Die Vorteile des Sprachenlernens für das Gehirn

Das Erlernen einer neuen Sprache ist mehr als nur das Erschließen neuer Kulturen und die Möglichkeit zur Kommunikation mit mehr Menschen. Es hat auch tiefgreifende, positive Auswirkungen auf unser Gehirn. Es ist ein umfassendes Training, das die kognitiven Fähigkeiten stärkt, die Neuroplastizität fördert und sogar vor altersbedingten Erkrankungen schützen kann.

Die Neurowissenschaftliche Perspektive des Sprachenlernens

Das Sprachzentrum im Gehirn

Das Sprachzentrum im Gehirn besteht aus mehreren Regionen, hauptsächlich in der linken Hemisphäre. Jede dieser Regionen ist darauf spezialisiert, einen bestimmten Aspekt der Sprache zu verarbeiten. Dazu gehören die Sprachproduktion, das Sprachverständnis und die Verarbeitung eingehender Sprachsignale.

Exekutivfunktionen und ihre Rolle beim Sprachenlernen

Experimente haben gezeigt, dass im zweisprachigen Gehirn beide Sprachen gleichzeitig aktiv sind, selbst wenn nur eine Sprache verwendet wird. Dies stellt besondere Herausforderungen an das Gehirn dar, da es ständig den Überblick darüber behalten muss, welche Wörter zu der gerade gesprochenen Sprache gehören und welche unterdrückt werden müssen. Diese Aufgabe erfordert zusätzliche Arbeit von sogenannten exekutiven Gehirnfunktionen.

Exekutivfunktionen koordinieren Verhaltensweisen, um die Aufmerksamkeit zu fokussieren und Ziele zu setzen und zu verfolgen. Zweisprachige Menschen nutzen diese Funktionen in einem größeren Ausmaß als Einsprachige, um irrelevante Informationen auszublenden. In diesem Kontext fungieren Exekutivfunktionen wie eine Ampel, die es einer Sprache erlaubt, fortzufahren, während sie die andere stoppt. Dieses kontinuierliche Überwachen führt dazu, dass die Sprachverarbeitung für Zweisprachige mit einem höheren kognitiven Aufwand verbunden ist, was sich in einer reduzierten Sprechflüssigkeit äußern kann.

Der ausgiebige Gebrauch von Exekutivfunktionen spiegelt sich in der Gehirnaktivität von Zweisprachigen wider. Hirnregionen im präfrontalen Kortex, die für diese Prozesse verantwortlich sind, werden zusätzlich zu dem typischen Sprachnetzwerk aktiviert. Diese zusätzliche Aktivierung trainiert das Gehirn, was dazu führt, dass sich das Gehirnvolumen in diesen Bereichen vergrößert und deren Funktion gestärkt wird. Dies wiederum verbessert die kognitive Leistung bei Aufgaben, die auf diesen Funktionen basieren.

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Vorteile für Exekutivfunktionen

Studien zeigen, dass Zweisprachige bei Aufgaben, die inhibitorische Kontrolle, flexibles Wechseln zwischen Aufgaben, Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeitssteuerung erfordern, Stärken zeigen. All dies sind Exekutivfunktionen, die entscheidend für den akademischen Erfolg, die langfristige Gesundheit und das Wohlbefinden sind.

Das Ausmaß dieser zusätzlichen Hirnaktivität und die damit verbundenen Vorteile scheinen nicht davon abhängig zu sein, welche Sprachen gesprochen werden. Entscheidend ist die Kompetenz in der zweiten Sprache, die Häufigkeit, mit der sie verwendet wird, und die grammatikalische Genauigkeit.

