Störung des vegetativen Nervensystems und die Rolle der Osteopathie

„Meine Nerven!“ ist ein Ausruf, der oft im Alltag zu hören ist, wenn Menschen gestresst oder überfordert sind. Doch was steckt wirklich hinter diesem Gefühl? Was genau machen unsere Nerven, und was passiert, wenn das Nervensystem erkrankt? Neurologische Erkrankungen können vielfältige Ursachen haben, und hier kommt die Osteopathie ins Spiel. Sie betrachtet den Patienten ganzheitlich und forscht nach den Ursprüngen der Beschwerden.

Das Nervensystem: Eine Einführung

Die Neurologie befasst sich mit den Funktionen des Nervensystems, dem komplexen Netzwerk, das Wahrnehmung, Empfindung und die Steuerung von Körper- und Organfunktionen ermöglicht. Das zentrale Nervensystem (ZNS), bestehend aus Gehirn und Rückenmark, steuert Denken, Sprechen und Koordination. Alles außerhalb des ZNS wird als peripheres Nervensystem bezeichnet, wobei beide Systeme eng miteinander vernetzt sind. Das periphere Nervensystem umfasst Organfunktionen und Sensorik, wie beispielsweise unseren Tast- oder Temperatursinn.

Das vegetative Nervensystem (VNS) ist ein Teil des peripheren Nervensystems und reguliert unbewusste Prozesse im Körper, wie Atmung, Verdauung und Herzschlag. Das Nervensystem durchzieht den gesamten Körper und spielt eine entscheidende Rolle in allen Prozessen, die in unserem Organismus vor sich gehen. Viren und Bakterien können das Nervensystem schädigen, ebenso wie Verletzungen, Druck oder Quetschungen.

Neurologische Störungen und Kopfschmerzen

Eine der häufigsten Beschwerden sind Kopfschmerzen, die in verschiedenen Formen auftreten können - von leichten Spannungskopfschmerzen über Clusterkopfschmerzen bis hin zur Migräne. Auch sie können von neurologischen Störungen ausgelöst werden. Gerade wenn die Ursachen von beispielsweise chronischen Kopfschmerzen oder anderen neuronalen Erkrankungen unklar sind, kann ein Besuch beim Osteopathen aufschlussreich sein, da hier Ursachenforschung betrieben wird.

Die Osteopathie als alternative Behandlungsmethode

Warum ist die Osteopathie eine ideale alternative Behandlungsmethode für neurologische Erkrankungen? Georg Schöner, 1. Vorsitzender des Bundesverbands Osteopathie e.V. (bvo), erklärt: „Die Osteopathie ist eine ganzheitliche und manuelle Behandlung. Das bedeutet, es wird nur mit den Händen gearbeitet. Osteopathen untersuchen den gesamten Körper und setzen alles miteinander in Verbindung, um die Ursache - soweit es möglich ist - zu beheben oder den Körper bestmöglich bei der Selbstheilung zu unterstützen.“ Schöner hat jahrelange Erfahrung mit der Behandlung von neurologischen Erkrankungen und bildet Osteopathen in diesem Bereich aus.

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Vor allem der craniosacrale Schwerpunkt der Osteopathie kann eine positive Wirkung auf das zentrale Nervensystem haben, da hierbei die Flüssigkeitszirkulation und Drainage im Gehirn verbessert und die Regeneration deutlich unterstützt wird.

Stress und das vegetative Nervensystem

Stress ist heutzutage ein allgegenwärtiges Thema. Nicht jede Art von Stress ist jedoch negativ. Ein gewisses Maß an anregenden Herausforderungen und persönlichen Anstrengungen ist notwendig, um uns wohl und gesund zu fühlen (Eustress). Anders verhält es sich bei negativem Stress (Disstress). Eine einheitliche Definition von Stress existiert nicht, aber wir wissen genau, wie wir uns fühlen, wenn wir Stress haben: unter Druck gesetzt, stark gefordert, genervt oder gehetzt.

