Die periphere Nervenchirurgie befasst sich mit der Behandlung von Nerven nach deren Austritt aus Gehirn und Rückenmark. Diese Nerven leiten einerseits sensible Informationen (Tastempfinden, Wärme/Temperatur, Schmerz) zum zentralen Nervensystem, andererseits werden Bewegungsimpulse vom Gehirn und Rückenmark an die Muskulatur des Gesichts, Körperstamms und der Extremitäten weitergegeben. Der Nervus tibialis, auch Schienbeinnerv genannt, ist ein wichtiger peripherer Nerv, der eine entscheidende Rolle für die Funktion des Unterschenkels und Fußes spielt. Eine Schädigung dieses Nervs kann zu einer Vielzahl von Beschwerden führen, die als Nervus tibialis Lähmung bezeichnet werden.
Anatomie und Funktion des Nervus tibialis
Der Schienbeinnerv (Nervus tibialis) zweigt vom Ischiasnerven ab und leitet Impulse an Unterschenkel, Fußsohle und Ferse weiter. Er ist einer der beiden Äste des Ischiasnervs (Nervus ischiadicus). Der Schienbeinnerv versorgt u. a. folgende Muskeln mit motorischen Impulsen:
- Musculus gastrocnemius
- Musculus soleus
- Musculus plantaris
- Musculus tibialis posterior
- Musculus flexor digitorum longus
- Musculus flexor hallucis longus
Auf der Innenseite des Sprunggelenks zieht der Schienbeinnerv durch den Tarsaltunnel. Die Plantarnerven ziehen zwischen den Mittelfußknochen nach vorn in Richtung Zehen. Die Fersennerven innervieren den Musculus abductor hallucis, die Plantarfaszie, die Haut im Fersen-, Mittelfuß- und Innenknöchelbereich.
Ursachen einer Nervus tibialis Lähmung
Eine Schädigung des N. tibialis kann iatrogen, durch verschiedene Traumata oder Kompressionen im Bereich des Ober- oder Unterschenkels, am Kniegelenk und im Fuß auftreten.
Mögliche Ursachen sind:
Traumatische Nervenläsionen: Nerven können einerseits durch direktes spitzes oder stumpfes Trauma oder indirekt durch Zugwirkung geschädigt werden. Des Weiteren können traumatische Verletzungen des Bewegungsapparats (Knochenbrüche, Gelenksluxationen, Muskelrisse, Scherverletzungen, Einblutungen) zu Verletzungen peripherer Nerven führen, welche dann einen akuten Ausfall der Nervenfunktion verursachen. Traumatische Nervenläsionen können prinzipiell überall im Körper durch verschiedenste Unfallmechanismen, beispielsweise bei Sport, Arbeits- oder Verkehrsunfällen durch eine entsprechende Gewalteinwirkung entstehen. Aber auch durch medizinische Maßnahmen (z.B. Lymphknotenbiopsie, Frakturversorgung) kommt es immer wieder zu solchen Nervenverletzungen.
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Kompressionssyndrome: Aufgrund des Nervenverlaufs kann es an typischen Stellen zu Einengungen peripherer Nerven kommen, wodurch charakteristische Symptome entstehen. Engpass- oder Nervenkompressionssyndrome sind chronische Druckschäden peripherer Nerven, die an typischen Engstellen im Nervenverlauf auftreten und meist durch Bänder, Muskelsehnen oder Knochenvorsprünge verursacht werden. Am häufigsten treten diese am Arm oder der Hand auf, seltener am Bein oder Fuß. In der Regel wird die Kompression der Nerven durch indirekte Ursachen hervorgerufen. Meist sind dies Folgen von Knochenbrüchen, Verrenkungen oder Fußfehlstellungen, wie Spreiz- oder Senkfüße. Auch im Rahmen einer rheumatoiden Arthritis kommen Nervenkompressionssyndrome vor, da hierbei Sehnen und Bänder entzündlich verändert und verdickt sein können. Auch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder Nierenerkrankungen können zu Einlagerungen in den Sehnen oder deren Verdickung und dadurch zu Einengungen des Nervs führen.
Tarsaltunnelsyndrom: Auf der Innenseite des Sprunggelenks zieht der Schienbeinnerv durch den Tarsaltunnel und kann durch Kompression schmerzhaft eingeengt werden. Beim Tarsaltunnelsyndrom führt eine Kompression des Nervus tibialis zu brennenden Schmerzen und Gefühlsstörungen im Bereich des Innenknöchels, die vor allem jedoch typischerweise in Richtung Ferse und Fußsohle ausstrahlen und sich durch Druck oder Klopfen auf die Region am Innenknöchel auslösen und verstärken lassen.