Je früher eine zweite Sprache erlernt wird, desto optimaler ist das Ergebnis. Der Grund dafür ist, dass das Gehirn von Kleinkindern sehr plastisch ist und sich daher leicht verändert, je nachdem, welche kognitiven Funktionen am meisten verwendet werden. Wenn Kinder zweisprachig aufwachsen, passt sich ihr Gehirn schnell daran an, zwei Sprachen zu sprechen, indem es die Netzwerke und Verbindungen formt, die es ermöglichen, mit den erhöhten kognitiven Anforderungen fertig zu werden. Im Gegensatz dazu ist das erwachsene Gehirn relativ stabil und benötigt mehr Input oder Training, um seine Struktur oder Funktion zu verändern. Diese Eigenschaft des Gehirns ist der Grund, warum es so viel einfacher ist, eine Sprache fließend zu sprechen, wenn sie in einem sehr jungen Alter erlernt wird.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass es aussichtslos ist, im Erwachsenenalter eine neue Sprache zu lernen. Veränderungen des Gehirns und die damit verbundenen kognitiven Vorteile wurden auch bei konsekutiven Zweisprachigen festgestellt, die ihre zweite Sprache erst im Erwachsenenalter erwarben. Es erfordert nur ein bisschen mehr Zeit und Aufwand.

Subtile Vorteile im Alltag

Die kognitiven Vorteile der Zweisprachigkeit sind bei gesunden Gehirnen gewöhnlich sehr subtil und im Alltag oft nicht wahrnehmbar. Die Auswirkungen sind drastischer, wenn Aufgaben entweder sehr schwierig sind oder wenn die Hirnfunktion gestört ist oder abnimmt, wie dies beispielsweise bei verschiedenen Demenzarten der Fall ist.

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Aktuelle Studien haben gezeigt, dass Zweisprachigkeit den Ausbruch von Alzheimer um bis zu vier Jahre verzögern kann. Obwohl Hirnschäden von gleichaltrigen ein- und zweisprachigen Alzheimer Patienten im Schnitt das gleiche Ausmaß haben, können Gehirne von Zweisprachigen damit besser umgehen. Die Theorie dahinter: Zweisprachigkeit stattet das Gehirn mit besseren Kompensationsmechanismen aus, da das Gehirn gewohnt ist, mit hohen kognitiven Anforderungen umzugehen. Dies ist allerdings nur der Fall, wenn beide Sprachen noch gut beherrscht werden.

Wie sich das Gehirn beim Sprachenlernen verändert: Erkenntnisse aus der Forschung

Forschende des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben faszinierende Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich das Gehirn verändert, wenn Erwachsene eine neue Sprache lernen. Sie haben ein umfangreiches Intensivprogramm zum Erlernen der deutschen Sprache für syrische Flüchtlinge organisiert und den Lernfortschritt im Gehirn der Teilnehmenden mithilfe hochauflösender Magnetresonanztomografie (MRT) analysiert.

Veränderungen in der Konnektivität des Gehirns

Über einen Zeitraum von sechs Monaten haben Xuehu Wei und das Forscherteam unter der Leitung von Alfred Anwander und Angela Friederici genauestens die Gehirnscans von 59 Deutsch lernenden arabischen Muttersprachlern miteinander verglichen. Die Veränderungen in der Konnektivität zwischen den Gehirnarealen wurden durch hochauflösende MRT-Bilder entschlüsselt, die zu Beginn, in der Mitte und am Ende der Lernphase aufgenommen wurden. Für die Auswertung nutzten die Forschenden die Technik der Traktografie, um die neuronalen Bahnen am Computer sichtbar zu machen.

Die Bilder zeigen eine Verstärkung der Nervenverbindungen innerhalb des Sprachnetzwerks in der linken Gehirnhälfte sowie die Beteiligung zusätzlicher Regionen in der rechten Hemisphäre während des Zweitspracherwerbs. „Die Konnektivität zwischen den Spracharealen in beiden Hemisphären nahm mit dem Lernfortschritt zu", erklärt Xuehu Wei, Erstautorin der Studie.

Interessanterweise zeigt die Studie eine Verringerung der Konnektivität zwischen den beiden Gehirnhälften, die über den Gehirnbalken miteinander verbunden sind. Diese Verringerung deutet darauf hin, dass während des Zweitspracherwerbs die sprachdominante linke Hemisphäre weniger Kontrolle über die rechte Hemisphäre ausübt. Dadurch werden Ressourcen in der rechten Gehirnhälfte frei, um die neue Sprache zu integrieren.

