Sozialarbeit bei Epilepsie: Aufgaben und Perspektiven

Menschen mit Epilepsie sind in vielen Lebensbereichen oft eingeschränkt, z. B. im Alltag, in der Schule, in der Ausbildung, im Beruf und in der Freizeit. Dies gilt insbesondere, wenn keine Anfallsfreiheit besteht oder weitere Beeinträchtigungen hinzukommen. Die Unsicherheit im Umgang mit der Krankheit ist oft sehr groß, sowohl bei den Betroffenen und ihren Familien als auch in ihrem sozialen Umfeld. Hier setzt die Sozialarbeit an.

Die Rolle der Sozialarbeit bei Epilepsie

Sozialarbeit bei Epilepsie umfasst ein breites Spektrum an Aufgaben, die darauf abzielen, Menschen mit Epilepsie und ihre Familien in ihrem Alltag zu unterstützen und ihre Lebensqualität zu verbessern. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Bewältigung sozialer, psychischer und beruflicher Herausforderungen, die mit der Erkrankung einhergehen.

Beratung und Information

Ein wichtiger Aspekt der Sozialarbeit bei Epilepsie ist die Bereitstellung von spezialisierten Beratungsangeboten. Die Epilepsie-Beratungsstellen informieren über das Krankheitsbild und den Umgang mit der Erkrankung. Vorrangiges Ziel der Beratungen ist es, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten sowie die soziale, berufliche und schulische Integration zu verbessern. Die Beratung ergänzt in sinnvoller Weise die medizinische Versorgung und bestehende Selbsthilfeangebote.

Die Epilepsie-Beratungsstelle in Bad Homburg wurde beispielsweise als spezialisierte Epilepsie-Beratungsstelle zertifiziert, nachdem sie den qualitativen und quantitativen Nachweis erbracht hatte, dass sie fachlich und personell die komplexen Anforderungen erfüllt, die bei der Gesundheitsberatung epilepsiekranker Menschen und deren Angehörige notwendig sind.

Unterstützung im Alltag

Sozialarbeiter unterstützen Menschen mit Epilepsie bei der Bewältigung der Herausforderungen im Alltag. Sie helfen ihnen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und ihre sozialen Kontakte zu pflegen.

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In Hessen leben über 40.000 Menschen mit Epilepsien. Die Anfälle alleine sind oft nicht das größte Problem - sondern die psychischen und sozialen Belastungen im Alltag. Die Sozialarbeit hilft Menschen mit Epilepsien, die Herausforderung zu bewältigen und ein selbstbestimmtes Leben zu leben.

Förderung der Integration

Ein weiteres wichtiges Ziel der Sozialarbeit bei Epilepsie ist die Förderung der Integration von Menschen mit Epilepsie in allen Lebensbereichen. Dies umfasst die Unterstützung bei der Schul- und Berufsausbildung, die Vermittlung von Arbeitsplätzen und die Förderung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Obwohl sich die meisten epilepsiekranken Kinder und Jugendlichen altersgerecht entwickeln und einen Regelkindergarten oder eine Regelschule besuchen können, fühlt sich das Betreuungs- und Lehrpersonal in der Kindertagesstätte und in der Schule oft unsicher im Umgang mit einem anfallskranken Kind. Daher ist es sehr wichtig, dass sich Erzieherinnen und Lehrerinnen mit dem individuellen Krankheitsbild vertraut machen.

Vernetzung und Kooperation

Sozialarbeiter vernetzen Menschen mit Epilepsie mit anderen Betroffenen, Selbsthilfegruppen und Fachstellen. Sie kooperieren mit Ärzten, Therapeuten, Schulen, Arbeitgebern und anderen Institutionen, um eine umfassende Versorgung und Unterstützung zu gewährleisten.

Der "Verein Sozialarbeit bei Epilepsien" entwickelte 2013 „Standards psychosozialer Epilepsieberatungsstellen“, um die Qualität der Beratung in den Epilepsieberatungsstellen sicherzustellen. Die Standards sind von der „Deutschen Gesellschaft für Epileptologie“ (DGfE) anerkannt. Wer eine Epilepsieberatungsstelle gegründet hat, kann diese zertifizieren lassen, wenn die Beratungsstelle die Kriterien für eine Zertifizierung erfüllt. Dazu ist ein Antrag erforderlich, der durch die Kommission „Ambulante Epileptologie“ der DGfE gemeinsam mit einem Mitglied des Vereins Sozialarbeit bei Epilepsie geprüft und beschieden wird.

