Die Anatomie, abgeleitet vom altgriechischen ἀνά (aná, "auf") und τομή (tomé, "Schnitt"), ist die Lehre vom Aufbau eines Organismus. In der Medizin wird zwischen makroskopischer Anatomie, die sich mit dem groben Aufbau von Organen und Geweben befasst, und mikroskopischer Anatomie unterschieden, bei der Strukturen mithilfe von Mikroskopen beurteilt werden.
Grundlagen des Nervensystems
Das Nervensystem ist ein komplexes Netzwerk, das die Steuerung und Koordination verschiedener Körperfunktionen ermöglicht. Es besteht aus dem zentralen Nervensystem (ZNS), welches Gehirn und Rückenmark umfasst, und dem peripheren Nervensystem (PNS), das sich ausserhalb des ZNS befindet. Funktionell lässt sich das Nervensystem in den willkürlich steuerbaren (somatischen) und den unwillkürlich steuerbaren (autonomen oder vegetativen) Anteil unterteilen.
Nerven: Struktur und Funktion
Nerven sind parallel verlaufende Nervenfasern, die von Bindegewebe umhüllt sind. Sie leiten elektrochemische Impulse an periphere Organe, Muskeln und das zentrale Nervensystem.
Aufbau eines Nervs
- Endoneurium: Umfasst eine einzelne Nervenfaser.
- Perineurium: Umgrenzt mehrere Nervenfasern und bildet ein Nervenfaserbündel (Faszikel).
- Epineurium: Fasst Nervenfaserbündel zur anatomischen Struktur eines peripheren Nervs zusammen.
Die Nervenzelle (Neuron)
Eine Nervenzelle besteht grundsätzlich aus:
- Soma (Zellkörper): Enthält den Zellkern und Dendriten.
- Axon: Ein langer Fortsatz, der Impulse weiterleitet.
- Synapsen (Axonterminale): Kontaktstellen zu anderen Nervenzellen.
Arten von Nervenzellen
Es werden verschiedene Arten von Nervenzellen unterschieden:
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- Multipolare Neurone: Für sensorische und motorische Aufgaben.
- Unipolare Neurone: Für sensorische Wahrnehmung.
- Bipolare Neurone: Aufnahme und Weiterleitung von Signalen von Stäbchen und Zäpfchen in der Hornhaut des Auges.
- Pseudounipolare Neurone: Mit nur einem Fortsatz aus dem Soma.
- Afferente Neurone: Leiten Signale von sensorischen Zellen zum zentralen Nervensystem.
- Efferente Neurone: Leiten Signale vom zentralen Nervensystem an Muskeln und Drüsen.
Reizweiterleitung im Nervensystem
Die Reizweiterleitung im Nervensystem ist ein komplexer Vorgang, bei dem elektrische und chemische Potenziale angewandt werden.
Synaptische Übertragung
Um eine Information von einer Zelle zur nächsten zu leiten, muss der synaptische Spalt überbrückt werden. Dieser stellt einen ca. 20 bis 30 nm breiten Zwischenraum zwischen zwei Zellen dar. Der synaptische Spalt bildet gemeinsam mit dem Axon-Endknöpfchen der Senderzelle und dem Dendriten der Empfängerzelle die Synapse.
- Chemische Synapsen: Im Axon-Endknöpfchen befinden sich kleine Bläschen (Vesikel), die Botenstoffe (Neurotransmitter) enthalten. Gelangt ein elektrischer Impuls zum Endknöpfchen, so verschmelzen die Vesikel mit der präsynaptischen Zellmembran und die Botenstoffe werden in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. An der Zellmembran der Empfängerzelle (postsynaptischen Membran) befinden sich Andockstellen (Rezeptormoleküle) für die Botenstoffe. Bindet ein Transmitter an ein Rezeptormolekül, wird in der Empfängerzelle wieder ein elektrisches Signal ausgelöst.
- Nervenleitgeschwindigkeit: Austauschgeschwindigkeiten von 1 bis zu 100 m/s werden erreicht. Die Nervenleitgeschwindigkeit ist u. a. davon abhängig, ob der Nerv von einer fettreichen Biomembran (Myelinscheide) umgeben ist.
Ruhepotential und Aktionspotential
Wenn kein Reiz weitergegeben werden muss, zeigt das Neuron folgende Verteilung elektrischer Ladung: Im Zellinneren herrscht eine hohe Konzentration an Kaliumionen (K+) und organischen Anionen, während außerhalb überwiegend Natrium- (Na+) und Chloridionen (Cl-) anzutreffen sind. Im Ruhezustand besteht ein Gleichgewicht zwischen der Zellinnen- und -außenseite, das durch verschiedene Transportmechanismen (Kaliumkanäle und Natrium-Kalium-Pumpen) aufrechterhalten wird (Ruhepotential).
Im Falle eines elektrischen Impulses, der durch einen Reiz ausgelöst wurde, öffnen sich unter anderem die Natrium-Kanäle der Zellmembran und Natriumionen strömen vermehrt ins Zellinnere. Dies bedeutet, dass abschnittsweise die Ladung an der Innen- und Außenseite des Neurons umgekehrt wird. Durch diese lokale Ladungsänderung wird der elektrische Impuls entlang des Axons bis zum Ende weitertransportiert.
Viele Axone im peripheren Nervensystem werden durch einen Mantel aus speziellen Zellen (Schwann-Zellen = Hüll- und Stützzellen) elektrisch isoliert. Die Abschnitte, an denen das Axon frei liegt, werden Ranviersche Schnürringe genannt und dienen einer schnelleren Übertragung von Nervensignalen - die Erregung wird hierbei in Sprüngen von einem Schnürring zum nächsten weitergegeben (saltatorische Erregungsleitung).
