In jüngster Zeit ist eine zunehmende Besorgnis über die Qualität und Objektivität der Berichterstattung im Deutschen Ärzteblatt (DÄB) im Bereich der Transgender-Medizin laut geworden. Konkret wird kritisiert, dass Artikel im DÄB irreführende oder falsche Informationen verbreiten, die den Anschein einer wissenschaftlichen Fundierung erwecken, während sie in Wirklichkeit sensationalistische Behauptungen über die Behandlung transgeschlechtlicher Menschen aufstellen.
Vorwurf der Fehlinformation und mangelnder Qualitätssicherung
Mehrere Experten auf dem Gebiet der Transgendermedizin haben Bedenken geäußert, dass die tatsächlichen Fakten in den Artikeln des DÄB ausgespart werden. Trotz wiederholter Hinweise und Beschwerden wurde von der Redaktionsleitung versäumt, angemessene Maßnahmen zur Richtigstellung und Qualitätssicherung zu ergreifen. Dies hat zur Folge, dass Kolleg*innen ohne ausreichende Erfahrung in der Behandlung von transgeschlechtlichen Menschen fehlinformiert werden.
Stellungnahmen führender medizinischer Fachgesellschaften
Führende medizinische Fachgesellschaften haben sich zu Wort gemeldet, um einen Einblick in die tatsächlichen Gegebenheiten zu geben und die Bedeutung einer evidenzbasierten Versorgung von transgeschlechtlichen Menschen zu betonen.
American Medical Association (AMA) und Endocrine Society
Die American Medical Association (AMA) hat die Resolution der Endocrine Society zum Schutz des Zugangs zu evidenzbasierter, geschlechtsangleichender Versorgung für Transgender- und Gender-Diverse-Personen verabschiedet. Die AMA betont, dass es die Verantwortung der medizinischen Gemeinschaft ist, sich angesichts politischer Angriffe auf die geschlechtsangleichende Versorgung für eine evidenzbasierte Versorgung auszusprechen. Sie bekräftigt ihre Unterstützung für die geschlechtsangleichende Versorgung und betont, dass Transgender- und Gender-Diverse-Menschen Zugang zu der benötigten und oft lebensrettenden medizinischen Versorgung verdienen.
NHS England und die Cass Review
NHS England hat kürzlich den Cass Review veröffentlicht, der jedoch keine neuen Forschungsergebnisse enthält, die den Empfehlungen in den Clinical Practice Guidelines zur geschlechtsangleichenden Versorgung widersprechen würden. Es wird betont, dass diese Clinical Practice Guidelines unter Verwendung eines robusten und rigorosen Prozesses entwickelt werden, der den höchsten Standards an Vertrauenswürdigkeit und Transparenz entspricht, wie sie vom Institute of Medicine (jetzt National Academy of Medicine) definiert wurden. Die Gremien zur Entwicklung von Leitlinien verbringen Jahre damit, jede Leitlinie auf der Grundlage einer gründlichen Überprüfung der medizinischen Evidenz, der Expertise der Autoren, einer rigorosen wissenschaftlichen Überprüfung und eines transparenten Prozesses zu entwickeln.
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Berufsordnung, Medizinethik und Behandlungsleitlinien
Das Handeln im Themenfeld der Transgendermedizin basiert auf Standards der Berufsordnung, der Medizinethik sowie einschlägigen Behandlungsleitlinien. Die Empfehlungen dieser Leitlinien entstanden nach mehrjährigen Prozessen systematischer Sichtung und Bewertung der Forschungsliteratur sowie mittels transparent gestalteter Konsentierungsprozesse durch von Fachgesellschaften mandatierte Expert*innen.
Kritik am Cass Review
Die Verunsicherung fachfremder Kolleginnen dürfte in den letzten Jahren insbesondere durch das sogenannte „Cass Review“ aus Großbritannien entstanden sein, welches jedoch keine Behandlungsleitlinie darstellt. Die Arbeit wurde aufgrund ihrer zahlreichen unfundierten Behauptungen und methodischen Mängel wiederholt von Expertinnen im Feld der Transgendermedizin kritisiert. Die British Medical Association reagierte hierauf mit der Ankündigung, das Review zu evaluieren.
