Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die oft mit Empfindungsstörungen und Schmerzen einhergeht. Die Suche nach wirksamen Therapien, die möglichst wenig Nebenwirkungen verursachen, ist daher von großer Bedeutung. In diesem Zusammenhang rückt das Stangerbad, eine Form der Elektrotherapie, in den Fokus. Dieser Artikel beleuchtet die Erfahrungen mit dem Stangerbad bei Polyneuropathie und stellt weitere Therapieansätze vor.
Was ist Polyneuropathie?
Bei einer Polyneuropathie handelt es sich um eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der Gehirn und Rückenmark nicht betroffen sind. Typischerweise treten symmetrische Empfindungsstörungen an Füßen und Unterschenkeln auf, wenn die sensiblen Nerven betroffen sind. Neben den sensiblen Störungen können auch Schäden an den motorischen Nerven auftreten, die sich durch Reflexausfälle und Schwäche oder Lähmungen der betroffenen Muskulatur bemerkbar machen. Das autonome Nervensystem kann ebenfalls erkrankt sein und Funktionsstörungen an den inneren Organen verursachen.
In vielen Fällen ist die Polyneuropathie Folge einer Grunderkrankung, am häufigsten von Diabetes mellitus. Die Suche nach einer möglichen Ursache sollte also vor Beginn einer Therapie stehen. Die konventionelle Therapie ist langfristig angelegt und verursacht oft Nebenwirkungen, so dass die Suche nach naturheilkundlichen (und damit meist mit deutlich weniger Nebenwirkungen belasteten) Alternativen gut nachzuvollziehen ist.
Mögliche Ursachen von Polyneuropathien
Ein schlecht eingestellter Diabetes ist in Deutschland die häufigste Ursache einer Polyneuropathie und nimmt in der westlichen Welt stark zu. Die Nervenschädigung kann durch eine Beeinträchtigung der Nervenfasern selbst oder indirekt durch eine Schädigung der die Nerven versorgenden kleinen Blutgefäße zustande kommen. Nach Ergebnissen einer neueren PROTECT-Studie entwickelt sich im Lauf der Zeit bei jedem 2. Diabetiker eine schmerzhafte oder schmerzlose Form der Nervenerkrankung. Bei 70 % der Erkrankten war aber die Diagnose nicht gestellt, das heißt die Betroffenen wussten nichts von der Erkrankung. Daher gibt es eine hohe Dunkelziffer, denn eine Neuropathie kann auch als frühes Symptom bei „Prädiabetes“ auftreten.
Weitere Ursachen können sein:
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- Stoffwechselstörungen und Vitaminmangel
- Schwere Organ- oder Allgemeinerkrankungen mit „Selbstvergiftung“, z. B. Nieren- oder Leberinsuffizienz
- Malabsorption bei chronischen Magen-Darm-Erkrankungen
- Polyneuropathien bei Krebserkrankungen
- Arterielle Durchblutungsstörungen
- Entzündliche Erkrankungen des Nervensystems, z. B. Borreliose
- Andere seltene neurologische Erkrankungen
- Thalassämie (besonders in den Mittelmeerländern)
- Toxisch bedingte Polyneuropathien
- Chronischer Alkoholismus
- Nebenwirkungen von Medikamenten, insbesondere bei Chemotherapien, häufig auch bei älteren AIDS-Medikamenten, seltener nach Antibiotika
- Chronischer Heroinkonsum
- Früher bei Tankwarten durch häufigen Kontakt mit verbleitem Benzin
- Umwelt- oder Alltagsgifte, wie Blei, Kupfer, Amalgam oder Cadmium
Ist keine Grunderkrankung feststellbar, spricht man von einer „idiopathischen Polyneuropathie“.
Typische Symptome
Am Anfang stehen gerade bei der diabetischen Polyneuropathie oft symmetrische Empfindungsstörungen, besonders an den Füßen. Taubheit, Kribbeln, Brennen, aber auch Schmerzen oder eine nachlassende Empfindlichkeit sollten Anlass zu einer genaueren Untersuchung sein. Häufig ist auch das Gefühl von zu engen Socken. Das geringer werdende Empfinden kann z. B. dazu führen, dass die Betroffenen ein drückendes Steinchen im Schuh nicht bemerken, was dann Ausgangspunkt für ein Geschwür an der Fußsohle sein kann. Frühzeitiges Handeln könnte einen Teil der jährlich bis zu 50 000 Amputationen wegen eines diabetischen Fußsyndroms verhindern.
