Die Frage, ob Cannabiskonsum dem Gehirn schadet, ist wissenschaftlich noch nicht zweifelsfrei geklärt. Jedoch deuten zahlreiche Studien darauf hin, dass vor allem starker und regelmäßiger Cannabiskonsum, insbesondere im Jugendalter, negative Auswirkungen auf die Gehirnstruktur und die geistige Leistungsfähigkeit haben kann.
Cannabiskonsum und seine Auswirkungen auf das Gehirn
Nicht jeder Konsum ist schädlich. Aber vor allem starker Cannabiskonsum kann die Struktur des Gehirns verändern und die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Starker Konsum bedeutet, dass über Monate oder sogar Jahre täglich oder fast täglich konsumiert wird.
THC-Gehalt und synthetische Cannabinoide
Die Intensität des Konsums hängt auch von der Konzentration des Hauptwirkstoffs THC ab. Es gibt Hinweise aus der Forschung, dass hochpotenter Cannabis mit hohem THC-Gehalt stärker das Gehirn schädigt als niedrigpotenter Cannabis. Das trifft besonders auf synthetische Cannabinoide zu, die noch stärker wirken als THC. Niedrigpotenter Cannabis enthält hingegen das Cannabinoid CBD, dem eine eher nervenschützende Funktion zugesprochen wird.
Betroffene Hirnregionen
Starker Cannabiskonsum wirkt sich insbesondere auf jene Hirnregionen aus, wo die Dichte an Cannabinoidrezeptoren hoch ist. Cannabinoidrezeptoren gehören zum Endocannabinoid-System. Der Körper stellt selbst so genannte Endocannabinoide her, die an den Cannabinoidrezeptoren binden. Der pflanzliche Wirkstoff THC bindet ebenfalls an Cannabinoidrezeptoren.
Hippocampus und Gedächtnis
Eine hohe Dichte an Cannabinoidrezeptoren findet sich unter anderem in einer Hirnregion namens Hippocampus. Bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass der Hippocampus bei starkem Cannabiskonsum schrumpft, Nervenzellen also abgebaut werden. Da der Hippocampus eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung spielt, haben Betroffene Einbußen in der Merkfähigkeit. Studien haben bei Cannabiskonsumierenden einen verkleinerten Hippocampus nachgewiesen werden können. Der Hippocampus ist eine wichtige Region für die Speicherung neuer Gedächtnisinhalte.
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Präfrontaler Cortex und geistige Leistungsfähigkeit
Eine weitere wichtige Hirnregion mit einer hohen Dichte an Cannabinoidrezeptoren ist der präfrontale Cortex. Dieser Bereich hinter der Stirn ist für „höhere“ geistige Leistungen wie Nachdenken oder Entscheiden zuständig. Studien zufolge nimmt die Dicke des präfrontalen Cortex stärker ab als üblich, wenn schon im Jugendalter viel Cannabis konsumiert wird. Im Gehirn könnten bei Cannabis-Konsum in der Pubertät bis zu gut ein Drittel der funktionsfähigen Verbände im Frontalhirn verloren gehen, das zuständig für Funktionen wie Denken, Vernunft und Emotionsregulation ist.
Auswirkungen auf Jugendliche
Generell ist das Alter von Bedeutung. Je jünger die Person beim ersten Cannabiskonsum ist und je früher sie zum regelmäßigen Konsum übergeht, desto wahrscheinlicher sind strukturelle Hirnveränderungen und Einbußen in der geistigen Leistungsfähigkeit. Denn die Gehirnentwicklung ist erst mit etwa 25 Jahren weitestgehend abgeschlossen, und das Endocannabinoid-System spielt dabei eine wichtige Rolle. Langzeitstudien legen nahe, dass auch die allgemeine Intelligenz gemindert sein kann, wenn Jugendliche bereits intensiv Cannabis konsumieren und den Konsum bis ins Erwachsenenalter aufrechterhalten.
