Radikuläre Neuropathie, Bandscheibenschaden: Ursachen und Behandlung

Die radikuläre Neuropathie, oft im Zusammenhang mit Bandscheibenschäden stehend, ist eine Erkrankung, die Nervenwurzeln betrifft und zu Schmerzen, Empfindungsstörungen und motorischen Ausfällen führen kann. Besonders häufig tritt diese Problematik im Bereich der Lendenwirbelsäule auf, wo sie den Ischiasnerv beeinträchtigen und zu Lumboischialgie führen kann. Die Erkrankung manifestiert sich gehäuft ab dem 60. Lebensjahr, wobei die Anzahl der Neuerkrankungen im höheren Lebensalter deutlich zunimmt. Jährlich sind etwa fünf von 100.000 Einwohnern betroffen.

Ursachen und Entstehung

Die Ursachen für radikuläre Neuropathien sind vielfältig, wobei Veränderungen der Bandscheiben, Bänder und Wirbelgelenke eine zentrale Rolle spielen. Die Weite des Spinalkanals, durch den Nerven verlaufen, wird durch diese Strukturen bestimmt. Verschleißbedingte Veränderungen wie Bandscheibenvorfälle, Arthrose oder Bandverdickungen können einzeln oder in Kombination zu einer Einengung des Spinalkanals führen.

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

Der Verschleiß eines Wirbelsäulenabschnitts beginnt in der Regel mit der Austrocknung und Höhenminderung der Bandscheiben im Laufe der Jahre. Dies kann zu Vorwölbungen der Bandscheibe in Richtung des Wirbelkanals führen, was bereits eine Einengung verursacht. Der Höhenverlust der Bandscheibe führt zu einer Überlastung der kleinen Wirbelgelenke, die daraufhin Arthrose entwickeln. Typisch für Arthrose ist die Bildung von Knochenspornen, die den Wirbelkanal zusätzlich einengen können.

Mikroinstabilität und Bandverdickung

Ein verschleißendes Segment zeigt oft eine sogenannte Mikroinstabilität. Der Körper versucht, diese Instabilität auszugleichen, indem er die Zusammensetzung der Bänder des Segments verändert und sie verdickt. Besonders relevant sind hier die gelben Bänder im Wirbelkanal, die durch ihr Dickenwachstum den Spinalkanal nach innen einengen. Typischerweise zeigen Patienten mit engem Spinalkanal eine Verdickung dieser Bänder, oft in Kombination mit Knochenspornen und Bandscheibenvorwölbungen.

Weitere Einflussfaktoren

Neben den genannten Faktoren können auch Aussackungen der Gelenkkapsel (Synovialzysten) der kleinen Wirbelgelenke oder eine übermäßige Fettgewebsansammlung (epidurale Lipomatose) den Spinalkanal einengen. Die Position des Rumpfes beeinflusst ebenfalls die Weite des Spinalkanals. Eine Vornüberneigung erweitert den Spinalkanal anatomisch, was zu einer Besserung der Beschwerden führt.

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Beeinträchtigung der Nerven

Im Spinalkanal verlaufen im Bereich der Lendenwirbelsäule vor allem Nerven, die für die Versorgung der Beine zuständig sind. Diese Nerven sind in einem Hirnhautsäckchen (Duralschlauch) geschützt. Zwischen diesem Säckchen und der knöchernen Begrenzung des Spinalkanals sowie den verdickten Bändern, Knochenspornen und Bandscheibenvorwölbungen verlaufen zahlreiche Blutgefäße. Beim Gehen steigt der Blutfluss in diesen Gefäßen deutlich an, wodurch sie anschwellen und Druck auf den Duralschlauch ausüben. Dies führt zu den typischen Schmerzen beim Gehen in beiden Beinen, die bei einer Spinalkanalstenose auftreten. Im Ruhezustand nimmt der Gefäßdruck ab, und die Beinschmerzen reduzieren sich. Zusätzlich zu den beidseitigen Beinbeschwerden können einzelne Nerven durch Druck bedingt Beschwerden auslösen (radikuläre Schmerzen).

Symptome und Verlauf

Das Beschwerdebild der Spinalkanalstenose kann sich in zwei charakteristischen Formen manifestieren:

