Schmerzmittel bei Polyneuropathie: Ein umfassender Überblick

Eine Polyneuropathie ist eine Erkrankung, die die peripheren Nerven betrifft und mit Gefühlsstörungen, Schmerzen und im fortgeschrittenen Stadium mit erheblichen Einschränkungen im Alltag einhergehen kann. Eine rechtzeitige Behandlung ist wichtig, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. Dabei sollte nicht nur auf die Linderung der Beschwerden, sondern auch auf die Behandlung der Ursachen geachtet werden. Medikamente können in Kombination mit anderen Therapieansätzen eingesetzt werden, um die Polyneuropathie zu behandeln.

Medikamentöse Behandlung der Polyneuropathie

Auch wenn eine Polyneuropathie oft mit Schmerzen verbunden ist, sind herkömmliche Schmerzmittel nur bedingt für die Behandlung geeignet, da sie nicht direkt an den Nerven wirken und daher oft kaum Wirkung zeigen. Zur Stabilisierung der Nervenaktivität können Antiepileptika eingesetzt werden. Antidepressiva können ebenfalls zur Behandlung neuropathischer Schmerzen verwendet werden, da die darin enthaltenen Botenstoffe auch bei Depressionen wirken. Bei Dauerschmerzen können Opioide zur Linderung eingesetzt werden. Oft ist jedoch eine Kombination verschiedener Medikamente erforderlich, um eine Polyneuropathie effektiv zu behandeln. Ärzte wählen in der Regel zunächst wirksame Mittel mit wenigen Nebenwirkungen, bevor sie zu stärkeren Medikamenten greifen. Die Nebenwirkungen aller Medikamente zur Behandlung von Polyneuropathie sollten jedoch nicht unterschätzt werden.

Antiepileptika

Bei der Behandlung der Polyneuropathie mit Antiepileptika werden hauptsächlich Gabapentin und Pregabalin eingesetzt. Bei Gabapentin wird zunächst mit einer niedrigen Dosis begonnen, die im Laufe der Zeit gesteigert wird. Um starke Nebenwirkungen zu vermeiden, sollte die Dosis nur langsam erhöht werden, damit sich der Körper an das Medikament gewöhnen kann. Es dauert lange, bis sich die Wirkung von Gabapentin zeigt, wenn eine hohe Dosis erforderlich ist. Pregabalin hat eine ähnliche Wirkung wie Gabapentin, da es einen verwandten Wirkstoff enthält. Bei der Anwendung von Antiepileptika gegen Polyneuropathie ist eine regelmäßige Kontrolle der Blutwerte erforderlich, da es zu Veränderungen kommen kann.

Antidepressiva

Zur Behandlung von Polyneuropathie können die Antidepressiva Amitriptylin und Nortriptylin eingesetzt werden. Amitriptylin sollte abends eingenommen werden, da es schläfrig macht. Auch hier muss die Dosis nach und nach erhöht werden, um eine ausreichende Schmerzreduktion zu erreichen. Nortriptylin hat ähnliche Effekte wie Amitriptylin. Es liegt im Ermessen des Arztes, welches der beiden Mittel er verordnet. Die in diesen Medikamenten enthaltenen Wirkstoffe unterdrücken die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Rückenmark.

Analgetika

Analgetika sind Schmerzmittel, die bei gelegentlich auftretenden Beschwerden eingesetzt werden können. Im fortgeschrittenen Stadium der Polyneuropathie sind solche Analgetika oft nicht mehr wirksam. Viele Patienten sprechen auf Paracetamol an, während Diclofenac, Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure bei einer Polyneuropathie kaum wirksam sind. Rezeptfreie Wirkstoffe wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Diclofenac wirken vor allem dann gut, wenn der Schmerz durch eine Entzündung hervorgerufen wird. Patienten mit neuropathischen Schmerzen sollten sich frühzeitig an einen Arzt wenden, anstatt lange mit Schmerzmitteln aus der Selbstmedikation herumzuprobieren. Je länger ein Patient mit Schmerzen sich nicht angemessen behandeln lässt, desto eher bildet sich ein nur noch schwer zu behandelndes Schmerzgedächtnis.