Gehirnentwicklung bis ins junge Erwachsenenalter
Schon seit längerem besteht der Verdacht, dass Cannabis das Gehirn junger Menschen schädigen könnte und dies schlechtere Denkleistungen zur Folge hat. Denn die Reifung des Gehirns ist nicht mit Ende der Kindheit, sondern erst im jungen Erwachsenalter weitestgehend abgeschlossen. Insbesondere in der Pubertät finden wie auf einer Großbaustelle umfangreiche Umbaumaßnahmen im Gehirn statt. Neue Verbindungen werden geknüpft und überschüssige Nervenzellen abgebaut. Nervenzellen werden auch als graue Substanz bezeichnet, weil ihre Zellkörper gräulich wirken. Ebenso wichtig wie die Entwicklung und Vernetzung von Nervenzellen ist die Ausbildung der so genannten Myelin-Scheide. Myelin ist eine weiße Schicht, die aus Fetten und Proteinen besteht, und sich wie ein Mantel um Nervenfasern wickelt. Myelinisierte Nervenbahnen verbessern die Signalübertragung und erhöhen dadurch die kognitiven Fähigkeiten. Myelinisierte Nerven werden auch als weiße Substanz bezeichnet. Wenn Jugendliche regelmäßig Cannabis konsumieren, so die Vermutung, könnte der pflanzliche Wirkstoff THC die Reifung der grauen und weißen Substanz stören. Denn an der Gehirnentwicklung sind bestimmte Rezeptoren beteiligt, die zum Endocannabinoid-System gehören. Der Mensch produziert körpereigene Substanzen, die als Endocannabinoide bezeichnet werden. THC ähnelt diesen Substanzen. Es bindet an den Endocannabinoid-Rezeptoren und könnte so die Gehirnentwicklung beeinflussen.
Intelligenzminderung durch Cannabis?
Einige der methodischen Probleme bei Fall-Kontroll-Studien können durch Kohortenstudien umgangen werden. Bei diesem Studientyp wird eine größere Gruppe von Personen, eine Kohorte, meist über einen längeren Zeitraum begleitet. Wenn ein Teil der Kohorte anfängt, Cannabis zu konsumieren, ein anderer nicht, lässt sich überprüfen, ob dies Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung hat. Allerdings kommen auch diese Studien nicht zu eindeutigen Ergebnissen. So ließ sich aus einer Langzeitstudie beispielsweise ableiten, dass regelmäßiger Cannabiskonsum, der schon in der frühen Jugend beginnt, eine niedrigere Intelligenz im Erwachsenenalter zur Folge hat. Studien mit Zwillingen legten jedoch nahe, dass der Intelligenz-Unterschied nicht so sehr durch das Kiffen, sondern vielmehr durch genetische Unterschiede oder durch die Erziehung der Eltern bedingt sein könnte. Kiffen wäre dann nur eine Begleiterscheinung, nicht aber Ursache für Intelligenzunterschiede. Zu den bekannten Folgen regelmäßigen Cannabis-Konsums in der Pubertät gehöre neben dem höheren Risiko für Psychosen ein um bis zu etwa zehn Punkte sinkender IQ-Wert, erklärt Thomasius. „Wenn ein ohnehin nicht so hoher IQ von 90 auf 80 sinkt, dann bedeutet das eine Lernstörung.“ Auch Auffassungsgabe und Konzentrationsfähigkeiten litten.
Schlechtere Chancen auf einen (guten) Bildungsabschluss
Ein Befund, der sich auch in Studien mit Zwillingen erhärtet hat, betrifft den Bildungsweg. Demzufolge beenden Cannabiskonsumierende die Schule häufiger ohne Abschluss oder haben schlechtere Noten als abstinente Jugendliche. Auch die Leistungen im Studium sind bei kiffenden jungen Erwachsenen häufig schlechter als bei abstinenten Studierenden. Zwar können auch diese Studien nicht ausschließen, dass andere Probleme wichtiger sind und Kiffen vielleicht nur ein Ausdruck, nicht aber Ursache dieser Probleme ist. Jedoch ist nach Einschätzung von Hall und seinem Team unabhängig von dieser Frage klar, dass sich täglicher Cannabiskonsum unzweifelhaft ungünstig auf die Denkleistungen auswirkt. Nicht nur vertrage sich ein akuter Cannabisrausch nicht mit dem Lernen beispielsweise für die nächste Matheklausur oder dem Erstellen einer Seminararbeit. Die „Nachwehen“ des Rauschs könnten sich auch noch an den Folgetagen bemerkbar machen.
