Ein Krankenhausaufenthalt kann für ältere Menschen eine besondere Herausforderung darstellen. Nicht selten kommt es vor, dass Patienten, die vor dem Aufenthalt geistig fit waren, plötzlich Verwirrtheitszustände entwickeln, die an Demenz erinnern. Dieses Phänomen, oft als Delir bezeichnet, ist ein massiv unterschätztes Problem, das jedoch reversible sein kann, wenn es rechtzeitig erkannt und behandelt wird.
Was ist ein Delir?
Ein Delir ist eine akute, vorübergehende Störung der Aufmerksamkeit, der Kognition und des Bewusstseinsniveaus. Es handelt sich um eine plötzlich auftretende Wesensänderung im Rahmen einer schweren Akuterkrankung. Die Symptome können vielfältig sein und sich schnell entwickeln. Einige Betroffene sind sehr irritiert, unruhig und aggressiv (hyperaktives Delir), andere so verängstigt und in sich gekehrt, dass sie nicht mehr aufstehen wollen (hypoaktives Delir). Ein Delir kann durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst werden, einschließlich Infektionen, Dehydration, Medikamentennebenwirkungen, Entzugssyndrome, metabolische Störungen und neurologische Erkrankungen.
Ursachen für plötzliche Verwirrtheit im Krankenhaus
Die Ursachen für ein Delir nach einem Krankenhausaufenthalt sind vielfältig. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Verwirrung nicht zwangsläufig auf eine beginnende Demenz hindeutet, sondern oft eine Folge der besonderen Umstände im Krankenhaus ist. Hier sind einige der Hauptursachen:
1. Medikamente und ihre Wechselwirkungen
- Schmerz- und Beruhigungsmittel: Die Kombination aus Schmerz- und Beruhigungsmitteln, die während eines Krankenhausaufenthalts verabreicht werden, kann zu Verwirrtheitszuständen führen. Besonders bedenklich sind Sedativa wie Benzodiazepine, die zwar beruhigend wirken, aber paradoxerweise das Gegenteil bewirken und Verwirrung verstärken können.
- Diuretika: Diese Medikamente, die oft bei Bluthochdruck, Herzschwäche oder Niereninsuffizienz eingesetzt werden, können ebenfalls zu Verwirrtheitszuständen, Demenzsymptomen und Delirium führen.
- Anticholinergika: Medikamente gegen Inkontinenz, Morbus Parkinson oder chronisch obstruktive Lungenerkrankungen können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und Verwirrtheit auslösen oder verstärken.
- Polypharmazie: Die gleichzeitige Einnahme vieler Medikamente, insbesondere bei älteren Menschen, birgt ein hohes Risiko für Wechselwirkungen, die die entgiftenden Enzyme der Leber hemmen und die Wirkung der einzelnen Medikamente verstärken können. Auch der Entzug gewohnter Medikamente kann zu Problemen führen.
2. Andere medizinische Auslöser
- Infektionen: Gerade im Krankenhaus können sich Patienten leicht Infektionen zuziehen, insbesondere Harnwegsinfekte durch Katheter, die als mögliche Auslöser einer Verwirrung bei älteren Menschen gelten.
- Vorerkrankungen: Patienten mit bereits bestehender Demenz, Parkinson oder nach einem Schlaganfall haben ein erhöhtes Risiko für Verwirrung im Krankenhaus. Auch Knochenbrüche oder Organversagen können eine Rolle spielen.
- Operationen und Narkose: Besonders in den Tagen nach einer Operation ist eine Verwirrung häufig, da die Medikamente in dieser Phase meist hoch dosiert werden. Auch Entzündungsprozesse als Reaktion des Immunsystems auf die Operation können den Nervenzellen schaden. Eine lange Operationsdauer stellt ebenfalls einen Risikofaktor dar.
3. Krankenhausbedingte Faktoren
- Untersuchungen und Anwendungen: Untersuchungen und Anwendungen im Krankenhaus können die natürliche Scham der Patienten verletzen. Das Legen und Entfernen von Harnkathetern ohne ausreichende Rücksichtnahme kann belastend sein.
- Schlafentzug: Der gestörte Tag-Nacht-Rhythmus und der Mangel an ungestörtem Schlaf im Krankenhaus können zu Verwirrung beitragen. Ständige Unterbrechungen durch Personal, laute Zimmernachbarn und ungewohnte Geräusche stören die Erholung.
- Isolation und Fremdheit: Ältere Menschen sind oft nur von wenigen Menschen umgeben. Im Krankenhaus sind sie permanent von fremden Menschen umgeben, was zu Desorientierung und Angst führen kann. Jede Änderung der Routine bringt sie aus dem Gleichgewicht.
Auswirkungen eines Delirs
Ein Delir ist nicht nur ein vorübergehender Zustand der Verwirrung. Es kann weitreichende Folgen haben:
- Verlängerung des Krankenhausaufenthalts: Ein Delir schränkt die Kooperation des Patienten ein, die für eine rasche Genesung benötigt wird. Rehabilitationsmaßnahmen können verzögert werden.
- Erhöhtes Demenzrisiko: Die krankenhausbedingte Verwirrtheit kann das Risiko für eine tatsächliche Demenz erhöhen oder eine bereits begonnene Demenz dramatisch beschleunigen.
- Erhöhte Sterblichkeit: Ein unerkanntes Delir erhöht das postoperative Sterblichkeitsrisiko.
- Langzeitige kognitive Beeinträchtigungen: Man geht davon aus, dass circa 25 Prozent ein Jahr nach Krankenhausaufenthalt immer noch kognitive Einschränkungen nach einem Delir haben.