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Zentrales Nervensystem (ZNS)
Das Zentralnervensystem umfasst die zentralen Anteile des somatischen und autonomen Nervensystems im Rückenmark und Gehirn. Hier werden willkürlich und autonom zu steuernde Reize verarbeitet. Im Gehirn liegt die graue Substanz (Cortex) aussen, im Rückenmark wird sie von der weissen Substanz umhüllt.
Gehirn (Encephalon)
Das Gehirn ist der Teil des zentralen Nervensystems, der innerhalb des knöchernen Schädels liegt. Es besteht aus unzähligen Nervenzellen, die über zuführende und wegführende Nervenbahnen mit dem Organismus verbunden sind und ihn steuern. Das Gehirnvolumen beträgt etwa 20 bis 22 Gramm pro Kilogramm Körpermasse, und das Gewicht macht mit 1,5 bis zwei Kilogramm ungefähr drei Prozent des Körpergewichts aus.
Das menschliche Gehirn lässt sich grob in fünf Abschnitte gliedern:
- Großhirn (Telencephalon)
- Zwischenhirn (Diencephalon)
- Mittelhirn (Mesencephalon)
- Kleinhirn (Cerebellum)
- Nachhirn (Myelencephalon, Medulla oblongata)
Rückenmark
Das Rückenmark verläuft innerhalb der Wirbelsäule und ist für die Übertragung von Informationen zwischen Gehirn und peripherem Nervensystem verantwortlich. Vom Rückenmark zweigen 31 paarige Spinalnerven ab. Das eigentliche Rückenmark verläuft nur durch etwa zwei Drittel der Wirbelsäule, d. h. die Wirbelkörper im unteren Bereich umschließen nicht mehr das Rückenmark, sondern lediglich Spinalnerven, die weiter oben aus einem bestimmten Rückenmarksabschnitt ausgetreten sind (Cauda equina).
Peripheres Nervensystem (PNS)
Das periphere Nervensystem umfasst alle Nerven und Nervenzellen, die sich ausserhalb des zentralen Nervensystems befinden. Es ist in das somatische und das autonome Nervensystem unterteilt.
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Somatisches Nervensystem
Das somatische Nervensystem (animalisches oder willkürliches Nervensystem) umfasst alle bewussten und willentlichen Prozesse im Körper, die absichtlich gesteuert und beeinflusst werden können.
Autonomes Nervensystem
Das vegetative Nervensystem (viszerales oder autonomes Nervensystem) steuert alle unwillkürlichen Prozesse des Körpers, die außerhalb des Bewusstseins ablaufen. Es setzt sich aus dem Sympathikus, dem Parasympathikus und dem enterischen Nervensystem zusammen.
- Sympathikus: Vermittelt anregende, leistungssteigernde Reize.
- Parasympathikus: Fördert die Erholung.
- Enterisches System (ENS): Netzwerk von Neuronen in den Wänden des Gastrointestinaltrakts, das Reize empfängt und reflexartig beantwortet.
Entwicklung des Nervensystems
Die Entwicklung des Nervensystems beginnt früh in der Embryonalentwicklung.
Neurulation
Während der Neurulation wird die Anlage des gesamten Nervensystems gebildet. Eine Änderung, Hemmung oder Fehlbildung des Neurulationsprozesses führt zu Defekten der Neuralröhre.
- Neuralplatte: Die Bildung der Neuralwülste und Einwölbung der Neuralplatte zur Neuralgrube.
- Neuralrohr: Der Verschluss der Neuralgrube zum Neuralrohr. Aus dem kaudalen Abschnitt des Neuralrohres entsteht das Rückenmark.
- Neuralleiste: Zellen legen eine große Wanderung zurück, um bestimmte Areale des Organismus zu erreichen und sich dort in sehr unterschiedliche Zelltypen zu differenzieren.
Zelluläre Prozesse während der Entwicklung
Während der Entwicklung des ZNS können 4 zelluläre Grundprozesse beschrieben werden:
- Zellvermehrung (Neurogenese)
- Zellwanderung (Migration): Die Wanderung der Neuroblasten vom Ort der letzten Zellteilung zu ihrem Funktionsort.
- Neuronale Differenzierung: Zellreifung, Synaptogenese und Bildung von Schaltkreisen.
- Modifizierung von Verbindungen: Während der Entwicklungsphase dient die Apoptose hauptsächlich der Kompensierung von Fehlentwicklungen und der Anpassung der Neuronenzahl an die Größe der innervierten Territorien.
Hirnbläschen und ihre Entwicklung
Zunächst ähnelt das Neuralrohr auch im vorderen Abschnitt noch einem Schlauch. Mit fortschreitender Entwicklung, wenn sich die endgültige Form des Gehirns herausbildet, treten dort drei Erweiterungen auf, die sich zu den primären Hirnbläschen entwickeln:
- Vorderhirn (Prosencephalon)
- Mittelhirn (Mesencephalon)
- Rautenhirn (Rhombencephalon)
Aus diesen primären Hirnbläschen entwickeln sich weitere Strukturen:
- Aus dem Vorderhirn entstehen Großhirn und Zwischenhirn.
- Aus dem Rautenhirn gehen Medulla oblongata, Brücke und Kleinhirn hervor.
Klinische Aspekte
Neurologische Erkrankungen sind Erkrankungen des Nervensystems. Sie können angeboren sein (durch einen Gendefekt) oder im Laufe des Lebens entstehen (z.B. durch Infektionen, Traumata oder Degeneration).
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