Ein Krampfanfall, oft auch als epileptischer Anfall bezeichnet, kann beängstigend sein. Betroffene verlieren vorübergehend die Kontrolle über ihren Körper und/oder ihr Bewusstsein. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jeder Anfall auf eine Epilepsie zurückzuführen ist. Psychogene Anfälle, auch dissoziative Anfälle genannt, ähneln epileptischen Anfällen, haben aber eine andere Ursache.
Was ist ein psychogener Anfall?
Anders als ein epileptischer Anfall, der durch unkontrollierte elektrische Entladungen von Nervenzellen im Gehirn entsteht, hat ein psychogener Anfall eine psychische Ursache. Es handelt sich um eine dissoziative Störung, bei der seelische Belastungen zu körperlichen Symptomen führen. Die Betroffenen sind in der Regel körperlich gesund, aber unbewusste Konflikte und Traumata äußern sich in Form von Anfällen.
Dissoziative Anfälle werden auch als psychogene nicht-epileptische Anfälle oder funktionelle Anfälle bezeichnet.
Wie entstehen Anfälle?
Das zentrale Nervensystem im Gehirn besteht aus Milliarden von Nervenzellen, die elektrische Signale erzeugen, empfangen und übertragen. Das Zusammenspiel der Nervenzellen ist genau aufeinander abgestimmt. Bei Störungen kommt es zu plötzlichen elektrischen Entladungen. Diese Impulse werden im Körper weitergeleitet. Sie können krampfartige Zuckungen von Muskelgruppen auslösen. Vor allem die Arme und die Beine sind betroffen. Die Zuckungen lassen sich willentlich nicht kontrollieren. Jede Schädigung von Hirngewebe kann zu einer spontanen Entladung von Nervenzellen und damit zu einem Krampf führen.
Ursachen psychogener Anfälle
Die Ursachen psychogener Anfälle sind vielfältig und oft komplex. Schwere seelische Belastungen in der Kindheit und Jugend, die den Betroffenen teilweise nicht bewusst sind, können eine Rolle spielen. Insbesondere Missbrauch und Vernachlässigung gelten als prädisponierende Faktoren, die die Anfälligkeit für die Entwicklung psychogener Anfälle erhöhen. Traumatisierungen, die schon sehr lange zurückliegen und nicht zwangsläufig erinnerbar sein müssen, können ebenfalls eine Ursache sein. Auch sehr schwierige Lebenssituationen können dissoziative Krampfanfälle verursachen.
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"Viele Menschen, die unter dissoziativen Anfällen leiden, haben ein Trauma erlebt. Das Trauma kann hierbei schon sehr lange zurück liegen und die Betroffenen erinnern sich vielleicht gar nicht mehr daran."
Symptome psychogener Anfälle
Psychogene Anfälle können sich sehr unterschiedlich äußern. Typisch ist ein plötzlicher Kontrollverlust über den Körper, oft begleitet von einer starken Einschränkung der Bewusstseinsfunktionen. Es kann zu Zuckungen, Verkrampfungen oder einem Ohnmachtsanfall kommen. Plötzliche Ohnmachtsanfälle bzw. Psychogene Bewegungsstörung: Kontrollverlust und automatisierte Bewegungen.
Dissoziative Krampfanfälle weisen eine große Ähnlichkeit zu epileptischen Anfällen auf, jedoch gibt es einige Merkmale, in denen sie sich zu epileptischen Anfällen unterscheiden. Bei den dissoziativen Krampfanfällen treten selten die für epileptische Anfälle typischen Symptome Zungenbiss, Verletzungen beim Sturz oder Einnässen (Inkontinenz) auf. Die dissoziativen Anfälle kennzeichnen sich zum Beispiel durch krampfartige Zuckungen, verrenkungsähnliche Bewegungen, Überstreckungen des Kopfes, Grimassierungen oder schüttelnde Bewegungen der Arme, Beine oder des Kopfes.
Während des Anfalls kann es zu flashbackartigen Erlebnissen kommen.
Diagnose psychogener Anfälle
Die Diagnose psychogener Anfälle ist oft schwierig und zeitaufwendig, da die Symptome denen epileptischer Anfälle sehr ähneln. Eine sorgfältige Differenzierung ist daher unerlässlich. Es gibt kein einzelnes Symptom, das eindeutig auf eine psychogene Erkrankung hinweist. Dennoch bilden Symptomkonstellationen einen Wahrscheinlichkeitsraum, der den Verdacht nahelegt.