In einer akuten Stresssituation ist unser vegetatives Nervensystem aktiv und versetzt den Körper in die Lage, schnell auf die Anforderung zu reagieren. Herzschlag und Atmung beschleunigen sich, Muskeln und Gehirn werden stärker durchblutet, und das Hormonsystem schüttet Adrenalin und Cortisol aus. Der Körper ist bereit, eine drohende Gefahr zu bekämpfen, zu bewältigen oder vor ihr zu flüchten.

Wenn negativer Stress jedoch über längere Zeit anhält, geraten das vegetative Nervensystem und das Hormonsystem aus dem Gleichgewicht. Erholungsphasen kommen zu kurz, und der Körper befindet sich permanent in einem Zustand gefühlter Gefahr. Auch das Immunsystem leidet unter dauerhaftem Stress, was die Anfälligkeit für Krankheiten erhöhen kann.

Typische Symptome bei einer vermehrten Belastung des vegetativen Nervensystems und des Hormonsystems durch Stress können sein:

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  • Gewichtszunahme
  • Wiederkehrende Entzündungen
  • Müdigkeit
  • Schlafschwierigkeiten
  • Gereiztheit
  • Lustlosigkeit
  • Häufige oder anhaltende Erkältungen
  • Bluthochdruck
  • Atembeschwerden
  • Nacken-, Rücken- oder Gelenkschmerzen
  • Kopfschmerzen
  • Nächtliches Knirschen oder Beißen
  • Entzündungen der Magenschleimhaut
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Wundheilungsstörungen
  • Sehschwierigkeiten

Da die körperlichen Symptome bei einer Belastung des vegetativen Nervensystems und des Hormonsystems oft unspezifisch sind, ist es nicht immer leicht, sie konkret mit einem bestimmten Stressor in Verbindung zu bringen.

Osteopathische Behandlung des vegetativen Nervensystems

Ihr osteopathischer Behandler kann Ihnen helfen, Stressfaktoren zu identifizieren und Zusammenhänge zu körperlichen Beschwerden herzustellen. Zudem bietet die Osteopathie viele Möglichkeiten, das vegetative Nervensystem und das Hormonsystem spezifisch zu behandeln und Ihrem Körper so zu helfen, wieder zu einem Gleichgewicht zu finden.

Die Behandlung des Vegetativums wird meist als sehr angenehm und wohltuend empfunden. Es wird mit sanften Techniken am Kopf und dem Kreuzbein gearbeitet. Dafür legt der osteopathische Behandler seine Hände auf den Kopf oder das Kreuzbein und folgt den Gewebespannungen, die sich hier zeigen, um das Nervengewebe zu entspannen. Er wird auch versuchen, über sanft induzierte Bewegungen am Kopf einen Einfluss auf das Nervengewebe direkt zu nehmen und so das Nervensystem positiv zu beeinflussen.

Zeigt sich die Spannung im Bereich des Nervensystems wieder harmonisch, kann die Nebenniere behandelt werden, die bei Stress Cortisol ausschüttet und daher häufig in Mitleidenschaft gezogen ist. Zur Behandlung der Nebenniere werden beide Hände auf den Nierenbereich (knapp über den Beckenkamm und neben der Wirbelsäule) gelegt und dieser sanft, oder zur Stimulation der Nebenniere etwas stärker, mobilisiert.

Sympathikus und Parasympathikus: Das Gleichgewicht des VNS

Das vegetative Nervensystem reguliert die zwei entgegengesetzten Aktivitätszustände unseres Körpers: Hochleistungsmodus (Sympathikus) versus Entspannungsmodus (Parasympathikus).

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Der sympathische Modus dient der Bereitstellung von Energie und der Leistungssteigerung von Organen (Muskeln und Lunge) und bereitet den Körper auf eine Anstrengung vor. Puls und Blutdruck steigen, der Mund wird trocken, und die Atmung wird schneller.

Der parasympathische Zustand versetzt die meisten inneren Organe und das kardiovaskuläre System hingegen in einen Erholungszustand. Der Puls verlangsamt sich, die Verdauungsleistung wird gesteigert, und körpereigene Reserven werden aufgebaut.

