Die faszinierende Anatomie des Spechts: Zunge und Gehirn im Einklang

Spechte sind bekannt für ihre Fähigkeit, mit hoher Geschwindigkeit und Frequenz gegen Baumstämme zu hämmern, ohne dabei Gehirnerschütterungen oder andere Verletzungen davonzutragen. Diese Fähigkeit ist auf eine Reihe von anatomischen Anpassungen zurückzuführen, die im Laufe der Evolution entstanden sind. Der Specht ist ein medizinisches Wunder. Ein Mensch, der seinen Schädel mit vergleichbarer Wucht gegen einen Baum schlagen würde, wäre auf der Stelle tot. Ein Specht, der dies bis zu 20-mal pro Sekunde tut, trägt nicht einmal eine Gehirnerschütterung davon.

Stoßdämpfer im Kopf: Wie Spechte ihr Gehirn schützen

Eine Gehirnerschütterung oder zumindest Kopfschmerz droht, wenn ein Mensch mit dem Kopf auf eine harte Oberfläche schlägt. Doch genau das macht der Specht ständig - sein Klopfen gehört zur typischen Geräuschkulisse von Parks und Wäldern. Hier hämmern die verschiedenen Spechtarten mit ihrem Meißelschnabel auf den Baumstämmen herum. Wie halten Kopf und Hirn dieser Vögel eigentlich den enormen Belastungen stand?

Die spezielle Kopfanatomie ist eines der Geheimnisse der Spechte. Das Gehirn liegt nicht direkt hinter dem Schnabel, sondern oberhalb, sodass die Wucht des Schlages nicht direkt das Gehirn trifft. Biegsame Knochengelenke und kräftige Schnabelmuskeln federn die Wucht des Aufschlags ab. Wie bei einem Boxer, der einen Schlag erwartet, werden die Muskeln kurz vor dem Aufprall angespannt und absorbieren so einen Großteil der Energie. Kurz vor dem Auftreffen schließt der Specht seine Augenlider, damit ihm die Wucht nicht die Augen aus den Augenhöhlen drückt.

Außerdem ist das Spechthirn von weniger Gehirnflüssigkeit umgeben als das des Menschen. Wenn wir mit dem Kopf aufschlagen, prallt unser Gehirn von innen gegen die Schädeldecke. Dadurch entsteht eine Gehirnerschütterung. Beim Specht hat das Gehirn durch die reduzierte Umgebungsflüssigkeit dagegen weniger Bewegungsspielraum. Untersuchungen zufolge schlagen Spechte ihren Schnabel wie einen Presslufthammer bis zu 20 Mal pro Sekunde auf das harte Holz. Die Frontalkollision erfolgt dabei mit etwa 25 Kilometern pro Stunde. Die Gehirne der Spechte wiegen nur etwa zwei Gramm und sind damit sehr klein. Durch die geringe Masse bekommt das Gehirn beim ruckartigen Hämmern weniger Bewegungsenergie, sodass das Risiko einer Hirnverletzung gesenkt wird. Außerdem füllt das Gehirn der Spechte fast den gesamten Schädel aus und kann bei den Hämmerschlägen nicht so viel hin- und herschwappen - ganz im Gegensatz zu unserem Gehirn. Außerdem sitzt der Schnabel genau an der richtigen Stelle, nämlich etwas unterhalb des Gehirns. Dadurch trifft die Kraft des Aufschlags nicht direkt auf das Gehirn, sondern wird von den Knochen aufgefangen. Die Knochen des Spechtschädels sind dabei sehr dick und wirken wie ein Stoßdämpfer: Die Energie des Stoßes „wird um den ganzen Schädel herum bis zum stabilen Knochengewebe der Schädelbasis und der Rückseite übertragen“, erklärt der Ornitholoe Richard Prum von der Yale University. Kurz bevor der Schnabel auf die Baumrinde trifft, schließt der Specht außerdem seine Augen.