Grundsätzlich kann sich außer der „sensiblen“ Polyneuropathie auch eine „motorische“ Polyneuropathie entwickeln - mitunter kommt es dann zu symmetrischen Lähmungen. Auch eine sog. „autonome“ Polyneuropathie mit Befall der die inneren Organe versorgenden vegetativen Nerven und nachfolgenden Funktionsstörungen ist möglich. Dazu gehören trophische Hautstörungen mit Begünstigung von Geschwürbildungen, vermindertem Schwitzen, Potenz- und Blasenentleerungsstörungen, Tachykardie in Ruhe oder Störungen der Pupillomotorik.
Bei der fatalen sog. „stummen Ischämie“ ist das Herz von den Folgen einer Polyneuropathie betroffen. Dabei können die sonst typischen Brustschmerzen bei einem Herzinfarkt oder einer Angina pectoris durch die Nervenschädigung teilweise oder ganz fehlen, wodurch eine adäquate Reaktion des Betroffenen ausbleibt. Das kann z. B. der Fall sein bei Diabetikern mit Polyneuropathie und gleichzeitig bestehender koronarer Herzkrankheit - einer nicht seltenen Kombination.
Diagnostik
Wegweisend sind in vielen Fällen die Anamnese und eine Diagnose wie Diabetes. Zur neurologischen Untersuchung gehören Reflexprüfungen, Testen des Berührungs-, Temperatur- und des Vibrationsempfindens (Stimmgabel). Schweißteste, Kipptisch-Untersuchungen, Bestimmung der Herzfrequenzvariabilität oder der Magenentleerungszeit können ergänzend zum Einsatz kommen. Eine weitergehende Diagnostik kann mit der Elektroneurografie und ggf. der histologischen Untersuchung eines zur Diagnose entnommenen Teils des Nervus suralis (Demyelinisierung? Axonale Schädigung?) erfolgen.
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Das Stangerbad: Eine elektrophysikalische Anwendung
Das Stangerbad ist eine elektrophysikalische Anwendung, bei der der Körper des Patienten in einer mit Wasser gefüllten Wanne von Gleichstrom durchflutet wird. In der Wanne befinden sich große Kontakte, Anode und Kathode. Wird der Gleichstrom eingeschaltet, durchflutet er quasi den Körper des Patienten. Diese Behandlung soll eine tiefenentspannende Wirkung haben, die mit einer manuellen Massage kaum zu erreichen ist.
Wirkungsweise des Stangerbads
Beim Stangerbad werden spezielle Stromformen genutzt, um gezielt am menschlichen Organismus eine Erwärmung des Gewebes zu erreichen, Schmerzen zu reduzieren, Nerven zu reizen, Abbau von Schwellungen im Gewebe zu fördern oder Muskulatur zu aktivieren. Durch die direkte, elektrische Einwirkung über die Haut auf das Zellmilieu werden das Ruhepotential der Zelle und die Zellhülle (Membran) verändert. Dies führt zu einer gewünschten Reaktion (Schmerzstillung, stärkere Durchblutung, Erhöhung oder Senkung der Muskelspannung, Auslösen einzelner Muskelzuckungen sowie das Einbringen von Medikamenten über die intakte Haut). Die Wirkung des Stroms ist abhängig von der Stromdichte, also von der Stromstärke in mA pro Fläche in cm². Die Dosierung erfolgt nach der individuellen Verträglichkeit.
Anwendung
Um den Strom auf den Patienten/die Patientin zu übertragen, werden Elektroden (Metallplatten) in der mit Wasser gefüllten Wanne angebracht. Je nach Anordnung dieser Elektroden und Schaltung des Stroms kann eine Ganzkörper- oder Teildurchströmung einzelner Körperteile durchgeführt werden. Ebenso wird der Stromfluss kopfwärts (anregend) oder absteigend (beruhigend, ausleitend), fußwärts eingestellt. Durch Salze kann eine bessere Leitfähigkeit erzielt werden. Die Dosierung des Stromes erfolgt durch den/die Physiotherapeuten/-in über einen Stromstärkeregler.