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Psychotische Störungen
Der Zusammenhang zwischen jugendlichem Cannabiskonsum und psychotischen Störungen könnte sogar noch stärker sein als bisher angenommen, ergab nun eine im Fachjournal „Psychological Medicine“ vorgestellte Studie. Die meisten Jugendlichen, bei denen eine psychotische Störung diagnostiziert wird, haben demnach eine Vorgeschichte mit Cannabiskonsum. In aller Regel sei bei einer psychotischen Störung die Wahrnehmung beeinträchtigt, erklärt Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Das eigene Körpererleben sei verändert, auch visuelle oder akustische Halluzinationen seien möglich. Konzentrations- und Lernfähigkeit seien eingeschränkt, das Empfindungsvermögen bei Freude oder Trauer abgestumpft. Hinzu komme oft das Gefühl, von Umgebungsreizen völlig überflutet zu werden. Eine psychotische Störung könne bei Drogenabstinenz binnen weniger Wochen komplett ausheilen - allerdings bestehe lebenslang ein höheres Risiko, bei erneutem Konsum wieder in eine zu rutschen. Generell länger und auch stärker seien die Auswirkungen bei Schizophrenie, einer speziellen Form der psychotischen Störung, erklärt Kinder- und Jugendpsychiater Thomasius. Das Gefühl, bedroht zu sein - etwa durch enge Angehörige - könne bei einer Schizophrenie im Extremfall tödliche Attacken zur Folge haben. Der Auswertung zufolge berichteten fünf von sechs Jugendlichen (12 bis 19 Jahre), die im Studienverlauf wegen einer psychotischen Störung in ein Krankenhaus eingeliefert wurden oder eine Notaufnahme aufsuchten, über Cannabiskonsum. Jugendliche, die Cannabis konsumieren, hätten jedoch ein 11-fach höheres Risiko für eine psychotische Störung als Jugendliche, die keines nutzen.
Weitere Risiken
Zu den bekannten Folgen regelmäßigen Cannabis-Konsums in der Pubertät gehöre neben dem höheren Risiko für Psychosen auch das Risiko für Angststörungen und Depressionen höher. Doch nicht genug damit, dass sich Konsumenten ihr eigenes Leben und das ihrer Familie vermiesen können - auch andere Menschen sind betroffen, etwa durch die eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit. Jugendlichen seien solche Risiken nicht wirklich bewusst, sagt der Mediziner. „Das wird bisher überhaupt nicht angemessen kommuniziert.“ Analysen zeigten, dass die Risikowahrnehmung für Gesundheitsschäden durch Cannabis-Konsum in den USA und Europa generell abnehme. Bei Jugendlichen komme hinzu, dass sie allgemein nicht so viel Selbstfürsorge und ein geringeres Risikobewusstsein hätten.
Erholung des Gehirns nach Beendigung des Cannabiskonsums
Allerdings kann sich die geistige Leistungsfähigkeit nach Beendigung des Cannabiskonsums wieder erholen. Je länger die Abstinenz, desto stärker erholt sich das Gehirn. Dies gilt auch, wenn der Einstieg schon im Jugendalter erfolgt ist. Trotz der vielen nicht ganz eindeutigen Ergebnisse zu den Auswirkungen des Kiffens in der Jugend, gibt es laut Hall und seinem Team aber einen Befund, der in zahlreichen Studien gefunden wurde: Die geistige Leistungsfähigkeit erhole sich, wenn der Konsum dauerhaft eingestellt wird. Dies gelte auch für mitunter langjährig regelmäßig Konsumierende, was dafürspreche, dass Cannabiskonsum eben doch ein wichtiger Faktor ist, der einen schlechten Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit hat. So konnte nachgewiesen werden, dass das Volumen des Hippocampus bei längerer Abstinenz von Cannabis wieder zunimmt. Auch scheint sich das Gedächtnis ebenso wie die Intelligenz zu erholen. Entscheidend sei, dass die Abstinenz von Dauer ist. Je länger die Abstinenz, desto stärker erhole sich das Gehirn.
Tipps zur Risikominimierung beim Cannabiskonsum
Welche Auswirkungen Cannabiskonsum auf die Gesundheit hat, hängt von vielen verschiedenen Umständen ab. Einige dieser Umstände können Sie selbst mit beeinflussen und so das Risiko für gesundheitliche Folgen verringern. Grundsätzlich gilt: Menschen, die im jungen Alter mit dem Cannabiskonsum beginnen, haben ein höheres Risiko für gesundheitliche Folgen. Menschen unter 18 Jahren wird geraten, ganz auf Cannabis zu verzichten.