Die Zunge des Spechts: Ein vielseitiges Werkzeug

Hat der Specht das Loch in den Stamm gehämmert, muss er noch an die Beute kommen. Dazu nutzt er seine lange Zunge. Sie kann bis zu viermal so lang sein wie die Länge des Oberschnabels. Die Zunge ist außerdem sehr schmal und spitz und an der verhornten Spitze mit kleinen Widerhaken besetzt. Zusätzlich wirkt ein abgesondertes Drüsensekret wie ein Klebstoff. Somit können Spechte Insekten und Larven aus den Bohrgängen, die sie zuvor gezimmert haben, herausholen.

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Vielfalt der Spechte in Deutschland

In Deutschland leben neun verschiedene Spechtarten. Unter ihnen ist der Buntspecht die häufigste. Dich interessieren auch andere Vögel? Im Video zum Thema Spechte werden dir diese besonderen Vögel vorgestellt, egal ob für die weiterführende Schule oder die Grundschule. Nutze das neu erworbene Wissen für ein Referat in der Schule oder bei deinem nächsten Waldspaziergang. Auch kannst du unser Aufgabenblatt zum Thema Spechte verwenden, um dein Wissen zu überprüfen.

In Deutschland lebt ein halbes Dutzend verschiedener Spechtarten, vom krähengroßen Schwarzspecht bis zum spatzengroßen Kleinspecht. Dabei sind die schwarz bzw. schwarzweiß gefärbten Spechte, zu denen der bekannte Buntspecht gehört, so genannte Baumspechte, die grün gefärbten dagegen Erdspechte. Diese Bezeichnungen beziehen sich auf den Ort, an dem die Nahrungssuche stattfindet. Der Buntspecht beispielsweise ist ein Spezialist für Borkenkäferlarven, die sich unter der Baumrinde verborgen halten. Der Grünspecht dagegen ist ein Spezialist für Ameisen, weshalb man diesen Vogel oft dabei beobachten kann, wie er mitten auf einer Wiese im Boden wühlt, wobei er es nicht zuletzt auf die Brut der Ameisen abgesehen hat. Er besitzt eine Leimrutenzunge mit löffelartiger Hornspitze; eine Einrichtung, die besonders gut geeignet ist, um Ameisenpuppen gleichsam aus ihren Kammern zu löffeln. Alle unsere Spechte sind Standvögel, obwohl sie sich überwiegend von Insekten ernähren.

Der Buntspecht: Ein häufiger Gast in Wäldern und Parks

Sehr häufig wirst du in Deutschland den Buntspecht (Dendrocopos major) im Wald und im Park finden. Er besitzt eine auffällige Färbung aus schwarz-weiß gestreiften Deckfedern. Der Bauch ist weiß bis hellbraun gefärbt mit einem deutlichen roten Fleck im unteren Bereich. Die Männchen besitzen zusätzlich einen roten leuchtenden Genickfleck, woran du Weibchen und Männchen gut unterscheiden kannst. Um am Baumstamm gut entlanglaufen zu können, besitzt der Buntspecht kurze Beine. So kann er dicht am Stamm klettern. Durch seine Krallenfüße oder auch Kletterfüße findet er besonders guten Halt und ist zudem ein wahrer Kletterkünstler. Um dies vollführen zu können, zeigen zwei Krallen nach vorne zum Festhalten. Die anderen beiden Krallen sind nach hinten gebogen, damit sich der Buntspecht besser abstützen kann. Der Schnabel des Buntspechts wird als Meißelschnabel bezeichnet und ist sehr stabil und spitz. Dabei ist der Oberschnabel etwas länger als der Unterschnabel, um diesen zu schützen. Damit gelingt ein problemloses Herauszimmern des Holzes aus dem Baum, um an Insekten zu gelangen. Um das Gehirn vor der ständigen Erschütterung zu schützen, schwimmt dieses in einer sehr zähen Flüssigkeit.