Diese beiden natürlichen Vorgänge bzw. Zustände des Körpers wechseln sich je nach Bedarf und als Reaktion auf Reize aus der Umwelt ab. Ein neuzeitliches Phänomen unserer Leistungsgesellschaft ist, dass der Parasympathikus zu kurz kommt und wir uns nicht ausreichend erholen.

Stressoren und ihre Auswirkungen

Verschiedene Stressoren können zu einer Überlastung des Systems führen:

  • Licht (künstliches)
  • Lärm
  • Unzureichende primäre Bedürfnisbefriedigung (ausreichend Schlaf und entspannte Nahrungsaufnahme)
  • Leistungsstressoren (Arbeit, Prüfungen)
  • Soziale Stressoren (interpersonale Probleme in Familie/Partnerschaft/Freunde)
  • Andere Stressoren (Entscheidungskonflikte, Zukunftsungewissheit/Existenzängste, Reizüberflutung)
  • Akute Traumata (Verletzungen, emotionale Probleme wie Verlust durch Trennung oder Tod)

Ein weiteres Problem ist die verlernte bzw. unzureichende Anpassungsfähigkeit bzw. Umstellungsfähigkeit unseres Körpers. Körperlich aktive Menschen trainieren somit auch ihr vegetatives Nervensystem, sodass dieses adaptiv und variabel bleibt.

Das Resultat des Ungleichgewichts zwischen Sympathikus und Parasympathikus ist das Stagnieren des Körpers in einem hyperaktiven Stadium. Der dauerhafte sympathische Zustand führt zur Überproduktion des Stresshormons Cortisol, was negative Folgen wie Osteoporose, Verkümmerung der Muskulatur, Bluthochdruck, depressive Verstimmung, Wassereinlagerungen oder Verdauungsprobleme haben kann.

Osteopathische Ziele bei der Behandlung von Stressbeschwerden

Mit der osteopathischen Arbeit werden bei diesen Beschwerden verschiedene Ziele verfolgt. Mittels cranio-sacraler Techniken wird über neurophysiologische Wege ein Ausgleich des vegetativen Nervensystems angestrebt. Dabei wird der 10. Hirnnerv, der sogenannte „Nervus vagus“ oder „Ruhe-Nerv“ stimuliert. Patienten nehmen dies als tiefen Entspannungszustand nach einer Behandlung wahr. Aber auch eine Mobilisation oder Auflösung von Blockaden an den Wirbelsegmenten Th1-Th5, entlang des sympathischen „Grenzstrangs“, kann zu einer Erleichterung führen.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, über die osteopathische Arbeit emotionale Blockaden zu lösen, die zu körperlichen Symptomen geführt haben. Dabei kommen wir auf das Thema der psycho-somatischen Koppelung zu sprechen.

Studien zur Wirksamkeit osteopathischer Techniken

Studien konnten eine Schmerzreduktion durch bestimmte osteopathische Techniken bei verschiedenen Krankheitsbildern aufzeigen. Die Wirkungsweisen dieser osteopathischen Techniken sind unklar. Eine Studie untersucht die Auswirkung einer mit der Hand ausgeführten Entspannungstechnik im Bereich der Oberbauches auf den Schmerzstatus und das vegetative Nervensystem bei Personen mit Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule.

Eine andere Studie untersucht die Auswirkung einer balanced ligamentous tension (BLT) Technik auf die Schmerzintensität und verschiedene Parameter des vegetativen Nervensystems bei Patienten mit akuten Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule.

Ein gesellschaftliches Phänomen: Stress

Viele Menschen fühlen sich gestresst. Es macht sich ein Gefühl von Überforderung breit. Die Pausen und Zeiten der Ruhe kommen für viele zu kurz. Woran liegt das? Unser vegetatives Nervensystem ist weit verzweigt und beeinflusst viele autonome Prozesse. Die Botenstoffe des vegetativen Nervensystems ist unter anderem Adrenalin. In Zeiten, in denen wir stark gefordert sind, braucht es diese Botenstoffe zur Bewältigung schwieriger Situationen. In Zeiten der Ruhe kehrt unser Organismus wieder in die normale und ausgeglichene Lage zurück. Kommt es jedoch zu zahlreichen Stressoren in kurzem Abstand ist es dem Körper nicht möglich das Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Ruhelage wird nicht wieder erreicht. Es wird schwierig zur Ruhe zu kommen. Schon kleinere Auslöser stellen einen erneuten Stressimpuls für das vegetative System dar.

