Der Nervus tibialis, auch Schienbeinnerv genannt, spielt eine entscheidende Rolle für die Funktion des Unterschenkels und des Fußes. Er ist einer der beiden Hauptäste des Nervus ischiadicus (Ischiasnerv) und versorgt sowohl motorische als auch sensible Bereiche. Dieser Artikel beleuchtet den Verlauf, die Anatomie und die klinische Bedeutung des Nervus tibialis, einschließlich des Tarsaltunnelsyndroms und anderer relevanter Erkrankungen.
Anatomie des Nervus tibialis
Ursprung und Verlauf
Der Nervus tibialis zweigt sich an der dorsalen, distalen Seite des Oberschenkels vom Nervus ischiadicus ab, kurz oberhalb der Kniekehle (Fossa poplitea). Dort verläuft er relativ oberflächlich und zieht anschließend nach distal zwischen den tiefen Flexoren und dem Musculus soleus in der tiefen Flexorenloge der Unterschenkelmuskulatur.
Äste des Nervus tibialis
Im Verlauf gibt der Nervus tibialis mehrere Äste ab, die verschiedene Muskeln und Hautbereiche innervieren:
- Nervus interosseus cruris: Dieser Ast geht direkt in der Kniekehle ab und zieht anschließend zur Membrana interossea cruris, welche die Unterschenkelknochen (Tibia und Fibula) als Fasergewebe verbindet.
- Nervus cutaneus surae medialis: Er versorgt die dorsale Haut des Unterschenkels. Er verläuft zwischen den zwei Köpfen des Musculus gastrocnemicus nach distal und durchbricht in der unteren Hälfte die Muskelfaszie des Unterschenkels. Daraufhin begleitet er die Vena saphena parva, woraufhin er sich mit dem Ramus communicans peroneus des Nervus cutaneus surae lateralis vereinigt und den Nervus suralis bildet.
- Rami musculares: Diese Äste innervieren einige Muskeln der dorsalen Seite der unteren Extremität.
- Nervi plantares medialis und lateralis: Sie stellen die beiden Endäste des Nervus tibialis dar und sind für die sensible Innervation der Haut der Fußsohle verantwortlich.
Tarsaltunnel
Ein wichtiger Abschnitt des Nervenverlaufs ist der Tarsaltunnel. Hier verläuft der Schienbeinnerv an der Hinterkante des Innenknöchels und tritt in den Tarsaltunnel ein, eine knöcherne Rinne am Innenknöchel. Diese Rinne wird von oben nach unten vom Innenknöchelanteil des Schienbeines, vom Sprungbein und vom Fersenbein gebildet und nach außen von einer festeren Bindegewebsgrenzschicht, dem Ligamentum laciniatum, bedeckt.
Im Tarsaltunnel verlaufen neben dem Nervus tibialis auch drei Sehnen der langen Großzehen- und Zehenbeuger und der hintere Schienbeinmuskel (Mm. flexor hallucis longus, flexor digitorum longus, tibialis posterior), die hintere Schienbeinarterie (A. tibialis posterior) und die hintere Schienbeinvene (V. tibialis posterior). Vom Schienbeinnerv geht im Tarsaltunnel noch ein Hauptnerv für das Fersenbein ab, dann teilt sich der Nerv im Tarsaltunnel in einen äußeren und einen inneren Fußast auf (Rr. plantaris lateralis / medialis) mit motorischen und sensiblen Anteilen.
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Funktion des Nervus tibialis
Der Nervus tibialis ist für eine Vielzahl von Funktionen im Unterschenkel und Fuß verantwortlich:
- Motorische Innervation: Er versorgt zahlreiche Muskeln, die für die Plantarflexion des Fußes, die Inversion und Eversion des Fußes und die Zehenbeugung verantwortlich sind. Dazu gehören unter anderem der Musculus gastrocnemius, der Musculus soleus, der Musculus plantaris, der Musculus tibialis posterior, der Musculus flexor digitorum longus und der Musculus flexor hallucis longus.
- Sensible Innervation: Der Nervus tibialis und seine Äste versorgen die Haut der Fußsohle, der Ferse und Teile des Unterschenkels mit sensiblen Impulsen. Dies ist entscheidend für die Wahrnehmung von Berührung, Schmerz und Temperatur.
Klinische Bedeutung
Schädigung des Nervus tibialis
Eine Schädigung oder Kompression des Nervus tibialis kann zu deutlichen klinischen Auffälligkeiten führen. Die Symptomatik ist von der Lokalisation und Schwere der Läsion abhängig und sehr variabel. Mögliche Ursachen sind Traumata, Kompressionen im Bereich des Ober- oder Unterschenkels, am Kniegelenk und im Fuß, sowie iatrogene Ursachen.
Bei einer Schädigung des Nervus tibialis im gesamten fallen die Supinatoren und Flexoren des Unterschenkels aus. Ursache hierfür kann eine Tibiafraktur oder das Tarsaltunnelsyndrom sein. In der Untersuchung des Patienten fällt ein eingeschränkter oder nicht möglicher Zehengang auf. Außerdem erscheint der Fuß proniert und dorsalextendiert.
