Das Erlernen von Sprachen ist nicht nur ein Weg zu neuen Kulturen, Kontinenten und Menschen, sondern hat auch erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn. Es ist wie ein Training für das Gehirn, das die kognitiven Fähigkeiten stärkt und die allgemeine Gesundheit des Gehirns fördert. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Menschen, die mehrere Sprachen sprechen, Informationen anders verarbeiten als einsprachige Menschen.
Wie das Sprachenlernen das Gehirn verändert
Das Erlernen einer neuen Sprache führt zu einer "Neuverdrahtung des Gehirns". Die neuronalen Strukturen des Gehirns verändern sich physisch. Dieser Prozess, der als Neuroplastizität bezeichnet wird, ist der Mechanismus, der dem Lernen zugrunde liegt. Strukturelle Veränderungen im Gehirn verändern auch die Funktionsweise des Gehirns, da sich die Art und Weise, wie die Neuronen miteinander kommunizieren, physisch verändert.
Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2024 untersuchte die Gehirnaktivität von syrischen Flüchtlingen vor, während und nach dem Erlernen der deutschen Sprache. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Gehirnkonnektivität während des Spracherwerbs verändert.
Forschende des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben ebenfalls faszinierende Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich das Gehirn verändert, wenn Erwachsene eine neue Sprache lernen. Sie organisierten ein intensives Deutschlernprogramm für syrische Flüchtlinge und analysierten den Lernfortschritt im Gehirn der Teilnehmenden mithilfe hochauflösender Magnetresonanztomografie (MRT).
Über einen Zeitraum von sechs Monaten verglichen Xuehu Wei und das Forscherteam unter der Leitung von Alfred Anwander und Angela Friederici die Gehirnscans von 59 Deutsch lernenden arabischen Muttersprachlern. Die Veränderungen in der Konnektivität zwischen den Gehirnarealen wurden durch MRT-Bilder entschlüsselt, die zu Beginn, in der Mitte und am Ende der Lernphase aufgenommen wurden.
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Die Bilder zeigen eine Verstärkung der Nervenverbindungen innerhalb des Sprachnetzwerks in der linken Gehirnhälfte sowie die Beteiligung zusätzlicher Regionen in der rechten Hemisphäre während des Zweitspracherwerbs. Interessanterweise zeigt die Studie eine Verringerung der Konnektivität zwischen den beiden Gehirnhälften, die über den Gehirnbalken miteinander verbunden sind. Dies deutet darauf hin, dass während des Zweitspracherwerbs die sprachdominante linke Hemisphäre weniger Kontrolle über die rechte Hemisphäre ausübt. Dadurch werden Ressourcen in der rechten Gehirnhälfte frei, um die neue Sprache zu integrieren.
Die Rolle verschiedener Hirnregionen beim Sprachenlernen
Verschiedene Hirnregionen spielen eine wichtige Rolle beim Sprachenlernen:
- Broca-Areal: Dieses Areal im Frontallappen ist in erster Linie für die Syntax zuständig, also die Art und Weise, wie wir Sätze strukturieren. Es hilft, grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden und die Satzstruktur zu verstehen.
- Wernicke-Areal: Dieses Areal spielt eine wichtige Rolle beim Wortverständnis und beim Abrufen von Wörtern.
- Auditive Kortex: Dieser sensorische Bereich ist notwendig, um Sprachlaute zu verarbeiten.
Studien zeigen, dass wir für alle Sprachen die gleichen Gehirnnetzwerke nutzen, aber das Gehirn reagiert anders auf unsere Muttersprache. Dies deutet darauf hin, dass die erste Sprache, die man erwirbt, im Gehirn mit minimalem Aufwand anders verarbeitet wird.
Vorteile des Sprachenlernens für verschiedene Altersgruppen
Die Gehirne von Kleinkindern sind noch in der Entwicklung und daher anpassungsfähiger für neuronale Plastizität und Lernen. Einige Untersuchungen zeigen, dass Mehrsprachigkeit kognitive Fähigkeiten wie das Gedächtnis und die Problemlösungsfähigkeit verbessert.
Eine Studie aus Kanada konnte sogar zeigen, dass mehrsprachige Kinder bei Intelligenztests besser abschneiden als Kinder, die einsprachig aufwachsen.
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Aber auch Erwachsene profitieren vom Sprachenlernen. Studien haben gezeigt, dass das Erlernen einer neuen Sprache im Erwachsenenalter die kognitiven Fähigkeiten verbessern und den Ausbruch von Demenz verzögern kann.
Mehrsprachigkeit und Gedächtnis
Eine Forschungsgruppe der Northwestern University in den USA hat herausgefunden, dass sich durch Mehrsprachigkeit auch das visuelle Erinnerungsvermögen verbessern kann. In ihrer Studie untersuchten die Forschenden das Erinnerungsvermögen von insgesamt 126 Testpersonen. Ein Drittel von ihnen sprach ausschließlich Englisch. Die übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer beherrschten zusätzlich auch Spanisch auf unterschiedlichen Niveaus.