Ein neues Gleichgewicht herstellen

Durch gezielte Techniken nimmt der Osteopath Einfluss auf das vegetative Nervensystem und die angrenzenden Strukturen. Die Behandlung der Wirbelsäule, des Kopfes und des Bauch- und Beckenraumes kann zu einer ausgeglicheneren Grundsituation im vegetativen Nervensystem beitragen. Schon in der Behandlung kommen Sie zur Ruhe. Möglicherweise kommen Sie in den Zustand der dynamischen Stille. Dieser ermöglicht es den Zugang zum vegetativen Nervensystem zu finden und zu einem ausgeglichenen Zustand zurück zu kehren.

Es ist sinnvoll möglichst viele Einschränkungen der Beweglichkeit im Muskelskelettsystem und den inneren Organen wahrzunehmen und zu behandeln, denn ein Körper der nicht mit Kompensationen beschäftigt ist, kann Stressituationen besser meistern. Natürlich ist es sinnvoll das eigene Verhalten zu überdenken. Eine Reduzierung der Bildschirmzeit und bewusste Pausen lassen uns besser zur Ruhe kommen.

Wie kann Osteopathie helfen?

Durch gezielte Techniken, die oft sehr sanft sind, können wir Einfluss auf das Nervensystem nehmen, indem ganz bestimmte Rezeptoren gereizt werden, die ein Signal an das Gehirn senden, welches dort verarbeitet wird. Die Antwort ist eine Entspannung, das Nervensystem "fährt runter", Muskeltonus wird niedriger, der Blutdruck sinkt, die Verdauung wird angeregt und somit auch die Aufnahme der Nährstoffe. Oft merken die Patienten direkt während der Behandlung eine Entspannung, sie merken, wie sie runterfahren, manche schlafen sogar ein.

Um ein seelisches und physisches Gleichgewicht zu finden, gibt es unterschiedliche Wege. Stressbewältigung und seelischer Ausgleich sind in unserem Alltag wichtig, denn anhaltende Belastungen und Ungleichgewicht können gravierende Auswirkungen auf das Gehirn haben. Chronischer Stress kann zu Depression oder Erschöpfung führen.

Die traumasensible Osteopathie

Die traumasensible Osteopathie ist ein ganzheitlicher Ansatz zur Behandlung von körperlichen und emotionalen Traumata und betrachtet dabei die Wechselwirkung zwischen Körper, Geist und Seele. Diese Weiterentwicklung der Osteopathie basiert auf dem Verständnis, dass Traumata nicht nur psychische, sondern auch körperliche Auswirkungen haben können.

Eine ganzheitliche Betrachtung und Behandlung sind notwendig, um den Patienten effektiv zu unterstützen. Die Therapie zielt darauf ab, die körperlichen und emotionalen Blockaden zu lösen und damit die Selbstheilungskräfte des Körpers zu aktivieren. Einen weiteren wichtigen Aspekt stellt die Regulierung des vegetativen Nervensystems dar. Um das vegetative Nervensystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen, werden meistens sanfte Techniken am faszialen und kraniosakralem System angewendet. Zudem kommen Atem- und Entspannungsübungen zum Einsatz.

Forschungsergebnisse zur Osteopathie und dem autonomen Nervensystem

Eine systematische Überprüfung der Literatur zeigt, dass osteopathische Behandlungen einen Einfluss auf das autonome Nervensystem haben können. Studien untersuchten die Auswirkungen von HVLAT-Techniken in der Halswirbelsäule, cranialen OMT-Techniken und Techniken in der Lendenwirbelsäule auf das ANS. Obwohl die Studien bezüglich der Anzahl der Probanden, der methodischen Qualität und des Evidenzniveaus begrenzt waren, gab es in allen Veröffentlichungen eine signifikante Veränderung im ANS.

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