Sterbehilfe in den Niederlanden bei Demenz: Voraussetzungen und ethische Überlegungen

In einer zunehmend mobilen Welt stellt sich die Frage, wie mit Patientenverfügungen und Sterbehilfe im Ausland umgegangen werden soll. Dieser Artikel beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen in verschiedenen Ländern und gibt Hinweise, was bei Reisen oder Auslandsaufenthalten zu beachten ist. Die Gültigkeit von Patientenverfügungen endet oft an Landesgrenzen, und die Regelungen zur Sterbehilfe variieren stark von Land zu Land. Diese Unterschiede können besonders für Menschen mit schweren Erkrankungen oder ältere Personen von Bedeutung sein.

Rechtliche Rahmenbedingungen für Sterbehilfe im Ausland

Eine deutsche Patientenverfügung ist im Ausland grundsätzlich nicht rechtlich bindend, da Patientenverfügungen auf nationalen Gesetzen basieren und keine internationale Gültigkeit besitzen. Dies gilt sowohl für das europäische Ausland als auch für weiter entfernte Länder.

Dennoch kann eine Patientenverfügung im Ausland sinnvoll sein. Auch wenn ausländische Ärzte nicht gesetzlich an die Verfügung gebunden sind, bietet das Dokument wichtige Anhaltspunkte zu den Behandlungswünschen. Es kann den medizinischen Fachkräften als Orientierung dienen, sofern die Wünsche mit den jeweiligen nationalen Gesetzen vereinbar sind.

Eine beglaubigte Übersetzung der Patientenverfügung in die Sprache des jeweiligen Landes kann im Notfall wertvolle Zeit sparen, da das medizinische Personal die Wünsche schneller erfassen kann. Es ist jedoch zu beachten, dass eine Übersetzung die fehlende rechtliche Verbindlichkeit nicht ändert.

Formen der Sterbehilfe

Um die unterschiedlichen Regelungen im Ausland zu verstehen, ist es hilfreich, die verschiedenen Formen der Sterbehilfe zu kennen:

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  • Passive Sterbehilfe: Hierbei handelt es sich um das Sterbenlassen durch Unterlassen oder Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen. In Deutschland ist diese Form der Sterbehilfe erlaubt, wenn sie dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht. Der Patient kann dies in der konkreten Situation einfordern oder im Voraus in einer Patientenverfügung festhalten.
  • Indirekte Sterbehilfe: Diese Form bezeichnet das Inkaufnehmen eines verfrühten Todes aufgrund einer schmerzlindernden Behandlung im Einverständnis mit der betroffenen Person. Diese Form der Sterbehilfe ist in Deutschland zulässig, wie der Bundesgerichtshof bereits 1996 in einem Urteil festgehalten hat.
  • Assistierter Suizid: Beim assistierten Suizid wird Hilfe bei der Selbsttötung geleistet, beispielsweise durch das Bereitstellen eines Medikaments, das die sterbewillige Person selbst einnimmt. In Deutschland ist der assistierte Suizid seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020 auch ohne unheilbare Krankheit zulässig.
  • Aktive Sterbehilfe: Die aktive Sterbehilfe bezeichnet das Töten einer anderen Person auf ihr ausdrückliches Verlangen hin mithilfe einer tödlichen Substanz. In Deutschland ist die aktive Sterbehilfe als Tötung auf Verlangen strafbar und wird mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis fünf Jahren geahndet.

Sterbehilfe in den Niederlanden

Die Niederlande waren das erste Land weltweit, das die aktive Sterbehilfe legalisierte. Seit April 2002 dürfen Ärzte dort einer schwerkranken Person eine tödliche Spritze verabreichen, wenn die Person im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist und es ausdrücklich wünscht. Ein Kontrollausschuss, bestehend aus einem Arzt, einer juristischen Fachkraft und Experten für Ethik, muss der Sterbehilfe zustimmen. Zudem können Sie in den Niederlanden eine verbindliche Patientenverfügung einschließlich Wünschen zur aktiven Sterbehilfe verfassen.

Voraussetzungen für Sterbehilfe in den Niederlanden

In den Niederlanden ist aktive Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Der Patient muss seinen Sterbewillen unbeeinflusst, freiwillig und andauernd aussprechen. Ein zweiter Arzt muss hinzugezogen werden. Arzt und Leichenbeschauer melden die Tötung an eine regionale Kontrollkommission, der auch die Erklärung des unabhängigen Konsiliararztes zugeht. Die Kontrollkommission überprüft die Tötung auf Einhaltung der Sorgfaltskriterien. Gelangt sie zu der Überzeugung, dass der Arzt sorgfältig gehandelt hat, greift der Strafausschließungsgrund und der Arzt wird nicht strafrechtlich verfolgt.