- Sturzgefahr: Wird ein Delir nicht umgehend behandelt, verschlechtert sich der Allgemeinzustand und die Gefahr von Komplikationen, zum Beispiel Sturz, steigt.
- Notwendigkeit der Langzeitpflege: Gegebenenfalls müssen Betroffene sogar in einer Langzeit-Pflegeeinrichtung untergebracht werden, da sie sich zu Hause nicht mehr selbst versorgen können.
Prävention und Behandlung
Es gibt verschiedene Maßnahmen, um einem Delir vorzubeugen und es effektiv zu behandeln:
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1. Medikamentenmanagement
- Überprüfung der Medikation: Achten Sie darauf, welche Medikamente Ihre älteren Familienmitglieder einnehmen. Fertigen Sie eine Liste der Wirkstoffe an, der Dosis und der Einnahmezeitpunkte - und nehmen Sie diese Liste mit ins Krankenhaus.
- Vermeidung von Polypharmazie: Ärzte sollten auf mögliche Wechselwirkungen achten und die Anzahl der Medikamente so gering wie möglich halten.
- Ausschleichen von Medikamenten: Das Absetzen von Medikamenten sollte langsam und unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, um Entzugserscheinungen zu vermeiden.
2. Nicht-pharmakologische Maßnahmen
- Orientierungshilfen: Bereitstellung von Orientierungshilfen wie Uhren, Kalendern und persönlichen Gegenständen.
- Ruhige Umgebung: Sicherstellung einer ruhigen und gut beleuchteten Umgebung sowie klare und einfache Kommunikation zur regelmäßigen Reorientierung des Patienten.
- Frühzeitige Mobilisierung: Patienten sollten möglichst bald wieder das Bett verlassen, sich bewegen oder an einer Physiotherapie teilnehmen.
- Förderung der kognitiven Aktivität: Es ist wichtig, dass der Patient sowohl körperlich (so gut es geht) als auch geistig aktiv bleibt. Kleine Spiele, die die Aufmerksamkeit fördern, können hilfreich sein.
- Anwesenheit von Angehörigen: Die bloße Anwesenheit von vertrauten Menschen ist hilfreich. Angehörige können eine vertraute Atmosphäre schaffen, indem sie Fotos anschauen, aus Lieblingsbüchern vorlesen oder ein Kissen von daheim mitbringen.
- Rituale: In einem gewissen Rahmen können gegebenenfalls auch Rituale von zu Hause in der Klinik umgesetzt werden. Beispielsweise das Ritual mit der Ehefrau zu Hause Kaffee trinken und über das Welt Geschehen sprechen.
3. Pharmakologische Interventionen
- Behandlung der Ursache: Die wichtigste Maßnahme ist die Behandlung der Ursache des Delirs, z.B. die Behandlung einer Infektion mit Antibiotika oder die Korrektur von Elektrolytstörungen.
- Beruhigungsmittel: Bei sehr starken Symptomen wie Panikreaktionen, starker Unruhe oder Aggressivität können vorübergehend beruhigende Medikamente eingesetzt werden, aber nur wenn nicht-pharmakologische Maßnahmen nicht ausreichen.
4. Spezielle Programme und Konzepte
- HELP (Hospital Elder Life Program): Dieses Programm, das in einigen Kliniken eingesetzt wird, soll älteren Menschen helfen, den Krankenhausaufenthalt gesund zu überstehen. Es kümmert sich darum, dass Risikogruppen für krankenhausbedingte Verwirrung nach dem Krankenhausaufenthalt wieder ihr gewohntes Leben zu Hause aufnehmen können.
- Delir-Unit: Einige Krankenhäuser haben spezielle Stationen für Patienten mit einem Delir entwickelt, die eine intensive Betreuung und spezielle Therapien anbieten.
- Sektorenübergreifende Konzepte: Ein Konzept, das sektorenübergreifend ähnlich dem in der Palliativversorgung des Krankenhauses umgesetzt werden könnte, ist wünschenswert.
Was können Angehörige tun?
Angehörige spielen eine wichtige Rolle bei der Prävention und Behandlung eines Delirs:
- Aufklärung: Zunächst ist es wichtig, sie über den Verwirrtheitszustand aufzuklären. Wenn sie wissen, dass dieser Zustand vorübergehend ist, können sie besser damit umgehen.
- Aktive Einbringung: Angehörige können sich aktiv einbringen, indem sie den Patienten besuchen, mit ihm sprechen, ihm vorlesen oder ihm vertraute Gegenstände mitbringen.
- Beobachtung: Verhält sich die Mutter oder der Vater nicht wie gewohnt, sollten Angehörige sofort beim Pflegepersonal Bescheid geben.
- Re-Orientierung: Angehörige können bei der Re-Orientierung helfen, sie können viel eher als das Pflegepersonal an Erinnerungen anknüpfen und diese aktiv halten.
- Unterstützung nach der Entlassung: Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ist es wichtig, dass Angehörige den Patienten in seinem eigenen Zuhause betreuen und ihm helfen, sich wieder an seinen Alltag zu gewöhnen.
- Medikamentenmanagement: Angehörige sollten darauf achten, dass der Patient nur die wirklich notwendigen und verträglichen Medikamente einnimmt und dass diese nicht zu Verwirrtheitszuständen führen können.
- Nicht ins Pflegeheim: War das Familienmitglied vor dem Krankenhausaufenthalt geistig völlig klar, dann nehmen Sie es nach der Entlassung mit nach Hause und bringen Sie es nicht in ein Heim.
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