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Spezifische Aufgabenfelder der Sozialarbeit bei Epilepsie

Die Sozialarbeit bei Epilepsie umfasst verschiedene spezifische Aufgabenfelder:

  • Epilepsiespezifische Beratung: Diese Beratung geht über die im Handlungskonzept für Sozialarbeit im Krankenhaus beschriebenen Aufgabenbereiche hinaus, indem sie eine epilepsiespezifische Beratung z.B. zu Fragen der Fahreignung oder beruflichen Eignung anbietet.
  • Unterstützung bei der Fahreignung: Maßgeblich zur Beurteilung der Fahreignung von Menschen mit Epilepsie sind die von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) herausgegebenen „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung“, die zuletzt im Juni 2022 aktualisiert wurden und von der Webseite der BAST kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden können. Die epilepsiespezifischen Regelungen sind zuletzt 2009 angepasst worden und finden sich auf den Seiten 49 - 52. Die Regelungen sind in kurzer und übersichtlicher Form z.B. auf dem von der „Deutschen Epilepsievereinigung“ herausgegebenem Faltblatt „Epilepsie und Führerschein“ zusammengefasst.
  • Unterstützung bei der beruflichen Eignung: Maßgeblich für die „Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischen Anfall“ ist die gleichnamige von der „Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ (DGUV) herausgegebene Schrift, die kostenlos von der Webseite der DGUV heruntergeladen oder in der gedruckten Form zum Preis von 8,85 Euro (zzgl. Versandkosten) bezogen werden kann.
  • Informationen zur beruflichen Teilhabe: Mit vierzehn Portalen, zahlreichen Publikationen, Apps und Seminaren ist REHADAT das zentrale unabhängige Informationsangebot zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Die Informationen richten sich an alle, die sich für die berufliche Teilhabe einsetzen.
  • Handlungshilfe Epilepsie und Arbeit: Das Bundesprojekt TEA hat eine Handlungshilfe zum inkludierten Gefährdungsmanagement veröffentlicht. Da die Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit ein zentraler Bestandteil der inkludierten Gefährdungsbeurteilung bei Epilepsie ist, sollte die vorliegende Schrift für Arbeitgeber, Betriebsärzte, Neurologen, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und epilepsiekranke Mitarbeiter von besonderem Interesse sein. Die vorliegende Checkliste hilft, anfallsbedingte Gefährdungen am Arbeitsplatz zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu treffen.
  • Informationen zum Schwerbehindertenausweis: Die in der Versorgungsmedizin-Verordnung festgelegten Grundsätze (Stand: September 2024) sind maßgeblich für die Beruteilung eines Grades der Behinderung. Sie stehen als kostenloser Download auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Verfügung.
  • Begleitende Betreuung: Die begleitende Betreuung der Patienten in der prächirurgischen Epilepsiediagnostik und operativen Epilepsietherapie inkl.

Historische Entwicklung der Sozialarbeit bei Epilepsie

Auch in der Vergangenheit wurde dem Personenkreis der Menschen mit Epilepsie frühzeitig Beachtung geschenkt. In der Säuglingsfürsorge (Berlin-)Charlottenburg beispielsweise wurde bereits 1911 im „Gesundheitsschein“, der für jedes Kind erstellt wurde, vermerkt, ob „Krämpfe“ vorliegen, weiter gefragt wurde nach der „seelische(n) und intellektuelle(n) Entwicklung (insbesondere ob Epilepsie, Nervenkrankheiten)“ bestehen. Der Gesundheitsschein wurde an die Schulgesundheitsfürsorge und an die „Schulpflegerin“ weitergeleitet. Neben den Hilfen bei sozialen und wirtschaftlichen Problemen der Schüler gehörte auch die Beachtung gesundheitlicher Aspekte zu ihren Aufgaben z. B. Ernährung, Gesundheitszustand, die Würdigung vorhandener Krankheiten z. B. Epilepsie, um Gefährdungen der Kinder bei Verschickungen, Berufswahl u. a. zu vermeiden. Im Mittelpunkt der Beratung und Betreuung durch Sozialarbeiter stand seit der Weimarer Republik immer der Einzelfall. Es wurde versucht, Hilfe zu leisten nach dem von Alice Salomon aufgestellten Grundsatz: „Das Hauptziel der Gesundheitsfürsorge sei die „Hebung der Gesundheit“ und in der Gesundheitsfürsorge komme es nicht nur darauf an, dass der Sozialarbeiter „seine Kenntnisse anwendet, dass er etwas für den anderen tut; sondern dass er jenen für eigenes Tun gewinnt, Einsichten in ihm weckt, seine inneren Kräfte löst und ihnen Richtung gibt“.

