Der Weltfrauentag am 8. März macht auf die gesundheitlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern aufmerksam. Statistisch gesehen haben Frauen ein höheres Risiko für einen Schlaganfall, was vor allem daran liegt, dass sie tendenziell älter werden als Männer und das Schlaganfallrisiko mit dem Alter steigt. Doch auch jüngere Frauen sind nicht ausgenommen. Die Einnahme der Antibabypille kann, insbesondere in Kombination mit anderen Risikofaktoren, das Schlaganfallrisiko erhöhen.
Der Fall Sandra: Ein Schlaganfall mit 30
Sandra, eine sportliche und aktive Frau von 30 Jahren, erlitt während einer Wanderung in den italienischen Alpen einen Schlaganfall. Die Ärzte konnten keine eindeutige Ursache finden, vermuteten aber einen Zusammenhang mit der Einnahme der Pille. Trotz ihrer sportlichen Lebensweise und dem Fehlen klassischer Risikofaktoren wie Rauchen oder Herzerkrankungen, wiesen die Ärzte auf die Pille als mögliche Mitursache hin. Sandra selbst hatte nie geraucht und war daher überrascht, dass die Pille als möglicher Risikofaktor in Betracht gezogen wurde.
Die Pille und das Schlaganfallrisiko: Eine Risikoabschätzung
Die Pille kann das Schlaganfallrisiko etwa um das Zwei- bis Dreifache erhöhen. Für eine gesunde, sportliche 30-Jährige ist das absolute Risiko zwar immer noch gering, aber es ist vorhanden und kann in bestimmten Situationen ein entscheidender Faktor sein. Im Fall von Sandra könnten die große Anstrengung und die Übernachtung in großer Höhe in Kombination mit der Einnahme der Pille den Schlaganfall ausgelöst haben.
Neue Forschungsergebnisse: Die SECRETO-Studie
Kürzlich vorgestellte Forschungsergebnisse der ESOC-Konferenz 2025 liefern neue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen der Einnahme kombinierter oraler Verhütungsmittel und dem Risiko für kryptogenen ischämischen Schlaganfall (Schlaganfall ohne erkennbare Ursache) bei jungen Frauen. Die sogenannte SECRETO-Studie ergab, dass die Einnahme der Pille das Risiko für einen solchen Schlaganfalltyp verdreifachen kann.
Studiendesign und Ergebnisse
Die Studie umfasste 268 Frauen im Alter von 18 bis 49 Jahren mit kryptogenem ischämischem Schlaganfall sowie 268 altersentsprechende Kontrollpersonen ohne Schlaganfall. Von den Teilnehmerinnen nahmen 66 Patientinnen und 38 Kontrollpersonen kombinierte orale Verhütungsmittel ein. Nach Berücksichtigung von Alter und Begleiterkrankungen hatten Frauen, die die Pille verwendeten, etwa dreimal so häufig einen Schlaganfall ohne erkennbare Ursache wie Frauen, die keine Pille nahmen. Es wurden keine signifikanten Wechselwirkungen zwischen der Einnahme von Kombipräparaten und anderen Risikofaktoren gefunden, was darauf hindeutet, dass das erhöhte Risiko unabhängig von anderen Faktoren besteht.
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Expertenmeinung
Dr. Mine Sezgin, Neurologin an der Universität Istanbul und Hauptautorin der Studie, betonte, dass die Ergebnisse frühere Hinweise auf ein erhöhtes Schlaganfallrisiko durch orale Verhütungsmittel bestätigen. Sie wies darauf hin, dass der Zusammenhang auch dann stark bleibt, wenn andere bekannte Risikofaktoren berücksichtigt werden, was auf zusätzliche, möglicherweise genetische oder biologische Mechanismen hindeutet.
Östrogendosis und Präparate
Die meisten Anwenderinnen nahmen Kombipräparate auf Ethinylestradiol-Basis mit einer mittleren Dosis von 20 Mikrogramm. Es wurden jedoch auch andere Östrogentypen wie Estradiol-Hemihydrat und Estradiol-Valerat erfasst. Dr. Sezgin betonte, dass größere Studien erforderlich sind, um zu prüfen, ob bestimmte Präparate unterschiedliche Risiken aufweisen.
Empfehlungen für die Praxis
Die Expertin empfahl abschließend eine sorgfältigere Bewertung des Schlaganfallrisikos bei jungen Frauen, insbesondere bei solchen mit zusätzlichen Risikofaktoren.
Weitere Studien und Erkenntnisse
Eine aktuelle dänische Studie untersuchte das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt über einen Zeitraum von 15 Jahren bei mehr als 1,6 Millionen Frauen. Die Ergebnisse zeigten, dass auch hier ein minimales Risiko besteht, wobei das Risiko je nach Art und Dosis der Hormone variieren kann. Bei der Antibabypille spielen die Dosis der Östrogene und die Wahl des Gestagens eine Rolle. Auch Verhütungspflaster oder Vaginalring waren in der Studie mit einem minimal erhöhten Risiko behaftet. Für die Spirale - in der Variante, die Hormone freisetzt - ergab sich dagegen kein erhöhtes Risiko.