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Opioide

Als Opioide zur Behandlung von Polyneuropathie werden zumeist Tilidin oder Tramadol verordnet. Es handelt sich um Schmerzmittel, gegen die der Patient bei regelmäßiger Einnahme eine Toleranz ausbildet. Aufgrund der Gefahr einer psychischen Gewöhnung, die zur Abhängigkeit führt, ist eine strenge Überwachung der Einnahme durch den Arzt erforderlich. Da die Wirkung mit der Zeit nachlässt, ist eine Erhöhung der Dosis erforderlich.

Benfotiamin und Alpha-Liponsäure

Einige Patienten sprechen auf Benfotiamin oder Alpha-Liponsäure an. Diese Medikamente werden nicht von den Krankenkassen bezahlt. Benfotiamin ist eine Vorstufe von Vitamin B1 und kann den Stoffwechsel der Nerven beeinflussen.

Ursächliche Therapie

Zur Polyneuropathie-Therapie gehört, deren Ursache zu beseitigen oder zu behandeln - sofern möglich. Das nennt man eine kausale oder ursächliche Therapie. Einige Beispiele für die ursächliche (kausale) Behandlung von Polyneuropathie (PNP) sind:

  • Alkoholiker sollten einen Entzug machen.
  • Bei Diabetes-Patienten muss der Blutzucker richtig eingestellt werden.
  • Wurde ein Vitamin-B12-Mangel festgestellt, sollte man sich ausgewogener ernähren und den Mangel durch ein Vitaminpräparat ausgleichen.
  • Sind Giftstoffe oder Medikamente der Auslöser der Polyneuropathie, müssen sie möglichst gemieden werden.

Unterstützend hilft ein gesundes Maß an Bewegung: Radfahren oder auch Schwimmen ist gut geeignet bei Polyneuropathie, da es die persönliche Fitness verbessert.

Bei Patienten mit einer bestimmten Untergruppe von Polyneuropathien (chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie) wurden Antikörper entdeckt, die die Erregungsleitung entlang myelinisierter Fasern blockieren. Bei diesen Patienten und jenen mit einer immunvermittelten Neuropathie sprechen Standardtherapien schlecht an. Dafür hat aber eine Behandlung mit Rituximab - einem künstlich hergestellten Antikörper, der in der Krebsimmuntherapie und bei Autoimmunerkrankungen eingesetzt wird - gute Erfolgsaussichten.

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Krampflösende Medikamente

Bei Nervenschmerzen können auch krampflösende Mittel helfen, beispielsweise Gabapentin oder Pregabalin. Sie sorgen dafür, dass die Nervenzellen weniger erregbar sind. Die Nervenschmerzen lassen dadurch nach. Die Therapie mit Krampflösern wird "eingeschlichen", das heißt: Man startet mit einer niedrigen Dosis, die dann langsam bis zur gewünschten Wirkung gesteigert wird. Das beugt Nebenwirkungen vor. Zudem wird der Arzt während der Behandlung regelmäßig das Blut des Patienten untersuchen. Antiepileptika können nämlich bestimmte Blutwerte verändern.

Physikalische Therapie

Manche Polyneuropathie-Patienten mit Nervenschmerzen profitieren von der sogenannten TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation), auch Reizstromtherapie genannt. Dabei wird auf die schmerzhafte Hautregion eine Elektrode gesetzt. Sie ist mit einem kleinen tragbaren Gerät verbunden. Bei Bedarf kann der Patient auf Knopfdruck sanfte elektrische Impulse über die Elektrode in das Hautareal abgeben. Das kann die Schmerzen dämpfen. Die Wirksamkeit der TENS bei Nervenschmerzen ist bislang nicht wissenschaftlich erwiesen. Vor allem bei sensiblen und motorischen Störungen einer Polyneuropathie können generell physikalische Therapien helfen. Dazu gehören zum Beispiel Physiotherapie, Wechselbäder, Elektrobehandlung gelähmter Muskeln sowie warme und kalte Wickel. Diese Verfahren können unter anderem die Durchblutung steigern und geschwächte Muskeln stärken. Außerdem trägt die physikalische Therapie dazu bei, dass Polyneuropathie-Patienten trotz Schmerzen und anderen einschränkenden Beschwerden mobil bleiben.