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Neuroplastische Anpassungen

„Die dynamischen Veränderungen der Gehirnkonnektivität korrelierten direkt mit dem Lernfortschritt im Sprachtest des Goethe-Instituts", betont Alfred Anwander, Letztautor der Studie. „Dies unterstreicht die Bedeutung neuroplastischer Anpassungen des Netzwerks zur Verarbeitung der neu erlernten Sprache und die Nutzung von Regionen in der rechten Gehirnhälfte, die zuvor für die Sprachverarbeitung nicht genutzt wurden. Die vorliegende Studie veranschaulicht, wie sich das erwachsene Gehirn an neue kognitive Anforderungen anpasst, indem es die strukturelle Konnektivität innerhalb und zwischen den Hemisphären moduliert.“

Als eines der ersten großen Projekte, das Veränderungen in der Konnektivität des Gehirns während des Zweitspracherwerbs dokumentiert, könnte diese Studie zu einem tieferen Verständnis darüber beitragen, wie Erst- und Zweitsprachen gelernt und verarbeitet werden. Die Studie eröffnet neue Wege zum Verständnis der Gehirnfunktion und der Auswirkungen der erfahrungsabhängigen strukturellen Plastizität, die über den Spracherwerb hinausgeht.

Weitere Vorteile des Sprachenlernens

Verbesserung des visuellen Erinnerungsvermögens

Mehrsprachigkeit trainiert das Gehirn und erhöht dessen Leistungsfähigkeit. Wörter aneinanderreihen, Sätze bilden, Grammatik beachten: Sprache ist eine kognitive Hochleistung unseres Gehirns. Noch komplexer wird es, wenn wir neben der Muttersprache auch noch weitere Sprachen lernen. Besonders leicht fällt uns das in der Kindheit, da das Gehirn dann noch formbarer ist.

Dass sich durch Mehrsprachigkeit auch das visuelle Erinnerungsvermögen verbessern kann, hat eine Forschungsgruppe der Northwestern University in den USA herausgefunden. In ihrer Studie untersuchten die Forschenden das Erinnerungsvermögen von insgesamt 126 Testpersonen. Ein Drittel von ihnen sprach ausschließlich Englisch. Die übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer beherrschten zusätzlich auch Spanisch auf unterschiedlichen Niveaus.

Während des Versuchs bekamen die Versuchspersonen dann zunächst ein englisches Wort zu hören. Die Besonderheit dabei: Was auf den übrigen Bildern abgebildet war, klang auf Englisch oder Spanisch ähnlich wie das zuvor gehörte Wort. Diese Ähnlichkeiten schlugen sich dann auf das Erinnerungsvermögen aus: Im zweiten Teil des Experiments wurden den Testpersonen nochmals Bilder vorgelegt. Sie sollten dann angeben, welche davon sie in der ersten Runde bereits gesehen hatten. Englischsprachige erinnerten sich dann zum Beispiel an die Süßigkeiten, in der Regel aber nicht an das Vorhängeschloss.

Wie wir Sprache verarbeiten

Dass die Teilnehmenden sich bestimmte Wörter merken konnten, liegt an der Art und Weise, wie wir Sprache verarbeiten. Hören wir ein Wort, dann hangelt sich unser Gehirn von Buchstabe zu Buchstabe und aktiviert alle ähnlichen Wörter, die im Gehirn gespeichert sind - unabhängig von der Sprache.

Die Ergebnisse der Studie zeigen: Mehrsprachigkeit kann einen Einfluss darauf haben, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen. Dabei beeinflusst sie im ersten Schritt, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Kommen jemandem sowohl "candle" als auch "candy" und "candado" bekannt vor, dann werden die entsprechenden Wörter aktiviert.

Gedächtnistraining

Aus vorheriger Forschung geht auch hervor: Ein verbessertes Gedächtnis kann bei Mehrsprachigkeit auch dadurch entstehen, dass das Gehirn einem permanenten Training ausgesetzt ist. Es ist dauerhaft damit beschäftigt, richtige Wörter auszuwählen und nicht benötigtes Sprachwissen zu unterdrücken. Eine Studie aus Kanada konnten sogar zeigen, dass mehrsprachige Kinder bei Intelligenztests besser abschneiden als Kinder, die einsprachig aufwachsen. Die Ergebnisse der Studie wiederum können eine Erklärung dafür sein, warum sich verschiedene Menschen unterschiedlich an ein und dasselbe Ereignis erinnern. Dementsprechend helfen die Forschungsergebnisse dabei, gegenseitiges Verständnis zu fördern - vor allem in sprachlich vielfältigen Gemeinschaften.