Empfehlungen für einen risikoärmeren Konsum
Ein kanadisches Forschungsteam hat in einer Übersichtsarbeit Empfehlungen herausgearbeitet, wie sich das Risiko für Gesundheitsschäden bei Cannabiskonsum verringern lässt. Die Empfehlungen haben eine unterschiedliche Aussagekraft, je nachdem wie gut sie in Studien untersucht wurden.
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- Cannabisprodukte mit wenig THC bevorzugen: Je höher der THC-Gehalt, desto größer ist das Risiko für gesundheitliche Folgen. Cannabisprodukte mit niedrigem THC-Gehalt gelten als weniger gesundheitsschädlich als solche mit höherem THC-Gehalt.
- Cannabisrauch oder -dampf nicht tief inhalieren: Wer den Rauch oder Dampf von Cannabisprodukten besonders tief inhaliert oder dabei den Atem anhält, nimmt mehr Giftstoffe auf, die unter anderem die Lunge schädigen können.
- Nicht täglich oder in großen Mengen konsumieren: Täglicher Cannabiskonsum oder Konsum in großen Mengen erhöht das Risiko für körperliche oder geistige Gesundheitsschäden. Fachleute empfehlen, nicht häufiger als an ein bis zwei Tagen pro Woche zu konsumieren. Dies gilt insbesondere für junge Menschen.
- Cannabis nur aus legalen Quellen beziehen: Die Qualität von Cannabis aus illegalen Quellen ist nicht geprüft, wodurch sich das Gesundheitsrisiko schwer einschätzen lässt.
- Aufhören, wenn die geistige Leistungsfähigkeit nachlässt: Regelmäßiger Cannabiskonsum kann die geistige Leistungsfähigkeit herabsetzen. Fachleute empfehlen dann, zumindest vorübergehend kein Cannabis zu konsumieren oder den Konsum deutlich einzuschränken.
- Kein Cannabis im Straßenverkehr: Wer Cannabis konsumiert hat, sollte keine Fahrzeuge steuern oder Maschinen bedienen, bis die berauschende Wirkung der Droge nachgelassen hat.
- Kein Konsum während der Schwangerschaft und Stillzeit: Schwangeren und Stillenden sowie Menschen mit Kinderwunsch wird empfohlen, gar kein Cannabis zu konsumieren.
- Kein Mischkonsum mit Medikamenten, Alkohol oder anderen Drogen: Der gleichzeitige Konsum von mehreren Substanzen erhöht das Risiko für verschiedene Gesundheitsschäden, die sich schwer vorhersehen lassen.
- Angepasster Cannabiskonsum bei Vorerkrankungen: Verzichten Sie möglichst auf Cannabis, wenn Sie chronisch erkrankt sind.
Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland
Die Legalisierung von Cannabis markiert einen gesellschaftlichen Wendepunkt. Was jahrzehntelang als Randphänomen galt, ist heute Teil des öffentlichen Lebens. Mit der Freigabe für Erwachsene seit 2024 rücken nicht nur neue rechtliche Rahmenbedingungen in den Fokus, sondern auch wissenschaftliche Erkenntnisse über Nutzen und Risiken des Konsums. Der Konsum von Cannabis ist in Deutschland seit dem 1. April 2024 unter bestimmten Bedingungen für Erwachsene erlaubt. Das neue Cannabisgesetz (CanG) erlaubt Erwachsenen ab 18 Jahren den Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum in der Öffentlichkeit und den Anbau von bis zu drei Cannabispflanzen zu Hause. Cannabis wird in Deutschland vor allem von jungen Menschen konsumiert: Besonders häufig greifen 14- bis 24-Jährige (11,4 %) und 25- bis 39-Jährige (8,2 %) zu. Gemäß dem Cannabisgesetz (CanG) ist der öffentliche Konsum von Cannabis in Deutschland an bestimmten Orten verboten, um den Kinder- und Jugendschutz zu gewährleisten. Dazu gehören Schulen, Kinderspielplätze, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie öffentlich zugängliche Sportstätten und deren Sichtweite. Als Sichtweite gilt ein Abstand von bis zu 100 Metern vom Eingangsbereich dieser Einrichtungen. Auch in Fußgängerzonen ist der Konsum zwischen 7 und 20 Uhr untersagt.
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