Psychisch bedingte Lähmung: Ursachen, Diagnose und Therapie

Psychisch bedingte Lähmungen, auch bekannt als dissoziative Bewegungsstörungen oder Konversionsstörungen, sind ein faszinierendes und komplexes Gebiet der Medizin. Sie äußern sich in einem teilweisen oder vollständigen Verlust der willkürlichen Bewegungsfähigkeit, ohne dass eine organische Ursache wie eine Schädigung des Nervensystems oder der Muskeln vorliegt. Stattdessen werden diese Symptome durch psychische Faktoren ausgelöst, oft als Reaktion auf traumatische Erlebnisse, unlösbare Konflikte oder andere Formen von seelischer Belastung.

Was ist eine Konversionsstörung?

Eine Konversionsstörung ist eine neurotische Störung, bei der Symptome wie der Verlust des Identitätsbewusstseins, Erinnerungsstörungen, aber auch neurologische Symptome wie Taubheit oder Lähmung auftreten. Das Besondere an der Konversionsstörung: Die Symptome treten nach belastenden Ereignissen auf, und es können keine körperlichen Ursachen für sie gefunden werden. Es wird angenommen, dass die Psyche starken Einfluss auf den Verlauf von körperlichen Symptomen hat oder diese hervorruft. Die dissoziative Störung ruft eine Trennung von Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalten hervor, die normalerweise zusammenhängen. Der Verlust einer nahestehenden Person kann beispielsweise eine psychische Belastung auslösen, die sich auf den Körper auswirkt und zu physischen Beschwerden führt.

Symptome einer psychisch bedingten Lähmung

Die Symptome einer psychisch bedingten Lähmung können vielfältig sein und sich von Person zu Person unterscheiden. Einige häufige Anzeichen sind:

  • Motorische Paresen: Schwäche oder Kraftlosigkeit, die von einer zeitweiligen Verunsicherung in der Bewegungskontrolle bis hin zu schweren Lähmungen reichen kann. Typisch ist ein plötzlicher Beginn und ein wechselhafter Verlauf.
  • Bewegungsstörungen: Zittern, Zuckungen, Muskelverkrampfungen und Gangstörungen.
  • Dissoziative Bewegungsstörungen: Vollständiger oder teilweiser Verlust der Bewegungsfähigkeit eines oder mehrerer Körperteile (teilweise auch der Sprache). Eine dissoziative Bewegungsstörung kann sich auch in Form von unterschiedlichen Arten und Ausprägungen mangelnder Koordination (Ataxie) äußern.
  • Dissoziativer Stupor: Bewegungsstarre oder deutliche Einschränkung der Beweglichkeit. Normale Reaktionen auf Berührungen, Geräusche oder Licht können fehlen. Die betroffenen Personen sprechen nicht.
  • Dissoziative Krampfanfälle: Ähneln epileptischen Anfällen, aber ohne die typischen elektrischen Entladungen im Gehirn. Zungenbiss, Verletzungen beim Sturz oder Urininkontinenz sind jedoch selten.
  • Funktionelle Gefühlsstörungen: Taubheitsgefühle, oft in einer Körperhälfte (funktionelle Hemihypästhesie) oder einem ganzen Arm oder Bein.
  • Weitere dissoziative Symptome: Teilweise oder kompletter Erinnerungsverlust, Verlust des Identitätsbewusstseins, Verlust der Wahrnehmung von Gefühlen und Reizen, Verlust der Körperkontrolle, Blindheit oder Taubheit.

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Symptome keine organische Ursache haben und oft in enger Beziehung zu psychischer Belastung stehen. Sie können plötzlich auftreten und sich in Stresssituationen verstärken.

Ursachen und Entstehung

Die genauen Ursachen für psychisch bedingte Lähmungen sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch angenommen, dass ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren eine Rolle spielt:

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  • Traumatische Erlebnisse: Unverarbeitete traumatische Erlebnisse, die lange zurückliegen können, sind eine häufige Ursache.
  • Psychische Konflikte: Ungelöste psychische Konflikte können auf körperliche Erscheinungen verschoben werden, um eine Scheinlösung zu erreichen.
  • Dissoziation: Im Sinne einer Schutzfunktion werden unangenehme Erfahrungen abgespalten (dissoziiert), und der Betroffene erlebt stattdessen körperliche Symptome.
  • Lernpsychologische Faktoren: Lernerfahrungen und Identifikationsmodelle in der nahen Umgebung der Patienten können eine Rolle spielen.
  • Krankheitsgewinn: Primärer Krankheitsgewinn (Entlastung von unangenehmen Aufgaben) und sekundärer Krankheitsgewinn (Aufmerksamkeit und Zuwendung) können die Symptomatik verstärken.
  • Familiäre Faktoren: Besondere Familienkonstellationen wie eine sehr enge Mutterbindung, überprotektive Eltern oder ein überabhängiges Kindverhalten können die Entstehung fördern.
  • Schulischer Druck und Konflikte: Konflikte mit der Familie oder mit Gleichaltrigen sowie schulischer Druck können die Symptome auslösen und verstärken.

