So klein die Schilddrüse auch sein mag, ihr Einfluss auf Körper und Psyche ist enorm. Die Schilddrüsenhormone, die in diesem Organ produziert werden, wirken sich nicht nur auf organische Prozesse wie Herz, Kreislauf, Verdauung oder Wachstum aus, sondern aktivieren auch den Stoffwechsel der Nervenzellen und die Gehirntätigkeit. Vereinfacht ausgedrückt, agieren Schilddrüsenhormone wie Energielieferanten für verschiedene Gehirnstrukturen.
Die Schilddrüse: Ein Überblick
Die Schilddrüse (Glandula thyreoidea) ist eine schmetterlingsförmige Hormondrüse im vorderen Halsbereich, unterhalb des Kehlkopfes. Sie besteht aus zwei Seitenlappen, die sich um die Luftröhre schmiegen und durch eine schmale Gewebebrücke verbunden sind. Mit einem Gewicht von etwa 20 bis 80 Gramm ist sie im Vergleich zu anderen Drüsen relativ groß.
Aufbau und Funktion
Die Schilddrüse ist aus zahlreichen kleinen Läppchen aufgebaut, die aus Follikeln bestehen. In den Zellen dieser Follikel werden die Schilddrüsenhormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) gebildet und gespeichert. Zwischen den Follikeln befinden sich C-Zellen, die das Hormon Calcitonin produzieren, welches eine Rolle im Kalziumstoffwechsel spielt.
Hormone der Schilddrüse
Die Schilddrüse produziert insgesamt drei Hormone:
- Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4): Diese Hormone beeinflussen vor allem den Stoffwechsel und den Energiehaushalt. Sie sind wichtig für eine normale Funktion vieler Organsysteme.
- Calcitonin: Dieses Hormon ist am Kalzium- und Knochenstoffwechsel beteiligt.
T3 und T4 werden aus Jod gebildet, einem Spurenelement, das der Körper nicht selbst herstellen kann und daher über die Nahrung aufnehmen muss. Sie steuern den Grundumsatz, fördern die Gehirnentwicklung bei Kindern und beeinflussen Herzaktivität, Blutdruck, Energiestoffwechsel, Kohlenhydratstoffwechsel, Fett- und Eiweißstoffwechsel, Gehirnaktivität, Muskelstoffwechsel, Darmtätigkeit und das Wachstum.
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Regulation der Hormonproduktion
Die Abgabe der Schilddrüsenhormone ins Blut wird durch das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH) gesteuert, das im Hypophysenvorderlappen (Teil der Hirnanhangdrüse im Gehirn) gebildet wird. Der Hypothalamus im Zwischenhirn bildet das Thyreotropin Releasing Hormon (TRH), das die Hypophyse zur Ausschüttung von TSH anregt. TSH stimuliert die Schilddrüse zur Freisetzung von T3 und T4.
Dieser Regelmechanismus sorgt für ein Gleichgewicht und verhindert eine Über- oder Unterproduktion von Schilddrüsenhormonen. Wenn die Konzentration an Schilddrüsenhormonen im Blut zu niedrig ist, bildet die Hirnanhangsdrüse vermehrt TSH, um die Schilddrüse zu mehr Produktion anzuregen.
Schilddrüsenhormone und ihre Wirkung auf das Gehirn
Schilddrüsenhormone regulieren auch den Hirnstoffwechsel. Sie wirken im Prinzip wie Energielieferanten für viele Organe und Körperfunktionen und steigern die Stoffwechselfunktionen im Gehirn. Der Biochemiker Steffen Mayerl von der Universität Duisburg-Essen entdeckte, dass sie sogar Gehirnzellen wachsen lassen und die Bildung von Nervenzellen im Lern- und Gedächtniszentrum des Gehirns fördern.