Vertrauen in eigene Entscheidungen

Die Universität von Chicago hat beispielsweise herausgefunden, dass bilinguale Menschen eher auf ihre eigenen Entscheidungen und Urteile vertrauen, wenn sie in der zweiten Sprache noch einmal durchdacht wurden. Im Zeitalter der Informationsüberflutung kann man sich dies zu nutzen machen - Personen, die mehr als nur eine Sprache sprechen, nehmen ihre Umgebung schließlich deutlich aufmerksamer wahr.

Verbesserte Alltagskompetenzen

Im Alltag profitiert man nicht nur von einem verbesserten Filter, den das durch Fremdsprachen kräftigere Gehirn zur Verfügung stellt. Auch das Erinnerungsvermögen wird gestärkt: Sprecher zweier oder mehrerer Sprachen können sich leichter Einkaufslisten, die Namen neuer Bekanntschaften oder neue Wege in einer ungewohnten Umgebung merken. Hinzu kommt, dass der abrupte Wechsel zwischen der eigenen Muttersprache und der Fremdsprache die Fähigkeit trainiert, das gleiche auch zwischen anderen Aktivitäten zu tun.

Sprachenlernen im Alter

Kognitiver Abbau

Bereits nach vier Monaten Sprachkurs hatten sich bei den Senioren die funktionale Konnektivität und die globale Kognition im Vergleich zum Ausgangszustand verbessert, wie die Neurowissenschaftler festhalten. Das Erlernen einer Fremdsprache im Alter könnte, so ihre Überlegung, dem kognitiven Abbau entgegenwirken und als nicht pharmakologischer Behandlungsansatz für ein gesundes Altern genutzt werden.

Eine Studie aus Italien

Eine Studie aus Italien untersuchte die Auswirkungen des Sprachenlernens auf die kognitiven Fähigkeiten älterer Menschen. Sie teilten 26 Probanden zwischen 59 und 79 Jahren und bis dato ohne Fremdsprachenkenntnisse in zwei Gruppen auf. 13 Senioren besuchten 16 Wochen lang einen Englischkurs (120 Min. pro Woche), die anderen nicht. Neben der globalen Kognition (Mini Mental State Examination, MMSE) wurden das Kurz- und Langzeitgedächtnis, die Aufmerksamkeit, die Sprachkompetenz sowie exekutive Funktionen überprüft. Bei der Interventionsgruppe hatte sich nach Abschluss des Programms die Hirnleistung im Vergleich zu Beginn etwas verbessert (MMSE-Score 27,23 vs. 27,81), bei den Teilnehmern der Kontrollgruppe hingegen verschlechtert (29,35 vs. 28,28).

Verzögerung von Demenzerkrankungen

Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist bei der Mehrsprachigkeit die Auswirkung auf die Gesundheit. Es gilt als erwiesen, dass Alterserscheinungen des Gehirns in Form von Demenzerkrankungen unter Umständen um einige Jahre verzögert werden, wenn die Person neben ihrer Muttersprache eine weitere Sprache flüssig beherrscht. Forscher haben sogar festgestellt, dass bilinguale Menschen sich nach einem Schlaganfall besser erholen und ihr Gehirn weniger Schaden davonträgt. Laut der durchgeführten Studie sind einsprachige Personen im Anschluss fast 30% häufiger von vaskulärer Demenz und leichter kognitiver Beeinträchtigung betroffen als Zweisprachige. Während bei 40,5% der Bilingualen nach einem Hirnschlag sogar normale kognitive Funktionen verzeichnet wurden, war dies nur bei knapp 20% der einsprachigen Patienten der Fall.

Wie das Gehirn Sprachen lernt: Prozesse und Regionen

Die Rolle des auditiven Kortex und der Sprachareale

Das Erlernen einer neuen Sprache ist wie ein Training fürs Gehirn. Neurowissenschaftler sind sich einig, dass Menschen, die mehrere Sprachen sprechen, Informationen anders verarbeiten als Menschen, die nur eine Sprache sprechen.

