Psychopharmaka in der Demenzbehandlung: Leitlinien und aktuelle Erkenntnisse

Bei der Demenz handelt es sich um ein komplexes Syndrom, das mit einer Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten einhergeht. Obwohl es keine Heilung für Demenz gibt, können verschiedene Medikamente eingesetzt werden, um die Symptome zu lindern, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und positiv in das Krankheitsgeschehen einzugreifen. Die aktuellen Leitlinienempfehlungen und Studienergebnisse geben Ärzten wichtige Hinweise für den Einsatz von Psychopharmaka bei Demenzpatienten, insbesondere im Hinblick auf Antidepressiva und Antipsychotika.

Antidementiva: Verbesserung der kognitiven Funktionen

Antidementiva sind Medikamente, die Gedächtnisleistungen, Lernfähigkeit, Auffassungsgabe und andere Hirnfunktionen positiv beeinflussen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Demenzerkrankungen, da sie darauf abzielen, die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen zu verbessern und den Krankheitsverlauf zu verlangsamen.

Acetylcholinesterase-Hemmer

Eine wichtige Wirkgruppe innerhalb der Antidementiva sind die Acetylcholinesterase-Hemmer. Diese Medikamente hemmen den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin, der bei Demenzpatienten oft in geringen Mengen vorhanden ist. Acetylcholin spielt eine entscheidende Rolle für das Lernen und Erinnern. Durch die Hemmung des Abbaus bleibt der Botenstoff länger im Gehirn erhalten, was die Kommunikation zwischen den Nervenzellen verbessert.

Drei Wirkstoffe aus dieser Gruppe sind derzeit verfügbar:

  • Donepezil (z.B. Aricept®): Die Wirksamkeit von Donepezil wurde in mehreren internationalen Studien bestätigt, insbesondere bei leichter bis moderater Alzheimer-Krankheit. Die Studien zeigten eine Verbesserung der Alltagsaktivitäten und der kognitiven Leistungsfähigkeit.
  • Rivastigmin (z.B. Exelon®): Auch für Rivastigmin konnte in diversen Studien ein positiver Effekt in Bezug auf die geistige Leistungsfähigkeit und die Aktivitäten des täglichen Lebens nachgewiesen werden. Neben der Alzheimer-Krankheit wird dieses Medikament auch bei der Lewy-Körper-Demenz und bei Demenz im Rahmen der Parkinson-Krankheit eingesetzt.
  • Galantamin (z.B. Reminyl®): Das aus Schneeglöckchen gewonnene Alkaloid Galantamin wirkt sich positiv auf die Acetylcholinesterase aus. Es wurde in mehreren wissenschaftlichen Studien hinsichtlich der Wirksamkeit in Bezug auf die Kognition (geistige Wahrnehmung), das Verhalten und die Aktivitäten des täglichen Lebens überprüft. Es wird bei der leichten bis mittelgradigen Alzheimer-Krankheit eingesetzt.

Die Auswahl des Acetylcholinesterase-Hemmers sollte sich in erster Linie an den jeweiligen Neben- und Wechselwirkungen orientieren, da keine Hinweise für klinisch relevante Unterschiede in der Wirksamkeit der verfügbaren Substanzen vorliegen (Quelle: S3-Leitlinien Demenzen).

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Memantin: Schutz der Nervenzellen

Eine weitere wichtige Wirkstoffgruppe ist Memantin (z.B. Ebixa® oder Axura®). Der Botenstoff Glutamat ist in normalen Mengen unersetzlich für funktionierende Gehirnprozesse, aber in größeren Mengen wirkt er als Zellgift. Bei einer Demenz wird durch gestörte Gehirnprozesse verstärkt Glutamat freigesetzt, was zum Zelltod führen kann. Memantin kann bei der mittelschweren bis schweren Alzheimer-Krankheit diesen schädigenden Prozess verhindern und somit die Nervenzellen schützen.

Antidepressiva und Neuroleptika: Behandlung von Begleitsymptomen

Neben den kognitiven Beeinträchtigungen können bei Demenzpatienten auch psychische Begleitsymptome auftreten, die die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen erheblich beeinträchtigen können. Dazu gehören Depressionen, Angstzustände, Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Unruhezustände. In solchen Fällen können Antidepressiva und Neuroleptika eingesetzt werden, um diese Symptome zu lindern.