Die Rolle des Deutschen Ärzteblatts und die Verbreitung von Fehlinformationen
Das Deutsche Ärzteblatt (DÄB) genießt dank seiner herausgebenden Organe - der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung - den Ruf einer verlässlichen Informationsquelle. Es wird sämtlichen Ärztinnen und Psychotherapeutinnen, die im Gesetzlichen Krankenversicherungssystem abrechnen, zugestellt. Wenn Beiträge im DÄB gegen ethische Prinzipien des Journalismus wie Sorgfalt und Wahrhaftigkeit verstoßen, hat dies eine breite Streuung von Fehlinformationen im Gesundheitswesen zur Folge.
In den kritisierten Artikeln ist eine hohe Überschneidung zu Fehlinformationsnarrativen gegeben, die besonders aggressiv in den USA Verbreitung finden. Diese werden häufig von Kolleg*innen ohne jegliche Erfahrung auf dem Gebiet der Transgendermedizin propagiert und wurden in ähnlicher Form bereits zur Diskriminierung homosexueller Menschen herangezogen.
Einflussnahme von Anti-LSBTIA*-Hassgruppierungen
An der Verbreitung von Fehlinformationen sind maßgeblich als Anti-LSBTIA*-Hassgruppierungen eingestufte Vereinigungen wie die „Society for Evidence-Based Gender Medicine“ (SEGM) und das „American College of Pediatricians“ (ACP) beteiligt. Diese Vereinigungen verleiten bereits durch ihre Namensgebung zur irrigen Annahme, es handle sich um medizinische Fachgesellschaften. Eine Einflussnahme solcher Vereinigungen ist nachweislich auch in Deutschland gegeben - begünstigt durch die Verbreitung fehlinformierender Narrative im DÄB.
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Kritikpunkte an der Berichterstattung im DÄB
Die Kritik an der Berichterstattung im DÄB umfasst folgende Punkte:
- Außerachtlassen oder Falschdarstellung einschlägiger Behandlungsleitlinien bzw. Falschzitationen und fehlende Zitationen (inkl. Angabe ungeeigneter oder falsch wiedergegebener Quellen).
- Invertierte Darstellung des Konsens unter Expertinnen: Durch Fokus auf empirisch nicht haltbare Thesen einzelner Medizinerinnen entsteht der falsche Eindruck einer substanziellen Uneinigkeit unter Expert*innen im Feld.
- Umdeutung unwissenschaftlicher, politisch motivierter Einschränkungen der medizinischen Versorgung transgeschlechtlicher Personen als begründet in medizinischen Bedenken. Gleichzeitig bleibt in den kritisierten Artikeln die breite fachliche Ablehnung derartiger legislativer Einschränkungen unerwähnt.
- Kolportieren einer hochgradig fehlinformierenden, oben benannte Hassgruppierungen referenzierenden, oben benannte Fachgesellschaftspositionierungen sowie Behandlungsleitlinien im Feld ignorierenden Kritikschrift, die sich gegen eine nach AWMF-Regularien erstellte S2k-Behandlungsleitlinie richtet.
- Hinzukommend Veröffentlichung einer methodischen Gütekriterien nicht gerecht werdenden Forschungsarbeit an Abrechnungsdaten, deren Autor*innen Schlüsse ziehen, die nicht aus den Daten ableitbar sind. Diese Schlüsse wurden wiederum zur „Untermauerung“ der Fehlinformationen aus der eben erwähnten Kritikschrift benutzt.
- Fokussierung auf und irreführende Darstellungen von Nebenwirkungen und Bedauern; Untertreibung des Nutzens von Behandlungsmaßnahmen sowie Verschweigen der hohen Zufriedenheitsraten.
- Nahelegen eines durch Peers und / oder Medien verursachten „Trends“ unter Jugendlichen, sich als transgeschlechtlich zu identifizieren - trotz fehlender wissenschaftlicher Evidenz für damit in Zusammenhang stehende Konstrukte wie „rapid-onset gender dysphoria“ („ROGD“) und „soziale Ansteckung“.
Nutzen-Risiko-Profil und Zufriedenheitsraten
Es wird betont, dass jedes Medikament und jeder operative Eingriff potenzielle Risiken und Nebenwirkungen hat. Es ist die Aufgabe der Behandelnden, über diese Punkte umfassend aufzuklären. Dies bilden auch Leitlinienempfehlungen zum Thema ab. Selbiges gilt für die Evaluation der Einsichtsfähigkeit von Individuen, die für eine Behandlung in Frage kommen. Insgesamt kann zum Thema des Einsatzes geschlechtsaffirmativer Maßnahmen festgehalten werden, dass der in Leitlinien zum Ausdruck gebrachte Expert*innenkonsens - informiert auch durch die Beurteilung der empirischen Evidenzlage aus mehreren Jahrzehnten an Forschungsbemühungen - diesen ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil mit hohen Zufriedenheitsraten, wesentlicher Verbesserung des psychischen Befindens und seltenem Vorkommen von Bedauern (niedriger einstelliger Prozentbereich) bescheinigt. Entgegen der unzutreffenden Behauptungen im DÄB sind schwere Komplikationen oder auch sexuelle Funktionsstörungen bei fachgerecht durchgeführten Operationen insgesamt selten.