"Diese Schaltkreise werden neu verdrahtet, wenn wir Sprachen lernen und zwischen ihnen wechseln. Wir brauchen sensorische Bereiche wie den auditiven Kortex, um Sprachlaute zu verarbeiten. So ist beispielsweise das Broca-Areal im Frontallappen in erster Linie für die Syntax zuständig - also die Art und Weise, wie wir Sätze strukturieren. Dieses Areal hilft, grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden und die Satzstruktur zu verstehen. Andere Hirnregionen, wie das Wernicke-Areal, spielen eine wichtige Rolle beim Wortverständnis und beim Abrufen von Wörtern.

Die "Neuverdrahtung des Gehirns"

"Neuverdrahtung des Gehirns" bedeutet, dass sich die neuronalen Strukturen des Gehirns physisch verändern. Dieser Prozess - Neuroplastizität genannt - ist der Mechanismus, der dem Lernen zugrunde liegt. Strukturelle Veränderungen im Gehirn verändern auch die Funktionsweise des Gehirns, da sich die Art und Weise, wie die Neuronen miteinander kommunizieren, physisch verändert. Studien zeigen, dass wir für alle Sprachen die gleichen Gehirnnetzwerke nutzen, aber das Gehirn reagiert anders auf unsere Muttersprache. Dies deutet darauf hin, dass die erste Sprache, die man erwirbt, im Gehirn mit minimalem Aufwand anders verarbeitet wird, so die Wissenschaftler.

Die Flexibilität des kindlichen Gehirns

Die Gehirne von Kleinkindern befinden sich noch in der Entwicklung. Sie sind anpassungsfähiger für neuronale Plastizität und Lernen. "In einem frühen Alter ist das Gehirn noch nicht so starr. Einige Untersuchungen zeigen, dass Mehrsprachigkeit kognitive Fähigkeiten wie das Gedächtnis und die Problemlösungsfähigkeit verbessert.

Die Rolle des Broca- und Wernicke-Areals

Um eine Fremdsprache zu erlernen, nutzt das Gehirn Strukturen, die es bereits für die Muttersprache angelegt hat. Neurowissenschaftler konnten zwei Sprach-Regionen identifizieren, mit denen wir bereits zur Welt kommen: das Broca-Areal im linken Stirnlappen, mit dem wir dazu fähig sind, einen Satz nach bestimmten Regeln aufzubauen (Syntax). Und das Wernicke-Areal im linken Schläfenlappen, das die Bedeutung von Wörtern und Sätzen verarbeitet (Semantik).

Die Wernicke-Region nutzen schon Säuglinge, um Wörter zu erlernen und abzuspeichern. Bereits ab einem Alter von sechs Monaten sind Babys dazu in der Lage, Gegenständen einen Begriff zuzuordnen und sogar Fehler zu erkennen - noch bevor sie anfangen, selbst zu sprechen. Das Gehirn ist in diesem Alter sehr plastisch und formbar und saugt sozusagen viele neue Wörter auf. Ab einem Jahr kategorisieren Kinder die gelernten Wörter: Ein Apfel ist ein Apfel - egal, ob er rot oder grün ist. Dreijährige verstehen mit Hilfe der Wernicke-Region einfache Sätze mühelos. Sechsjährige Kinder können Sätze wie "Der Fuchs fängt den Hasen" durch die Broca-Region beispielsweise problemlos verstehen. Schwieriger sind Sätze wie "Den Hasen fängt der Fuchs". Diese Phrasen können Kinder in der Regel erst mit zehn Jahren begreifen. Denn um solche grammatikalisch komplexen Sätze zu durchschauen, müssen sich die beiden Sprachregionen erst miteinander verbinden.

