Demenz ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die mit einer Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten, des Gedächtnisses und der Orientierung einhergeht. Menschen mit Demenz haben zunehmend Schwierigkeiten, sich in ihrem alltäglichen Umfeld zurechtzufinden, was das Risiko birgt, sich selbst und andere zu gefährden. Umso wichtiger ist es, die Lebensumstände so anzupassen, dass sie den Bedürfnissen der Betroffenen entsprechen und ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.
Die Bedeutung der Raumgestaltung für Menschen mit Demenz
Die Gestaltung des Wohnraums spielt eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der Herausforderungen, die mit Demenz einhergehen. Eine demenzfreundliche Umgebung kann dazu beitragen, Stress zu reduzieren, die Selbstständigkeit zu erhalten und die Lebensqualität zu verbessern.
- Erhalt der Selbstständigkeit: Durch eine entsprechende Gestaltung des Wohnraums können Menschen mit Demenz länger selbstständig bleiben.
- Stressreduktion: Eine demenzfreundliche Umgebung minimiert potenzielle Stressfaktoren.
- Unterstützung für Angehörige: Die Wohnraumgestaltung kann auch die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz erleichtern.
Die Wohnraumgestaltung betrifft nicht nur die Betroffenen selbst, sondern entlastet auch Angehörige und Betreuer. Durch eine durchdachte Gestaltung können sie besser auf die Bedürfnisse ihrer Lieben eingehen und die Pflege effizienter organisieren.
Grundprinzipien der demenzgerechten Raumgestaltung
Die oberste Grundregel bei der Raumgestaltung für Demenzerkrankte ist die übersichtliche und einfache Einrichtung des Wohnraums. Zu viele Sinneseindrücke können Betroffene überfordern und die Orientierung im Raum erschweren.
Orientierung und Klarheit
- Übersichtliche Einrichtung: Eine übersichtliche Einrichtung des Wohnraums ist essenziell, um Überforderung zu vermeiden.
- Vertraute Erinnerungsgegenstände: Vertraute Erinnerungsgegenstände und die gewohnte Ordnung helfen den Betroffenen, sich zu orientieren und vermitteln ein Gefühl von Sicherheit.
- Vermeidung von Veränderungen: Veränderungen in der Wohnung können als verwirrend und beängstigend erlebt werden. Daher sollte man abwägen, ob eine Änderung wirklich notwendig ist. Ist sie unvermeidbar, sollte sie behutsam und schrittweise eingeführt werden.
- Eindeutige Wegeführung: In Heimen und Tagespflegen ist eine eindeutige Wegeführung mit wiederkehrenden Hinweisen wichtig.
- Sichtbeziehungen nach außen: Sichtbeziehungen nach außen erleichtern das "Orten".
- Markante Gestaltung wichtiger Orte: Eine markante, spezifische Gestaltung wichtiger Orte ist hilfreich.
- Vermeidung von Symmetrien und Wiederholungen: Symmetrien und Wiederholungen können verwirrend wirken.
- "Sprechende" Architektur: Eine "sprechende" Architektur, die Handlungssicherheit bietet, ist von Vorteil.
- Unbewusst wirkende Orientierungshilfen: Unbewusst wirkende Orientierungshilfen wie Handläufe, Lichtführung und Bodenbeläge können die Orientierung unterstützen.
- Räumlich differenzierte, helle Flure: Räumlich differenzierte, helle Flure ohne Sackgassen sind ideal.
- Beschützende Bauteile: Beschützende Bauteile wie Nischen, Alkoven und Pavillons können Sicherheit vermitteln.
- Sicher anmutende Treppen und Geländer: Sicher anmutende Treppen und Geländer sind wichtig.
- Keine Verglasungen bis zum Boden: Verglasungen bis zum Boden sollten vermieden werden.
- Keine verwirrenden Muster oder Spiegeleffekte: Verwirrende Muster oder Spiegeleffekte im Bodenbelag sind ungünstig.