Zum Vergleich: Eine Metaanalyse, die Raten des Bedauerns bei nicht mit Geschlechtsinkongruenz assoziierten Operationen berichteten, kam auf eine durchschnittliche Rate des Bedauerns von 10%, sofern die Operationen nicht aufgrund von Krebserkrankungen durchgeführt wurden.
Ablehnung des Begriffs „ROGD“
Entsprechend wird die Verwendung des Begriffs „ROGD“ durch Fachverbände wie die APA abgelehnt. Dies wird in den kritisierten DÄB-Artikeln jedoch verschwiegen.
Forderungen an die Redaktionsleitung des DÄB
Angesichts der genannten Kritikpunkte werden folgende Forderungen an die Redaktionsleitung des DÄB gestellt:
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- Ein prominent platzierter Hinweis seitens der Redaktionsleitung auf die ungenügende Qualität der bisherigen Artikel zum Thema.
- Eine daran anschließende Artikelserie, verfasst von leitliniengerecht arbeitenden Expert*innen auf dem Gebiet der Transgendermedizin. Die Artikel der Serie sollen sich thematisch mit tatsächlichen Leitlinienstandards und der Lebensrealität transgeschlechtlicher Menschen beschäftigen, ebenso mit weiteren relevanten Themen wie Medizinethik sowie der eklatanten Verbreitung von Fehlinformationen im Themenfeld und deren Folgen für transgeschlechtliche Menschen (z.B. iatrogene Verursachung von Leid durch unterlassene Behandlung, verstärkte Diskriminierung, usw.).
- Mindestens zwei dieser Artikel sollen prominent als Titelthema publiziert werden.
Unterzeichner des Offenen Briefes
Der Offene Brief wurde von einer Vielzahl von Fachleuten unterzeichnet, darunter:
- Dipl.-Soz. Päd. M. Sc. Psych. Dr. med. Gundula Berka-Klinger, FÄ für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse, Sexualmedizin
- Zahlreiche weitere Ärztinnen, Psychologinnen, Psychotherapeutinnen und Wissenschaftlerinnen aus verschiedenen Fachrichtungen.
Schlussfolgerung
Die Kritik an der Berichterstattung über Transgender-Medizin im Deutschen Ärzteblatt ist berechtigt und bedarf einer dringenden Reaktion der Redaktionsleitung. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Ärztinnen und Psychotherapeutinnen Zugang zu verlässlichen und evidenzbasierten Informationen haben, um eine angemessene und respektvolle Versorgung von transgeschlechtlichen Menschen gewährleisten zu können. Die Forderungen nach einer Richtigstellung der bisherigen Berichterstattung und einer Artikelserie von Expert*innen sind wichtige Schritte, um die Qualität der Informationen im DÄB zu verbessern und Fehlinformationen entgegenzuwirken.
Publikationen von Saskia Bolz (Auswahl)
Die Online-Universitätsbibliographie der Universität Duisburg-Essen verzeichnet folgende Publikationen:
- Zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften wie Acta Neuropathologica Communications, Annals of Hematology, Journal of Neurology, Orphanet Journal of Rare Diseases, Scientific Reports und anderen.
- Beiträge in Current Medical Research and Opinion, Biomedicines, Diagnostics, Advances in Therapy, European Thyroid Journal und weiteren Fachpublikationen.
- Pfister, Roman; Hagenacker, Tim; Heemann, Uwe; Hegenbart, Ute; Heidecker, Bettina; Kruck, Sebastian; Knebel, Fabian; Lehmann, Lorenz; Morbach, Caroline; Rischpler, Christoph; Schulze, P. Versorgung von Patienten mit kardialer Amyloidose : Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK), AG 40 Onkologische Kardiologie, und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie e. V. (DGHO), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e. V. (DGN) und der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e. V. In: Die Kardiologie, Jg. 18, 2024, Nr. 1, S.
- Walter, Maggie C.; Laforêt, Pascal; van der Pol, W. 254th ENMC international workshop. In: Neuromuscular Disorders, Jg. 33, 2023, Nr. 6, S.
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