Bei Erwachsenen vernetzen dicke Bündel von Nervenfasern das Wernicke- mit dem Broca-Areal - und ermöglichen uns, komplexe Sprache zu verstehen und uns auszudrücken. Wenn sich ein Schüler eine Fremdsprache aneignet, laufen im Gehirn ähnliche Prozesse ab wie bei einem Kind, das seine Muttersprache lernt. Auch hier ist zunächst das Wernicke-Areal aktiv. Als Erstes versuchen wir, anhand von Mimik und Gestik die Bedeutung von Wörtern zu verstehen und speichern neue Vokabeln ab - etwa "apple" für Apfel. Beherrschen wir bereits einen Basis-Wortschatz, achten wir verstärkt auf Besonderheiten und grammatikalische Strukturen in Sätzen. Je mehr wir die Grammatik erlernen, desto stärker schaltet sich die zweite Region, das Broca-Areal, hinzu.

Zweisprachigkeit bei Kindern

Bei Kindern, die zweisprachig aufwachsen, laufen diese Prozesse parallel für zwei Sprachen ab. Dabei schaffen es die Kleinen, beide Sprachen zu trennen und nicht zu vermischen. Wie genau Kinder diese Höchstleistung erbringen, können Hirnforscher noch nicht genau erklären. Sicher ist aber: Sprechen die Eltern in der jeweiligen Muttersprache mit dem Kind (Beispiel: Der Vater redet nur Deutsch und die Mutter ausschließlich Französisch), fällt es ihm leichter, die Sprachen auseinanderzuhalten. Neurowissenschaftler müssen außerdem noch erforschen, wie genau sich der Lernprozess bei der Fremdsprache im Vergleich zur Muttersprache unterscheidet. Ist eine der Sprachregionen vermehrt aktiv? Sind weitere Hirnregionen beteiligt?

Studien zur Gehirnaktivität beim Sprachenlernen

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften haben mit diesen Methoden zum Beispiel deutschlernende Russen, Holländer, Japaner und Franzosen untersucht. Sie haben ihnen grammatikalisch falsche Sätze vorgespielt und ihre Gehirnantworten mit deutschen Muttersprachlern verglichen. Bei den Muttersprachlern schaltet sich bei Sätzen wie "Das Brot werden gegessen" sofort das Broca-Areal wie eine Alarmanalage ein. Auch die Deutschlerner erkennen den Fehler, brauchen aber länger, um ihn zu bemerken. Ihr Gehirn hat quasi die automatische Alarmanlage noch nicht installiert. Bei bereits fortgeschrittenen Lernern konnten die Forscher aber durchaus erkennen, dass sich das Broca-Areal bei falschen Sätzen aktiviert. Bei jenen Probanden, die fließend und nahezu perfekt Deutsch sprechen, verläuft die Hirnantwort schließlich genauso ab wie bei einem Muttersprachler.

Die Vorteile der Mehrsprachigkeit: Eine Neubewertung

Intelligenzstudie aus Kanada

Jahrzehntelang dachten Lehrer und Eltern, dass es Kinder vom Lernen abhält, wenn sie zweisprachig aufwachsen. Bis in die 1960er Jahre vermuteten Experten daher, dass bilinguale Menschen weniger intelligent sind.

Ausschlaggebend für diese Wende in den Sprachwissenschaften war eine Intelligenz-Studie aus Kanada, wo viele Menschen Englisch und Französisch sprechen. Die Studie konnte zeigen: Jene Kinder, die beide Sprachen beherrschten, schnitten im Intelligenztest besser ab als die einsprachigen Kinder. Seitdem haben Wissenschaftler mehrsprachige Menschen immer genauer untersucht und weitere Vorteile des Fremdsprachenlernens entdeckt. Dieser Prozess ist für das Denkorgan ein ständiges Training. Mehrsprachigen fällt es dadurch leichter, zwischen Aufgaben hin- und herwechseln.

Verbesserte kognitive Fähigkeiten im Alter

Das Gehirn-Training kommt besonders älteren Menschen zu Gute. Bei bilingualen Senioren konnten Forscher mehr intakte weiße Substanz nachweisen als bei gleichaltrigen Einsprachigen. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass das permanente Sprach-Wechseln dafür sorgt, dass die Abbauprozesse im Alter langsamer verlaufen - und Demenzerkrankungen vier bis fünf Jahre hinauszögert. Der schützende Effekt wirkt auch dann, wenn sich Personen erst spät mit Fremdsprachen beschäftigen.

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