Die Entscheidung für oder gegen eine Privatpraxis in der Neurologie ist ein komplexer Prozess, der sowohl persönliche Präferenzen als auch wirtschaftliche Überlegungen berücksichtigt. Dieser Artikel beleuchtet die Vor- und Nachteile einer solchen Praxisform, um Neurologen bei ihrer Karriereplanung zu unterstützen.
Einführung
Die Neurologie ist ein vielfältiges Feld, das die Diagnose und Behandlung von Erkrankungen des Nervensystems umfasst. Neurologen behandeln ein breites Spektrum von Erkrankungen, darunter Bewegungsstörungen, Demenz-Erkrankungen, entzündliche Erkrankungen des Nervensystems und Schädigungen von Nerven durch andere Grunderkrankungen. Die Wahl zwischen einer Anstellung in einem Krankenhaus, einer Gemeinschaftspraxis oder einer eigenen Privatpraxis ist eine wichtige Entscheidung, die die berufliche Laufbahn maßgeblich beeinflusst.
Vorteile einer Privatpraxis Neurologie
Autonomie und Flexibilität
Einer der Hauptvorteile einer Privatpraxis ist die größere Autonomie. Neurologen in eigener Praxis haben die Freiheit, ihre Arbeitsweise selbst zu gestalten, ihre Sprechzeiten festzulegen und ihren Behandlungsschwerpunkt zu wählen. Dies ermöglicht eine individuellere Patientenversorgung und eine bessere Work-Life-Balance. Frau Dr. Sabine Eversheim betont, dass sie in ihrer Privatpraxis stressfreier arbeiten kann als zuvor in einer Praxis bei einem Kollegen oder im Krankenhaus. Sie schätzt die bessere Zeiteinteilung und die Unabhängigkeit von Arzneimittelbudgets und Beschränkungen bei Heilmittelverordnungen.
Individuelle Patientenversorgung
In einer Privatpraxis können Neurologen mehr Zeit für jeden Patienten aufwenden und eine umfassendere Betreuung anbieten. Dies ermöglicht eine gründlichere Anamnese, eine ausführlichere Untersuchung und eine individuellere Behandlungsplanung. Dr. Eversheim nimmt sich beispielsweise für ein Erstgespräch rund eine Stunde Zeit, um sich ein umfassendes Bild von ihren Patienten zu machen.
Spezialisierung und Profilbildung
Eine Privatpraxis bietet Neurologen die Möglichkeit, sich auf bestimmte Bereiche der Neurologie zu spezialisieren und ein eigenes fachliches Profil zu entwickeln. Dies kann beispielsweise die Behandlung von Multipler Sklerose, Epilepsie oder neuromuskulären Erkrankungen sein. Spezialsprechstunden, wie sie beispielsweise im Diakonie-Klinikum Schwäbisch Hall angeboten werden, ermöglichen eine gezielte Betreuung von Patienten mit spezifischen neurologischen Erkrankungen.
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Wirtschaftliche Vorteile
Obwohl die Gründung einer Privatpraxis mit finanziellen Risiken verbunden ist, bietet sie auch die Möglichkeit, ein höheres Einkommen zu erzielen. Das Einkommen niedergelassener Psychiater, das sich auch auf Neurologen übertragen lässt, zeigt eine erhebliche Bandbreite. Im oberen Einkommenssegment können Neurologen in eigener Praxis deutlich mehr verdienen als in einer Anstellung. Eine wirtschaftliche Analyse zeigt, dass bei voller Niederlassung das kumulierte Einkommen eines niedergelassenen Psychiaters das eines Oberarztes typischerweise nach 5-7 Jahren übersteigt.
Unabhängigkeit von Krankenkassen
In einer Privatpraxis sind Neurologen weniger stark von den Vorgaben der gesetzlichen Krankenkassen abhängig. Sie können ihre Leistungen direkt mit den Patienten abrechnen und haben mehr Freiheit bei der Wahl der Behandlungsmethoden. Frau Dr. Böhler schätzt die Möglichkeit, Krankengymnastik zu verordnen, ohne die Einschränkungen der gesetzlichen Krankenkassen.
Nachteile einer Privatpraxis Neurologie
Hohe Anfangsinvestitionen
Die Gründung einer Privatpraxis erfordert erhebliche finanzielle Investitionen. Dazu gehören die Kosten für die Praxisausstattung, die Miete oder der Kauf von Praxisräumen, die Personalkosten und die Marketingkosten. Nach Zahlen der Deutschen Apotheker- und Ärztebank amortisieren sich die Investitionen in eine psychiatrische Praxis durchschnittlich nach 4-6 Jahren.
Wirtschaftliches Risiko
Als Selbstständiger tragen Neurologen in eigener Praxis das volle wirtschaftliche Risiko. Sie sind für die Akquise von Patienten, die Abrechnung der Leistungen und die Deckung der Kosten verantwortlich. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten kann dies zu finanziellen Belastungen führen.
Hoher Verwaltungsaufwand
Die Führung einer Privatpraxis ist mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Neurologen müssen sich um die Buchhaltung, die Personalverwaltung, die Abrechnung mit den Patienten und die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften kümmern. Dies kann viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen.
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Konkurrenzdruck
In einigen Regionen Deutschlands herrscht ein hoher Konkurrenzdruck unter den Neurologen. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, müssen Privatpraxen ein Alleinstellungsmerkmal entwickeln und sich aktiv um die Gewinnung von Patienten bemühen.
