Tavor (Lorazepam) und Demenz: Ein möglicher Zusammenhang

Benzodiazepine, wie Lorazepam (Tavor), sind weit verbreitete Medikamente zur Behandlung von Angstzuständen und Schlafstörungen. Obwohl sie bei kurzzeitiger Anwendung als sicher gelten, birgt die langfristige Einnahme Risiken, insbesondere für ältere Menschen. Diese Risiken umfassen körperliche Abhängigkeit und kognitive Beeinträchtigungen. Neue Forschungen deuten darauf hin, dass Benzodiazepine möglicherweise auch das Demenzrisiko erhöhen könnten.

Benzodiazepine: Wirkweise und Anwendung

In den 1950er-Jahren wurden Benzodiazepine in den Laboren von Hoffmann-La Roche synthetisiert und fanden aufgrund ihrer sedierenden, muskelrelaxierenden und krampflösenden Eigenschaften breite Anwendung. Chlordiazepoxid kam 1960 als Librium® in Deutschland auf den Markt, gefolgt von vielen weiteren Benzodiazepinen. Sie ersetzten die Barbiturate aufgrund ihrer großen therapeutischen Breite und Anwendungssicherheit. Diazepam wurde 1977 in die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgenommen.

Benzodiazepine wirken, indem sie an Untereinheiten des GABAA-Rezeptors binden, einem ligandengesteuerten Chloridkanal. Dieser Kanal ermöglicht bei Aktivierung durch GABA (gamma-Aminobuttersäure) den Einstrom von Chlorid in die Nervenzellen, was die Signalweiterleitung dämpft. Benzodiazepine verstärken die Wirkung von GABA, indem sie die Affinität des Chloridkanals für GABA erhöhen. Dies führt zu einer beruhigenden, angstlösenden und muskelentspannenden Wirkung.

Risiken der Langzeitanwendung

Obwohl Benzodiazepine wirksam sind, bergen sie Risiken, insbesondere bei langfristiger Anwendung. Dazu gehören:

  • Abhängigkeit: Benzodiazepine haben ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Manche Patienten werden nervös, wenn sie ihr Medikament nicht in der Nähe haben. Der Gesetzgeber hat Benzodiazepine aufgrund des hohen Abhängigkeitspotenzials dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt.
  • Toleranzentwicklung: Bei regelmäßiger Einnahme kann es zu einer Toleranzentwicklung kommen, wodurch höhere Dosen erforderlich sind, um die gleiche Wirkung zu erzielen.
  • Entzugssymptome: Das Absetzen von Benzodiazepinen kann zu starken Entzugssymptomen führen, einschließlich Angstzuständen, Schlaflosigkeit und Krampfanfällen.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Langfristige Einnahme von Benzodiazepinen kann zu kognitiven Beeinträchtigungen führen, insbesondere bei älteren Menschen.
  • Erhöhtes Sturzrisiko: Benzodiazepine können das Sturzrisiko erhöhen, was besonders für ältere Menschen gefährlich ist.
  • Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten: Bei Anwendung von Benzodiazepinen zusammen mit Opioiden steigt das Risiko von Sedierung, Atemdepression, Koma und Tod aufgrund der gegenseitigen Verstärkung der zentraldämpfenden Wirkung.

Benzodiazepine und Demenz: Neue Erkenntnisse

Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Benzodiazepine möglicherweise auch das Risiko für Demenz erhöhen könnten. Eine Studie von Forschern um Prof. Jochen Herms und Dr. Mario Dorostkar hat einen möglichen Wirkmechanismus aufgedeckt, der diesen Zusammenhang erklären könnte.

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Die Studie ergab, dass Benzodiazepine in bestimmte Immunzellen im Gehirn eindringen, die sogenannten Mikroglia. Diese Zellen haben die Aufgabe, Zellreste im Gehirn abzubauen, einschließlich schadhafter Synapsen, also Verbindungen zwischen Nervenzellen. Benzodiazepine binden an ein bestimmtes Protein auf der Oberfläche von Zellorganellen der Mikroglia, das Translokatorprotein (TSPO). Diese Bindung aktiviert die Mikroglia, die dann Synapsen abbauen und recyceln.