Antidepressiva bei Demenz

Eine Demenz kann mit einer depressiven Symptomatik einhergehen. Die Betroffenen sind antriebslos, traurig und verzweifelt. Dieses Symptombild kann durch einen Serotoninmangel im Gehirn hervorgerufen werden. Der Botenstoff Serotonin ist für die Stimmung und den Antrieb verantwortlich. Bei Menschen mit Demenz eignen sich die sogenannten Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (kurz: SSRI). Dazu gehören zum Beispiel die Wirkstoffe Citalopram, Fluoxetin, Paroxetin und Sertralin. Diese Medikamente haben nur Einfluss auf den Botenstoff Serotonin und greifen nicht in andere Botenstoffsysteme im Gehirn ein.

Depressionen sind die häufigste psychische Störung im höheren Lebensalter. Die Prävalenz von Depressionen in stationären Einrichtungen der Altenpflege wird auf bis zu 50 % geschätzt. Die Suizidrate ist bei Hochbetagten am höchsten - vor allem bei Männern. Dabei können späte Manifestationen depressiver Störungen ab dem 60. Lebensjahr auch organische Ursachen haben. So leiden etwa bis zu 14,8 % der Personen mit Alzheimer-Krankheit und bis zu 24,7 % der Personen mit vaskulärer Demenz an einer schweren depressiven Störung. Die Depression kann dabei bereits als Frühsymptom einer Demenz vom Alzheimer-Typ auftreten. Affektive Störungen gehen Gedächtnisstörungen deutlich voran.

Ob es sich um eine organische affektive Störung basierend auf einer beginnenden Demenzerkrankung handelt oder um eine reversible depressive Episode, ist rein symptomatisch nicht zu unterscheiden. Dafür ist auch eine bildgebende Diagnostik notwendig. Zur Behandlung von Depressionen im Alter werden häufig Antidepressiva eingesetzt - vor allem Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI). Einige Studien hinterfragen jedoch die Wirksamkeit von Antidepressiva im Falle einer Demenz und verweisen auf Nebenwirkungen. Rückschlüsse auf einzelne Antidepressiva oder auf Untertypen von Demenz oder Depression waren im Rahmen eines Cochrane Reviews aus dem Jahr 2018 aufgrund der unzureichenden Datenlage jedoch nicht möglich.

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Ein chinesisches Review aus dem Jahr 2021 untersuchte 25 Studien mit 14 Antidepressiva. Das Fazit: Im Vergleich zu Placebo zeigten nur Mirtazapin (Alpha-2-Antagonist) und Sertralin (SSRI) eine etwas bessere Wirkung bei Depressionssymptomen. Clomipramin (trizyklisches Antidepressivum, TZA) erhöhte das Risiko für Nebenwirkungen im Vergleich zu Placebo. Auf diese Studie bezieht sich auch die S3-Leitlinie Demenzen (Stand 2023, living guideline) und spricht eine schwache Empfehlung (B) für Mirtazapin und Sertralin bei Depression und Alzheimer-Demenz aus. Die Studienlage sei jedoch limitiert.

Die aktuelle Version der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) Depression listet die Demenz als Kontraindikation allein für die Antidepressiva der Wirkstoffgruppe TZA. Hausärztinnen und -ärzten, die diese Menschen in erster Linie versorgen, empfiehlt die NVL bei Verdacht auf Depressionen, regelhaft Symptome, Schweregrad und Verlaufsaspekte zu erfassen.

Neuroleptika bei Demenz

Neben einer depressiven Symptomatik kann es bei einer Demenz zu psychischen Veränderungen und Verhaltensauffälligkeiten, wie Wahn, Halluzinationen oder Unruhezuständen kommen. Diese können mit Neuroleptika behandelt werden, welche einer ärztlichen Prüfung und Anordnung bedürfen. Entsprechende Wirkstoffe sind zum Beispiel Risperidon, Melperon und Pipamperon. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Wirksamkeit dieser Medikamente von Person zu Person unterschiedlich sein kann. Es können Nebenwirkungen auftreten, welche mit der behandelnden Ärztin beziehungsweise dem behandelnden Arzt besprochen werden sollten.

Mehr als die Hälfte der an Demenz erkrankten Menschen in deutschen Pflegeheimen befindet sich bereits im Stadium der schweren Demenz, Tendenz steigend. Neuropsychiatrische Symptome (NPS) dominieren das klinische Bild dieser Patientinnen und Patienten. Obwohl die S3-Leitlinie Demenzen (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde [DGPPN] und Deutsche Gesellschaft für Neurologie [DGN], Langversion, 2016) zur Behandlung von NPS zuerst eine psychosoziale Therapie empfiehlt, werden häufig Antipsychotika verordnet.