Der Wunsch nach Sterbehilfe ist nicht an die Volljährigkeit (18 Jahre) gebunden, auch Minderjährige können die aktive Sterbehilfe beanspruchen, wenn die Zustimmung der Erziehungsberechtigten (12 bis 15 Jahre) oder eine Einbeziehung der Erziehungsberechtigten in die Entscheidungsfindung (16 und 17 Jahre) erfolgt ist. Kein Arzt ist in Holland verpflichtet, die aktive Sterbehilfe durchzuführen.

Sterbehilfe bei Demenz in den Niederlanden

Der Oberste Gerichtshof der Niederlande hat entschieden, dass Sterbehilfe bei schwer Demenzkranken unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist. Wenn der Demenzkranke diesen Willen zu Anfang seiner Erkrankung schriftlich festgehalten habe, als er noch seinen Willen äußern konnte, und alle übrigen Voraussetzungen erfüllt seien, könne der ausführende Arzt nicht belangt werden, entschieden die Richter.

Die Richter sagten, dass Ärzte sehr sorgfältig nach dem Gesetz handeln müssten. Der Tod auf Verlangen ist in den Niederlanden nur dann zulässig, wenn ein Patient aussichtslos krank ist, unerträglich leidet und mehrfach darum gebeten hat. Es gehe nicht nur um körperliches Leiden, sondern es könne Signale geben, "dass der Patient so sehr an seiner fortgeschrittenen Demenz leidet, dass sein Leiden als unerträglich bezeichnet werden kann".

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In den Niederlanden hat somit eine Patientenverfügung Vorrang vor dem vermeintlich aktuellen natürlichen Willen des betroffenen Menschen.

Kritik an der Sterbehilfe in den Niederlanden

Seit der Einführung des Sterbehilfegesetzes sei die Hemmschwelle zur Tötung deutlich gesunken. Auch die Diagnosen haben sich ausgeweitet: So ist laut Gesetz aktive Sterbehilfe nur bei schweren, unheilbaren und unerträglichen Krankheiten zugelassen. Inzwischen akzeptieren Ärzte jedoch auch „Lebensmüdigkeit“ oder eine Vielzahl an Altersgebrechen als Grund. Die Frage, was unerträglich ist, lässt sich eben nur schwer beantworten.

Bei Demenz baten die Betroffenen oft schon, im Frühstadium der Demenz getötet zu werden - aus Angst vor künftig drohendem Ich-Verlust. Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von April 2020 ist die Tötung von schwer dementen Patienten sogar dann zulässig, wenn sie zuvor eine entsprechende Patientenverfügung formuliert haben, aber sich zum Zeitpunkt der geplanten Tötung gegen die Todesspritze wehren.

Einige Holländer tragen inzwischen sogar eine so genannte Credo Card mit der Aufschrift "Maak mij niet dood, Doktor = Töte mich nicht, Doktor" bei sich, um nicht "versehentlich" euthanasiert zu werden. So wurde Sterbehilfe in Holland häufig aus falsch verstandenem Mitleid auch ohne expliziten Wunsch des Getöteten durchgeführt.

Ethische Überlegungen

Die Zulässigkeit von Sterbehilfe bei Demenz wirft eine Reihe ethischer Fragen auf:

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  • Darf der Mensch mit Demenz zu Zeiten, in denen er seinen Willen klar bilden und formulieren kann, darüber entscheiden, sein Leben zu beenden, wenn er bei fortgeschrittener Demenz zu dieser Entscheidungsfindung nicht mehr in der Lage ist?
  • Inwieweit kann eine Patientenverfügung Situationen vorwegnehmen, die individuell noch nicht erlebt wurden, und dementsprechend das vorgestellte Erleben stark vom tatsächlichen Erleben abweichen?
  • Wie soll mit einem Wunsch nach „Nichtmehrlebenwollen“ umgegangen werden, der bereits zu einem früheren Zeitpunkt im gesunden Zustand oder mit Beginn der Demenz getroffen wurde und sich auf die Zukunft, einen potenziell veränderten Krankheitszustand bezieht?
  • Zeigt der Mensch mit Demenz Lebensfreude, auch wenn er kognitiv selbst nicht mehr in der Lage ist, dies verständlich anderen gegenüber zum Ausdruck zu bringen und gegebenenfalls seinen Wunsch, das Leben zu beenden, zu revidieren?

Es ist wichtig, Menschen mit Demenz empathisch zu begleiten und immer im Auge zu behalten, ob sie dem Anschein nach ihr Leben als lebenswert empfinden. Hier sollten immer Medizin, Recht und Ethik zusammenwirken, sodass in jedem Fall ausgeschlossen werden kann, dass andere als individuelle Beweggründe der Betroffenen selbst eine Rolle spielen.