Eine radikale Änderung erfuhr die deutsche Gesellschaft nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Gesetze wurden erlassen, Maßnahmen vorbereitet, deren Inhalte schon viele Jahre vorher diskutiert wurden. Im Mittelpunkt stand jetzt die „Volksgemeinschaft“, nicht mehr der Einzelfall. Hilfen durften nur „erbgesunden“ und „rassereinen“ Menschen gewährt werden. Viele Menschen wurden durch die gesetzlichen Grundlagen Kontrollen unterworfen und ausgegrenzt. Hinzu kamen Zwangsmaßnahmen, beispielsweise Sterilisation und Euthanasie.

Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven

Die Sozialarbeit bei Epilepsie entwickelt sich stetig weiter, um den Bedürfnissen der Betroffenen gerecht zu werden. Aktuell sind die folgenden Tagungsbände erschienen: Sozialarbeit bei Epilepsie 15 (Frankfurt 2018)Perspektiven der Beratung bei Epilepsie: Kinder mit Epilepsie; Epilepsien im höhren Lebensalter; Rechtsfragen, Versicherung und Haftung; Methodisches Handeln; Internationales. Workshops: Patientenschulung KOKOS, Selbsthandeln bei Epilepsie mit Kindern, die sozialpädagogische Haltung.

Engagement für die Epilepsie-Stiftung

Die Epilepsie-Stiftung der Diakonie in Hessen erhält tatkräftige Unterstützung von verschiedenen Seiten. Herr Patrick Andres von andres logistics GmbH in Hanau nahm das 50-jährige Firmenjubiläum zum Anlass, nicht nur zu feiern, sondern auch zu helfen. Das Familienunternehmen bat alle Kunden, Geschäftspartner und Freunde von Geschenken abzusehen und initiierte einen Spendentopf zugunsten der Epilepsie-Stiftung der Diakonie in Hessen. Eine tolle und nachahmenswerte Aktion, bei der 2.500,00 Euro zusammenkamen. Prof. Dr. Alexander Walter, Vorsitzender des Landesverbandes Hessen e.V. der Deutschen Epilepsievereinigung, ist in den Beirat der Epilepsie-Stiftung berufen worden. Als eine weitere Botschafterin der Epilepsie-Stiftung konnte die Musikerin und Kulturmanagerin Ina Meineke gewonnen werden. Der Journalist und Moderator Holger Weinert übernimmt die Schirmherrschaft der Epilepsie-Stiftung der Diakonie in Hessen. Prof. Dr. med. Bernd A. Neubauer wurde als neues Mitglied im Beirat der Epilepsie-Stiftung der Diakonie in Hessen begrüßt.

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Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung

Um die Öffentlichkeit besser über Epilepsie zu informieren, finden verschiedene Aktionen und Veranstaltungen statt. In 12 hessischen Städten wurde auf die chronische Erkrankung Epilepsie aufmerksam gemacht. Zum Austausch am Info-Pavillon standen Vertreter der Selbsthilfe, Epilepsieberatung und Neurologie zur Verfügung. Ein Rahmenprogramm mit kostümierten Stelzenläufern, einem Wurfspiel und Stationen für die Sinne, lud zum Innehalten ein. Zwei Kunst-Grundkurse des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums beschäftigten sich mit dem Thema Epilepsie und Gesellschaft.

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