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Wichtig ist die Abgrenzung zur Epilepsie. Hierfür wird in der Regel ein Video-EEG-Monitoring durchgeführt, bei dem die Betroffenen während der Anfälle gefilmt und deren elektrische Gehirn-Aktivitäten gemessen werden. Bei dissoziativen Krampfanfällen ist Psychotherapie das Mittel der Wahl.
Für einen psychogenen, „hysterischen“ Anfall in der Art eines Grand Mal sprechen eher (im Unterschied zu einem epileptischen Anfall im weiteren Sinne) sexuell symbolische oder bizarre Bewegungen, Schreie während des Anfalls (statt nur Initialschrei), die Anwesenheit von „Publikum“, das Fehlen von postiktalem Schlaf oder Verwirrtheit, fehlende Inkontinenz, Bisswunden fehlend oder in den Lippen oder in der Zungenmitte (statt Bisswunden lateral in der Zunge und/oder der Wangenschleimhaut), fehlende Verletzungen beziehungsweise Vorhandensein von verletzungsabwehrenden Bewegungen, das Erinnern des Grand-Mal-artigen Anfalls (statt Bewusstlosigkeit ohne Erinnerung. Sollte ein Arzt bei dem Anfall zugegen gewesen sein, sprechen für einen pseudoepileptischen Anfall die Untersuchung abwehrende Bewegungen, zum Beispiel Augen-Zukneifen bei der Pupillenprüfung, normale Pupillenreaktion auf Licht, fehlender positiver Babinski-Reflex und normales iktales (sowie interiktales) EEG ohne für eine Epilepsie typische Potenziale.
Behandlung psychogener Anfälle
Zur Behandlung bei psychogenen Anfällen sind unterschiedliche Formen der Psychotherapie möglich. Ziel ist es, die zugrunde liegenden seelischen Belastungen zu identifizieren und zu bearbeiten. Die Patienten lernen, psychodynamische Zusammenhänge, Frühwarnzeichen und Auslöser eines psychogenen Anfalls zu erkennen.
In komplizierteren Fällen mit komplexerem Störungsniveau, weiteren psychischen Begleiterkrankungen und zum Beispiel traumatischer Vorgeschichte wird ein differenziertes Behandlungskonzept mit verursachungsspezifischen Therapietechniken entwickelt. Damit werden die zugrundeliegenden Traumata, aber auch Angstzustände, depressive Zustände und psychosomatische Symptomkomplexe behandelt.
Es ist von Vorteil, wenn die richtige Diagnose so früh wie möglich gestellt und eine stringente und komplexe psychosomatische Behandlung begonnen wird. Für die Diagnose von psychogenen Anfällen ist es wichtig, das Anfallsleiden gegenüber dem der Epilepsie abzugrenzen, sodass eine effektive individuelle psychotherapeutische Behandlung veranlasst werden kann.
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Was tun bei einem Anfall?
Wenn man Zeuge eines psychogenen Anfalls wird, ist es wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben. Sorgen Sie für Sicherheit, indem Sie z.B. gefährliche Gegenstände entfernen. Halten Sie den Betroffenen nicht fest. Sprechen Sie ruhig und freundlich mit dem Betroffenen.
Psychische Begleiterkrankungen
Bei 90% der Betroffenen sind psychische Begleiterkrankungen vorzufinden. Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen wie Epilepsie, Migräne, Depression, Angst- oder Schlafstörungen haben ein erhöhtes Risiko. Patienten mit Epilepsie leiden häufiger unter depressiven Symptomen als Gesunde. In vielen Fällen liegt die Ursache hierfür in der Erkrankung des Gehirns (neurobiologische Ursache) selbst. Die Funktionsstörung bedingt also nicht nur die epileptischen Anfälle, sondern kann auch erheblich zu psychischen Symptomen beitragen. Nicht alle Epilepsieformen tragen das gleiche Risiko für die Entwicklung depressiver Symptome.
Verlauf und Prognose
Ohne gezielte Therapie bleiben dissoziative Anfälle oft über Jahre bestehen. Eine individuell angepasste Psychotherapie kann jedoch sehr wirksam sein. Jeder zweite Betroffene wird mit Therapie anfallsfrei - früh beginnen lohnt sich! Eine spontane Heilung ist selten - aber mit gezielter Therapie sind die Chancen gut: Bei über der Hälfte der Patienten nehmen die Anfälle stark ab oder verschwinden ganz. Wichtig ist ein offener Umgang mit der Erkrankung. Angehörige, Freunde und Kolleg:innen sollten wissen, wie sie im Ernstfall reagieren.