Risiken und Kontraindikationen
Bei folgenden Erkrankungen oder Befunden sollten andere Therapieformen der Elektrotherapie vorgezogen werden:
- Metalle im Körper des Patienten (zum Beispiel Gelenkprothesen)
- Akute Entzündungen
- Blutgerinnsel (Thrombose)
- Offene Hautstellen
- Schwere Durchblutungsstörungen der Arterien (Arteriosklerose)
- Herzrhythmusstörungen oder vorhandener Herzschrittmacher
- Bösartige Tumorerkrankungen
- Fieberhafte Krankheitsprozesse
- Erhöhte Blutungsneigung
Erfahrungen mit dem Stangerbad bei Polyneuropathie
Seit vielen Jahrzehnten schon gilt das Stangerbad mit seiner elektrophysikalischen Anwendung samt Wärmereiz als wahre Wohltat bei Beschwerden wie Durchblutungsstörungen oder Schmerzen am Ischias. Beobachtungen nach der Anwendung bestätigen eine schmerzlindernde Wirkung dieses Heilmittels. Nach Stangerbad konnten schmerzlindernde Effekte bei Fibromyalgie und bei Patienten mit Polyneuropathie erzielt werden.
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Weitere Therapieansätze bei Polyneuropathie
Neben dem Stangerbad gibt es eine Reihe weiterer Therapieansätze, die bei Polyneuropathie in Betracht gezogen werden können.
Naturheilkundliche Therapieansätze
Eine unter Umständen zugrunde liegende Erkrankung sollte so gut wie möglich behandelt werden. Ursächliche Noxen müssen ausgeschaltet werden. Gleichzeitig - oder wenn keine Grundkrankheit diagnostiziert wird - sollte man versuchen, die Beschwerden durch naturheilkundliche und ggf. medikamentöse Maßnahmen so gut es geht zu lindern.
Hydro- und Thermotherapie
Die mildeste Form, um die Durchblutung anzuregen und einen Reiz auf die Nervenrezeptoren auszuüben, ist das Trockenbürsten. Ein Igelball, Sandbäder oder Klopfungen wirken ähnlich.
Intensiver sind tägliches Wassertreten nach Kneipp oder kalte Unterschenkelgüsse, die ebenfalls die Durchblutung verbessern. Ansteigende Teilbäder mit allmählich steigenden Temperaturen dienen genauso der Gefäßerweiterung. Entweder können sie lokal an den am häufigsten betroffenen Unterschenkeln angewandt werden oder auch als Armbäder, um die konsensuelle Fernwirkung auszunutzen. Je nach Befund können auch Vollbäder mit Zusatz von Fichtennadeln oder Heublumen zum Einsatz kommen. Lehmpackungen (Heilerde) wird auch bei Neuralgien ein schmerzlindernder und antiphlogistischer Effekt zugesprochen. Man sollte sie täglich anwenden.
Allgemein ist bei einer Polyneuropathie die Hydro- und Thermotherapie dann indiziert, wenn noch eine ausreichende Durchblutung gewährleistet ist. Zu intensive Warm- bzw. Heißanwendungen sollten wegen möglicher Gewebeschäden aufgrund des nicht verspürten Hitzereizes bei einer sensiblen Polyneuropathie und bei höhergradigen Durchblutungsstörungen vermieden werden. Analog können zu intensive, nicht wahrgenommene Kaltreize zu Erfrierungen führen.
Die Sauna stellt einen intensiven thermischen Wechselreiz für die Haut dar. Sie wirkt auch schmerzlindernd und umstimmend am vegetativen Nervensystem, setzt aber eine Belastbarkeit von mindestens 75 Watt und eine ausreichende Durchblutung voraus.
Ein besonders starker Reiz ist ein für nur wenige Sekunden durchgeführtes Eisbad der Füße. Eine ausreichende Durchblutung und Sensibilität sind Voraussetzung. Diese Anwendung sollte nur unter Aufsicht durchgeführt werden. Zur Kontrolle ist es üblich, dass der Behandler immer die eigene Hand mit in das Wasser eintaucht, um Kälteschäden zu vermeiden.
Eine andere Variante eines intensiven Kaltreizes ist die lokale Kaltlufttherapie, die aber an bestimmte Physiotherapie-Einrichtungen gebunden ist. Sie kann - wiederum eine gute Durchblutung vorausgesetzt - zur Behandlung brennender Schmerzen an den Unterschenkeln versucht werden.
Ernährung und Vitamine
Ein Ziel der Ernährungsberatung ist es, extreme Diäten mit einem resultierenden Vitamin- und Mineralmangel zu vermeiden. Sinnvoll ist eine ovolaktovegetabile vollwertige Kost. Dabei werden chronische Entzündungsprozesse auch durch eine Reduktion von tierischen Produkten eingedämmt. Der Blutzucker sollte durch Ernährung und Bewegung so gut wie möglich eingestellt werden, toxische Einflüsse (Alkohol) sind zu meiden. Eine Umstellung des Stoffwechsels in Richtung einer basischen Ernährung kann sich ebenfalls positiv auswirken, z. B. sind Kartoffeln, Gemüse und Obst gute Basenlieferanten.