Tarsaltunnelsyndrom
Das Tarsaltunnelsyndrom ist ein Einklemmungsyndrom des Nervus tibialis im Bereich des Tarsaltunnels. Es ist ein eher seltenes Krankheitsbild, das durch Kompression des Nervs entsteht.
Ursachen
Ausgelöst wird das Tarsaltunnelsyndrom meist durch mechanische Kompressionen (Einklemmungserscheinungen) oder auch funktionelle Überlastungen sowie durch Nervenerkrankungen, entzündliche oder selten auch tumoröse Veränderungen. Konkrete Beispiele sind:
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- Knöcherne Veränderungen nach Brüchen am Innenknöchel, Sprungbein und Fersenbein
- Bandverletzungen am Innenband und inneren Kapselbandapparat
- Verletzungen der im Tarsaltunnel befindlichen Strukturen
- Funktionelle Überlastungen zum Beispiel beim Joggen (sogenannter Joggerfuß) oder bei starkem Knickfuß
- Entzündliche Reaktionen bei rheumatoider Arthritis oder des Kapselbandapparates bei Sprunggelenksarthrosen
- Raumforderungen durch zusätzliche Gefäßbündel, Ganglien oder Tumoren der Nerven bzw. durch Verdickung der angrenzenden Muskeln und Sehnen
- Entzündliche Reaktionen der Nerven bei Diabetes mellitus, Gicht, Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose), Fettstoffwechselstörungen und anderen Ursachen
- Als Folge einer Komplikation bei einer medizinischen Behandlung, vor allem nach operativen Eingriffen (postoperative Folgen durch Schwellungen, Narben etc.)
- Anlagebedingt (etwa 20 Prozent der Fälle)
Symptome
Typische Symptome sind stechende und vor allem brennende Schmerzen am Innenknöchel mit Ausstrahlung in die Wade, die Ferse und den Fuß, teils auch Sensibilitätsstörungen, verminderte Schweißsekretion und Muskelschwächen. Typisch sind belastungsabhängige Schmerzen, zum Teil mit brennendem Charakter (neuropathischer Schmerz), in Höhe des Innenknöchels mit Ausstrahlung in den Fuß und auch in die Wade. Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen löst ein Klopfen im Nervenverlauf einen elektrisierenden Schmerz aus (Hoffmann-Tinel-Zeichen), das Anheben des Fußes insgesamt oder auch nur des Fußaußenrandes können die Beschwerden verstärken. In milderen Formen kann es nur zu einer Sensibilitätsstörung kommen, häufig kommen aber auch Schmerzen hinzu. Später können auch Muskelabschwächungen (motorische Störungen) oder sogenannte trophische Störungen wie eine verminderte Schweißsekretion auftreten.
Diagnose
Neben der Erhebung der Anamnese und der klinischen Untersuchung sind Röntgenaufnahmen des Sprunggelenkes und eventuell auch eine Ultraschalluntersuchung sowie MRT-Aufnahmen sinnvoll, um mechanische Veränderungen der Knochen bzw. Veränderungen im Bereich der Weichteile zu erfassen. In unklaren Fällen kann auch eine elektrophysiologische Untersuchung zur Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit weitere Klarheit schaffen. Oft ist auch eine diagnostische Injektion eines Lokalanästhetikums hilfreich: bringt diese für eine gewisse Zeit eine Beschwerdelinderung, ist zumindest der Ort der Schädigung meist gut abgegrenzt.
Differenzialdiagnosen
Das Leitsymptom der Missempfindungen (neuropathischer Schmerz) und/oder Sensibilitätsstörungen, stechende (nozizeptive) Schmerzen und motorische Schwächen finden sich auch bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen. Dazu gehören zum Beispiel (diabetischen) Polyneuropathien, Durchblutungsstörungen sowie höher gelegenen Schädigungen der Nervenbahn zum Beispiel weiter oben am Unterschenkel, im Lenden- und Kreuzbereich oder in Höhe der Wirbelsäule bei Bandscheibenschäden (Bandscheibenvorfall), Lumbale Spinalkanalstenose, aber auch bei einem Fersensporn (Plantarsehnenfasciitis), bei einer Achillodynie (Schmerzsyndrom der Achillessehne) sowie einer weiteren Anzahl von Erkrankungen. Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose ist eine Variante des Tarsaltunnelsyndroms, das Morton-Neurom, ein Engpasssyndrom der dort verlaufenden Nerven weiter unten am Fuß.
Therapie
Soweit möglich und bekannt, sollte man die Ursache(n) behandeln.