Buntspechte leben dort, wo es Bäume gibt: in Wäldern und Parks oder auch in baumreichen Ortschaften und Gärten. Bäume beheimaten viele Insekten, die Nahrung der Spechte, und dienen den Vögeln auch als Nest. Die Spechte sind aktive Höhlenbrüter, die ihre Nester meist selbst in Baumstämme zimmern und so Baumhöhlen erschaffen. In dem Nest werden auf Sägespänen bis zu acht Eier gelegt und beim Buntspecht innerhalb von zwei Wochen ausgebrütet. Die Spechtküken sind dabei nackt und blind. Sie zählen zu den Nesthockern. Die Eltern führen eine intensive Brutpflege. Das bedeutet, dass sie die Küken füttern, schützen und wärmen. Nach etwa drei Wochen sind die Kleinen flügge und verlassen das Nest. Bei einem Buntspecht befinden sich die Nester im Wald, seltener im Park. Die Nisthöhlen liegen $\pu{30 cm}$ tief im Baumstamm.

Der Buntspecht frisst wie die meisten Spechte Insekten, die unter den Baumrinden oder in den etwas tiefer liegenden Jahresringen leben. Besondere Favoriten auf seinem Speiseplan sind Bock- und Borkenkäferlarven. Ansonsten bedient er sich beispielsweise auch an Schmetterlingen, Wespen und Bienen. Um hartschalige Nahrungsmittel wie Zapfen besser bearbeiten zu können, klemmen Spechte diese oft in Baumlöcher, Felsspalten oder Gemäuer. So können sie mit ihrem Schnabel an die essbaren Bestandteile kommen.

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Der Grünspecht: Ein Ameisenliebhaber

Der Grünspecht lebt in den Bäumen und am Boden. Du erkennst ihn am grünen Federkleid mit roter Haube. Um die Geschlechter zu unterscheiden, betrachte die Schnabelwinkel. Beim Männchen sind diese rot, beim Weibchen schwarz. Grünspechte fressen besonders gerne Ameisen.

Der Schwarzspecht: Ein imposanter Waldbewohner

Der Schwarzspecht ist einer der größten Spechte. Er kann so groß wie eine Krähe werden. Er hüllt sich in ein schwarzes Federkleid.

Die Bedeutung des Trommelns für Spechte

Ein typisches Merkmal der Spechte ist ihr Trommeln. Dabei klopfen sie mit ihrem Schnabel entweder auf einen Ast oder bohren sich hämmernd ein Loch in den Stamm. Mit dem Trommeln kennzeichnen sie ihr Revier. Auch locken sie damit während der Balzzeit die Weibchen an. Außerdem hilft es ihnen bei der Suche nach Nahrung. Denn diese besteht meist aus Insekten, die unter der Baumrinde und im Baumstamm leben. Um etwa an Käferlarven heranzukommen, müssen die Larvengänge durch Herausmeißeln des Holzes freigelegt werden.

Wenn man Spechte im Frühjahr laut trommeln hört, dann sind sie allerdings nicht mit Wohnungsbau beschäftigt. Sie haben sich vielmehr einen hohlen Ast ausgesucht, der als Resonanzkörper wirkt und damit das Trommeln weithin hörbar werden lässt, denn es dient der Reviermarkierung.

Im Frühling trommeln sie jedoch hauptsächlich, um ein Weibchen oder Männchen anzulocken - getrommelt wird nämlich von beiden Geschlechtern. Damit das Trommeln möglichst weit zu hören ist, braucht es einen Resonanzkörper. Das kann ein dürrer Ast, ein hohler Baumstamm, aber auch eine Dachrinne sein. Hat der Specht das Passende gefunden, setzt er sich in Positur, plustert das Gefieder und schlägt seinen Wirbel.

