Die faszinierende Welt des Tanzes, insbesondere des Balletts, ist nicht nur eine Frage von Anmut und Körperbeherrschung, sondern auch ein Spiegelbild der komplexen Funktionsweise unseres Gehirns. Studien über tanzende Ballerinen geben Aufschluss darüber, wie Bewegung, Musik und Emotionen im Gehirn verarbeitet werden und welche Auswirkungen dies auf unsere kognitiven Fähigkeiten und unser Wohlbefinden hat. Dabei werden auch populärwissenschaftliche Mythen kritisch hinterfragt.
Der Mythos der linken und rechten Gehirnhälfte
In der Trainingsbranche hält sich hartnäckig der Mythos, das menschliche Gehirn sei in eine analytisch-logische linke und eine emotional-kreative rechte Gehirnhälfte unterteilt. Dieses Modell wird gerne zur Erklärung menschlichen Verhaltens herangezogen. Demnach soll die linke Gehirnhälfte für rationales Denken zuständig sein, während die rechte Gehirnhälfte für Kreativität und Emotionen verantwortlich ist. Es wird sogar behauptet, dass bei manchen Menschen eine Gehirnhälfte stärker ausgeprägt sei als die andere.
Neurowissenschaftlich betrachtet ist diese Vorstellung jedoch zu einfach. Zwar gibt es funktionelle Asymmetrien im Gehirn, die sogenannten Lateralisierungen, bei denen bestimmte Aufgaben eher von einer Gehirnhälfte dominiert werden. Dennoch arbeiten beide Gehirnhälften stets zusammen und ergänzen sich. Die Vorstellung, dass Menschen entweder "links-" oder "rechtsdenkend" sind, entspricht nicht dem aktuellen Stand der Forschung.
Die drehende Tänzerin: Eine optische Täuschung
Ein beliebtes Beispiel, um die angebliche Dominanz der Gehirnhälften zu testen, ist die Animation einer drehenden Ballerina. Je nachdem, ob man die Tänzerin im oder gegen den Uhrzeigersinn rotieren sieht, soll man angeblich Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit ziehen können.
Die drehende Tänzerin ist jedoch in erster Linie eine optische Täuschung. Unser Gehirn interpretiert das zweidimensionale Bild als dreidimensional und erzeugt je nach Augenmerk auf Schatten und Konturen eine Drehung in die eine oder andere Richtung. Die wahrgenommene Drehrichtung sagt also nichts über die tatsächliche Dominanz einer Gehirnhälfte aus.
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Was passiert im Gehirn beim Tanzen?
Auch wenn die Theorie der dominanten Gehirnhälften überholt ist, so ist die Forschung über die Auswirkungen des Tanzens auf das Gehirn dennoch faszinierend. Studien zeigen, dass Tanzen zahlreiche positive Effekte auf unsere kognitiven Fähigkeiten und unser emotionales Wohlbefinden hat.
Tanzen als Training für Körper und Geist
Tanzen ist nicht nur ein körperliches Training, sondern auch ein Workout für das Gehirn. Die komplexen Bewegungen und Schrittfolgen erfordern ein hohes Maß an Konzentration, Koordination und Gedächtnisleistung. Das ständige Lernen und Wiederholen von Choreografien stärkt das Gedächtnis und verbessert die Fähigkeit, Informationen schnell und effizient zu verarbeiten.
Ballett erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Tänzer müssen gleichzeitig auf ihre Haltung, die Position ihrer Arme und Beine, den Ausdruck und die Musik achten. Diese Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu beachten und zu koordinieren, fördert das Multitasking und die Konzentrationsfähigkeit.
Tanzen als Stimmungsaufheller
Viele Tänzer berichten, dass sie sich nach dem Tanzen fröhlich und voller Energie fühlen. Wissenschaftler führen dies auf die Ausschüttung von Glückshormonen wie Endorphinen und Dopamin zurück. Tanzen baut Stress ab, fördert die Durchblutung und kann sogar den Blutdruck senken.