- Keine krassen Farbunterschiede im Bodenbelag: Krasse Farbunterschiede im Bodenbelag sollten vermieden werden.
- Türen kennzeichnen: Türen können die räumliche Orientierung beeinflussen. Offene Türen sind klar als Durchgänge erkennbar. Türen, die bleiben müssen (z.B. Badezimmer), sollten mit Schildern gekennzeichnet werden.
- Fenster nutzen: Fenster bieten die Möglichkeit zur räumlichen Orientierung, wenn draußen markante Gebäude oder Landschaftsmerkmale zu sehen sind.
- Geräusche minimieren: Geräusche, die von außerhalb eines Raumes kommen, können zu Verwirrung führen.
Farben und Kontraste
- Helle und freundliche Farben: Helle und freundliche Farben sind angenehm für Demenzerkrankte.
- Vermeidung von starken Mustern: Starke Muster an Wänden, Böden oder Möbeln wirken verwirrend oder sogar beängstigend.
- Behutsamer Einsatz von Farbakzenten: Farbakzente sollten behutsam und gezielt eingesetzt werden.
- Vermeidung von dunklen Tönen: Dunkle Töne sollten eher vermieden werden, da sie negative Gefühle auslösen können. Eine dunkle Fußmatte oder ein dunkler Teppich können im fortgeschrittenen Stadium der Demenz als nicht überwindbares Loch im Boden gedeutet werden.
- Wichtigkeit von Kontrasten: Kontraste sind sehr wichtig, denn sie helfen Demenzerkrankten, Details schnell wahrzunehmen. Ein Tisch ist zum Beispiel besser erkennbar, wenn der Rand eine kontrastierende Farbe zur Tischfläche hat.
- Probleme bei der Tiefenwahrnehmung: Runde oder abgerundete Tische sind für Personen mit Problemen bei der Tiefenwahrnehmung leichter optisch zu erfassen als eckige Möbel.
- Ablenkung durch dunkle Farben: Die „Angst“ vor dunklen Farben kann gezielt eingesetzt werden. Wenn „verbotene“ oder verschlossene Türen mit einem dunklen Vorhang verhängt werden, verlieren sie für Personen mit Demenz ihren Aufforderungscharakter.
- Farbenblindheit berücksichtigen: Ältere Menschen nehmen Farbkontraste mit grünen und blauen Tönen nicht mehr gut wahr. Rot und Anthrazit hingegen schon.
Beleuchtung
- Helle Ausleuchtung: Eine möglichst helle Ausleuchtung (Minimum 700 Lux in Augenhöhe) ist wichtig.
- Kaltweißes Licht: Kaltweißes Licht ist für ältere Menschen besser zu sehen als warmweißes.
- LED-Nachtlichter: Beim nächtlichen Toilettengang helfen LED-Nachtlichter mit Bewegungsmelder, sich in der Dunkelheit zu orientieren und Stürze zu vermeiden. Eine andere Möglichkeit sind Lichtbänder mit integrierten Bewegungs- und Helligkeitssensoren.
- Vermeidung von spiegelndem Licht: Spiegelndes Licht, zum Beispiel auf einem Boden mit glatter Oberfläche, sollte vermieden werden.
- Mehr Lichtbedarf: Ältere Menschen, insbesondere ältere Menschen mit Demenz, benötigen viel mehr Licht im Wohnbereich als jüngere und gesunde Menschen.
Sicherheit
- Sturzprophylaxe: Stolperfallen wie lose Kabel und Teppiche sollten entfernt werden. Auch eine gute Beleuchtung ist dabei wichtig.
- Schlösser mit Not- und Gefahrenfunktion: Wenn der Betroffene gestürzt ist, kann es notwendig sein, dass Sie eine verschlossene Tür von außen öffnen. Hilfreich sind dann Schlösser mit einer Not- und Gefahrenfunktion.