Wird mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Kommunikation, bekannter Biografie und erkennbarem Leiden vom Menschen mit Demenz über einen längeren Zeitraum zum Ausdruck gebracht, dass er nicht mehr leben will, gibt es Möglichkeiten der passiven, der indirekten Sterbehilfe. Aber auch bei dem geringsten Zweifel sollte unserer Meinung nach immer der Weg des Lebens gewählt und der Mensch palliativ und wenn nötig schmerzmedizinisch begleitet werden. Lebensqualität bis zum letzten Tag - das muss unser Ziel sein, wann auch immer dieser letzte Tag sein wird.

Weitere Länder mit Regelungen zur Sterbehilfe

Neben den Niederlanden haben auch andere Länder Regelungen zur Sterbehilfe:

  • Belgien: Belgien folgte kurz nach den Niederlanden mit einem ähnlichen Gesetz. Auch hier ist die ärztliche Tötung auf Verlangen bei unheilbarer Krankheit zulässig, und zwar auch für Jugendliche und Ausländer. Die Begutachtung erfolgt durch zwei (bei psychischen Erkrankungen drei) Ärzte, und eine Kontrollkommission überwacht den Prozess.
  • Schweiz: Die Schweiz hat eine vergleichsweise liberale Gesetzgebung. Der Staat akzeptiert die Beihilfe zur Selbsttötung, ohne sie ausdrücklich zu erlauben. Laut Gesetz ist es strafbar, jemandem “aus selbstsüchtigen Beweggründen” beim Suizid zu helfen - solange der helfenden Person aber kein selbstsüchtiger Beweggrund vorgeworfen werden kann, bleibt sie straffrei. Mediziner dürfen einer unheilbar kranken Person eine tödliche Dosis eines Medikaments beschaffen, die diese dann selbst einnehmen muss.
  • Frankreich: In Frankreich dürfen Ärzte einen unheilbar kranken Patienten “sterben lassen”, sein Leben aber nicht aktiv beenden. Das bedeutet, die Patienten dürfen auf eigenen Wunsch schmerzstillende Mittel erhalten, auch wenn ihr Tod durch die Medikamente möglicherweise beschleunigt wird. Patientenverfügungen sind in Frankreich nicht rechtlich bindend und bedürfen einer ärztlichen Bestätigung.
  • Großbritannien: In Großbritannien sind Patientenverfügungen rechtlich bindend, während aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid unzulässig sind. Gemäß dem “Mental Capacity Act” können Sie entweder eine allgemeine Willenserklärung verfassen, die als Richtlinie für Ärzte dient, oder eine erweiterte Verfügung, die für das medizinische Personal verpflichtend ist. Eine Registrierung der Verfügung ist notwendig.
  • Österreich: In Österreich können Sie eine “beachtliche Willenserklärung” verfassen, an die sich Ärzte nicht halten müssen. Alternativ können Sie eine verbindliche Patientenverfügung erstellen - dafür müssen Sie sich ärztlich beraten lassen und die Verfügung gemeinsam mit einer juristischen Fachkraft verfassen. Die österreichische Patientenverfügung ist allerdings nur 8 Jahre gültig.

Was ist bei Reisen oder Auslandsaufenthalten zu beachten?

Wenn Sie ins Ausland reisen oder dort leben, sollten Sie folgende Aspekte berücksichtigen:

  • Informieren Sie sich über die lokalen Regelungen: Beschäftigen Sie sich mit den nationalen Gegebenheiten zur Patientenverfügung oder ähnlichen im jeweiligen Land gültigen Vorsorgedokumenten. Dies ist besonders wichtig, wenn Sie dauerhaft im Ausland leben.
  • Lassen Sie Ihre Patientenverfügung übersetzen: Eine beglaubigte Übersetzung Ihrer Patientenverfügung in die Landessprache kann im Notfall Zeit sparen und sicherstellen, dass das medizinische Personal Ihre Wünsche schneller versteht.
  • Erstellen Sie gegebenenfalls eine landespezifische Verfügung: In vielen Ländern können Sie eine Patientenverfügung oder ähnliche Vorsorgedokumente nach den dort geltenden Gesetzen verfassen. Dies ist insbesondere für Menschen sinnvoll, die dauerhaft im Ausland leben.
  • Führen Sie Ihre Verfügung auf Reisen mit: Auch wenn die rechtliche Verbindlichkeit im Ausland nicht gegeben ist, sollten Sie Ihre Patientenverfügung (und/oder einen Notfallausweis) bei Reisen mitführen.
  • Berücksichtigen Sie kulturelle Unterschiede: In manchen Ländern werden medizinische Entscheidungen nicht immer aus ethischen Gründen getroffen, wie wir es in Deutschland gewohnt sind. Besonders in Ländern mit weniger entwickelter Infrastruktur können die medizinischen Möglichkeiten begrenzt sein.

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