Die Diskussion um das Risiko von Schlaganfällen im Zusammenhang mit der AstraZeneca-Impfung hat in der Öffentlichkeit Besorgnis ausgelöst. Dieser Artikel beleuchtet die verfügbaren Daten und Erkenntnisse, um ein umfassendes Bild der Thematik zu vermitteln. Dabei werden sowohl die potenziellen Risiken als auch der Nutzen der Impfung berücksichtigt.
Hirnvenenthrombosen: Was ist das?
Eine Hirnvenenthrombose, auch Sinusvenenthrombose genannt, ist ein Blutgerinnsel im Gehirn. Es verstopft Venen, die für den Blutabfluss sorgen. Wenn sich das Blut staut, kann das Hirngewebe anschwellen und in der Folge zu einem Schlaganfall führen. Häufige Symptome sind langanhaltende Kopf- und Nackenschmerzen, Sehstörungen oder Lähmungserscheinungen. Eine Computertomographie kann Blutgerinnsel erkennen.
Wie gefährlich sind Thrombosen im Gehirn?
Hirnvenenthrombosen sind selten und machen etwa ein Prozent der Schlaganfälle aus. Es gibt auch die Sinusthrombose, die ebenfalls die Venen betrifft, wobei eine spezielle Region im Gehirn, die äußerste Hirnhaut, beeinträchtigt ist.
Die Rolle von AstraZeneca: Gemeldete Fälle und Empfehlungen
In Deutschland wurden bis zum 15. April 59 Fälle von Hirnvenenthrombosen gemeldet, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer AstraZeneca-Impfung aufgetreten sind. Betroffen waren überwiegend Frauen, wobei zwölf Personen verstarben. Bis Mitte April wurden laut Robert-Koch-Institut (RKI) über 4,2 Millionen Erstdosen und über 4.100 Zweitdosen des Impfstoffs in Deutschland verabreicht.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt den Impfstoff nur noch für Menschen über 60 Jahren. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hingegen erklärte Mitte März, dass das Vakzin AstraZeneca für alle über 18 Jahren sicher sei, da der Nutzen durch den Schutz vor einer COVID-19-Erkrankung höher sei als das Risiko einer Hirnvenenthrombose durch die Impfung.
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In Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen wurde die Impfpriorisierung für Astrazeneca aufgehoben, sodass sich alle über 18 Jahren nach Rücksprache mit ihrem Arzt impfen lassen können.
Risikofaktoren und Häufigkeit von Hirnvenenthrombosen
Normalerweise treten Thrombosen im Gehirn in der allgemeinen Bevölkerung etwa zwei bis fünf Mal pro einer Million Personen pro Jahr auf.
Welche Risikofaktoren gibt es normalerweise für eine Hirnvenenthrombose?
Während einer Schwangerschaft steigt das Thromboserisiko durch Hormoneinfluss. Auch Krebserkrankungen, Stoffwechselstörungen oder Infektionskrankheiten können zu verstopften Venen im Gehirn führen.
Ist das Risiko nach einer AstraZeneca-Impfung höher als sonst?
Bei COVID-19-Erkrankten treten häufig Embolien und Gerinnungsstörungen auf. Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar in München, betont, dass man sich jetzt alle Einflussfaktoren genau anschauen müsse, um zu beurteilen, ob die Impfung tatsächlich die Ursache war.
Mögliche Auslöser für Thrombosen nach der Impfung
Virologin Sandra Ciesek erklärt im NDR-Podcast "Coronavirus-Update" mögliche Auslöser für die Thrombosen nach der Impfung. Ein Faktor könnte das verwendete Adenovirus sein, ein Bestandteil der Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson. Eine weitere Möglichkeit ist, dass das Spike-Protein selbst die Blutgerinnsel auslöst, was Ciesek jedoch für unwahrscheinlich hält. Die dritte Möglichkeit ist, dass freie DNA in den Vektorviren mit Bestandteilen des Bluts Komplexe bildet.
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Für wen ist das Risiko der Impfnebenwirkung am größten?
Eine Übersicht der Universität Cambridge stellt die Risiken und Vorteile einer Impfung mit AstraZeneca gegenüber. Das Ergebnis der Untersuchung zeigt, dass selbst bei jüngeren Menschen das Risiko für eine Einweisung in die Intensivstation aufgrund einer COVID-19-Erkrankung doppelt so hoch ist wie das Risiko einer schweren Schädigung durch den Impfstoff. Bei Menschen zwischen 60 und 69 Jahren ist das Risiko sogar 600-mal höher. Nur in Niedriginzidenzgebieten für Menschen unter 30 Jahren falle das Ergebnis anders aus.