Die Motivation zur Ernährungsumstellung kann oft durch ein ärztlich oder zumindest durch einen Fastenleiter überwachtes einleitendes Heilfasten gesteigert werden. Heilfasten kann auch der Einstieg in eine Stoffwechselnormalisierung bei bestehendem Diabetes sein. Auch das erfordert eine ärztliche Begleitung, da ggf. die Insulin- und übrige Medikamentendosierung angepasst werden muss. Eine gute Eisenversorgung kann durch den gemeinsamen Verzehr von Eisen- und Vitamin-C-reichen Lebensmitteln wie Obst und Gemüse erreicht werden. Schwarzer Tee hemmt die Eisenresorption und sollte daher nicht zu den Mahlzeiten genossen werden.
Häufig besteht bei einer diabetischen Polyneuropathie ein Mangel an Vitamin B1 (Thiamin), weshalb Patienten mit gesicherter Diagnose oft mit Benfotiamin behandelt werden. Nicht nur ein Vitamin-B1-, auch ein Vitamin-B12- oder Folsäuremangel sollten ausgeglichen werden. Ebenso ist die Gabe von Alpha-Liponsäure (ein Koenzym, u. a. mit antioxidativen Effekten) üblich.
Die Ursache eines Vitaminmangels ist nicht immer in der Ernährung zu suchen. In der modernen Medizin führt nicht selten eine längerfristige Therapie mit einem Protonenpumpenhemmer zumindest zu einem Vitamin-B12-Mangel und dadurch zu einer Neuropathie. Im Einzelfall kann auch ein Vitamin-B6-Mangel zu einer Neuropathie beitragen. Das betrifft z. B. Patienten mit Absorptionsstörungen oder extremen Diäten zur Gewichtsabnahme. Raucher haben ebenfalls eine schlechtere Vitamin-B6-Versorgung. Bei künstlicher Zufuhr von Vitamin B6 sollte eine Überdosierung mit evtl. nachfolgender sensibler Polyneuropathie als Nebenwirkung vermieden werden. Diese tritt aber nach gegenwärtigem Wissensstand nur auf, wenn über Monate oder Jahre extrem hohe Dosen von 500 mg oder mehr eingenommen wurden, wie das z. B. bei Bodybuildern beobachtet wurde. Dosen bis 100 mg/Tag gelten als unbedenklich.
Mitunter wird auch Glutathion als „Radikalfänger“ eingesetzt. Experimentell kamen im Frühstadium einer diabetischen Polyneuropathie Wachstumsfaktoren zur Anwendung. Spezielle Schmerzmittel gegen „neuropathische“ Schmerzen sind trotz der vielfältigen beschriebenen Therapieansätze oft nicht zu vermeiden.
Ordnungstherapie
Hierzu gehört allgemein eine individuelle Diskussion über Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum etc. Da chronischer Stress auch die Schmerzverarbeitung beeinflusst, können im Einzelfall Entspannungsverfahren, Yoga oder vergleichbare Maßnahmen indiziert sein. Akupunktur ist in ähnlicher Weise wirksam.
Phytotherapeutische Präparate
Vorrangig geht es bei der symptomatischen Therapie um eine Beeinflussung der oft quälenden Schmerzen. Die Chronizität erfordert eine Dauerbehandlung, die das Risiko von pharmakologischen Nebenwirkungen erhöht. Jedoch sind auch Phytotherapeutika nicht ohne Nebenwirkungen, was man bei der Therapie beachten sollte.
Hinzu kommt, dass viele pflanzliche Präparate ihre volle Wirkung erst nach ca. 6 Wochen entfalten, was Geduld beim Patienten erfordert. Häufig kommen Teufelskrallen-Präparate zum Einsatz, wobei deren Wirkstärke nicht immer ausreicht. Ein Ziel kann jedoch sein, die Dosis konventioneller Schmerzmittel zu reduzieren. Über mögliche Interaktionen und Nebenwirkungen sollte der Patient informiert werden, wobei Apotheker oft gute Ratgeber sind.