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„Jede Spechtart trommelt anders“, berichtet Klaus Ruge, langjähriger Leiter der Vogelschutzwarte Baden-Württemberg. Dauer und Rhythmus der Wirbel, aber auch Anzahl der Schläge und der zeitliche Abstand dazwischen seien unterschiedlich und für jede Art charakteristisch. Die lautesten und längsten Trommelwirbel schlägt der etwa krähengroße Schwarzspecht, unverwechselbar durch sein schwarzes Gefieder und den Scheitel, der beim Männchen durchgängig, beim Weibchen nur am Hinterkopf leuchtend rot ist. Mit Abstand am häufigsten sind bei uns die kurzen Trommelwirbel des Buntspechts zu hören.

Spechte als Indikatoren für gesunde Wälder

Spechte gelten als Indikatoren für lebendige Wälder mit viel Totholz und unterschiedlichen Baumarten in allen Altersstadien. Insbesondere Kleinspechte, die man für Buntspechte halten könnte, wären sie nicht nur spatzengroß, sind darauf angewiesen. Doch die Annahme, Spechte lebten ausschließlich im Wald, sei falsch, stellt Ruge klar. Insbesondere Bunt- und Grünspechte siedeln auch in der Stadt.

Da die Spechte ihre selbstgebauten Höhlen oft nur ein- oder zweimal zum Brüten benutzen, stehen sie danach anderen Baumhöhlenbewohnern, die selbst nicht zum Höhlenbau befähigt sind, zur freien Verfügung. Grünspechte nisten nach Möglichkeit in leerstehenden Höhlen anderer Spechte. Die Chancen auf eine freie Wohnung stehen meist gut, denn einen gewissen Leerstand gibt es immer: „Manche Spechtarten zimmern sich jedes Jahr eine neue Nisthöhle“, erläutert Klaus Ruge. Und nicht jede werde fertiggestellt: „Manchmal bauen sie nur so ein bisschen rum.“ Das kommt Höhlenbrütern wie Meise, Kleiber und Waldkauz zugute; aber auch Wespen, Hummeln und Hornissen. Sogar Eichhörnchen suchen Unterschlupf in Spechthöhlen.

Innovationen inspiriert von der Natur: Der Specht als Vorbild

Mal wieder kann sich der Mensch die Natur zum Vorbild nehmen: Er muss dazu nicht einmal an einen Baum hämmern wie der Specht. Der Mensch mag mit Überschall durch die Lüfte gleiten können, mit einem Specht aber kann er es auch nach Jahrhunderten technischer Evolution nicht aufnehmen. Der Vogel ist ein medizinisches Wunder, um seine Robustheit beneiden ihn Unfallforscher weltweit. Hunderttausende Menschen werden jedes Jahr wegen Kopfverletzungen in deutschen Krankenhäusern behandelt, rund 5000 sterben. Keine andere Verletzung führt so oft zum Tod. Jetzt soll die Anatomie des Spechts den Forschern, die an sicheren Helmen tüfteln, neue Anregungen geben. Denn Spechte schlagen ihren Schnabel so oft und mit solcher Wucht in die Rinde von Bäumen, dass sie eigentlich komplett hirngeschädigt sein müssten. Würde ein Mensch seinen Kopf mit solcher Heftigkeit gegen einen Eichenstamm schlagen, er würde tot zusammensinken.

In der Rechtsmedizin der Universität München sind Spechtforschungen bekannt. Dort waren Wissenschaftler um den Unfallforscher und Biomechaniker Steffen Peldschus bereits an der Entwicklung europäischer Normen für Schutzhelme beteiligt.

Lizhen Wangs wilder Buntspecht hat die Gefangenschaft nicht überlebt. Von ihm inspirierte Motorrad-, Fahrrad- und Sporthelme aber könnten Leben retten. Erste Firmen haben bereits bei Wang angefragt.

Nicht nur vom Specht kann sich der Mensch etwas abschauen. Auch Pinguin, Haifisch oder Klette haben uns zu nützlichen Erfindungen inspiriert.

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