Weitere Maßnahmen

Je nach Art und Ausmaß der Beschwerden kommen noch weitere Therapiemaßnahmen in Frage. Einige Beispiele:

  • Bei häufigen Wadenkrämpfen können Polyneuropathie-Patienten versuchsweise ein Magnesium-Präparat einnehmen.
  • Haben Polyneuropathie-Patienten große Probleme beim Gehen, sind orthopädische Hilfsmittel sinnvoll. Wenn zum Beispiel der sogenannte Peroneus-Nerv im Bein geschädigt ist, können Betroffene den Fuß kaum oder gar nicht mehr anheben. Dann hilft eine spezielle Schiene oder ein spezieller Schuh/Stiefel.

Werden Patienten aufgrund der Polyneuropathie von Völlegefühlen, Übelkeit und/oder Erbrechen geplagt, ist eine Umstellung der Essgewohnheiten ratsam: Besser als wenige große Mahlzeiten sind dann mehrere kleine Speisen, die über den Tag verteilt verzehrt werden. Zusätzlich lassen sich Übelkeit und Erbrechen mit rezeptpflichtigen Medikamenten (Metoclopramid oder Domperidon) lindern. Bei Verstopfung sollten Patienten viel trinken, sich ballaststoffreich ernähren und regelmäßig bewegen. Gegen akuten Durchfall bei Polyneuropathie kann der Arzt ein Medikament (wie Loperamid) verschreiben.

Autonome Störungen bei Polyneuropathien sind zum Beispiel Kreislaufprobleme beim Aufstehen aus dem Liegen oder Sitzen (orthostatische Hypotonie): Den Betroffenen wird durch einen plötzlichen Blutdruckabfall schwindelig oder sie fallen sogar in Ohnmacht. Zur Vorbeugung sollten Patienten immer nur langsam aufstehen. Zudem können Stützstrümpfe helfen: Sie verhindern, dass das Blut beim Aufstehen in die Beine absackt und so die Kreislaufprobleme auslöst. Ein regelmäßiges Muskeltraining ist ebenfalls sinnvoll. Bei Bedarf kann der Arzt zudem Medikamente gegen zu niedrigen Blutdruck verschreiben.

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Wenn Polyneuropathien eine Blasenschwäche verursachen, sollten Patienten regelmäßig zur Toilette gehen (zum Beispiel alle drei Stunden) - auch wenn gerade kein Harndrang besteht. Dann kann sich nicht zu viel Restharn in der Blase sammeln. Das begünstigt nämlich eine Blaseninfektion. Eine Impotenz (Erektile Dysfunktion) kann sowohl durch die Polyneuropathie selbst als auch durch Medikamente wie Antidepressiva entstehen. Im zweiten Fall sollten Patienten mit dem Arzt besprechen, ob die Medikamente eventuell abgesetzt oder durch andere ersetzt werden können. Wenn das nicht möglich ist oder die Impotenz auch danach noch besteht, können betroffene Männer sich mit einer Vakuumpumpe behelfen. Eventuell kann der Arzt auch ein Potenzmittel (Sildenafil etc.) verschreiben.