In Experimenten mit Mäusen fanden die Forscher heraus, dass Tiere, die mehrere Wochen lang täglich eine schlaffördernde Dosis des Benzodiazepins Diazepam erhielten, aufgrund eines Synapsenverlusts kognitive Beeinträchtigungen zeigten. Vor allem die Gedächtnisleistung der Tiere nahm in Tests deutlich ab. Es war zwar bekannt, dass Mikroglia sowohl während der Gehirnentwicklung als auch bei neurodegenerativen Erkrankungen eine wichtige Rolle für die Beseitigung von Synapsen spielen. Sehr überraschend war für uns aber, dass so gut untersuchte Medikamente wie Benzodiazepine diesen Prozess beeinflussen.

Auswirkungen auf die Behandlung

Die Ergebnisse dieser Studie könnten Auswirkungen auf die Behandlung von Schlafstörungen und Angstzuständen bei Menschen mit einem Demenzrisiko haben. Die Forscher schlagen vor, dass bei diesen Patienten Medikamente bevorzugt werden sollten, die nicht auf den Rezeptor TSPO einwirken.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Forschung zu diesem Thema noch nicht abgeschlossen ist. Einige Studien haben einen Zusammenhang zwischen Benzodiazepinen und Demenz gefunden, während andere keine eindeutigen Ergebnisse liefern. Es sind weitere Studien erforderlich, um den Zusammenhang zwischen Benzodiazepinen und Demenz vollständig zu verstehen.

Alternativen zu Benzodiazepinen

Aufgrund der Risiken, die mit der Einnahme von Benzodiazepinen verbunden sind, sollten alternative Behandlungsmethoden in Betracht gezogen werden, insbesondere bei langfristiger Anwendung. Dazu gehören:

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  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): KVT ist eine Form der Psychotherapie, die darauf abzielt, negative Denkmuster und Verhaltensweisen zu verändern. Sie kann bei Angstzuständen und Schlafstörungen wirksam sein.
  • Entspannungstechniken: Entspannungstechniken wie Yoga, Meditation und progressive Muskelentspannung können helfen, Stress abzubauen und die Entspannung zu fördern.
  • Pflanzliche Mittel: Einige pflanzliche Mittel, wie Lavendelöl, können bei leichten Angstzuständen und Schlafstörungen helfen.
  • Antidepressiva: Antidepressiva mit schlaffördernder Wirkung, wie Mirtazapin, Agomelatin, Trazodon und Trizyklika, können eine Alternative zu Benzodiazepinen sein, da bei ihnen keine Abhängigkeit auftritt.
  • Antipsychotika: Bei älteren Patienten können die Antipsychotika Pipamperon und Melperon in Betracht gezogen werden.

Wichtige Hinweise zur Einnahme von Benzodiazepinen

Wenn Benzodiazepine verschrieben werden, sollten folgende Hinweise beachtet werden:

  • Niedrigste wirksame Dosis: Es sollte die niedrigste wirksame Dosis über einen möglichst kurzen Zeitraum eingenommen werden.
  • Regelmäßige Überprüfung: Die Notwendigkeit der Einnahme sollte regelmäßig mit dem Arzt überprüft werden.
  • Langsame Reduktion: Das Absetzen sollte langsam und unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, um Entzugssymptome zu vermeiden.
  • Vorsicht bei älteren Menschen: Bei älteren Menschen sollten Benzodiazepine aufgrund des erhöhten Risikos von Nebenwirkungen und kognitiven Beeinträchtigungen mit Vorsicht eingesetzt werden.
  • Aufklärung über Risiken: Patienten müssen über die Risiken der Einnahme aufgeklärt werden, einschließlich Abhängigkeit, Toleranzentwicklung und kognitive Beeinträchtigungen.

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