Thrombozytopenie: Eine weitere Impf-Nebenwirkung?
Neben den Thrombosen zeigt sich auch, dass die Zahl der Thrombozyten, der Blutplättchen, abnimmt. Das kommt daher, dass bei einer Thrombose Blutplättchen verbraucht werden, was zur Thrombozytopenie führt.
Zusammenhang zwischen Thrombose und Antibabypille
Sinusvenenthrombosen treten bei Frauen generell häufiger auf als bei Männern. Experten vermuten, dass die Hormone eine Rolle spielen. Auch die Antibabypille kann als Nebenwirkung Thrombosen verursachen.
Wirksamkeit der Impfstoffe
Im Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 23. März werden zwei Fälle von Sinusvenen-Thrombosen nach Impfungen mit dem Biontech-Vakzin erwähnt. Der Bericht weist aber auch darauf hin, dass bei den Impfungen mit den Impfstoffen von Biontech und Moderna häufiger schwerwiegende Impfreaktionen auftreten als bei AstraZeneca.
Was tun bei Vorerkrankungen?
Personen, die bereits eine Thrombose oder einen Schlaganfall hatten, sollten das Risiko einer Impfung individuell mit ihrem Arzt klären. Informationen gibt es auch auf der Webseite der Stiftung Deutsche Schlaganfall Hilfe.
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Schlaganfall-Betroffene haben allein aufgrund des Schlaganfalls kein erhöhtes Risiko für Impf-Nebenwirkungen. Viele Patienten mit Vorhofflimmern oder Schlaganfällen nehmen allerdings Gerinnungshemmer zur Blutverdünnung.
Was sollten Patienten unter Antikoagulation beachten?
Die Impfung muss intramuskulär verabreicht werden. Bei einer intramuskulären Impfung besteht eine erhöhte Gefahr von Einblutungen. Deswegen sollte eine sehr feine Injektionskanüle genutzt werden und die Einstichstelle sollte nach der Impfung mindestens zwei Minuten fest komprimiert werden. Es wird eine verlängerte Nachbeobachtungszeit von bis zu 30 Minuten nach der Impfung empfohlen.
Booster-Impfung für Schlaganfall-Betroffene
Eine vierte Impfung kann für Schlaganfall-Betroffene sinnvoll sein, da das Ansteckungsrisiko durch die neue Virusvariante hoch ist. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat eine entsprechende Empfehlung für Menschen ab 70 und Menschen mit Immunschwäche ausgesprochen.
Schlaganfall nach Impfung: Was tun?
Da jährlich etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall erleiden und bereits etwa 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, ist es statistisch wahrscheinlich, dass einzelne Menschen kurz nach ihrer Impfung einen Schlaganfall erleiden. Ob ein Schlaganfall in direktem Zusammenhang mit der Impfung steht, muss individuell abgeklärt werden. Bei Verdacht auf eine Nebenwirkung der Impfung kann dies dem Paul-Ehrlich-Institut mitgeteilt werden.
Erkenntnisse aus Studien und Forschung
Eine Studie unter der Projektleitung der Klinik für Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen beschreibt das Auftreten von zerebrovaskulären Ereignissen nach Impfung gegen SARS-CoV-2. Auffällig war, dass nicht nur jüngere Frauen ein höheres Risiko für zerebrale Sinus- und Hirnvenenthrombosen nach Impfung mit AstraZeneca hatten, sondern auch ältere Frauen.
Die DGN-Studie „Cerebral venous thrombosis associated with vaccination against COVID-19“[1] zeigt, dass es nach Impfung mit dem SARS-CoV-2-AstraZeneca-Impfstoff zu signifikant mehr zerebralen Sinus- und Hirnvenenthrombosen (CVT) kam als nach Impfung mit den mRNA-Impfstoffen.
Ergebnisse der DGN-Studie
- In 95,2 Prozent der Fälle traten die unerwünschten Ereignisse nach erster Gabe des Impfstoffs auf.
- 53 der 62 bestätigten Fälle (85,5 Prozent) waren nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff ChAdOx1 aufgetreten, neun Fälle (14,5 Prozent) nach Impfung mit dem BioNTech-Vakzin BNT162b2.
- Gut Dreiviertel aller thrombotischer zerebralen Ereignisse (75,8 Prozent) waren bei Frauen aufgetreten.
Vakzine-induzierte immunogene thrombotische Thrombozytopenie (VITT)
Nach der Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin ChAdOx1 kann es in sehr seltenen Fällen zu einer Vakzine-induzierten immunogenen thrombotischen Thrombozytopenie (VITT) kommen. Der Pathomechanismus dieser seltenen Impf-Nebenwirkung ähnelt der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) Typ II.
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