Medikamente, die Nervenschäden verursachen können

Arzneimittelbedingte Neuropathien hängen in der Regel von der Dosis und der Dauer der Verabreichung ab. Meistens, aber nicht immer, bessern sie sich nach Therapieabbruch. Der Mechanismus der Schädigung ist fast immer unbekannt. Eine Auswahl:

  • Statine: Die Polyneuropathie der HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren zeigt sich als Gruppeneffekt und ist in der Regel nach Absetzen der Medikation reversibel. Eine italienische Studie, die 2 040 Patienten mit diagnostizierter Polyneuropathie - mit einer Kontrollgruppe von 36 041 Patienten - unter der Medikation mit Simvastatin, Pravastatin oder Fluvastatin untersucht hat, kommt zu einem erhöhten Polyneuropathierisiko bei Statinen von 19 % (3). Auf der anderen Seite zeigte eine aktuelle kleine Fall-Kontroll-Studie aus den Niederlanden, die 333 Patienten mit axonaler Polyneuropathie mit 283 gesunden Patienten verglichen hatte, dass die Patienten mit Polyneuropathie deutlich seltener Statine eingenommen hatten (OR: 0,56; 95-%-Konfidentintervall [95-%-KI]: 0,34-0,95) (4).
  • Amiodaron: Eine Analyse von 707 Amiodaronpatienten der Mayoklinik, die 1996-2008 durchgeführt wurde, zeigte nur bei 2 Patienten eine nachweisbare Polyneuropathie, die plausibel auf das Agens Amiodaron zurückgeführt werden konnte (5). Die Fachinformationen führen periphere sensorische Neuropathien als gelegentliche Nebenwirkungen auf. Die Polyneuropathie ist, wie auch bei Statinen, außer in Einzelfällen, reversibel. Die Therapiedauer gilt als Risikofaktor. Obwohl das Auftreten einer Polyneuropathie nicht mit einer höheren Dosis korreliert, können Dosisreduktionen Linderungen bringen (6).
  • Vincaalkaloide: Vincristin zeigt eine Inzidenz von 30-40 % für periphere Neuropathien, die zudem stärker als bei Vinorelbin oder Vinblastin ausgeprägt ist. Bei etwa 50 % der Vinorelbin-Patienten zeigen sich Parästhesien.
  • Taxane: Docetaxel hat eine Inzidenz von bis zu 50 % für CIPN, während bei Paclitaxel bis zu 95 % der Patienten unter peripheren Nervenschäden leiden. Das Auftreten verstärkt sich vor allem in der Kombination mit Platinverbindungen.
  • Platinverbindungen: Unter der Therapie mit Oxaliplatin leiden bis zu 98 % der Patienten an einer akuten und bis zu 60 % an einer chronischen Neuropathie. Carboplatininduzierte periphere Neuropathien sind in vergleichbaren Dosen weniger häufig und milder als bei Oxaliplatin und treten nur bei bis zu 40 % der Behandelten auf.
  • Antibiotika: Isoniazid in der Behandlung der Tuberkulose greift in den körpereigenen Vitamin-B6-Stoffwechsel ein. Periphere Polyneuropathie mit Parästhesien und Sensibilitätsstörungen werden als häufige unerwünschte Nebenwirkung klassifiziert. Es wird daher standardmäßig in Kombination mit Pyridoxin gegeben, um peripheren Neuropathien als Nebenwirkung der antibiotischen Therapie vorzubeugen. Es ist zu beachten, dass auch Pyridoxin in unverhältnismäßig hohen Dosierungen periphere Neuropathien hervorrufen kann (8). Des Weiteren können Ethambutol, Linezolid, Nitrofurantoin und Metronidazol periphere Neuropathien auslösen. Während diese bei Erstgenannten mit einer Inzidenz von maximal 5 % auftreten, können unter der Therapie mit Metronidazol bis zu 85 % der behandelten Patienten neurologische Symptome zeigen. Linezolidinduzierte Neuropathien können irreversibel sein (7).
  • Bortezomib und Thalidomid: CIPN tritt unter der Behandlung mit Bortezomib bei bis zu 75 % der Patienten auf, wobei bis zu 30 % der Behandelten über schwere Symptome klagen. In der Thalidomidtherapie variieren die Inzidenzzahlen zwischen 14 und 70 %. Die Kombination beider Arzneistoffe verstärkt den Effekt (7).

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