Die Ergebnisse der Studie zeigen: Mehrsprachigkeit kann einen Einfluss darauf haben, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen. Dabei beeinflusst sie im ersten Schritt, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Aus vorheriger Forschung geht auch hervor: Ein verbessertes Gedächtnis kann bei Mehrsprachigkeit auch dadurch entstehen, dass das Gehirn einem permanenten Training ausgesetzt ist. Es ist dauerhaft damit beschäftigt, richtige Wörter auszuwählen und nicht benötigtes Sprachwissen zu unterdrücken.
Die Auswirkungen des Sprachenlernens auf die Gehirnleistung
Das Erlernen einer Fremdsprache wirkt wie "Gehirnjogging". Das Gehirnvolumen vergrößert sich bei zweisprachigen Menschen in jenen Bereichen, wo Sprachkompetenz gebildet wird. Dadurch wird das Arbeitsgedächtnis besser und es fällt leichter, zwischen Aufgaben zu wechseln und die eigene Aufmerksamkeit zu steuern.
Mehrsprachige Menschen entwickeln eine höhere Problemlösekompetenz. Da das Gehirn gewohnt ist, mit hohen kognitiven Herausforderungen umzugehen, besitzt es mehr Kompensationsmechanismen. Oder anders ausgedrückt: Verfügt man durch abnehmende Hirnfunktion nicht mehr über das geeignete Vokabular, schafft man es dank Fremdsprachenlernen besser zu improvisieren.
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Diverse Studien mit verschiedenen Altersgruppen zeigen, dass jene Personen, die schon vor dem 5. Lebensjahr eine Zweitsprache erlernt haben, eine höhere visuelle und akustische Fähigkeit besitzen. Aber auch Personen, die eine zweite Sprache erst später lernen und beide Sprachen aktiv nutzen, profitieren durch das Erlernen einer Fremdsprache.
Durch das Erlernen einer Fremdsprache steuern wir unsere Aufmerksamkeit und können das Gesehene besser verinnerlichen.
Die Bedeutung der Sprachumgebung
Eine Studie der Universität Tokyo und EF Education First hat ergeben, dass sich das Gehirn während eines Kurzzeit-Sprachaufenthaltes beträchtlich verändert. Die Forschungsgruppe untersuchte ausländische Studierende, die sich bei EF Tokyo, einem der EF Internationalen Sprachcampusse, eingeschrieben haben.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Erlernen einer neuen Sprache zunächst die Gehirnaktivität steigert, was darauf hindeutet, dass der Spracherwerb das Gehirn nicht einfach nur aktiviert, sondern die Gehirnfunktion verändert.
Die UTokyo fasst also zusammen: “Bis eine ideale Methode identifiziert werden kann, empfehlen die Forscher der UTokyo, eine Sprache in einer natürlichen Umgebung zu erlernen. Zum Beispiel bei einem Auslandsaufenthalt, oder auf jede andere Weise, die gleichzeitig die vier Sprachregionen des Gehirns aktiviert.”
Zweisprachigkeit und Demenz
Aktuelle Studien haben gezeigt, dass Zweisprachigkeit den Ausbruch von Alzheimer um bis zu vier Jahre verzögern kann. Obwohl Hirnschäden von gleichaltrigen ein- und zweisprachigen Alzheimer Patienten im Schnitt das gleiche Ausmaß haben, können Gehirne von Zweisprachigen damit besser umgehen.
Die Theorie dahinter: Zweisprachigkeit stattet das Gehirn mit besseren Kompensationsmechanismen aus, da das Gehirn gewohnt ist, mit hohen kognitiven Anforderungen umzugehen. Dies ist allerdings nur der Fall wenn beide Sprachen noch gut beherrscht werden.
Fremdsprachenlernen bei Kindern
Das Erlernen von Fremdsprachen im Kindesalter hat zahlreiche Vorteile, die weit über die bloße Kommunikationsfähigkeit hinausgehen. Das frühe Fremdsprachenlernen trägt dazu bei, Selbstvertrauen zu entwickeln, es erhöht die Konzentrationsfähigkeit und verbessert das Hörverständnis.
Zudem kann das Sprechen mehrerer Sprachen den Ausbruch von Demenz im Alter verlangsamen, da das Gehirn durch die Verarbeitung verschiedener Sprachstrukturen flexibel und aktiv bleibt.
Durch das Erlernen einer Fremdsprache gewinnen Kinder ein tieferes Verständnis für die Strukturen und Regeln ihrer Muttersprache. Sie lernen, unterschiedliche Perspektiven kennen und entwickeln mehr Empathie sowie interkulturelle Kompetenz.