- Anti-Rutsch-Matten und Haltegriffe: Im Badezimmer sind Anti-Rutsch-Matten oder Haltegriffe hilfreich.
- Sicherung von Fenstern und Geländern: Fenster und niedrige Geländer sollten nach Möglichkeit gesichert werden.
- Herdschutzknöpfe: Am Herd können sogenannte Herdschutzknöpfe oder auch Schutzknöpfe installiert werden, die das Einschalten des Herds erschweren.
- Rauchmelder: In Wohnungen von Personen mit Demenz sollten in allen Räumen Rauchmelder installiert werden.
- Rutschfester Sicherheitsbelag: Ein rutschfester Sicherheitsbelag hilft, Unfälle zu verhindern und die allgemeine Sicherheit in Bereichen zu gewährleisten, die ein erhöhtes Ausrutsch- und Sturzrisiko besitzen.
Umgang mit Bewegungsdrang
- Wandertrieb: Viele Menschen mit Demenz zeigen vor allem im mittleren Stadium der Krankheit einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Dieser Wandertrieb ist nach einem Umgebungswechsel meist besonders stark.
- Beschränkung der Bewegungsfreiheit vermeiden: Die Bewegungsfreiheit der betroffenen Person zu beschränken, ist nicht nur rechtlich problematisch, sondern kann sich auch negativ auf das Befinden auswirken.
- Armbänder oder Ketten mit Telefonnummer: Lassen Sie die Person Armbänder oder Ketten tragen, auf denen die Telefonnummer steht.
- Rundwege schaffen: Wenn möglich, können Sie Rundwege innerhalb der Wohnung, des Gebäudes oder des Grundstücks schaffen, auf denen die Person gefahrlos herumlaufen kann.
- Klingeln an Ausgängen: Sie können die Ausgänge mit Klingeln versehen, die einen Ton erzeugen, wenn eine Person hinausgeht.
- Ablenkung von der Haustür: Eine Möglichkeit, dem Hinlaufen vorzubeugen, ist das Ablenken des Interesses von der Haustür durch dunkle Farben oder schwache Kontraste.
- Abwechslungsreiche "Wanderwege": Abwechslungsreiche und sichere "Wanderwege" im Haus und im Freibereich, möglichst als Rundwege angeordnet, sind ideal.
- Angebote für motorische Bedürfnisse: Angebote für motorische Bedürfnisse sollten geschaffen werden.
Weitere Aspekte
- Reduktion von Gegenständen: Auf Überflüssiges zu verzichten, ist ein wichtiges Grundprinzip der demenzgerechten Raumgestaltung.
- Persönliche Gegenstände bewahren: Oft sind es Bilder, aber auch ganz andere Dinge können wertvolle Anker für lebendige Erinnerungen sein. Versuchen Sie, solche Gegenstände zu identifizieren und zu bewahren.
- Ruhige Ecke für Erinnerungen: Wählen Sie als Aufbewahrungsort eine besonders ruhige Ecke aus, in der die Person mit Demenz ohne Ablenkung und Störung in Erinnerungen schwelgen kann.
- Behutsame Veränderungen: Gewisse Veränderungen am Wohnraum sind nach der Diagnose notwendig, doch jede Veränderung kann eine Person mit Demenz stören und verwirren. Gehen Sie deshalb bei der Umgestaltung behutsam vor und lassen Sie die betroffene Person an den Veränderungsprozessen teilhaben.
- Individuelle Vorlieben berücksichtigen: Sie dürfen nie vergessen, dass die Person mit Demenz ein Individuum mit speziellen Vorlieben und Abneigungen ist.
- Alltags- und Orientierungshilfen: Hand in Hand mit der Wohnraumgestaltung geht die Verwendung von Alltags- und Orientierungshilfen für Demenzerkrankte.
- Milieutherapeutische Ausrichtung: Eine milieutherapeutische Ausrichtung ist wichtig.