Abhängigkeit von Privatpatienten
Eine Privatpraxis ist in erster Linie auf die Behandlung von Privatpatienten ausgerichtet. Die Anzahl der Privatpatienten ist jedoch begrenzt, und in einigen Regionen Deutschlands ist der Anteil der Privatversicherten gering. Dies kann zu einer Abhängigkeit von einer bestimmten Patientengruppe führen.
Abrechnung und IGEL-Leistungen
Die Abrechnung in einer Privatpraxis orientiert sich an der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in der jeweils aktuellen Fassung. Privatärztliche Leistungen können deutlich höher ausfallen als die Vergütungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlt werden. Viele Privatpraxen bieten auch individuelle Gesundheitsleistungen (IGEL) an, die nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Diese IGEL-Leistungen sind ein reines Serviceangebot und bieten den Patienten die Möglichkeit, zusätzliche Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Spezialisierungen und Schwerpunkte
Neurologen in Privatpraxen können sich auf verschiedene Bereiche spezialisieren und Schwerpunkte setzen. Einige Beispiele sind:
- Multiple Sklerose: Spezialsprechstunden für Multiple Sklerose bieten eine umfassende Betreuung von MS-Patienten, einschließlich intravenöser Gabe von Therapien, Lumbalpunktionen und immunmodulatorischer Therapien.
- Epilepsie: In Epilepsieambulanzen werden Patienten nach einem ersten epileptischen Anfall sowie Patienten mit therapierefraktären Epilepsien betreut. Es werden auch Differenzialdiagnostik bei anfallsartigen Ereignissen und Zweitmeinungen bei unklarer Diagnose angeboten.
- Neuromuskuläre Erkrankungen: Spezialsprechstunden für neuromuskuläre Erkrankungen behandeln verschiedene Erkrankungen wie dysimmune Neuropathien, immunvermittelte Polyneuropathien und Myopathien sowie Störungen der neuromuskulären Übertragung wie die Myasthenia Gravis.
- Schlaganfall: Die sekundäre Versorgung nach einem stattgehabten Schlaganfall ist von großer Wichtigkeit, um weitere Schlaganfälle zu verhindern. Neurologen in Privatpraxen bieten Ultraschalluntersuchungen der hirnversorgenden Gefäße an, um Schlaganfallsrisikofaktoren frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
- Kopfschmerzen: Auch bei den gutartigen Kopfschmerzarten wie Migräne ist es wichtig, die häufige Einnahme von Analgetika zu vermeiden, um die Entwicklung medikamenteninduzierter Kopfschmerzen zu verhindern. Neurologen in Privatpraxen bieten eine fachärztliche Unterstützung bei der Behandlung von Kopfschmerzen an.
- Bewegungsstörungen: Das Zittern der Hände oder anderer Körperteile (Tremor) kann auf unterschiedliche Krankheiten zurückgeführt werden. Neurologen in Privatpraxen bieten eine umfassende Diagnostik und Behandlung von Bewegungsstörungen an.
- Demenz: Bei Zunahme des Alters stellt Demenz bei vielen Menschen eine besondere Herausforderung dar. Neurologen in Privatpraxen bieten eine Ursachenabklärung und ggf. die Behandlung der möglichen Risikofaktoren an.
Diagnostische Verfahren
Neurologen in Privatpraxen setzen verschiedene diagnostische Verfahren ein, um neurologische Erkrankungen zu erkennen und zu behandeln. Dazu gehören:
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- Elektroenzephalographie (EEG): Ableitung der elektrischen Aktivität des Gehirns. Diese Untersuchung kann wichtige Hinweise auf bestimmte Erkrankungen oder deren Ursache liefern, insbesondere bei Epilepsien, Kopfschmerzen, Hirnleistungsstörungen und Entzündungen des Gehirns.
- Ultraschall der hirnversorgenden Gefäße: Untersuchung der hirnversorgenden Gefäße mit Ultraschall. Hierbei können Verengungen oder andere Veränderungen der Gefäße festgestellt werden, die zu einer Minderversorgung des Gehirns führen können.
- Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (NLG): Bei dieser Untersuchung werden die Nervenleitgeschwindigkeiten einzelner Nerven gemessen. Verlangsamungen der Nervenleitung finden sich zum Beispiel bei Engpasssyndromen im Bereich der Handgelenke.
- Elektromyographie (EMG): Hierbei werden die elektrischen Impulse der Muskulatur sichtbar gemacht und gemessen. Dadurch ist zum Beispiel eine Unterscheidung zwischen frischen und chronischen Schädigungen der muskelversorgenden Nerven möglich.
- Evozierte Potentiale: Messung der Hirnaktivität als Reaktion auf bestimmte Reize. Diese Untersuchung kann bei der Diagnose von Multipler Sklerose und anderen neurologischen Erkrankungen hilfreich sein.
- Lumbalpunktion: Entnahme von Nervenwasser zur Untersuchung. Diese Untersuchung kann bei der Diagnose von entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems, Multipler Sklerose und anderen neurologischen Erkrankungen hilfreich sein.
- Kognitive Testungen: Untersuchung und Bewertung der kognitiven Leistung, z. B. bei Verdacht auf Demenz.
Fazit
Die Entscheidung für eine Privatpraxis in der Neurologie ist eine individuelle Entscheidung, die von verschiedenen Faktoren abhängt. Eine Privatpraxis bietet Neurologen die Möglichkeit, autonom zu arbeiten, ihre Patienten individuell zu betreuen und sich auf bestimmte Bereiche zu spezialisieren. Allerdings ist die Gründung einer Privatpraxis mit finanziellen Risiken und einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Neurologen, die eine Privatpraxis in Erwägung ziehen, sollten sich daher gründlich über die Vor- und Nachteile informieren und eine fundierte Entscheidung treffen.
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