Eine Studie analysierte die Prävalenz von NPS und die psychopharmakologische Versorgung speziell von Menschen mit schwerer Demenz (MmsD) in Deutschland und bewertete die Leitlinientreue der Verordnungen.

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Die Stichprobe umfasste 142 MmsD (Mini-Mental-Status-Test < 10) aus 26 Pflegeheimen in Deutschland. Alle Psychopharmaka in Dauermedikation wurden 02/2020 aus Patientenakten entnommen. Die NPS wurden mithilfe des Fremdbeurteilungsverfahrens NPI-NH eingeschätzt. Klinisch relevante NPS wurden in Anlehnung an die Literatur als das Vorhandensein eines NPI-NH-Itemscores ≥ 4 definiert.

Die Teilnehmenden (N = 142) waren durchschnittlich 86 Jahre alt und zu circa 75 % weiblich mit einem durchschnittlichen MMST-Wert von 4 Punkten. 74 % der Personen erhielten mindestens ein Psychopharmakon, am häufigsten wurden Antipsychotika (56 %) verordnet. Kontraindizierte Substanzen wie Trizyklika oder Olanzapin wurden nicht verordnet. 80 % der Personen zeigten klinisch relevante NPS. Unter Einschluss der Kontrollvariablen ergab sich, dass sowohl ältere Menschen als auch Personen mit mehr körperlichen Komorbiditäten eine niedrigere Wahrscheinlichkeit hatten, ein Antipsychotikum verordnet zu bekommen. Personen mit mehr körperlichen Komorbiditäten bekamen zudem signifikant weniger Antidementiva verordnet. Frauen hatten eine deutlich niedrigere Chance ein Antidementivum verordnet zu bekommen als Männer.

Auf Basis der querschnittlichen Analyse sind mit Ausnahme der Anzahl der Antipsychotika-Verordnungen keine auffälligen Abweichungen von der Leitlinie festzustellen. Antidementiva wurden zwar sehr sparsam, aber der Leitlinie entsprechend verordnet. Hierbei war auffällig, dass Männer eine etwa sechsmal höhere Chance hatten, ein Antidementivum verordnet zu bekommen als Frauen. Ein Grund für diesen Unterschied könnte das höhere Aggressionspotenzial von Männern mit Demenz und die damit verbundenen Belastungen für das Umfeld sein. Antidepressiva, Tranquilizer und Hypnotika wurden entsprechend der Leitlinie sehr selten in Dauermedikation verordnet. Antipsychotika dagegen erhielten mehr als die Hälfte der MmsD in Dauermedikation, obwohl die S3-Leitlinie den sparsamen Gebrauch von Antipsychotika empfiehlt. Auffällig ist, dass in der vorliegenden Studie zeitgleich eine hohe Verordnungsrate von Antipsychotika und eine hohe Prävalenz von klinisch relevanten NPS festzustellen ist.

Laut der S3-Leitlinie (Empfehlung 54) soll vor einer Behandlungsentscheidung die Ursachenforschung stehen. Mangelnde zeitliche und personelle Ressourcen in deutschen Pflegeheimen könnten dazu beitragen, dass Psychopharmaka als zeitsparende Alternative, im Vergleich zu den vorrangig bei NPS empfohlenen psychosozialen Interventionen, häufiger angewendet werden.

Die Studie zeigte, dass MmsD bei einer zeitgleich hohen Verordnungsquote mit Psychopharmaka und insbesondere mit Antipsychotika eine ebenfalls hohe Prävalenz von NPS zeigten. Aus Sicht der Autorinnen und Autoren sollten die Indikation von Antipsychotika bei MmsD kritischer gestellt und die Fortsetzung der Therapie regelmäßig hinterfragt werden.

Ganzheitliche Behandlung von Demenz

Eine ganzheitliche Behandlung von Demenz umfasst ebenfalls nicht-medikamentöse Behandlungen zur Verbesserung der Alltagsfunktionen, wie beispielsweise Gedächtnistraining, Erinnerungsarbeit, körperliches Training und eine gesunde Lebensweise. Diese Maßnahmen können dazu beitragen, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.

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