- Möglichkeiten zur hauswirtschaftlichen Betätigung: Möglichkeiten zur hauswirtschaftlichen Betätigung (Wohnküche, Nähzimmer, Gartenarbeit etc.) sollten geschaffen werden.
- Vertraute Utensilien: Vertraute Utensilien im privaten und allgemeinen Bereich sind von Bedeutung.
- Berücksichtigung biographischer Aspekte: Individuelle biographische Aspekte sollten in der räumlichen Gestaltung und im persönlichen Umgang berücksichtigt werden.
- Anregung zu körperlicher Aktivität: Anregung zu körperlicher Aktivität ist wichtig.
- Einbeziehung von musikalischen Elementen: Musikalische Elemente sollten einbezogen werden.
- Einbeziehung von Tieren: Tiere (Streicheltiere, Aquarium, Volière) können eine positive Wirkung haben.
- Angebote im taktilen und sensorischen Bereich: Angebote und Anregungen im taktilen und sensorischen Bereich sind von Vorteil.
- Flexibler Umgang mit Essenszeiten und Wach-Schlaf-Rhythmus: Ein flexibler Umgang mit Essenszeiten und Wach-Schlaf-Rhythmus ist ideal.
- Weitestmögliche Beteiligung von Angehörigen: Eine weitestmögliche Beteiligung und Integration von Angehörigen und freiwilligen HelferInnen ist wünschenswert.
- Minimierung von Fixierungen und sedierenden Medikamenten: Fixierungen und sedierende Medikamente sollten zugunsten persönlicher Betreuung und Zuwendung minimiert werden.
- Demenzgeschultes Personal: Demenzgeschultes Personal ist wichtig.
- Erhaltung von Ressourcen ohne Überforderung: Ressourcen sollten ohne Überforderung erhalten werden - kein Training!
Die Rolle von Experten und Angehörigen
Die Gestaltung des Wohn- und Lebensraums für Menschen mit Demenz erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Experten. Architekten und Innenarchitekten können die räumlichen Gegebenheiten optimieren, während Pflegekräfte und Betreuer die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigen und den Alltag entsprechend gestalten können. Der Erfahrungsaustausch mit anderen Angehörigen bietet zusätzliche Unterstützung und die Möglichkeit, von gemeinsamen Erfahrungen zu profitieren.
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Beispiele für demenzsensible Raumgestaltung
- Orientierungsbilder: Klare und einfache Bilder von vertrauten Gegenständen oder Orten lassen sich als visuelle Marker verwenden, um wichtige Informationen zu vermitteln.
- Farbakzente: In Krankenhäusern oder Pflegeheimen unterstützen Farbakzente ein durchdachtes Leitsystem. So lassen sich Funktionsbereiche klar voneinander abgrenzen.
- Handläufe: Lange Flure bieten sich an, um dort farblich aufeinander abgestimmte Handläufe, Türzargen und Türdrücker zu verwenden. Handläufe kennzeichnen nicht nur Fluchtwege, sondern geben auch Orientierung.
- Klare Beschilderung: Schubladen und Schränke sollten mit Bildern oder Text versehen werden, um den Betroffenen das Auffinden der benötigten Gegenstände zu erleichtern.
Technologie und Innovation
Moderne Technologien können ebenfalls einen Beitrag zur demenzgerechten Raumgestaltung leisten.
- VR-Brillen: Mit Hilfe von Virtual-Reality-Empathie-Plattformen (VR-EP) können Angehörige und Pflegekräfte mit Hilfe einer VR-Brille in die Welt eines Demenzkranken in einer Pflegeheimumgebung eintauchen.
- Demenzsensible Boden- und Wandbeläge: Tarkett-Designer entwickeln demenzsensible Boden- und Wandbeläge, die Ängste und Schwierigkeiten reduzieren, die Orientierung erleichtern und die räumliche Wahrnehmung verbessern.
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