Kryptogener Schlaganfall: Eine besondere Herausforderung
Manche Schlaganfälle treten ohne erkennbare Ursache auf. Fachleute sprechen dann von einem kryptogenen ischämischen Schlaganfall. Bei Frauen unter 50 Jahren machen kryptogene Hirninfarkte immerhin 40 Prozent der ischämischen Schlaganfälle aus. Die Untersuchung der Universität Istanbul hat gezeigt, dass Verhütungspillen, die Östrogen- und Gestagen-Ersatzstoffe kombinieren, das Risiko für ungeklärte Schlaganfälle verdreifachen.
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Risikofaktoren und Vorsichtsmaßnahmen
Neben der Einnahme der Pille gibt es weitere Risikofaktoren, die das Schlaganfallrisiko erhöhen können. Dazu zählen beispielsweise ein erhöhtes Thromboserisiko, Bluthochdruck, Rauchen, Migräne mit Aura und Übergewicht. Frauen mit zusätzlichen Risikofaktoren sollten die Verordnung kombinierter Kontrazeptiva besonders sorgfältig mit ihrem Arzt abwägen.
Junge Frauen und die Pille: Ein verändertes Verhütungsverhalten
Unabhängig von den Risiken greifen junge Frauen zunehmend seltener zur Pille, wenn sie eine Schwangerschaft verhindern möchten. Eine Erhebung der Techniker Krankenkasse (TK) zeigte, dass im Jahr 2024 nur noch 26 Prozent der dort versicherten Frauen im Alter zwischen 13 und 21 Jahren die Pille nahmen. Im Jahr 2020 lag der Wert noch bei 39 Prozent.
Schlaganfallrisiko im Gesamtkontext
Insgesamt ist das Schlaganfallrisiko für junge Frauen niedrig. Eine aktuelle dänische Untersuchung ergab beispielsweise, dass auf 100.000 Einnahmejahre gerechnet 18 Frauen, die keine hormonell wirksamen Verhütungsmittel verwenden, einen ischämischen Schlaganfall erleiden. Bei Kombipillen sind es 39, bei reinen Gestagen-Pillen („Minipille“) 33 und bei der Spirale (Intrauterinpessar mit Levonorgestrel) 23.
Hirnvenenthrombosen (HVT)
Neben dem erhöhten Risiko für ischämische Schlaganfälle steigt bei Frauen, die die Pille nehmen, auch das Risiko für Hirnvenenthrombosen (HVT) an, eine ansonsten eher seltene Form des Schlaganfalles. Eine Fall-Kontroll-Studie des „Academic Medical Center Amsterdam“ ergab, dass 72,9% der von einer HVT betroffenen Frauen die Pille nahmen. Fettleibigkeit (BMI >30) alleine erhöhte das HVT-Risiko bei Frauen um den Faktor 3,5.
Migräne als Risikofaktor
Ein weiterer, relativ unbekannter Risikofaktor, der das Gefäßrisiko bzw. Risiko für ischämische Schlaganfälle bei oraler Kontrazeption ansteigen lässt, ist Migräne, besonders Migräne mit sogenannter Aura.
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Empfehlungen der Deutschen Hirnstiftung
Prof. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung, empfiehlt, die individuellen Risiken einer oralen Kontrazeption mit dem Gynäkologen und gegebenenfalls weiteren Fachdisziplinen gut zu besprechen. Vor allem, wenn Gefäßrisikofaktoren vorliegen, aber auch bei Hinweisen auf eine familiäre Veranlagung, z. B. Eine Thromboseneigung kann vorab gegebenenfalls mit Laboruntersuchungen ausgeschlossen werden; bei Migräne-Verdacht sollte eine neurologische Mitbehandlung erfolgen. Der Präsident der Deutschen Hirnstiftung möchte anlässlich des Welt-Schlaganfalltags Frauen, die die Pille nehmen, dafür sensibilisieren, zusätzliche lebensstilbedingte Risiken möglichst zu reduzieren. Das heißt konkret: Sie sollten auf ihr Gewicht achten und bei Bedarf abnehmen, auf das Rauchen verzichten und bei Bedarf Gefäß schädigende Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes auch medikamentös behandeln lassen.
Adipositas und die Pille: Ein gefährliches Zusammenspiel
Anwenderinnen oraler Kontrazeptiva haben ein erhöhtes Risiko, eine Sinusthrombose zu erleiden, die einen Schlaganfall auslösen kann. Besonders deutlich war das Risiko bei adipösen Frauen, bei denen es einer Fall-Kontroll-Studie zufolge beinahe 30-fach häufiger zu der venösen Abflussstörung aus dem Gehirn kam. Die Kombination aus oralen Kontrazeptiva und Adipositas führten zu einem 29,26-fach erhöhten Risiko auf eine Sinusthrombose. Adipöse Frauen, die keine oralen Kontrazeptiva einnehmen, hatten kein erhöhtes Risiko, das gleiche galt für adipöse Männer.
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