Konservative Therapie: Mögliche konservative Therapieformen sind Sprunggelenksbandagen, Einlagen, Injektionen mit Lokalanästhetika (gegebenenfalls mit Corticosteroidzusatz), entzündungshemmende und schmerzhemmende Maßnahmen der physikalischen Therapie (Elektrotherapie, Ultraschall, pulsierende Magnetfeldtherapie und Varianten, Kälte- oder Wärmeanwendungen) oder Akupunktur. Experimentell kann nach Fehlschlag aller anderen Verfahren auch eine Injektion mit Botulinumtoxin zur Behandlung der neuropathischen Schmerzkomponente erfolgen. Ruhigstellungen sind meist nur bei akuter starker Schmerzhaftigkeit und nur kurzfristig sinnvoll.
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Operative Therapie: Bleiben konservative Maßnahmen erfolglos, kann eine operative Dekompression des Nervs, gegebenenfalls in Kombination mit operativer Beseitigung weiterer Ursachen angebracht sein. Dies sollte allerdings nur dann erfolgen, wenn eine klare mechanische Ursache nachgewiesen werden konnte. Früher wurden diese Operationen in der Regel offen durchgeführt, mittlerweile wird wegen der potenziell geringeren Schädigung die endoskopische Variante in der Regel bevorzugt. Bei operativen Verfahren besteht jedoch auch die Gefahr, dass die Symptomatik hinterher nicht besser oder sogar schlechter wird, zum Beispiel durch postoperative Entzündungen, Nervenverletzungen oder überschießende Narbenbildung. Die genannten Verfahren werden vor allem auf Basis des orthopädischen Erfahrungsschatzes eingesetzt. Hochwertige wissenschaftliche beweisende Studien hierfür sind nicht hinreichend bekannt. Die vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse sind sowohl für konservative als auch für operative Maßnahmen eher ernüchternd.
Morton Neurom
Das Morton Neurom ist eine schmerzhafte, entzündliche Verdickung eines Mittelfußnerven. Es ist eine Komplikation des Spreizfußes (Pes transversoplanus). Durch das Absinken der Mittelfußknochen II bis IV werden die Metatarsalköpfchen II bis IV übermäßig belastet. Dadurch entstehen Schmerzhafte Schwielen, eine Metatarsalgie. Kommen plötzliche und stechende Schmerzen auf der Plantarseite des Fußes hinzu, spricht man von einer Morton-Neuralgie. Diese werden durch den Druck auf eine Stelle der Nervi digitales plantares communes verursacht. Viele Patienten mit Morton Neurom können sich durch eine Änderung ihrer Gewohnheiten und spezielle physiotherapeutische Übungen selbst helfen. Meist erfolgt die Entfernung des geschwollenen Mittelfußnerven beim Morton Neurom durch einen offenen operativen Zugang von der Fußsohle aus. Wenn die Schwellung an der Fußsohle noch nicht zu stark ausgeprägt ist, kann alternativ eine nervenerhaltende Therapie durchgeführt werden, die man als Dekompression (Druckentlastung) des Morton Neuroms bezeichnet.
Baxter-Neuropathie
Kommt es im Bereich der Plantarsehne zu einem Nervenkompressionssyndrom, spricht man von einer Baxter-Neuropathie, da der Nervus calcaneus inferior auch als Baxter-Nerv bezeichnet wird. Eine Einengung oder Reizung dieser Nerven führt zu seitlichen Fersenschmerzen.
Weitere Erkrankungen
Auch andere Erkrankungen können den Nervus tibialis beeinträchtigen:
- Diabetische Neuropathie: Diabetes mellitus kann zu Nervenschäden führen, die auch den Nervus tibialis betreffen können.
- Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung: Diese genetisch bedingte Erkrankung des peripheren Nervensystems kann ebenfalls zu Schäden am Nervus tibialis führen.
Der Musculus tibialis anterior
Der Musculus tibialis anterior gilt als der wichtigste Extensor des Fußes. Er verläuft entlang des Schienbeins (Tibia) und endet vor dem Sprunggelenk. Die Sehne des Musculus tibialis anterior verläuft an der Innenseite des Fußes nach vorne. Er wird auch Fußheber genannt und ist bei längeren Strecken der erste Muskel, der ermüdet.
Funktion
Die Hauptfunktionen des Tibialis anterior sind im oberen Sprunggelenk die Dorsalextension, also das Anheben des Fußes in Richtung Schienbein, und im unteren Sprunggelenk die Supination (Inversion), also die Drehung des Fußes nach innen. Außerdem stabilisert er das Fußgewölbe. Beim Laufen ist der Tibialis anterior aktiv, um den Fuß während des Schwungphasen-Anteils zu heben, zudem stabilisert sein Zug das Sprunggelenk, vor allem in der ersten Phase des Bodenkontakts beim Gehen bzw. Laufen.
Lähmung
Kommt es zu einer Lähmung des Musculus tibialis anterior, so spricht man vom sogenannten Steppergang und der Fuß kann nicht richtig angehoben werden. Eine Lähmung oder Schwächung des Muskels kann zu Problemen wie der Fußheberschwäche führen. Der Fuß kann beim Gehen nicht richtig angehoben werden, was zum sogenannten Steppergang führt, bei dem die Zehen über den Boden schleifen.