Die psychogene Lähmung hat oft einen kommunikativen Charakter und eine gewisse Symbolik. Eine Lähmung der Beine kann beispielsweise bedeuten, dass „es nicht mehr weitergeht“, eine Blindheit, dass der Patient von der Welt nichts mehr sehen möchte.

Diagnose

Die Diagnose einer psychisch bedingten Lähmung kann eine Herausforderung sein, da organische Ursachen ausgeschlossen werden müssen. Ein Neurologe kann mittels Anamnese und Untersuchungen in der Regel organische Ursachen für die Ausfallerscheinungen ausschließen. Auch Fragebögen zur Selbsteinschätzung können verwendet werden.

Wichtige diagnostische Kriterien sind:

  • Vorliegen von körperlichen Symptomen: Wie Lähmungen, Bewegungsstörungen, Sensibilitätsstörungen oder Krampfanfälle.
  • Fehlen einer organischen Ursache: Körperliche Untersuchung und Befragungen geben keinen Hinweis auf eine bekannte somatische oder neurologische Krankheit.
  • Psychische Belastung: Die Symptome entwickeln sich in enger Beziehung zu psychischer Belastung und erscheinen oft plötzlich.
  • Ausschluss anderer Erkrankungen: Die Diagnose sollte nicht bei hirnorganischen Störungen, Intoxikationen oder extremer Erschöpfung gestellt werden.

Es ist wichtig zu betonen, dass es sich nicht um eine reine „Ausschlussdiagnose“ handelt. Eine funktionelle Schwäche oder Lähmung wird üblicherweise am charakteristischen klinischen Erscheinungsbild erkannt. Gelegentlich werden zusätzliche bildgebende oder elektrophysiologische Verfahren angewandt, um eine Schädigung des Nervensystems auszuschließen.

Therapie

Die Behandlung einer psychisch bedingten Lähmung erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl körperliche als auch psychische Aspekte berücksichtigt.

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  • Psychotherapie: Psychotherapeutische Gespräche und Verhaltenstherapien sind das Mittel der Wahl. Sie helfen, psychische Auslöser zu erkennen und den Betroffenen aus seiner selbst geschaffenen Isolation in die Realität zurückzuholen. Bei dissoziativen Bewegungsstörungen ist es empfehlenswert, an den auslösenden Situationen sowie der Verbesserung der Affektwahrnehmung und der Affekttoleranz zu arbeiten. Eine Traumaberatung kann hilfreich sein.
  • Physiotherapie: Physiotherapeutische Verfahren haben sich zur Behandlung motorischer und sensibler funktioneller Störungen bewährt.
  • Medikamente: Begleitend ist eine Behandlung mit Medikamenten möglich, um beispielsweise Angstsymptome oder Depressionen zu lindern.
  • Multimodaler Therapieansatz: Eine Kombination aus körperbezogenen Therapiemodulen und psychosomatischer Abklärung bietet eine besondere Chance.

Bei Kindern und Jugendlichen wird die psychogene Lähmung meist stationär durch verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie und individuelle Physiotherapie behandelt. Dabei steht zunächst die Annahme der Symptome als Erkrankung und die primäre Beseitigung der Symptomatik im Vordergrund. Bedeutsam ist, dass die Betroffenen aus ihrer Umgebung herausgenommen werden. Im Verlauf der Behandlung wird auch konflikt- und problemorientierte Psychotherapie sowie Gruppentherapie eingesetzt. Die Eltern der Patienten sollten in die Behandlung einbezogen werden.

Prognose

Die Prognose einer psychisch bedingten Lähmung ist im Allgemeinen gut, besonders bei frühzeitiger Behandlung. Viele Patienten erleben eine deutliche Verbesserung ihrer Symptome oder werden sogar anfallsfrei.

  • Remissionsraten: Bei multimodaler Therapie liegen die Remissionsraten bei 85 bis 95 Prozent.
  • Behandlungsdauer: Die Behandlungsdauer erstreckt sich bei etwa der Hälfte der Patienten über weniger als einen Monat. Nur jeder sechste Betroffene muss über drei Monate therapiert werden.
  • Chronischer Verlauf: Ohne eine spezifische Behandlung ist der Verlauf funktioneller Lähmungen in etwa der Hälfte der Fälle chronisch.

Es ist wichtig, einen offenen Umgang mit der Erkrankung zu pflegen und Angehörige, Freunde und Kollegen über die Erkrankung und die angemessene Reaktion im Notfall zu informieren.

Psychisch bedingte Lähmung im Kindes- und Jugendalter

Psychisch bedingte Lähmungen treten auch bei Kindern und Jugendlichen auf. Sie äußern sich häufig durch Gangstörungen wie Humpeln, Stolpern und Hinken, Bewegungseinschränkungen, Hüftschmerzen und Lähmungen. Betroffen sind vor allem Kinder im Alter zwischen elf und dreizehn Jahren.

Die Ursachen und Entstehungsmechanismen sind ähnlich wie bei Erwachsenen, wobei Lernerfahrungen und Identifikationsmodelle eine besondere Bedeutung haben. Die Behandlung erfolgt meist stationär und umfasst verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie, individuelle Physiotherapie und die Einbeziehung der Eltern.

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