Zur äußeren Anwendung kommen z. B. Aconit-Nervenöl, Nelken-, Rosmarin- oder Minzöl infrage. Johanniskraut-Rotöl und Einreibungen mit capsaicinhaltiger Salbe (Chili- oder Paprikaschoten; botanisch korrekter eigentlich „Beeren“) oder Cayennepfeffer werden ebenfalls empfohlen. Senfmehl-Fußbäder, die wegen des gestörten Empfindens nicht heiß zubereitet werden sollten, wirken ähnlich, sollten aber vorsichtig und nur nach Anleitung angewendet werden.
Bewegungstherapie und Krankengymnastik
Ein Ziel einer Bewegungstherapie ist die Besserung der Ausdauer und einer möglichen Muskelschwäche. Das kann durch Trainingstherapie, selbstständiges Walking, Geräte- oder Ergometertraining und Bewegungsbäder erreicht werden. Bewegungstherapie verbessert auch eine diabetische Stoffwechsellage sowie die Durchblutung. Ein physiotherapeutisch angeleitetes gezieltes Training geschwächter Muskelgruppen ist je nach Befund angezeigt. Die sog. „Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitationstherapie“ (PNF) dient ebenfalls zur Stärkung einer geschwächten Muskulatur. Es handelt sich dabei um eine spezifische Stimulation der Propriozeptoren zur komplexen Aktivierung von Muskelketten.
Ziele einer Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage (z. B. nach dem Bobath-Konzept) sind eine günstige Beeinflussung der Oberflächen- und Tiefensensibilität und eine „Bahnung“ im Zentralnervensystem. Derartig spezielle krankengymnastische Techniken setzen einen entsprechend ausgebildeten Therapeuten voraus.
Bestehen fortgeschrittene Gangstörungen oder gravierendere (insbesondere motorische) Ausfälle, kann eine physio- oder ergotherapeutische Gangschulung indiziert sein. Ebenfalls kann eine Hilfsmittelversorgung wie Fußheberorthesen, orthopädischen Schuhen, einem Gehstock oder Rollator erforderlich sein.
Funktionelle Störungen an der Wirbelsäule können durch Krankengymnastik, manualtherapeutische Techniken oder mit einer befundorientierten Physiotherapie behandelt werden. Übungen auf dem Kreisel oder eine Gangschulung auf weicher Unterlage zur Gleichgewichtsschulung sind bei Unsicherheit oder Schwindel angezeigt.
Seit einigen Jahren kommen auch Geräte zum Vibrationstraining zum Einsatz. Bekannt sind sie vor allem unter dem Namen „Galileo“ (USA: „Vibraflex“). Ganz neu ist die Idee nicht, denn schon Ende des 19. Jahrhunderts hat man mit einem vibrierenden Stuhl zur Behandlung des M. Parkinson experimentiert. Beim Vibrationstraining vibriert eine Platte sowohl vertikal als auch horizontal, die Frequenz und die Intensität lassen sich variieren und sollen unterschiedliche Wirkungen haben. Es wird beschrieben, dass sich die Leistungsfähigkeit der Muskulatur und die Koordination verbessern. Hinzu kommen eine Verbesserung des Blutzuckers bei Diabetes mellitus und eine Prophylaxe einer Osteoporose nach Immobilisation. Bei einer Polyneuropathie wird man als Therapieziel eine erhöhte Sicherheit und Sturzprophylaxe im Blick haben. Die Verträglichkeit des Geräts kann man nur durch eine Probebehandlung erkennen.
Ein Posturomed-Training ist ebenso wie Übungen auf dem Kreisel oder eine Gangschulung auf weicher Unterlage insbesondere bei Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen zur Gleichgewichtsschulung angezeigt. Dadurch wird auch das Sturzrisiko gesenkt.
Elektrotherapie
Bei der Elektrotherapie werden spezielle Stromformen genutzt, um gezielt am menschlichen Organismus eine Erwärmung des Gewebes zu erreichen, Schmerzen zu reduzieren, Nerven zu reizen, Abbau von Schwellungen im Gewebe zu fördern oder Muskulatur zu aktivieren. Grundsätzlich gilt, dass Elektrotherapie ergänzend zu aktiven Maßnahmen (Bewegungsübungen, Training) angewendet werden sollte.
Die Elektrotherapie gehört zu den passiven Behandlungsmaßnahmen und zur Reiz-Serien-Therapie. Das heißt, durch die direkte, elektrische Einwirkung über die Haut auf das Zellmilieu werden das Ruhepotential der Zelle und die Zellhülle (Membran) verändert. Dies führt zu einer gewünschten Reaktion (Schmerzstillung, stärkere Durchblutung, Erhöhung oder Senkung der Muskelspannung, Auslösen einzelner Muskelzuckungen sowie das Einbringen von Medikamenten über die intakte Haut). Die Wirkung des Stroms ist abhängig von der Stromdichte, also von der Stromstärke in mA pro Fläche in cm². Die Dosierung erfolgt nach der individuellen Verträglichkeit.