Morton-Neuralgie: An den die Zehen versorgenden Nervenendästen kann es durch äußeren Druck zu Nervenauftreibungen kommen, die dann brennende Schmerzen im Bereich der vorderen Fußsohle zur Folge haben. Dieses Krankheitsbild wird als Morton-Neuralgie oder -Metatarsalgie bezeichnet (manchmal auch Morton-"Neurom", obwohl es sich nicht um ein "echtes" Neurom handelt). Hauptauslöser von chronischen Mittelfußschmerzen (Metatarsalgie) ist das sogenannte Morton Neurom oder die Morton Neuralgie. Das Morton Neurom ist die häufigste Mittelfußerkrankung bei Frauen.
Tumoren: Ein chronisch wachsender Prozess im Bereich der peripheren Nerven kann neben einer tastbaren Schwellung und Schmerzen auch durch ständigen Druck, Zug oder Beeinträchtigung der Blutversorgung Schäden am betroffenen Nerv verursachen. Tumoren der peripheren Nerven sind insgesamt selten und meist gutartig. Diese gehen in der Regel von der Nervenscheide oder dem Bindegewebe der Nerven aus.
Entzündungen und Infektionen: Immunologisch bedingt ist die schmerzhafte lumbosakrale Plexopathie. Analog zur „neuralgischen Schulteramyotrophie“ treten nach Beinschmerzen Paresen vorwiegend der vom Plexus lumbalis versorgten Muskulatur auf.
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Iatrogene Ursachen: Am häufigsten ist die intraoperative Dehnungsverletzung durch das forcierte Ziehen am Bein bei Einsatz einer Hüftprothese. Strahlenschäden des Beinplexus entstehen nach Bestrahlung von Tumoren im kleinen Becken.
Weitere Ursachen: Dehnungsverletzung durch langes Knien und Hocken: „Rübenzieherneuritis“.
Symptome einer Nervus tibialis Lähmung
Die Symptomatik ist von der Lokalisation und Schwere der Läsion abhängig und sehr variabel, es treten ggf. Paresen der Knie- und/oder Fußflexoren, sowie Sensibilitätsstörungen der Fußsohle, Ferse und eventuell der medialen Fußseite auf.
Mögliche Symptome sind:
Motorische Ausfälle: Eine Lähmung des Schienbeinnervs hat zur Folge, dass Betroffene sich nicht mehr auf die Zehenspitzen stellen können. Bei proximaler Läsion ist der Zehenspitzengang nicht möglich. Bei distaler Läsion imponiert ein Krallenfuß, die Zehenspreizung kann nicht erfolgen. Bei einem Fallfuß kommt es zu einem Ausfall der Muskeln, die für das Anheben des Fußes verantwortlich sind, den sogenannten Fußhebern.
Sensibilitätsstörungen: Gefühlsstörungen und Schmerzen an der Fußsohle und Innenseite des Fußes können Anzeichen eines Tarsaltunnelsyndroms sein. Außerdem fallen Hypästhesien der Fußsohle sowie Atrophien der kleinen Fußmuskeln und möglicherweise eine An- oder Hyphidrose auf. Zusätzlich können Empfindungsstörungen beim Berühren der Haut vorhanden sein.
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Schmerzen: Beim Tarsaltunnelsyndrom kommt es zur Einengung des Schienbeinnervs (Nervus tibialis). Dadurch entstehen Schmerzen im Fuß, seitliche Fersenschmerzen und Gefühlsstörungen. Beim Tarsaltunnelsyndrom führt eine Kompression des Nervus tibialis zu brennenden Schmerzen und Gefühlsstörungen im Bereich des Innenknöchels, die vor allem jedoch typischerweise in Richtung Ferse und Fußsohle ausstrahlen und sich durch Druck oder Klopfen auf die Region am Innenknöchel auslösen und verstärken lassen.
Diagnostik einer Nervus tibialis Lähmung
Zunächst wird im persönlichen Gespräch der Krankheitsverlauf erhoben und eine klinische Untersuchung der vom betroffenen Nerv versorgten Hautareale und Muskeln vorgenommen. Daraus ist häufig bereits ein Rückschluss auf die Art und Schwere der Verletzung möglich. Um einen guten Einblick in die Problematik zu bekommen, ist ein Anamnesegespräch sehr wichtig. Anschließend erfolgt eine körperliche Untersuchung. Diese erfolgt, um festzustellen, welche Muskeln geschwächt sind und wo Gefühlsveränderungen auftreten. Auch die Reflexe werden getestet.
In der Regel sind weitergehende Untersuchungen in Form von elektrophysiologischen Messungen (Neurographie, Elektromyographie) und bildgebenden Darstellungen des betroffenen Nervs mittels hochauflösenden Ultraschalls (Sonographie) oder Kernspintomographie (MRT) notwendig. Entscheidend zur Diagnostik tragen kernspintomographische Aufnahmen (MRT) der betroffenen Körperregion bei.
