Pferde können plötzlich Lahmheiten zeigen, ohne dass eine offensichtliche Verletzung vorliegt. Manchmal belasten sie einen Huf nicht mehr, tragen den Schweif schief oder verändern ihre Gänge drastisch. Solche Symptome können auf einen eingeklemmten Nerv zurückzuführen sein. Ein eingeklemmter Nerv kann für Pferde sehr schmerzhaft sein und ihre Bewegungsfähigkeit stark einschränken.
Ursachen einer Nervus Radialis Lähmung
Eine Schädigung des Nervus radialis, auch bekannt als Radialisparese oder Lähmung des Nervus radialis, ist keine Seltenheit bei Pferden. Der Nervus radialis entspringt dem Plexus brachialis, einem Nervengeflecht, das aus dem Rückenmark kommt, und ist für bestimmte Muskeln und Hautbereiche der Vorderhand zuständig. Eine Verletzung dieses Nervs führt zu charakteristischen Ausfällen in der Muskelaktivität und der Sensibilität.
Die Ursachen für eine solche Schädigung können vielfältig sein:
Traumatische Ereignisse: Autounfälle (auch wenn diese selten Pferde betreffen) oder Stürze können zu einem Abriss oder einer Überdehnung des Nervus radialis führen. Auch als Begleitverletzung bei Knochenbrüchen kann eine Lähmung des Nervus radialis auftreten.
Druckschädigung: Ein länger andauerndes Abdrücken des Nervs oder seiner Blutversorgung führt ebenfalls zum Absterben von Nervenzellen und somit zu einer Lähmung. Dies kann beispielsweise durch zu langes Liegen auf der Seite geschehen, weshalb bei Operationen in Seitenlage der Schulterbereich besonders unterpolstert wird. Ein Fall aus der Praxis schildert, dass ein Pferd bei der Kastration im Liegen eine solche Druckschädigung erlitten haben könnte, da nach dem Transport in die Klinik eine Hautläsion auf der Innenseite des Vorderbeins festgestellt wurde, die wie von einem abschnürenden Strick verursacht aussah.
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Direkte Schläge: Der Nervus radialis verläuft in einer Furche auf der Seite des Oberarmknochens und kann an dieser Stelle leicht verletzt werden, beispielsweise durch einen heftigen Schlag bei einer Rangelei.
Hämatome: In manchen Fällen kann ein Hämatom, das auf den Nervus radialis drückt, zu einer Lähmung führen.
Symptome einer Nervus Radialis Lähmung
Die Symptome einer Radialisparese können je nach Schweregrad und Lokalisation der Schädigung variieren. Typische Anzeichen sind:
Lahmheit: Das betroffene Vorderbein wird entlastet und kaum oder gar nicht belastet. Das Pferd kann das Bein nicht aktiv nach vorne führen.
Gangbild: Eine Radialisparese führt sofort zu einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Lahmung des betroffenen Vorderbeins. Diese Lahmung verändert das Gangbild.
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"Kusshand"-Stellung: Das betroffene Vorderbein wirkt schlaff und sieht länger aus, die Hufspitze kann nicht angehoben werden. Wird das Bein passiv nach vorne gebracht und abgestellt, kann das Bein aber problemlos Gewicht übernehmen.
Sensibilitätsverlust: Die Sensibilität, also die Gefühlswahrnehmung der betroffenen Extremität, ist eingeschränkt oder fällt komplett aus. Häufig ist der Bereich des Pfotenrückens betroffen. Das Tier nimmt Berührungen oder Schmerzen nicht wahr.
Überköten: Das Tier hält die Pfote (oder den Huf) gebeugt, sodass es mit dem Fußrücken aufsetzt.
Muskelatrophie: Die Muskulatur, für die der Radialisnerv zuständig ist, kann nicht mehr aktiviert werden und verkümmert. Es entsteht eine Muskelatrophie, vor allem im Bereich des Schulterblatts.
Reflexe: Reflexe funktionieren gar nicht oder sind stark verzögert.
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Missempfindungen: Es können Missempfindungen auftreten, die dazu führen, dass das Tier versucht, das betroffene Bein zu beißen (Automutilation).
Kontrakturen: Sind Gelenke dauerhaft in Beugestellung, verkürzen Muskeln und Sehnen schon nach kurzer Zeit, was zu einer Kontraktur führen kann.
Diagnose einer Nervus Radialis Lähmung
Die Diagnose einer Radialisparese basiert auf der Anamnese, der klinischen Untersuchung und gegebenenfalls weiteren diagnostischen Maßnahmen:
Anamnese: Durch die Befragung des Besitzers über das Unfallgeschehen oder die Entstehung der Erkrankung können schon wichtige Hinweise gewonnen werden.
Klinische Untersuchung: Reflexe, Sensibilität, Muskelaktivität und Beweglichkeit werden getestet. Bestimmte Stellreaktionen zeigen, ob die Koordination und die Eigenwahrnehmung gut funktionieren.
Neurologische Untersuchung: Die Tierärztin oder der Tierarzt wird eine neurologische Untersuchung vornehmen.