Um den Strom auf den Patienten/die Patientin zu übertragen, werden Elektroden (Klebeelektroden oder Metallplatten in feuchten Schwammtaschen) direkt auf der Haut angebracht. Zudem ist es möglich, Wasser als Leitmedium zu nutzen (z. B. bei Stangerbad oder das Vier-Zellenbad). Eingesetzt werden elektrische Ströme mit verschieden hohen Frequenzen, also der Schwingungszahl pro Sekunde (zum Teil zu spüren als Vibration, Impuls), die in Hertz gemessen wird. Für die Eigenbehandlung zu Hause mit TENS und/oder Muskelstimulation (EMS) stehen PatientInnen nach Anleitung durch die PhysiotherapeutIn batteriebetriebene Kleingeräte zur Verfügung, die unkompliziert am Hosen- oder Rockbund befestigt werden können.
Reizstromtherapie und Reizstrommassage
Reizstromtherapie dient in der Regel der Schmerzbehandlung, der Durchblutungsförderung und der Kräftigung der Muskulatur.
Spezielle Formen der Reizstromtherapie
- TENS (Transcutane elektrische Nervenstimulation): Dieses Verfahren wird insbesondere bei chronischen Schmerzzuständen angewandt. Ziel ist es, Nervenzellen im Rückenmark so anzuregen, dass sie die körpereigene Schmerzhemmung beeinflussen und so die Fortleitung des Schmerzes zu verhindern („Schmerztor schließen“). Man spricht auch vom Verdeckungseffekt. Der Effekt kann auch Stunden nach der Behandlung noch anhalten. Wichtig ist die längerfristige Anwendung.
- Iontophorese: Mit der Iontophorese können Medikamente in den Körper gebracht werden. Dazu wird unter einer Elektrode die Salbe oder das Gel aufgetragen, wodurch die Ionen in Richtung der Gegenelektrode fließen. Die Polung ist daher abhängig von dem verwendeten Medikament. Die Einweisung und Kontrolle erfolgt durch den Physiotherapeuten/die Physiotherapeutin und den Arzt/die Ärztin.
- Stangerbad: Das Stangerbad ist auch als hydroelektrisches Voll- oder Teilbad bekannt. In einer speziellen Wanne werden Metallplatten als Elektroden angebracht. Je nach Anordnung dieser Elektroden und Schaltung des Stroms kann eine Ganzkörper- oder Teildurchströmung einzelner Körperteile durchgeführt werden. Ebenso wird der Stromfluss kopfwärts (anregend) oder absteigend (beruhigend, ausleitend), fußwärts eingestellt. Durch Salze kann eine bessere Leitfähigkeit erzielt werden. Die Dosierung des Stromes erfolgt durch den/die Physiotherapeuten/-in über einen Stromstärkeregler. Beim Ausstieg aus dem Vollbad kann es zu Schwindel kommen. Daher sollte die Wanne erst verlassen werden, wenn das Wasser vollständig abgelaufen ist und ein Unterschenkelguss (Kneippsche Güsse) erfolgte.
- Vier-Zellenbad: Das Vier-Zellenbad folgt dem gleichen Prinzip. Hier werden Unterarme und/oder Unterschenkel in kleinere Wannen getaucht. Bäder werden auf Grund der hohen Anschaffungs- und Betriebskosten nur selten ambulant angeboten. Weit häufiger erfolgt die Anwendung im Krankenhaus oder im Rahmen der Rehabilitation.
Verordnung Elektrotherapie
Elektrotherapie zählt zu den Heilmitteln, deren Wirksamkeit nachgewiesen wurde und daher von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen wird. PatientInnen haben lediglich den festgelegten Eigenanteil von 10 Prozent der Kosten für die Heilmitteltherapie sowie 10 Euro je Verordnung selbst zu tragen. Darüber hinaus greifen die Möglichkeiten der Zuzahlungsbefreiung. Der Arzt/die Ärztin kann Elektrotherapie nach den gesetzlichen Regelungen, den Heilmittelrichtlinien, verordnen. Hierfür gibt es einen speziellen Verordnungsvordruck. Vor der erstmaligen Verordnung und möglichen Folgeverordnungen von Elektrotherapie erfolgt die Befunderhebung durch den Arzt/die Ärztin.
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