Steht das Krankheitsbild des Tarsaltunnelsyndroms im Raum, kann eine Einspritzung im Nervenbereich mit einem Lokalanästhetikum (schmerzstillendes Mittel) und einem kortisonhaltigen Präparat Aufschluss darüber geben, inwieweit der Nerv bereits Schaden durch die Nerveneinengung und -reizung genommen hat. Ein sogenanntes Elektromyogramm (EMG), bei dem ein Facharzt auf dem Gebiet der Neurologie die Nervenleitgeschwindigkeit misst, erbringt unter anderem auch den Nachweis einer Nervenschädigung. Der Lokation der Einklemmen kann bei Zweifel oder zur Kontrolle mit einer EMG (Nervenleitungsuntersuchung) untersucht werden.
Um diese Zusammenarbeit zu optimieren wurde das „Tübinger Nerve Team“ gegründet, bestehend aus Experten der Abteilungen Neurochirurgie, Neurologie, Neuroradiologie und Hand-, plast.
Therapie einer Nervus tibialis Lähmung
Abhängig vom Schweregrad und von der Ursache der Läsion. Meist konservativ, evtl. Generell werden konservative von operativen Therapieformen unterschieden. Bei Verletzungen, bei denen der Spontanverlauf abgewartet werden kann, wird der Heilungsverlauf durch intensive therapeutische Maßnahmen ergänzt.
Konservative Therapie:
- Physiotherapie: Hierzu zählen intensivierte Physiotherapie auch auf neurophysiologischer Grundlage, physikalische Maßnahmen, Elektrostimulation und Ergotherapie. Der Physiotherapeut begleitet oft Patienten mit diesen Beschwerden, obwohl es in der Regel nicht notwendig ist, häufig zum Physiotherapeuten zu kommen. Der Fortschritt kann mit gezielten Übungen und regelmäßiger Kontrolle der Muskelkraft gut verfolgt werden.
- Orthopädietechnische Hilfsmittel: Ggf. kann die vorübergehende Anpassung orthopädietechnischer Hilfsmittel wie Schienen erforderlich sein. Orthopädische Einlagen vermindern den Druck auf den betroffenen Nerv. Auch wenn es darum geht, eine Fußfehlstellung zu behandeln, die zu einem Tarsaltunnelsyndrom geführt hat, sind Betroffene bei einem Orthopäden richtig.
- Medikamentöse Therapie: Salbenumschläge und entzündungshemmende Medikamente helfen, akute Beschwerden zu lindern. Steht das Krankheitsbild des Tarsaltunnelsyndroms im Raum, kann eine Einspritzung im Nervenbereich mit einem Lokalanästhetikum (schmerzstillendes Mittel) und einem kortisonhaltigen Präparat Aufschluss darüber geben, inwieweit der Nerv bereits Schaden durch die Nerveneinengung und -reizung genommen hat. Auch Kortikoide können gegeben werden.
Operative Therapie:
Bei stärkerer Ausprägung der Symptomatik oder messbaren Nervenschäden, sollte die operative Therapie erfolgen. Um die Druckentlastung eines Nervs zu ermöglichen wird dieser freigelegt und mikrochirurgisch oder endoskopisch die einengenden Bandstrukturen, Knochenvorsprünge oder Narbenzüge entfernt. In Fällen einer Nervenunterbrechung erfolgt die direkte Naht zwischen den betroffenen Nervenenden falls dies möglich ist. Lassen sich die Enden nicht adaptieren, wird in der Regel ein körpereigener sensibler Nerv (N. suralis) am Bein entnommen und zwischen die Enden eingenäht (Nerventransplantation). Dies wird z.B. auch dann nötig, wenn sich ein Neurom gebildet hat und dieses zur Nervenrekonstruktion chirurgisch entfernt werden muss. Lassen sich Nerven nicht direkt rekonstruieren, können gesunde funktionelle Nerven auf den erkrankten Nerv umgelenkt werden, um so die Chance einer Regeneration der ursprünglichen Funktion wiederherzustellen.
Bei dem Eingriff wird-häufig in Vollnarkose oder per Spinalanästhesie5 - das Halteband gespalten und der eingeklemmte Nerv im Tarsaltunnel freigelegt, um ihn zu entlasten. Der Schnitt verläuft entlang des Nervenverlaufs hinter dem Innenknöchel.
Rehabilitation:
Nach derartigen Nervenrekonstruktionen durch direkte Naht oder Nerveninterponat muss für ca. 14 Tage jeglicher Zug auf die Nervenenden vermieden werden. Hierzu werden nach Rekonstruktionen über Gelenke hinweg orthopädietechnische Hilfsmittel, wie z.B. Bandagen, in seltenen Fällen auch Gipsschienen zur Ruhigstellung genutzt. Danach kann das frühfunktionelle Training mit intensiver Physiotherapie begonnen werden.
Prognose
Eine Fußheberschwäche erholt sich oft innerhalb weniger Monate bis zu einem Jahr. Wenn der Physiotherapeut in diesem Zeitraum keine Fortschritte sieht oder sich der Zustand verschlechtert, muss eine weitere Untersuchung durchgeführt werden. Die Prognose ist abhängig vom Ausmaß der Schädigung.
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