Der Hippocampus im Fokus
Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist der Hippocampus, ein daumengroßes Gebiet unterhalb des Schläfenlappens, das als Lern- und Gedächtniszentrum des Gehirns dient. Mayerl fand heraus, dass Schilddrüsenhormone die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus direkt steuern, indem sie die Zellteilung stoppen und die Differenzierung der Vorläuferzellen einleiten.
Bedeutung von Transportern und Rezeptoren
Damit die Hormone in die Zellen aufgenommen werden können, benötigen sie Transportproteine wie den Monocarboxylattransporter 8 (MCT8). Dieser hilft den Hormonen, in die Zelle zu gelangen und an Rezeptoren anzudocken, um dort biochemische Vorgänge auszulösen. Defekte im MCT8-Protein können zu schweren neurologischen Entwicklungsstörungen führen, wie beim Allan-Herndon-Dudley-Syndrom (AHDS).
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Schilddrüsenfunktionsstörungen und ihre Auswirkungen auf die Psyche
Sowohl eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) als auch eine Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) können mit psychischen Symptomen einhergehen und die Lebensqualität beeinträchtigen. Ist das psychische Gleichgewicht gestört, wirkt sich dies auch auf das körperliche Wohlbefinden aus.
Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose)
Bei einer Schilddrüsenüberfunktion befinden sich zu viele Hormone im Regelkreis, wodurch viele Hirnprozesse überschießend ablaufen. Betroffene sind häufig nervös, schreckhaft und leicht erregbar bis aggressiv. Es fällt ihnen schwer, sich zu entspannen, sie schwitzen schnell, haben Schlafstörungen, Herzrasen oder Vorhofflimmern und zittern oftmals stark. Viele klagen über Durchfälle, starken Gewichtsverlust, Müdigkeit und Schwäche. In manchen Fällen können sogar akute psychotische Symptome auftreten, die eine Einweisung in die Psychiatrie erforderlich machen können. Es gibt auch Überschneidungen mit primär psychiatrischen Krankheitsbildern, sodass es bei einer Hyperthyreose zu einer Verstärkung psychischer Symptome kommen kann.
Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)
Bei einer Schilddrüsenunterfunktion ist das Gegenteil der Fall: Es werden zu wenig Hormone produziert, was zu einer Verlangsamung verschiedener Gehirnfunktionen führt. Betroffene klagen häufig über depressive Verstimmungen, Apathie, Interessenlosigkeit, schnelle Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen. Die Gefühlslage kann sehr schwankend sein und im Extremfall über Wahnvorstellungen bis hin zu Suizidgedanken reichen. Zu den körperlichen Symptomen zählen Gewichtszunahme, langsamer Herzschlag, verlangsamte Reflexe und eine verminderte Libido. Bei etwa 50 - 90 % der Hypothyreosepatienten können zusätzlich geistige Funktionseinschränkungen wie Aufmerksamkeits-, Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen, verlangsamte Gedankengänge, Initiativlosigkeit, Stumpfheit oder Lethargie festgestellt werden. Depressive Zustände in unterschiedlichen Ausprägungen treten bei etwa 40 - 50 % der Hypothyreosepatienten auf.
Die ätiologische Abgrenzung zu primär psychiatrisch-neurologischen Krankheitsbildern ist mitunter schwierig, Überschneidungen kommen vor. Bislang ist noch nicht abschließend geklärt, ob eine Hypothyreose an sich ein Risikofaktor für das Auftreten bestimmter psychiatrischer Erkrankungen ist.
Besonderheiten bei Frauen
Eine weitere Risikogruppe stellen Frauen nach der Geburt eines Kindes dar. Bei circa vier Prozent entwickelt sich durch die hormonellen Umstellungen nach der Entbindung eine sogenannte Postpartum-Thyreoiditis mit erhöhten Schilddrüsenantikörperwerten und Funktionsstörungen der Schilddrüse. Diese können von Depressionen begleitet sein.
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Diagnose und Behandlung von Schilddrüsenfunktionsstörungen
Bei entsprechenden psychischen und geistigen Symptomen sollte immer auch an die Schilddrüse gedacht und die Schilddrüsenfunktion abgeklärt werden. Patienten mit psychischen Problemen sollten unbedingt untersuchen lassen, ob ihre Beschwerden organische Ursachen haben.