Bildgebende Verfahren: Durch bildgebende Verfahren wie eine Computertomographie oder Kontrastmittelröntgen (Myelographie) können zusätzliche Informationen über das Ausmaß der Nervenschädigung gewonnen werden.
Weitere Untersuchungen: Oftmals schließt sich auch eine bildgebende Untersuchung an (z. B. Röntgenuntersuchung, CT, MRT), unter Umständen auch spezielle Verfahren, mithilfe derer man die Reizleitung- und Übertragung von Nerven messen kann. Vermutet die Tierärztin oder der Tierarzt auch eine innere Erkrankung, wird zudem das Blut des Tieres auf krankhafte Veränderungen hin untersucht.
Therapie einer Nervus Radialis Lähmung
Die Therapie einer Radialisparese zielt darauf ab, die Regeneration des Nervs zu fördern, die Symptome zu lindern und Komplikationen zu verhindern. Die Behandlung kann je nach Ursache und Schweregrad der Lähmung variieren:
Konservative Therapie:
- Medikamente: Je nach Ursache kann der Tierarzt abschwellend wirkende Medikamente (Antiphlogistika), kortisonhaltige Präparate oder Schmerzmittel verordnen. Auch Medikamente, welche die Regeneration von Nerven unterstützen können, zum Beispiel verschiedene B-Vitamine, können eingesetzt werden.
- Bewegungstherapie: Eine situationangepasste Bewegungstherapie ist wichtig, um die Muskeln zu stimulieren und die Beweglichkeit zu erhalten. In der tierphysiotherapeutischen Behandlung kann dem Pferd mit einem Tuch oder Gurt geholfen werden, das Vorderbein vorzuführen und so das Gangtraining zu ermöglichen.
- Physiotherapie: Eine wichtige Maßnahme bei Überköten ist zudem Physiotherapie. Sie zielt zum einen darauf ab, die Regeneration der betroffenen Nerven zu fördern, zum anderen soll sie einer Verkürzung der Sehnen an der jeweiligen Gliedmaße entgegenwirken.
- Ernährung: Eine entsprechende Ernährungsergänzung kann helfen, die Muskulatur aufzubauen.
- Hilfsmittel: Zusätzlich stehen Hilfsmittel, sogenannte Orthesen, zur Verfügung, um die betroffene Gliedmaße in der korrekten Position zu halten. Solche Pfotenschuhe schützen die Pfote vor Verletzungen durch das falsche Aufsetzen und verhindern außerdem, dass sich die Beugesehnen mit der Zeit verkürzen.
- Alternativmedizinische Behandlungen: Einige Therapeuten setzen auf alternative Behandlungsmethoden wie Akupunktur, Homöopathie oder Lasertherapie, um die Heilung zu unterstützen. In einem Fallbericht wurde ein Haflinger mit Vitamin-B-Komplex, Rhus Tox D30, Arnica D6 und Symphytum D2 behandelt, was zu einer schnellen Lahmfreiheit führte.
Chirurgische Therapie: In manchen Fällen, insbesondere wenn die Lähmung durch eine Kompression des Nervs verursacht wird (z. B. durch ein Hämatom oder eine Knochenfraktur), kann eine Operation erforderlich sein, um den Nerv zu entlasten. Bei krankhaften Veränderungen der Wirbelsäule, die zu einer Kompression von Nerven führen, kommt in manchen Fällen auch eine Operation infrage, um die Nerven zu entlasten.
Prognose einer Nervus Radialis Lähmung
Die Prognose einer Radialisparese hängt von der Ursache, dem Schweregrad der Schädigung und der Schnelligkeit der Behandlung ab. Nervenzellen können sich unter bestimmten Bedingungen wieder regenerieren. Je geringer die Schädigung ausgeprägt ist und je frühzeitiger eine Behandlung erfolgt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich das Überköten wieder verschwindet. Bei massivem Nervenschaden oder neurodegenerativen Erkrankungen ist die Wahrscheinlichkeit einer Rückbildung allerdings gering.
In vielen Fällen ist eine vollständige oder zumindest teilweise Erholung möglich. Es ist jedoch wichtig, geduldig zu sein und das Pferd während des Heilungsprozesses optimal zu unterstützen.
Fallbeispiele
Fall 1: Eine 19-jährige Vollblutstute erlitt eine Radialisnervenverletzung durch den Schlag eines anderen Pferdes. Trotz anfänglicher Behandlung mit Schmerzmitteln und Entzündungshemmern verschlimmerte sich die Lahmheit. Durch eine Kombination aus blutverdünnenden Medikamenten, Kräutern, Globuli, einem Kompressionsstrumpf, osteopathischer/physiotherapeutischer Behandlung und einem angepassten Trainingsprogramm konnte die Stute wieder eingeschränkt geritten werden.
Fall 2: Ein Haflinger erlitt während einer Kastration eine Radialisnervschädigung. Durch die Behandlung mit Vitamin-B-Komplex, Rhus Tox D30, Arnica D6 und Symphytum D2 konnte eine schnelle Lahmfreiheit erreicht werden.