  1. Zentrale Spinalkanalstenose: Verursacht häufig einen tiefsitzenden Rückenschmerz, der durch die Verschleißprozesse bedingt ist. Eine Ausstrahlung über das Gesäß in die Ober- und Unterschenkel ist typisch. Durch die zirkuläre Einengung des Duralschlauches resultiert eher eine beidseitige Symptomatik, wobei auch seitenbetonte radikuläre Beschwerden auftreten können. Die Beschwerden bessern sich im Stehen, Liegen und beim Vorneigen des Rumpfes. Fahrradfahren ist oft besser möglich als längeres Gehen. Die Beinbeschwerden zwingen die Patienten, nach kurzen Gehstrecken Pausen zu machen, was zur Bezeichnung „orthopädische Schaufensterkrankheit“ führt. Je nach Ausprägung der Stenose können auch Ruheschmerzen vorliegen. Rücken- und Beinschmerzen sowie ein Schweregefühl in den Beinen finden sich in bis zu 90 Prozent der Fälle. Neurologische Auffälligkeiten (Funktionsstörungen der Blasen- oder Darmentleerung) sowie akute Muskellähmungen sind selten.
  2. Einengungen im Recessus lateralis: Führen eher zu einem im Vordergrund stehenden Druckphänomen an einer einzelnen Nervenwurzel mit dazugehöriger einseitiger Beinschmerzsymptomatik und eher nachrangigen Rückenschmerzen. Hier kommt es nicht zu einer zirkulären Kompression des Duralschlauches. Es treten gehäuft sensible oder motorische Begleitsymptome auf. Schmerzen in Ruhe und das Ausbleiben einer Linderung im Sitzen charakterisieren diese Form der Stenose.

Eine Spinalkanalstenose entwickelt sich fast immer etwa ab dem 50. Lebensjahr und schreitet langsam voran. Die Beschwerden beginnen nicht plötzlich, sondern steigern sich über Monate und Jahre. Der Bewegungsradius der Patienten reduziert sich zunehmend, was zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität führt.

Diagnose

Die Diagnose der radikulären Neuropathie bzw. Spinalkanalstenose basiert auf verschiedenen Säulen:

  1. Patientenbefragung (Anamnese): Die Beschreibung der typischen Schmerzen und Beschwerden in Kombination mit dem passenden Alter legt bereits den Grundstein für die Verdachtsdiagnose. Wichtig ist die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Rücken- und Beinschmerz.

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  2. Körperliche Untersuchung: Hierbei werden neurologische Tests durchgeführt, um sensible und motorische Defizite zu identifizieren. Ein wichtiger Test ist das Lasègue-Zeichen, bei dem das gestreckte Bein angehoben wird, um Schmerzen im Ischiasnerv zu provozieren.

  3. Bildgebende Verfahren:

    • Kernspintomographie (MRT): Die MRT ist das Mittel der Wahl, um das Ausmaß und die Ursache der Einengung von Spinalkanal und Recessus lateralis zu beurteilen. Bandscheiben, Bandstrukturen und Gelenke können ebenso wie Nerven gut differenziert werden. Zudem ist diese Untersuchungstechnik ohne Strahlenbelastung.
    • Computertomographie (CT): Eine CT-Untersuchung ist sinnvoll, wenn ein MRT nicht möglich ist oder wenn es um die exakte Beurteilung von knöchernen Strukturen geht.
    • Röntgen: Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule im Stand dienen der Orientierung bezüglich der Statik der Wirbelsäule. Fehlstellungen wie eine Skoliose oder Kyphose können hier identifiziert werden.
  4. Weitere Untersuchungen:

    • Vorstellung bei weiteren Fachärzten: Zum Ausschluss der gefäßbedingten Schaufensterkrankheit (periphere arterielle Verschlusskrankheit, PAVK) werden Patienten bei Verdacht auf begleitende Gefäßverengungen der Beine bei einem Facharzt für Gefäßchirurgie vorgestellt. In Einzelfällen kann eine Vorstellung beim Neurologen erfolgen, zum Beispiel zur elektrophysiologischen Untersuchung (Messung der Nervenfunktion) oder zum Ausschluss einer Polyneuropathie.
    • Elektromyogramm (EMG): Mit dem EMG kann gemessen werden, ob der Ischiasnerv noch Nervenimpulse an die Beinmuskeln weiterleitet.

Differentialdiagnosen

Es ist wichtig, radikuläre Schmerzen von anderen Ursachen für Rückenschmerzen zu unterscheiden. Dazu gehören:

  • Nicht-radikuläre Rückenschmerzen: Diese sind oft unspezifisch und können durch Muskelverspannungen oder -zerrungen verursacht werden.
  • Entzündliche Radikulopathien: Entzündungen der Nervenwurzeln, z.B. durch Borreliose oder Herpes Zoster.
  • Diabetische Radikulopathie: Nervenschäden aufgrund von Diabetes mellitus.
  • Meralgia paraesthetica: Eine isolierte Kompression des Nervus cutaneus femoris lateralis.
  • Coxarthrose oder Gonarthrose: Hüft- oder Kniegelenksarthrose, die Schmerzen in das Bein ausstrahlen können.
  • Muskelerkrankungen: Primäre Muskelerkrankungen mit axialer Betonung, die Lumbalgien und ausstrahlende Schmerzen verursachen können.
  • Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK): Gefäßbedingte Schaufensterkrankheit, die ähnliche Symptome wie eine Spinalkanalstenose verursachen kann.