Tanzen als soziale Interaktion
Tanzen ist oft eine soziale Aktivität, die Menschen zusammenbringt und Beziehungen stärkt. Wenn wir uns als Paar oder in der Gruppe synchron bewegen, entsteht im Gehirn ein Gefühl der Verbundenheit. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die miteinander tanzen, sich hinterher sympathischer finden und besser in der Lage sind, Probleme gemeinsam zu lösen.
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Tanzen als Prävention gegen Demenz
Eine Studie aus dem Jahr 2017 legt nahe, dass Tanzen besser gegen altersbedingte Demenz hilft als andere Fitnessübungen. Tanzen beansprucht viele verschiedene Gehirnregionen gleichzeitig und fördert so die kognitive Flexibilität und das Gedächtnis.
Tanzkognitionsforschung: Ein junges Feld mit viel Potenzial
Die Tanzkognitionsforschung ist ein relativ junges Feld, das sich mit den neuronalen Grundlagen des Tanzens beschäftigt. Forscher untersuchen, wie Tänzer komplexe Bewegungen planen und ausführen, wie Musik und Rhythmus im Gehirn verarbeitet werden und wie Tanzen unsere Emotionen und sozialen Interaktionen beeinflusst.
Körperwahrnehmung und Bewegungskontrolle
Professionelle Tänzer verfügen über eine außergewöhnliche Körperwahrnehmung und Bewegungskontrolle. Nervenzellen in den Muskeln melden dem Gehirn fortlaufend die Position und Lage des Körpers im Raum. Dieser Sinneskanal ist für Profitänzer oft wichtiger als das, was sie sehen.
Mentale Repräsentation von Bewegungen
Forscher vermuten, dass Tänzer komplexe Bewegungen im Geiste in Teilschritte zerlegen. Sie stellen sich die einzelnen Phasen der Bewegung vor, um sie präzise ausführen zu können. Dieses mentale Training spielt eine wichtige Rolle für die Leistungsfähigkeit von Tänzern.
Spiegelneuronen und Empathie
Auch Zuschauer von Tanzdarbietungen lassen sich von den Bewegungen der Tänzer anstecken. Spezielle Schaltkreise im Gehirn, die sogenannten Spiegelneuronen, reagieren auf die Bewegungen anderer Menschen und erzeugen ähnliche Aktivitätsmuster im eigenen Gehirn. Dies könnte erklären, warum wir uns so gut in die Emotionen und Bewegungen der Tänzer hineinversetzen können.
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Genetische Veranlagung für Tanz?
Eine Studie israelischer Forscher deutet darauf hin, dass die Kunst und Ausstrahlung einer Primaballerina maßgeblich von ihren Genen geprägt sein könnten. Tänzer verfügen demnach sehr viel häufiger als die restliche Bevölkerung über zwei bestimmte Genvarianten, die Extrovertiertheit und Kreativität fördern. Dabei handelt es sich um Gene, die den Transport und die Verarbeitung von bestimmten Botenstoffen im Gehirn steuern.
Warum tanzen wir nicht mehr?
Tanzen hat viele positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Dennoch gibt es in unserer Gesellschaft viele Tanzmuffel, die von sich behaupten, sie könnten nicht tanzen. Warum ist das so?
Ein Grund könnte sein, dass Tanzen oft mit Leistungsdruck und Perfektionismus verbunden wird. Viele Menschen haben Angst, Fehler zu machen oder sich zu blamieren. Dabei sollte Tanzen in erster Linie Spaß machen und Freude bereiten.
Ein weiterer Grund könnte sein, dass Tanzen in unserer Gesellschaft nicht mehr so selbstverständlich ist wie früher. In vielen Kulturen ist Tanzen ein fester Bestandteil des sozialen Lebens. In unserer modernen Welt ist Tanzen oft auf spezielle Anlässe oder Tanzkurse beschränkt.