Diagnoseverfahren
- Tastuntersuchung: Der Arzt kann eine Vergrößerung der Schilddrüse oder andere fühlbare Auffälligkeiten erkennen.
- Ultraschall (Sonografie): Die Größe und Struktur der Schilddrüse werden festgestellt.
- Blutuntersuchung: Die Schilddrüsenhormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) sowie das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH) werden gemessen, um festzustellen, ob eine Hyper- oder Hypothyreose besteht. Erhöhte TSH-Werte weisen auf eine mögliche Unterfunktion hin, während geringe TSH-Werte auf eine mögliche Überfunktion deuten. Auch Schilddrüsen-Antikörper können im Blut bestimmt werden, um Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow zu erkennen.
- Schilddrüsenszintigraphie: Diese nuklearmedizinische Methode misst, wie aktiv die Schilddrüse ist und wie stark die einzelnen Bereiche Jod aufnehmen können.
Behandlungsmethoden
Schilddrüsenfunktionsstörungen gehören zu den heilbaren Krankheiten. Eine rechtzeitige und richtige Behandlung kann Betroffenen einen langen Leidensweg ersparen.
- Schilddrüsenunterfunktion: In der Regel wird Levothyroxin (L-Thyroxin) in Tablettenform verordnet, um den Hormonmangel auszugleichen. Die Tabletten müssen ein Leben lang eingenommen werden.
- Schilddrüsenüberfunktion: Die erste Wahl sind Thyreostatika wie Thiamazol und Carbimazol, die die Bildung von Schilddrüsenhormonen hemmen. Weitere Behandlungsmöglichkeiten sind die Radiojodtherapie und die operative Entfernung der Schilddrüse.
Funktioneller Schilddrüsenhormonmangel
Es kann trotz optimaler Blutwerte sein, dass die Wirkspiegel der Schilddrüsenhormone im Gewebe zu niedrig sind und dadurch Organfunktionen beeinträchtigt werden. Mögliche Gründe hierfür sind Fehlfunktionen von Transportern und Rezeptoren, die die Schilddrüsenhormone vom Blut in die Körperzellen schleusen sollen.
Jodmangel und seine Folgen
Deutschland gilt als Jodmangelgebiet. Jod ist ein wichtiger Bestandteil der Schilddrüsenhormone und muss regelmäßig mit der Nahrung aufgenommen werden. Ein Jodmangel kann zu einer Vergrößerung der Schilddrüse (Struma) führen und die Hormonproduktion beeinträchtigen. Experten empfehlen deshalb, mindestens einmal die Woche Seefisch zu essen und jodiertes Speisesalz zu verwenden.
Neue Therapieansätze und Forschung
Die Forschung konzentriert sich zunehmend auf die lokale Wirkung von Schilddrüsenhormonen in den Zielorganen und -strukturen. Wissenschaftler arbeiten daran, die Funktion der lokalen Schilddrüsenhormontransporter, die Metabolisierung durch Deiodinasen und die Schilddrüsenhormonrezeptoren besser zu verstehen, um neue Therapieansätze zu entwickeln.
Ein vielversprechender Ansatz ist die Gentherapie bei seltenen Erkrankungen wie dem Allan-Herndon-Dudley-Syndrom (AHDS), bei dem ein Defekt im Schilddrüsenhormontransporter MCT8 vorliegt. Forschende haben erfolgreich einen Gentherapie-Vektor entwickelt, der funktionales MCT8 direkt in die Blut-Hirn-Schranke exprimiert und so den Transport von Schilddrüsenhormonen ins Gehirn wieder ermöglicht.
Langfristig erhoffen sich die Wissenschaftler, neue Therapieansätze auch für Volkskrankheiten wie die nichtalkoholische Fettleber, Myokardinfarkt oder Schlaganfall zu finden.
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