Therapie und Nachsorge

Die Behandlung der radikulären Neuropathie bzw. Spinalkanalstenose richtet sich nach der individuellen Lebensqualität der Patienten und dem Ausmaß der Beschwerden. Ziel ist es, die Lebensqualität so zu verbessern, dass die Patienten zufrieden sind und die Dinge im Leben tun können, die für sie wichtig sind.

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Konservative Therapie

Zunächst sollte jeder Patient konservativ behandelt werden, es sei denn, es liegen akute Lähmungen vor. Die konservative Therapie umfasst:

  • Aufklärung und Information des Patienten: Ein wichtiger Bestandteil der Behandlung ist die Information des Patienten über die Erkrankung, die Behandlungsmöglichkeiten und die Verhaltensweisen, die zur Linderung der Beschwerden beitragen können.
  • Anleitung zu einem aktiven Lebensstil: Regelmäßige Bewegung und körperliche Aktivität sind wichtig, um die Muskeln zu stärken und die Beweglichkeit zu erhalten.
  • Physiotherapie: Die Physiotherapie spielt eine zentrale Rolle bei der konservativen Behandlung der Spinalkanalstenose. Durch gezielte Übungen und Techniken können die Muskeln gestärkt, die Beweglichkeit verbessert und die Schmerzen gelindert werden.
  • Begleitende physikalische Therapiemaßnahmen: Hierzu gehören beispielsweise Wärme- und Kälteanwendungen, Massagen und Elektrotherapie.
  • Medikamentöse Therapie: Zur Schmerzlinderung werden in erster Linie nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac eingesetzt. Bei chronischen Schmerzen können auch schwach wirksame Opioide oder Antidepressiva eingesetzt werden.
  • Röntgengesteuerte Injektionen im Bereich der Wirbelsäule: In Einzelfällen können Injektionen mit entzündungshemmenden Medikamenten (z.B. Cortison) in den Bereich der Nervenwurzeln erfolgen, um die Schmerzen zu lindern.
  • Multimodale Schmerztherapie: Bei chronischen Schmerzen kann eine multimodale Schmerztherapie erfolgen, die neben den körperlichen Aspekten auch psychologische und soziale Auswirkungen berücksichtigt.

Operative Therapie

Führen konservative Maßnahmen nicht zu einer zufriedenstellenden Besserung, sollten operative Therapien diskutiert werden. Gründe für eine Operation können neben einem therapieresistenten Beschwerdeverlauf ausgeprägte Schmerzen, die Reduzierung der Gehstrecke und Standzeit sowie neurologische Defizite sein. Ziel der Operation ist es, den Spinalkanal im Bereich der Einengung zu erweitern und somit den Nerven genug Platz zu verschaffen (Dekompression).

Es gibt verschiedene operative Techniken der Dekompression. Moderne, Mikroskop-gestützte Verfahren in minimalinvasiver Technik sind hierbei in den Vordergrund getreten. Grundsätzlich sollte so sparsam wie möglich (stabilitätserhaltend) aber so ausgiebig wie nötig dekomprimiert werden. Eine alleinige Dekompression ist sinnvoll bei Patienten, die vor allem Beinbeschwerden beklagen (weniger Rückenschmerzen) und die keine relevanten Hinweise auf eine Instabilität zeigen.

Patienten mit einer Instabilität zusätzlich zur Spinalkanalstenose sollten ergänzend zur Dekompression eine operative Stabilisierung (Spondylodese) erhalten. Patienten, die zusätzlich zu ihren Beinschmerzen auch über relevante Rückenschmerzen klagen, profitieren häufig ebenfalls von einer zusätzlichen Spondylodese.

Eine weitere operative Option zur Erweiterung des Spinalkanals bei nur mäßig ausgeprägter Spinalkanalstenose ist die Implantation eines Interspinösen Implantates. Diese Implantate haben sich bislang nicht relevant durchgesetzt und können nicht als Routine-Verfahren betrachtet werden.

Nachsorge

Nach einer Operation können Patienten bei unauffälligem Verlauf bereits am Operationstag wieder aufstehen. Nach Abschluss der Wundheilung ist eine krankengymnastische Stabilisierung der Rumpfmuskulatur sinnvoll. Dem postoperativen Schmerzbild angepasst kann zeitweise eine adäquate Schmerzmedikation verabreicht werden. Der Patient selbst kann durch Erhalt eines guten Funktionszustandes der Rumpfmuskulatur und durch eine Kontrolle seines Gewichtes sowohl vor als auch nach der Operation zu einer positiven Beeinflussung des symptomatischen Beschwerdebildes beitragen.

Prognose

Bei rechtzeitigem Therapiebeginn ist die Prognose einer Lumboischialgie meist gut. Wirkungsvolles Schmerzmanagement, körperliche Aktivität, rückenschonendes Alltagsverhalten und eine positive Grundstimmung beeinflussen den Verlauf der Erkrankung günstig. Rückfälle sind allerdings nicht selten: Etwa jeder zweite Patient leidet früher oder später erneut unter Rückenschmerzen.

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