schlaf, weniger Schmerzen, besserer Stimmung - so die Vermutungen.
Es gibt eine starke Sofortwirkung der Akupunktur durch die Endorphin-Ausschüttungen und die Aktivierung der schmerzhemmenden Systeme im Körper. Auch der Placebo-Effekt spielt eine Rolle. Jede wirksame Therapie hat auch eine Placebo-Wirkung, also Effekte über die reine physiologische Wirkung hinaus. Das sind Effekte, die eintreten, wenn der Patient von der Therapie überzeugt ist, die Therapie versteht und bereit ist zu einer Besserung und keine inneren Widerstände oder Zielkonflikte bestehen.
Sicherheit und Nebenwirkungen der Akupunktur
Die Akupunktur gilt generell als sicheres Verfahren in der Medizin. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind in den allerseltensten Fällen zu erwarten - bei fünf von einer Million Behandlungen. Häufiger beobachtet werden Nebenwirkungen milder Art, zum Beispiel kleine Blutungen an der Einstichstelle oder Nadelschmerz.
Schwangere, Patienten mit Herzschrittmachern oder Prothesen sowie Menschen, die Blutverdünner nehmen, sollten Nutzen und Risiken einer Akupunkturbehandlung zusammen mit ihrem Arzt abwägen.
Anwendung der Akupunktur bei Polyneuropathie
Wenn Sie sich für eine Akupunkturbehandlung Ihrer Polyneuropathie interessieren, sollten Sie einen erfahrenen TCM-Arzt oder Heilpraktiker aufsuchen, um die beste Behandlung für Ihre Bedürfnisse zu erhalten. Da die passenden Akupunkturpunkte für jede Person unterschiedlich sein können, ist es wichtig, dass Sie die richtige Beratung erhalten, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.
Die Akupunkteure sollten nur sterile Einmalnadeln verwenden, um Infektionen zu vermeiden. Auf den Homepages der großen Akupunktur-Gesellschaften finden sich ausgebildete Akupunkteure, sortiert nach Postleitzahlen. Man sollte immer darauf achten, dass die entsprechenden Personen auch wirklich eine fundierte medizinische Ausbildung haben, damit die Akupunktur sicher durchgeführt wird.
Es ist wichtig, dass Sie sich in einem Umfeld befinden, wo Sie sich geborgen fühlen, da die Akupunktur eine Körpertherapie ist und wir mit dem Körper arbeiten, arbeiten wir auch immer mit unseren Emotionen.
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